Protokoll der Sitzung vom 06.07.2006

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Als Nächster hat für die Landesregierung Minister Professor Dr. Olbertz um das Wort gebeten. Bitte sehr.

(Zuruf von Frau Mittendorf, SPD)

- Frau Mittendorf, Sie können es nicht erwarten, hier vorn zu Wort zu kommen, Sie müssen aber noch kurz still sein.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf diese Rede kann ich gar nicht so heiter reagieren wie auf die von der FDP, da wir uns doch einig sind, dass man manchmal auch miteinander spielen muss.

Aber jetzt verbietet sich das; denn ich erinnere mich daran, dass wir zu DDR-Zeiten einen Anteil von 16 %, ich glaube, sogar von nur 12,5 % an Abiturienten hatten.

(Frau Bull, Linkspartei.PDS: Das wird doch jetzt nicht besser, oder? Das ist doch traurig genug! - Herr Tullner, CDU: Unverschämtheit!)

Wir haben jetzt einen Anteil von 40 %. Ich finde, das ist ein toller Erfolg der Demokratisierung unserer ganzen Gesellschaft, von der ich nicht unbedingt - -

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP - Herr Tullner, CDU: Ja!)

Das Zweite ist: Ich würde mich freuen, wenn Sie sich einmal in die Lage versetzen würden. Sie können das, da bin ich mir ganz sicher.

(Zuruf von der Linkspartei.PDS: Natürlich können wir!)

- Das war jetzt großartig.

(Heiterkeit)

Kann ich noch zu Ende beschreiben, in welche Lage ich Sie versetzen wollte?

(Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

Und zwar in die Lage eines Schülers, der zu den 9, fast 10 % gehört, die am Gymnasium im Jahrgang 9 scheitern und unter einer erheblichen Traumatisierung an die Sekundarschule zurückversetzt werden müssen. Auch darüber sollten wir einmal reden. Dann sollten wir über Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit sprechen.

Ein dritter Punkt: Solange man davon ausgeht - das ist für mich das Hauptproblem -, dass es keine Schüler gibt, die an der Sekundarschule besser gefördert werden könnten als am Gymnasium, so lange brauchen wir die Diskussion nicht zu führen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Wenn Sie sich das System hierarchisch vorstellen, dann müssen Sie immer nach oben streben und ein Nach

Unten vermeiden. In Wirklichkeit fördern die Bildungsgänge die Kinder unterschiedlich nach ihren individuellen Potenzialen, Begabungen und Talenten. Da können Sie unheimlich viel falsch machen, wenn Sie Kinder auf das Gymnasium „drücken“, deren Begabungen und Stärken mit dem Förderprofil des Gymnasiums nicht korrespondieren - das ist das Problem.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Darüber kann man nicht formal reden - das wissen Sie aus der schulpraktischen Erfahrung ganz genau -, sondern von Kind zu Kind. Dafür gibt es eine Schullaufbahnempfehlung. Die wird ja ausgesprochen. Deswegen plädiere ich hier für den Respekt vor der Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer, die diese Schullaufbahnempfehlung aufgrund genau solcher Überlegungen und auch genau solcher Skrupel aussprechen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Da finde ich es ganz richtig, sich in einem besonderen Verfahren noch einmal Gewissheit zu verschaffen, wenn es zwischen einem qualifizierten Votum Ihrer Kolleginnen und Kollegen in der Schule, nämlich der Lehrerinnen und Lehrer, und der Auffassung der Eltern einen Dissens gibt. Das in einem qualifizierten Verfahren noch einmal aufzugreifen, ist doch kein Verstoß gegen die Chancengerechtigkeit. Der ist viel brachialer, wenn die jungen Menschen anschließend aufgrund von Minderleistungen selektiert und ausgelesen werden in einem viel härteren Sinne, nämlich wenn das die Ausbildungsbetriebe machen, weil sie mit ihnen nichts anfangen können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das wollte ich eingangs erst einmal sagen. Da kann man sich schon ein bisschen aufregen.

