Protokoll der Sitzung vom 26.06.2008

(Zustimmung von Herrn Scharf, CDU, und von Frau Weiß, CDU)

60 % des Vermögens auf DDR-Konten lag bei 10 % der Kontoinhaber. Im Arbeiter- und Bauernstaat mussten Arbeiter und Bauern viel härter für weniger Geld arbeiten als in marktwirtschaftlichen Systemen. Urlaubsanspruch, Arbeitszeiten, Arbeitsschutz, gewerkschaftliche Vertretung - all dies war wesentlich schlechter in den Gesellschaftsordnungen, die Planwirtschaft hatten und über denen „Sozialismus“ stand.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung von Frau Budde, SPD)

Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit lag bei 43,8 Stunden. Es gab acht gesetzliche Feiertage, 18 Tage Mindesturlaub. Man könnte dies fortführen. Ich will aber noch eine letzte Zahl bringen, weil die auch wichtig ist: Lohndifferenzierung.

Als sozial ungerecht wird diese Republik empfunden, weil es eine zunehmende Spreizung zwischen Arm und Reich gibt. Das ist nicht nur behauptet, sondern heute auch tatsächlich so. Dies ist auch im Westen der Republik und im heutigen Gesamtdeutschland eine Entwicklung, die nicht in Ordnung ist. Das sagt auch die CDU. Aber selbst in der DDR hat man versucht, diese Gleichmacherei, die zum wirtschaftlichen Kollaps führte, durch eine Lohndifferenzierung und Lohnspreizung in den 80er-Jahren wieder etwas aufzuheben.

Das Verhältnis zwischen dem Durchschnittslohn der 10 % am besten verdienenden Arbeitskräfte und dem Durchschnittslohn der 10 % am wenigsten verdienenden Arbeitskräfte betrug Mitte der 80er-Jahre bereits bei 5 : 1. In Ungarn war es besonders extrem: Mindestlohn 2 000 Forint, Ministergehalt 20 000 Forint. Es gibt aber auch aus der DDR zahlreiche Beispiele dafür, worüber kaum berichtet wurde.

Auch der Armutsbericht, der jetzt besonders von den LINKEN diskutiert wird, ist interessant, wenn man sich im Vergleich dazu einmal aktuelle Studien über die tatsächlichen Verhältnisse in der DDR anschaut, was Armut, Kaufkraft und Reallohnentwicklung betrifft. Auch in der DDR gab es eine schleichende Inflation. In allen sozialistischen Staatswirtschaften sanken die Reallöhne. In der DDR lag das Reallohnniveau Mitte der 80er-Jahre unter dem Stand des Jahres 1975. Deswegen wuchs zu dieser Zeit die Unzufriedenheit.

Als OECD-Studien auf die DDR umgerechnet wurden, versuchte das Politbüro gegenzusteuern; denn nach den OECD-Berechnungen war die DDR-Bevölkerung erheblich von tatsächlicher Armut betroffen:

Von den Rentnerhaushalten lagen im Jahr 1970 65 % unter der Armutsgrenze.

Wie sah es im Arbeiter- und Bauernstaat bei Arbeiter- und Angestelltenhaushalten aus? Bei Arbeiter- und Angestelltenhaushalten befanden sich innerhalb oder unterhalb der Norm etwa 5 % der Einpersonenhaushalte, 30 % der Zweipersonenhaushalte, 29 % der Vierpersonenhaushalte und 45 % der Haushalte mit fünf und mehr Personen. Ohne Rentnerhaushalte hatten 30 % bis 35 % der Haushalte zwar eine noch gesicherte Existenz, aber im Bereich der Armutsgrenze.

Ich sage dies deshalb so ausführlich, weil darüber heute überhaupt nicht mehr gesprochen wird.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Das Entscheidende und die entscheidende Frage ist heute: Können wir einen aktiven Beitrag dazu leisten, dass dieses einstige und, wie ich finde, auch viel gerechtere Gesellschaftsmodell einer sozialen Marktwirtschaft wieder so funktioniert, dass die Bürger aufgrund eigenen Erlebens wieder ihre Zustimmung zu einem doch so anerkannten Gesellschaftsmodell geben?

