Protokoll der Sitzung vom 27.06.2008

Da könnten wir uns jetzt entscheiden: Wollen wir aufholen? Wollen wir die Industriearbeitsplatzdichte von 70 % auf 80 % im Vergleich mit dem Westen bringen? Wollen wir weiterhin hinsichtlich der Arbeitskosten mit Taiwan und Südkorea konkurrieren, damit wir internationale Investoren greifen, oder legen wir jetzt schon nur auf den Wohlstand - in Klammern: das Einkommen - Wert, egal was es wettbewerblich bedeutet? - Dann werden wir uns über die Investitionsquoten der nächsten Jahre wundern.

Wir müssen also diesen Spagat jetzt hinbekommen, und wir müssen versuchen, diesen ganzheitlichen Ansatz zu bringen. Die Arbeitnehmer müssen an diesem Aufschwung partizipieren. Ich denke, das ist unser gemeinsames sozialpolitisches Anliegen, weil es auch ein arbeitsmarktpolitisches ist und weil es auch ein Faktor ist, der Demografie positiv entwickeln wird und der auch die Fachkräftebedarfe der Zukunft sichern wird. Nur aus einem Guss bekommt man langfristig eine belastbare nachhaltige Wirtschaftspolitik hin. Dafür will ich mich weiter einsetzen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Rogée hatte noch eine Frage. Diese wollen Sie noch beantworten, und dann sollten wir in die Debatte eintreten, würde ich sagen. Frau Rogée, bitte.

Herr Haseloff, ich habe zwei Fragen. - Ich schicke voraus, dass ich auch in diesem Land wohnen möchte. Deswegen bin ich auch hier.

(Heiterkeit)

Ich bin auch dafür, dass man das Land nicht schlechtredet. Das will ich auch nicht. Ich bin trotzdem dafür, sich die Dinge genau anzuschauen. Ich glaube nämlich, wenn man sie ignoriert, dann bemüht man sich auch nicht, sie zu ändern - wobei ich Ihnen das nicht unterstellen will; das will ich vorausschicken.

Zwei Fragen. Sie haben über die Ausbildung gesprochen und haben gesagt, es gebe sogar mehr Ausbildungsstellen als Bewerber. - Das glaube ich eben nicht. Das mag für die Schulabgänger zutreffen, die von der Schule gekommen sind, aber die Frage, die offen ist und die, glaube ich, auch ziemlich umfangreich ist, ist die nach den Altnachfragern.

Ich möchte gern von Ihnen wissen, wie Sie mit dem Problem umzugehen gedenken, weil wir nicht sagen dürfen, die, die von der Schule gekommen sind, haben wir versorgt und dabei haben wir sogar noch Ausbildungsstellen übrig und die anderen ignorieren wir einmal. Ich bezeichne das als ignorant. - Das ist die eine Frage.

Die zweite Frage ist eine von gestern, die ich wiederholen möchte: Die Statistik, die wir alle bekommen haben, zeigt auf, wie sich die Erwerbstätigkeit in SachsenAnhalt entwickelt hat. Danach ist im ersten Quartal 2008 im Vergleich zum ersten Quartal 2007 eine Steigerung um 0,9 % festzustellen. Das stimmt rechnerisch auch. Meine Frage von gestern, die ich jetzt wiederhole, lautete: Wenn das so ist, warum sind es dann 34 000 Beschäftigte weniger? Im vierten Quartal 2007 lag die Zahl bei über einer Million Beschäftigten und im ersten Quartal 2008 waren es nur noch 992 000 Beschäftigte. Können Sie mir sagen, wo die geblieben sind?

Herr Minister, sagen Sie es.

Zum ersten Thema: Ich habe ganz klar gesagt: Es wird in diesem Jahr unbesetzte Ausbildungsstellen geben. Die zahlenmäßige Übereinstimmung zwischen den angebotenen betrieblichen Ausbildungsstellen und den Abgängern aus den Schulen - das sind jeweils immer so 15 000 - geht mathematisch auf, aber Sie wissen ja, wie die Interessenlagen sind.

Das Problem - Sie haben es richtig benannt - sind nicht die Abgänger aus dem Jahr 2008, sondern die Altnachfrager. Deswegen haben wir sowohl das Bund-LänderProgramm als auch das Landesergänzungsprogramm weiterhin vollfinanziert im System drin gelassen und werden die Mittel faktisch ausschließlich für das Auflösen dieses so genannten Altnachfragerpools einsetzen. Für die aktuellen Jahrgänge bräuchten wir das nicht.

Wir haben, was das Bund-Länder-Programm anbelangt, auch dem Bund gegenüber klar gemacht, dass wir diese Phase des Phasing-outs sozusagen benötigen und dass er nicht nur von der Zahl der Abgänger ausgehen darf, sondern von diesen langjährig aufgewachsenen Problemfällen ausgehen muss. Man ist dem politisch gefolgt.

