Die zweite Frage stellt Frau Bull. Danach fragt noch Frau von Angern, und dann sollten wir die Debatte fortsetzen. - Bitte schön, Frau Bull. Sie haben das Wort.
Herr Ministerpräsident, in der Tat steht im Armuts- und Reichtumsbericht des Landes der Satz, dass eine nicht intakte Paarbeziehung ein Armutsrisiko für Kinder sei. Umgekehrt gesagt: Intakte Paarbeziehungen sind eher ein Garant dafür, dass Kinder nicht in die Armutsfalle geraten.
Abgesehen davon, dass der Bericht die Intaktheit von Paarbeziehungen gar nicht untersucht: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass es ein klassischer Fehlschluss ist, wenn man zwei Phänomene untersucht, die von den Sozialsystemen der Gesellschaft strukturell sehr unterschiedlich behandelt werden, genau das am Ende der Untersuchung herausbekommt und man dann sagt, das eine funktioniere besser als das andere? Wäre es nicht besser, wir machten uns gemeinsam auf den Weg, die Benachteiligung der Lebensform Alleinerziehend an sich zu beseitigen, statt zu sagen, da fehlt einer?
Verehrte Frau Bull, ich bitte um Verständnis dafür, dass ich mich jetzt auf diese Diskussion nicht einlassen möchte. Ich will nur eines sagen: Mich ärgert, dass wir in Sachsen-Anhalt jährlich zwischen 21 und 22 Millionen € an Vorschussleistungen zahlen, die eigentlich von den zahlungspflichtigen Vätern hätten bezahlt werden müssen. Jährlich bekommen wir etwa 1,5 Millionen € zurück. Damit sind wir in Sachsen-Anhalt eines der Länder, die pro Einwohner in diesem Bereich wesentlich mehr zahlen als die südwestdeutschen Länder, weil dort die Verhältnisse anders sind.
Mir ist doch egal, wie jemand zusammenlebt. Wenn die Väter wenigstens ihren Pflichten nachkämen und das nicht beim Staat abladen würden, dann wäre mir schon wohler.
Herr Ministerpräsident, so ganz möchte ich Sie aus der Diskussion nicht herauslassen, weil es in Ihren Aussagen schon so daherkam, dass wir den Kindern von Alleinerziehenden sagen - ich spitze das bewusst ein bisschen zu -: Tut mir leid; das eigentliche Problem ist von deinen Eltern herbeigeführt worden und deswegen lebst du in einer Armutssituation. - Ich denke, diese Antwort können wir den Kindern nicht geben.
Das Problem ist erkannt. Es ist auch nicht neu, dass es so ist, dass nicht nur Familien mit Kindern in einem größeren Armutsgefährdungsrisiko leben, sondern insbesondere alleinerziehende Mütter und Väter. Aber ich denke, als Politik müssen wir eine andere Antwort darauf haben, als zu sagen, ihr seid selbst verschuldet in die Situation hineingekommen.
Frau von Angern, da der Rest des Plenums gehört hat, dass ich das, was Sie mir vorwerfen, nicht gesagt habe, muss ich dazu eigentlich keine Stellung nehmen.
Vielen Dank. - Wir steigen nun in die Fünfminutendebatte ein. Als erster Debattenrednerin erteile ich Frau Grimm-Benne von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön, Frau Grimm-Benne, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern war ich bei einem Elternabend in einer Grundschule in Quedlinburg zu Gast. Thema dieses Abends war die bevorstehende Einschulung von 48 Kindern. Unter anderem wurde den Eltern an dem Abend mitgeteilt, welche Schulmaterialien und Schulbücher angeschafft werden müssen. Hierfür ist von den Eltern ein Betrag von etwa 70 € für jedes Kind aufzuwenden. Bereits in Vorbereitung dieses Elternabends hatten wir der Schulleiterin und dem Elternrat zugesagt, aus dem AWOKinderfonds Schulmaterialien für diejenigen Kinder zu finanzieren, deren Eltern diese Mittel nicht werden aufbringen können.
Schulleitung und Elternvertretung gehen davon aus, dass voraussichtlich insgesamt 15 Kinder auf diese Hilfe dringend angewiesen sind. Dabei handelt es sich um die Kinder - davon haben wir schon gesprochen - von alleinerziehenden Frauen, von Eltern, die schon seit Langem arbeitslos sind und sich im Hartz-IV-Bezug befinden, von Eltern, die, obwohl sie beide arbeiten, ihren Lohn mit Arbeitslosengeld II aufstocken müssen, und um Kinder aus kinderreichen Familien.
Somit wird beinahe jeder dritte Erstklässler Hilfe und Unterstützung allein für die Bereitstellung von Schulmaterialien benötigen. Damit sind noch kein Schultornister, keine Turnschuhe und erst recht noch keine Zuckertüte und keine Einschulungsfeier bezahlt. Die Situation an dieser Quedlinburger Grundschule ist dabei nur beispielhaft für die Lage an vielen Schulen in unserem Land.
Meine Damen und Herren! Die Kinderarmut in Deutschland und in Sachsen-Anhalt hat lange Zeit vor allem die Sozialverbände interessiert. In den vergangenen Monaten haben uns allerdings viele Studien, wie die OECDStudie, die WHO-Studie zur Gesundheit, die World-Vision
Studie und die Unicef-Studie, gezeigt, dass wir die Augen vor dieser Armut nicht länger verschließen dürfen.
Der Entwurf des dritten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung und der zweite Armuts- und Reichtumsbericht der Landesregierung mit dem Schwerpunkt der Berichterstattung über die Entwicklung und Ausprägung der Kinderarmut müssen eine ernste Mahnung für uns polische Entscheidungsträger sein. Natürlich haben wir das Thema nie ganz aus den Augen verloren, aber die Berichte zeigen deutlich, an welche Stelle es eigentlich gehört, nämlich nach ganz oben auf die Agenda.