Wenn wir es nicht hinkriegen, die Rahmenbedingungen dieser Wirtschaftsverfassung so zu strukturieren, dass sie nicht nur als gerechter empfunden, sondern auch als gerechter erlebt wird, dann werden uns all diese Rückblicke auf die DDR oder auf die Planwirtschaft oder auf sozialistische Modelle nicht viel nützen. Es nützt im politischen Geschäft, um darauf hinzuweisen, dass die LINKEN mit ihrem Sozialpopulismus ja null Alternative aufzeigen können. Es zeigt aber noch keinen Weg aus einer vermeintlichen oder tatsächlichen Entwicklung auf, die als ungerecht empfunden wird.

Ich sage ganz klar an die Adresse all derjenigen, die in dieser Gesellschaft Verantwortung tragen, und richte diesen Appell zuallererst an die Wirtschaft: Jeder Wirtschaftsboss, jeder Verantwortliche in der Wirtschaft muss sich im Klaren darüber sein, dass er die politische Zustimmung zu all den Unfreiheiten und Maßregelungen, die er so fürchtet, wenn sie von den LINKEN angedroht werden, und die er vermeiden will, mehrt, wenn er nicht angemessen, gerecht und maßvoll agiert. Wer zeitgleich mit der Verkündung von Rekordrenditen die Entlassung Tausender Mitarbeiter bekannt gibt, der handelt asozial, dumm und ungerecht,

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

weil er einen Mosaikstein für ein Zerrbild einer liberalen Marktordnung liefert.

Die Umfragen sind bekannt und belegen dies. Nur noch 5 % nennen Deutschland als das Industrieland, welches ihren Vorstellungen von Gerechtigkeit am nächsten kommt. Es gibt zahlreiche Beispiele, die dies auch noch nähren. Ich sage, es gibt genügend Beispiele in der Wirtschaft. All diejenigen, die Verantwortung tragen und mit ihren Mitarbeitern nicht vernünftig umgehen, tragen zu einer solchen Stimmung bei. Das muss man auch einmal erwähnen.

(Zustimmung von Herrn Weigelt, CDU)

Man muss aber genauso sagen, dass die wenigen, die in der Öffentlichkeit stehen - wir könnten sie alle nennen, von Zumwinkel bis zu sonst wem -, natürlich eine Leitbildfunktion haben. Sie verzerren aber das Bild der Wirklichkeit von Tausenden von Selbständigen, die sich von Monat zu Monat durchschleppen, Mitarbeiterlöhne bezahlen und versuchen, sich am Markt zu behaupten.

Sie sind das Rückgrat der Gesellschaft, auf sie kommt es an.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP - Zustimmung von der Regierungsbank)

Deswegen ist es wichtig, dass wir im Steuer- und Abgabensystem wieder einen Weg finden, der umsteuert und zeigt, dass sich Leistung wieder lohnt.

(Beifall bei der FDP)

Das bedeutet, dass die Angehörigen der Mittelschicht die Früchte ihrer Arbeit wieder nach Hause tragen können. Diesbezüglich haben wir erstmals eine Situation, wie sie vorher noch nie war. Der selbständige Freiberufler, der Handwerksmeister sitzt im selben Boot mit der Arbeiterin, der Verkäuferin und dem Angestellten in irgendeinem Industriebetrieb.

(Zuruf von der FDP: Genau so ist es!)

Die Einkommensmittelschicht muss seit Jahren reale Einkommensverluste verzeichnen. Dies zu leugnen ist dumm und nicht richtig. Deshalb muss gegengesteuert werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die spannende Frage ist, ob man das mit mehr staatlicher Umverteilung macht oder mit der Rückbesinnung auf die Grundprinzipien einer liberalen und sozial gerechten sozialen Markwirtschaft. Letzteres ist der Weg, den aus der Sicht der CDU Deutschland wieder verstärkt ansteuern sollte.