Das wird auch weiterhin eine unserer Anstrengungen in den nächsten Jahren bleiben. Das dauert noch mindestens drei, vier Jahre. So lange brauchen wir auch den Pakt für Ausbildung noch, bei dem die Gewerkschaften weiterhin herzlich eingeladen sind mitzumachen. Leider haben sie es nicht gemacht; aber Sie sehen: Wir haben es doch fast allein geschafft.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD - Zu- ruf von Frau Rogée, DIE LINKE)

Zweitens zu dieser saisonalen Veränderung. Das sind ganz normale Dinge. So wie die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf der Nordhalbkugel zwischen Sommer und Winter eine Zickzackkurve beschreibt, die aber leider vom Trend her im Jahresmittel nach oben zeigt - Stichwort: Klimadiskussion -,

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

so können Sie sich die einzelnen Quartale ansehen. Deswegen können Sie immer nur die gleichen Quartale in den einzelnen Jahren miteinander vergleichen. Im

vierten Quartal ist, was die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeht, mehr oder weniger noch der Effekt drin, dass die normale Herbstnachfrage, wie in jedem Jahr, die niedrigste Arbeitslosenquote und die höchste Beschäftigung erzeugt. Aber dann greifen einschließlich der Saisonarbeiten für das Weihnachtsgeschäft die so genannten Quartalskündigungen zum 31. Dezember, durch die dann im Verhältnis zwischen dem vierten Quartal des Vorjahres und dem ersten Quartal des kommenden Jahres immer ein Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit erzeugt wird. Das sind ganz normale saisonale Trends in der Arbeitsmarktstatistik.

Deswegen - das hatte ich ja auch in Richtung FDP gesagt - ist immer der Jahresdurchschnitt das Entscheidende und niemals der einzelne Kalendermonat. Selbst ein Quartal kann nur immer mit dem entsprechenden vorangegangenen oder nachfolgenden Quartal verglichen werden.

Vielen Dank, Herr Minister. Jetzt schonen Sie bitte Ihre Stimme, damit Sie nachher vielleicht noch einmal reden können.

(Minister Herr Dr. Haseloff: Ja!)

Wir fahren jetzt in der Debatte fort. Als erstem Debattenredner erteile ich Herrn Miesterfeldt von der Fraktion der SPD das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Höchste Baulandpreise - Platz 16 im Ranking -, höchster Gewerbesteuersatz - Platz 16 im Ranking - und eine der niedrigsten Aufklärungsquoten bei Straftaten - Platz 15 im Ranking - ein Standort, den man meiden sollte, müsste man vermuten. Die Rede ist aber von der ohne FDP regierten Freien und Hansestadt Hamburg, die ansonsten in diesem Ranking ganz weit vorn liegt.

(Unruhe bei und Zurufe von der FDP)

Der wirtschaftliche Aufschwung in Mecklenburg-Vorpommern - das Land gelangte bei dem Ranking auf Platz 2 - muss auch etwas damit zu tun haben, dass Sie dort noch nie so richtig zum Zuge gekommen sind.

(Zustimmung bei der SPD - Unruhe bei der FDP - Herr Dr. Schrader, FDP: Was soll denn das? - Frau Dr. Hüskens, FDP: Die CDU auch nicht! - Oh! bei der CDU - Herr Dr. Schrader, FDP: Das ist aber heftig! - Frau Dr. Hüskens, FDP: Das ist sogar peinlich!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich vermutete, als ich die Überschrift des Antrags und den Antragsteller wahrnahm, der diese Aktuelle Debatte beantragt hat, dass wir dort hinkommen, wo wir dann bei der Einbringung auch gelandet sind, nämlich im Kabarett.

(Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

- Na ja, Herr Kollege, das Kabarett ist ein Haus weiter im Hundertwasserhaus und nicht hier im Landtag.

(Unruhe bei der FDP - Zurufe von Herrn Fran- ke, FDP, und von Herrn Kosmehl, FDP - Frau Dr. Hüskens, FDP: Damit muss man als Politiker umgehen können! Das ist keine tolle Leistung hier!)

Ich könnte mich hier ganz gelassen zurücklehnen. In den letzten Jahren hat die SPD keinen Wirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt gestellt. Wir machen aber gemeinsame Politik.

(Unruhe bei der FDP - Heiterkeit bei der SPD - Herr Kosmehl, FDP: Sie wissen ja, wo Sie stan- den!)

Wir machen gemeinsame Politik.

(Zuruf von der SPD: Das ist auch gut so!)

Ich hätte nicht geglaubt, dass das Niveau Ihrer Fraktion nach dem Abgang Ihres Wirtschaftsprofessors so schnell nach unten geht.