Eine erfolgreiche Eignungsfeststellung ist also eine der Möglichkeiten, die Frage noch einmal qualifiziert aufzuwerfen, darüber mit den Eltern in ein Gespräch zu treten, insbesondere mit den Eltern und auch mit den Kindern, die von den qualifizierten Lehrkräften, die die eigentliche professionelle Instanz dabei sind, eben eine Empfehlung für die Sekundarschule erhalten haben, weil man der Auffassung ist - das ist in der großen Mehrzahl der Fälle eine verantwortungsbewusste Reflexion -, dass ein bestimmtes Kind an der Sekundarschule besser und nachhaltiger gefördert werden kann als am Gymnasium. Was für ein positives Motiv! Alles andere ist eine Unterstellung der Selektion, der Auslese, der Behinderung von Bildungschancen. Sind wir denn überhaupt noch zu retten in dieser Diskussion? - Das muss man wirklich einmal fragen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir haben die neue schulgesetzliche Vorgabe im Jahr 2006 erstmals umgesetzt. Zu diesem ersten Durchgang kann ich folgende Aussagen vorab schon einmal treffen: Von den insgesamt 13 848 Viertklässlern haben 671 Schüler an dem Verfahren zur Eignungsfeststellung teilgenommen. Das entspricht etwa 5 % aller Schullaufbahnempfehlungen und 8 % der Sekundarschulempfehlungen. Es sind also keine Größenordnungen, aus denen man so globale Schlussfolgerungen ziehen dürfte.

In der überwiegenden Zahl wurden die Schullaufbahnempfehlungen der Grundschullehrkräfte also von den Eltern mitgetragen und nur in einer kleinen Zahl zum Anlass genommen, sich auf eine Leistungsfeststellung zu

verständigen oder sogar - das ist der eigentliche tiefere Sinn des Ganzen - eine Leistungssteigerung im zweiten Halbjahr zu erwirken, indem man sich mit den Kindern gemeinsam hinsetzt; denn diese Möglichkeit ist das eigentlich Feine an der ganzen Idee.

Schon vor dem Verfahren der Eignungsfeststellung sind 41 Schullaufbahnempfehlungen zugunsten eines Übergangs zum Gymnasium korrigiert worden. Auch das war der Sinn des Verfahrens. Bei der Eignungsfeststellung erhielten 303 der teilnehmenden Kinder - immerhin 45 % - eine Empfehlung zum Gymnasium. Unter denjenigen, die das Verfahren erfolgreich absolviert haben, waren 58 % Jungen. Das sage ich nur am Rande, weil wir damit ja ziemliche Sorgen haben. Ich finde, das ist eine ganz erfreuliche Zahl.

Bewertet man die inhaltlichen Anforderungen der diesjährigen Eignungsfeststellung, so reichte die Einschätzung der Lehrkräfte für den schriftlichen Teil von „vielleicht zu leicht“ über „angemessen“ bis „in Teilen anspruchsvoll“. Das entspricht auch dem Meinungsbild zu den zentralen Klassenarbeiten. Durch die detaillierte Auswertung einer Stichprobe soll nun noch herausgefunden werden, in welchem Umfang die Anforderungen auf den einzelnen Niveaustufen tatsächlich erfüllt wurden.

Die Aufgaben für den mündlichen Teil wurden als angemessen beurteilt; allerdings mit einer zu hohen Dominanz des Faches Deutsch gegenüber der mathematischen Problemlösungskompetenz. Das ist auch eine Rückmeldung, mit der ich mich einmal beschäftigen muss. Ob man das miteinander konfrontieren kann, muss man sehen. Es muss dann aber mit Sicherheit ausbalanciert sein. Hierzu werden wir schon jetzt Modifikationen prüfen. Die anschließende Auswertung ist noch sehr aufwendig. Hierbei sind trotz der gebotenen individuell ausgerichteten Entscheidungsfindung sicher die Wege weiterzuentwickeln.

Ganz überwiegend wird die Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften aus Gymnasien und Grundschulen innerhalb des Verfahrens sehr positiv eingeschätzt. Viele Kommissionen haben ausdrücklich gewünscht, dass wir für das nächste Verfahren personelle Kontinuität sichern. Ich möchte die Gelegenheit bei dieser Rede kurz nutzen, auch den beteiligten Kolleginnen und Kollegen aus der Schule Respekt und Dank zu sagen für die ungeheuer engagierte Organisation und Ausrichtung dieses Verfahrens.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die Vorbereitung der Eignungsfeststellung im Schuljahr 2006/2007 haben wir im Rahmen der Auswertung der diesjährigen Feststellungen derzeit schon erste Schlussfolgerungen gezogen.