Aber es betrifft nicht nur die Politik, sondern auch die Gewerkschaften und die Arbeitnehmervertreter. Diese Negativbeispiele sind in allen Bereichen unserer Gesellschaft vertreten. Wenn ich an Herrn Zwickel und an Herrn Steinkühler unter den Gewerkschaftsbossen denke, wenn ich an Betriebsräte von VW denke, die sich Lustreisen nach Sao Paulo und sonst wohin haben bezahlen lassen, dann sind diese genauso verantwortlich für eine Fehlentwicklung in der Gesellschaft wie die Wirtschaftsführer, die ich eingangs zitiert habe. Deshalb ist es eine Aufgabe aller in unserer Gesellschaft gegenzusteuern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend einen Appell loswerden. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten die Debatten sehr aufmerksam verfolgt, die in den anderen Parteien über diese Gesellschaft und über die Frage, wohin sie sich entwickeln sollte, geführt worden sind. Ich glaube, die Union hat einen klaren Kompass, auch wenn wir im Detail über den Weg noch streiten. Aber wenn wir zur Tagesordnung übergehen, wäre das das Schlimmste, was uns in diesen Tagen passieren könnte.

Wir sollten alle gemeinsam, die wir Verantwortung tragen, versuchen, aus dieser Lethargie in Deutschland und aus dieser Jammerei aufzubrechen, und einen öffentlichen Diskurs über die Zukunftsfragen unserer Gesellschaft führen. Wir brauchen eine große gesellschaftspolitische Debatte über die Frage: In welchem Land, in welcher Gesellschaft wollen wir leben?

Gelingt uns das nicht, wird Deutschland in der Resignation einfrieren. Resignation bedeutet Nichtbeteiligung am demokratischen Gemeinwesen. Immer mehr Nichtbeteiligung der Bürgerinnen und Bürger am demokratischen Gemeinwesen bedeutet eine Stärkung der Extreme, linksextrem und rechtsextrem. Das kann nicht unser

Weg sein. Deswegen sollten wir uns auf Ludwig Erhard besinnen und gemeinsam einen öffentlichen Diskurs über die Zukunft Deutschlands führen.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP - Zustimmung von der Regierungsbank)

Herzlichen Dank, Herr Gürth, für Ihren Beitrag. - Wir kommen jetzt zum Beitrag der Landesregierung. Herr Minister Dr. Haseloff, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt keine Alternative zur sozialen Marktwirtschaft. Das wissen gerade wir in den ostdeutschen Bundesländern dieser Bundesrepublik Deutschland.

Deutschland gehört zu den größten und stärksten Volkswirtschaften auf dieser Welt, sie ist die drittgrößte Volkswirtschaft. Nach wie vor erzeugt die Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten mit 25 % Gesamtwertschöpfung auf dieser Erde den größten Anteil, danach kommt Japan mit einem Anteil von 12 % und danach kommt schon Deutschland mit einem Anteil von 8 %. Innerhalb dieses Rankings der ersten drei ist Deutschland die Exportnation Nummer 1.

Wir haben es mit dem Ansatz der sozialen Marktwirtschaft als typische Herausforderung, die nach dem Krieg aufgegriffen und als „Made in Germany“ entwickelt wurde, geschafft, diesen Platz mit einer Volkswirtschaft, die von über 80 Millionen Einwohnern getragen wird, zu erreichen. Wir haben damit den Nachweis geführt, dass Marktwirtschaft und soziales Verständnis für einen gesellschaftspolitischen Weg nicht im Widerspruch stehen, sondern einander bedingen und letztlich ein Erfolgsmodell geworden sind.

Allerdings - das wissen wir - ist die Geschichte von 60 Jahren sozialer Marktwirtschaft dadurch geprägt worden, dass sich nach dem Krieg nationale Staaten neu formiert, ihre Volkswirtschaften neu aufgebaut haben und unter - vor allen Dingen in den 50er- und in den 60er-Jahren - sehr abgeschotteten Bedingungen ihre Aufbauarbeit leisten konnten.

Die Europäische Union hat dazu geführt, dass es zumindest auf dieser Ebene zu einem gewissen Internationalisierungsgrad gekommen ist. Dieser Internationalisierungsgrad wurde sehr stark in den 90er-Jahren, aber auch in diesem Jahrzehnt nach vorn getrieben. Wir sprechen jetzt nicht umsonst von den globalen Herausforderungen.