(Lachen bei der FDP - Herr Kosmehl, FDP: Es gibt nicht einmal Applaus!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass wir in Deutschland insgesamt und auch in Sachsen-Anhalt nach wie vor von einer robusten Konjunktur sprechen können, die aber an Dynamik nachlässt, ist bekannt und war auch vor diesem Ranking in der „Wirtschaftswoche“ bekannt.

Wir wissen von den Auswirkungen der internationalen Finanzkrise auf den Wirtschaftsstandort Deutschland und auch auf Sachsen-Anhalt. Wir wissen, dass die Arbeitsmarktentwicklung zwar gut ist, aber nicht so gut, wie wir es uns erhofft haben. Wir fragen uns auch, welche Auswirkungen der Anstieg der Kosten für die Verbraucher auf das wirtschaftliche Wachstum in diesem Bundesland haben wird.

Wir nehmen zur Kenntnis, dass Deutschland und Sachsen-Anhalt von der allgemeinen weltwirtschaftlichen Entwicklung nicht abgekoppelt werden können, sondern mit ihr leben müssen.

Es ist auch richtig, dass es die Aufgabe dieses Landtages ist, über diese Entwicklung, über den weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit, über das wirtschaftliche Wachstum, über mehr Existenzgründer - übrigens liegt Sachsen-Anhalt dabei vor Sachsen - und über neue Investoren zu diskutieren. Wir brauchen eine ernsthafte Auseinandersetzung damit, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, der Einstieg, den Sie gewählt haben, war nicht der Einstieg, der die Überschrift „Ernsthafte Auseinandersetzung“ verdient hätte.

(Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

Beim Bestandsranking, meine sehr verehrten Damen und Herren, reden wir in Wirklichkeit von einem einzigen Platz. Das muss uns einfach bewusst sein. Wir haben zunächst Platz 12 und dann Platz 13 gehabt und weil die Stadtstaaten dazugekommen sind, ist es jetzt Platz 16. Übrigens hatten wir den Platz 13 auch unter der Mitregierung der FDP.

Ich möchte deshalb auch nicht mehr auf die Daten des Rankings eingehen, die man aber schon hinterfragen müsste. Wenn Sie sich allein die statistische Achterbahnfahrt des Landes Mecklenburg-Vorpommern ansehen, dann muss man dazu schon einige Fragen stellen, wie das Land von Platz 14 über Platz 16 auf Platz 2 gekommen ist und wie man, wenn man die wirklichen Daten des Landes Mecklenburg-Vorpommern nimmt, zu diesen Ergebnissen kommt.

(Herr Dr. Köck, DIE LINKE: Sie vergleichen Äpfel mit Birnen! - Herr Dr. Thiel, DIE LINKE, lacht)

Wenn man die Daten des Statistischen Landesamtes nimmt, dann stellt man fest, dass das Wirtschaftswachstum in unserem Bundesland im Jahr 2001 bei 2,7 % gelegen hat, also leicht über dem Bundesdurchschnitt und über dem Wert für den Freistaat Thüringen, der ansonsten zu Recht als Vorbild dargestellt wird.

Wir haben bei der Arbeitsproduktivität mit einer Zunahme in Höhe von 3,5 % deutlich über dem Bundesdurchschnitt gelegen, deutlich auch vor den Ländern Thüringen und Sachsen, und - dazu muss man einfach noch einmal zwei Zahlen nebeneinander halten - in den Jahren 2003, 2004 und 2005 lag die Arbeitslosenquote immer um die 20 %. Wir sind jetzt bei 14,5 %.

Eine der wichtigsten Zahlen bei dem Vergleich und auch bei der Bewertung von Entwicklungen ist die Erwerbstätigenzahl. Im letzten Jahr gab es einen Zuwachs in Höhe von 1,1 %. Ich will einmal die Entwicklung in den Jahren 2003 bis 2005 beschreiben: 2003 minus 1,4 %, 2004 minus 0,3 %, 2005 minus 1,5 %. Ich sage es noch einmal: Im vergangenen Jahr waren es 1,1 % - also etwas vorsichtiger.

Jawohl, meine Damen und Herren, das Land und auch der Landtag werden weiter über die wirtschaftliche Entwicklung des Landes diskutieren und diskutieren müssen.

Ich will jetzt noch einmal zwei Fragen besonders herausgreifen. Die erste Frage ist: Es gibt einen wirtschaftlichen Aufschwung, es gibt eine Reduzierung der Arbeitslosenzahlen, aber wie weit schlägt der Aufschwung durch und bei wem kommt der Aufschwung wirklich an? - Ich will einmal eine vergleichende Zahl nennen: Seit dem Jahr 1992 sind die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 86 % gestiegen, die Arbeitnehmerentgelte aber nur um 39 %.