Erstens. In der Grundschule muss die Leistungsbewertung verstärkt thematisiert werden, vor allem im Hinblick darauf, dass erteilte Noten, und zwar gerade gute Noten, ernsthaftes Gewicht für den Übergang haben.

Zweitens. Es geht uns darum, dass die Informationen der Erziehungsberechtigten weiter verbessert werden. Eine Elterninformationen mit einer für alle Eltern verständlichen und plausiblen Erläuterung der Übergangsmöglichkeiten - übrigens auch der späteren - in dem System muss bis zu den Herbstferien fertig gestellt sein. Das werden wir sicherlich auch auf schriftlichem Wege machen.

Drittens. Der für die eingesetzten Lehrkräfte entwickelte Leitfaden muss weiterentwickelt werden. Die Mitglieder der Kommissionen sollten noch besser auf die Anforderungen und Bewertungsintentionen vorbereitet werden.

Viertens. Zu prüfen sind auch alle Möglichkeiten, die Erarbeitung der Aufgaben, das Verfahren, die Auswertung und die Bearbeitung effizienter zu gestalten.

Abschließend möchte ich noch feststellen - das ist die Rückmeldung aus den Schulen, die das Verfahren sehr verantwortungsbewusst organisiert haben -, dass der erste Durchgang zur Eignungsfeststellung ungeachtet der Möglichkeiten einer weiteren Verbesserung von allen am Verfahren Beteiligten aus den Schulen und aus dem Landesverwaltungsamt verantwortungsbewusst und sachgerecht durchgeführt wurde.

Der Antrag der PDS auf Aufhebung der Wirkung des Eignungsfeststellungsverfahrens ist sachlich nicht begründet. Er steht im Übrigen auch im Widerspruch zu der in § 34 Abs. 2 des Schulgesetzes explizit formulierten Vorgabe.

Die Landesregierung ist also gern bereit, auch noch ausführlicher im Bildungsausschuss über die Erfahrungen und Ergebnisse der Eignungsfeststellung und über entsprechende Schlussfolgerungen zu berichten. Für mich ist aber eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir uns dabei nicht auf Ideologie einlassen, sondern von einer vom Kind aus gedachten bestmöglichen Förderung ausgehen. Das ist der Gegenstand des Verfahrens und nicht das, was Sie hier erzählt haben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke sehr, Herr Minister. - Für die SPD wird die Abgeordnete Frau Mittendorf sprechen. Zuvor möchte ich Sie darauf hinweisen, dass es Störungen am zentralen Server gibt. Die Landtagsverwaltung ist gegenwärtig dabei, diese zu beheben. Sie werden also am Computer nur extrem eingeschränkt arbeiten können, bis das erledigt ist. - Frau Mittendorf, Sie haben das Wort.

Recht vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Fiedler, ich habe sehr viel Verständnis für Ihren Antrag. Ich habe - wie Sie sich denken können - auch sehr viel Verständnis für Ihre Forderung nach einer Schule für alle, weil ich nämlich davon überzeugt bin, dass wir dann solche Debatten hier überhaupt nicht führen müssten.

(Zustimmung bei der SPD und bei der Linkspar- tei.PDS)

Was mich eigentlich bedrückt, ist der doch etwas zu unkritische Umgang mit der Vergangenheit. Das macht es mir dann doch wieder ein bisschen schwer.

Meine Damen und Herren! Es ist kein Geheimnis, wenn ich an dieser Stelle sage, dass die SPD und auch ich persönlich absolut keine Freundin des von der Vorgängerregierung eingeführten Verfahrens des Übergangs von der Grundschule in die weiterführende Schulform einschließlich des Eignungsfeststellungsverfahrens ist. Wir erachten es einfach für falsch, zumal verschiedene Studien die Prognoseunsicherheit von verbindlichen Schullaufbahnempfehlungen für Schüler der 4. Klasse belegen.

Ebenso verstärkt dieses Verfahren unserer Meinung nach die vorhandenen ungleichen Bildungschancen und erschwert es vor allem Kindern aus sozial schwächeren und bildungsferneren Familien, den Übergang zum Gymnasium zu schaffen. Das ist schon ein Problem in dieser Gesellschaft, da alle internationalen Studien genau dies anprangern. Es ist eine Beschränkung der freien Wahl des Zugangs zum Bildungswesen,