Der Landtag hat in seinem Auftrag vom 14. September 2007 Wert darauf gelegt, dass der Bericht auch unter Einbeziehung der Erfahrungen von Nichtregierungsorganisationen, in diesem Fall unter der Federführung der Liga der Freien Wohlfahrtspflege erstellt wird, damit neben der Sichtweise des Sozialministeriums auch die Perspektive derer zum Tragen kommt, die täglich direkt mit den Betroffenen arbeiten.
Ich muss sagen, die Konfrontation mit diesen Berichten hat in der politischen Bewertung auch heute bereits dazu geführt, dass die einen die Zahlen der Berichte anzweifeln und Armut auf Einkommensziffern reduzieren, während die anderen gar nicht genug dramatisieren und populisieren können.
Diese Art der Auseinandersetzung hat leider zur Folge, dass man sich ausgiebig darüber streitet, ob die Armutsrate bei 13 % oder 18 % liegt oder ob in unserem Land jedes dritte oder jedes fünfte Kind unter 15 Jahren in Armut lebt oder nicht. Dieser Streit über die Anwendung und Interpretation unterschiedlicher Statistiken führt aber meines Erachtens dazu, dass wir uns nur in Scheingefechten versteifen und keine Zeit darauf verwenden, die notwendigen Entscheidungen und Strategien zur Abmilderung der Folgen von Kinderarmut zu treffen.
Den Betroffenen ist es nämlich egal, wo sie in der Statistik stehen. Sie wollen, dass es ihnen besser geht, und das zu Recht, meine Damen und Herren.
Kinderarmut hat viele Dimensionen - Herr Ministerpräsident hat es gesagt -; die materielle Armut ist nur eine davon. Kinderarmut ist gleichzeitig auch immer Bildungsarmut, welche gravierende Auswirkungen auf die Lebensperspektive hat. Darüber hinaus sind Kinder aus sozial benachteiligten Familien häufig einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Ihre Ernährung ist meist mangelhaft. Sie kommen oftmals ohne Frühstück in die Kita oder Schule und sind zudem von der Mittagsmahlzeit ausgeschlossen. Dennoch haben sie Übergewicht, und psychische Probleme nehmen bei diesen Kindern drastisch zu. Dies alles vorausgeschickt, muss die Frage lauten: Was können und was müssen wir tun?
Erstens. Auch für uns gilt: Der beste Schutz vor Kinderarmut ist die Ausübung einer Vollerwerbstätigkeit. Dies gilt insbesondere und gerade auch für Alleinerziehende. Eine Vollzeiterwerbstätigkeit der Eltern schützt jedoch nur dann vor Kinderarmut, wenn sich der Trend zur Niedriglohnbeschäftigung nicht fortsetzt.
Als Untergrenze des von den Tarifpartnern zu gestaltenden Lohnprozesses brauchen wir - darin sind wir unter
Des Weiteren ist die Stärkung vor allem der Frauenerwerbstätigkeit ein Schlüssel gegen die Kinderarmut. Denn Kinderarmut ist meist gleichbedeutend mit Mütterarmut, die den Großteil der Alleinerziehenden stellen. Das Armutsrisiko bei Alleinerziehenden ist mit 38,8 % überdurchschnittlich hoch. Herr Ministerpräsident, Sie erwähnten dies bereits.
Aber dass wir gleichwohl so viel Unterhaltszahlungen ausstehend haben, ist auch eine Frage dessen, dass die Väter nicht nur nicht wollen, sondern zum Teil auch nicht zahlen können, weil sie sich zum Teil bereits im Eigenbehalt befinden.
Dennoch ist das Armutsrisiko für diese Kinder und auch für deren Mütter enorm hoch. Wenn wir etwas gestalten wollen, dann können wir es nur tun, indem wir selbst Strategien entwickeln. Das bedeutet, dass wir den Frauen auskömmliche Jobs trotz der Erziehung ihrer Kinder gewährleisten.
Zweitens. An den Stellen, an denen dies noch nicht und - Herr Ministerpräsident, Sie sprachen davon - in einer Übergangsphase nicht gelingt, müssen wir durch Transferleistungen nach wie vor helfen, das Existenzminimum von Kindern sicherzustellen. Dabei - das sage ich ganz deutlich - muss die Höhe der Regelleistungen für Kinder überprüft werden.
Wir als SPD unterstützen die Bundesratsinitiative der Länder Bremen und Berlin, wonach der Regelsatz für Kinder nicht mehr prozentual am Regelsatz der Eltern, sondern an der Erfassung des speziellen Bedarfs der Kinder orientiert werden soll. Wir fordern die Landesregierung auf, sich dieser Bundesratsinitiative anzuschließen.
Darüber hinaus plädieren wir für die Wiedereinführung von einmaligen Hilfen in besonderen Lebenslagen, wie, um es an meinem zu Anfang erwähnten Beispiel deutlich zu machen, bei der Einschulung zum Kauf von Schulmaterialien. Wir brauchen wieder diese einmaligen Hilfen in besonderen Lebenslagen.
Zudem müssen wir uns dafür einsetzen, dass auf Bundesebene das System des Kinderzuschlages weiterentwickelt und damit eine größere Gruppe von Kindern erreicht wird.
und das wichtigste Kapital, das Kindern für ein selbstbestimmtes Leben gegeben werden kann. Deshalb dürfen wir nicht akzeptieren, dass sich Bildungsarmut von einer Generation in die nächste weiterträgt.