Die Globalisierung auf dieser Welt hat für viele Völker dazu geführt, dass sie an den Wertschöpfungsketten teilnehmen konnten, dass es zu einem Warenaustausch gekommen ist, den es so vorher nicht gab, und dass Regionen in den Wettbewerb getreten sind, die vorher nichts Miteinander zu tun hatten. Damit sind Systeme und Wertvorstellungen, aber auch individuelle Zumutungen, was die Arbeitsbedingungen anbelangt, aufeinander getroffen, die sich jetzt im Wettbewerb behaupten müssen. Wettbewerb heißt hierbei nicht verdrängen, sondern Vernetzung der globalen Warenströme bzw. der Produktionsabläufe.

Es ist somit auch mit Chancen verbunden gewesen. Wenn man den Statistiken der Uno glauben möchte

- das möchte ich an dieser Stelle -, dann hat sich in diesem Zusammenhang im Durchschnitt trotz aller Verwerfungen und negativen Effekte der Wohlstand auf dieser Erde nach vorn entwickelt. Ja, es konnte eine sehr klare Korrelation zwischen Demokratiewegen, marktwirtschaftlichen Wegen und Erfolgswegen festgestellt werden. Diese Korrelation bestätigt auch das, was wir in unseren hochentwickelten Industrienationen jeden Tag registrieren können.

(Zustimmung bei der CDU)

Auf der anderen Seite müssen wir klar sagen, dass - die demoskopischen Umfragen bestätigen das - die Akzeptanz für unser Erfolgssystem nicht mehr mehrheitlich gegeben ist. Das resultiert sicherlich nicht vorrangig daraus, dass man in Größenordnungen Abbrüche in seinem persönlichen Lebensstandard festzustellen hätte - trotz aller Schwierigkeiten, die individuell vorliegen -; diese Umfragen bestätigen vielmehr die Ängste, dass man aus dem Mittelstand in Regionen abrutschen könnte, die heute so leicht und locker mit dem Stichwort Hartz IV gekennzeichnet werden.

An dieser Stelle muss ich klar sagen: Man sollte bezüglich dieser Terminologie „Hartz IV“, „Hartz-Schicksal“ oder „Hartz-IV-Entwicklung“ einmal diesem System Gerechtigkeit widerfahren lassen, Gerechtigkeit auch der Sozialdemokratie gegenüber, die dieses System mit uns im Bundesrat in Gang gesetzt hat. Der politische Anspruch, der damit verbunden war, lag eindeutig darin, dass man zwei steuerfinanzierte Systeme zusammengeführt und versucht hat, die Chancen von Langzeitarbeitslosen zu maximieren, die oftmals in einem System steckten, aus dem es keinen Ausweg mehr gab, und für die ein normales Arbeitsverhältnis überhaupt nicht mehr möglich war. Man hat es verbunden mit Entbürokratisierungsansätzen, mit Vorstößen in Richtung Pauschalierung und anderen technischen Instrumenten, um auch den gesamten Verwaltungsapparat zu entlasten und an dieser Stelle für alle einen erträglicheren Zustand zu erzeugen.

Wir wissen, dass die Entwicklung eines solchen neuen Systems - es war ein Paradigmenwechsel - nicht ohne Verwerfungen stattgefunden hat und dass unabhängig davon, dass sich die in diesem System Befindlichen mehrheitlich nicht schlechter stehen, gleichwohl Probleme mit der Implementierung des Systems verbunden waren. An der Lösung und an dem Abbau dieser Probleme müssen wir arbeiten. Wir sollten uns gegenseitig immer wieder sensibilisieren, wenn es um die Fortentwicklung des Sozialversicherungs- und Sozialsystems in Deutschland geht.

Im Quervergleich aller Nationen ist dieses System, das wir uns leisten, aber nach wie vor das komfortabelste System. Wir leisten es uns deswegen, weil die soziale Marktwirtschaft, die eben auch Marktwirtschaft und damit effizient ist, die Finanzmöglichkeiten für dieses System aufrechterhält.

Wir als neue Bundesländer, die wir im Jahr 1990 der Bundesrepublik Deutschland alt beigetreten sind, sind bewusst diesem System der sozialen Marktwirtschaft beigetreten, weil wir wussten, dass es keine bessere Alternative auf diesem Globus gibt.

Das Resümee des Einigungsprozesses, das wir heute, im Jahr 2008, kurz vor den Jubiläumsfeiern zum 20. Jahrestag des Mauerfalls und zum 20. Jahrestag der deut