Protokoll der Sitzung vom 09.10.2008

(Herr Gallert, DIE LINKE: Na ja, wer weiß!)

Deswegen kann ich das nicht ganz gelten lassen. Gleichwohl kann ich die Sorge, die in Ihrer Intervention mitschwingt, absolut nachvollziehen. Gerade zu diesem Zeitpunkt, wo das System die demografische Krise einigermaßen bewältigt hat, wo es sich langsam konsolidiert und die Ergebnisse dieser Konsolidierung sichtbar werden, halte ich es für zwiespältig, Kontinuität erst für eine Zeit nach einer großen Woge zu fordern. Das würde das gesamte System durch die Luft wirbeln.

(Herr Kurze, CDU: Ja! - Zuruf von Herrn Gallert, DIE LINKE)

Davor muss ich aus meiner Verantwortung und aus meinem fachlichen Wissen heraus warnen.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Ich sehe zu dem ersten Thema keine weiteren Wortmeldungen. Gemäß unserer Geschäftsordnung werden Beschlüsse hierzu nicht gefasst. Damit ist das erste Thema abgeschlossen.

Ich rufe das zweite Thema auf:

Auswirkungen der internationalen Finanzkrise auf Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/1542

Die Fraktionen sprechen in der folgenden Reihenfolge: DIE LINKE, CDU, FDP und SPD. Zunächst erteile ich für die Antragstellerin DIE LINKE dem Abgeordneten Herrn Henke das Wort. Anschließend wird die Landesregierung das Wort nehmen, bevor wir in die Debatte einsteigen. Bitte schön, Herr Henke.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach der gestrigen Presseerklärung von Herrn Tullner möchte ich meinen Ausführungen ein Zitat des Bremer Hochschullehrers Rudolf Hickel voranstellen:

„Die Finanzmarktkrise hat eine überraschend radikale Forderungsrhetorik ausgelöst, die noch vor wenigen Wochen als sozialistische Wahnvorstellung diffamiert worden wäre.“

(Beifall bei der LINKEN)

„Verfechter der reinen Lehre vom deregulierten Markt fordern streng kontrollierte Spielregeln.“

Sie fordern vor allem staatliche Hilfen. Das gigantische staatliche US-Notpaket mit einem Betrag von 700 Milliarden US-Dollar für den gröbsten Hypothekenschrott ist zu gering. Die Immobilienpreise verfallen weiter. Zusätzliche Milliardenverluste drohen.

Großbritannien und die Benelux-Staaten verstaatlichen Großbanken. Die spanische Regierung legalisiert Schwarzgeld.

Die deutsche Bundesregierung bat um Unterstützung für massive Staatsinterventionen zugunsten der Hypo Real Estate, kurz: HRE. Das geschah, nachdem fast 10 Milliarden € via KfW in die IKB oder über Landeshaushalte, Sparkassen und den Giroverband an einzelne Landesbanken umgeleitet worden waren.

Schlimmer noch: Während in den USA und in Westeuropa Banken Anteile an den Staat für Rettungsaktionen abtreten müssen, wollte die deutsche Bundesregierung zunächst 26 Milliarden € quasi als Geschenk ohne Gegenleistung und ohne Anteilsübertragung an die HRE überreichen.

Die am Sonntag durch die Deutsche Bank ausgelöste nächtliche Hektik im Bundesfinanzministerium um den plötzlich auf 60 Milliarden € zu erweiternden Finanzrahmen lässt aufhorchen. Welche Rolle spielt die Deutsche Bank, die nun den neuen Vorstandschef bei HRE stellt, tatsächlich? Warum genügten die Staatshilfen nicht, obwohl HRE angeblich für 42 Milliarden € erstklassige Sicherheiten vorzuweisen hatte? Wessen Geschäfte erledigte die Bundesregierung in jener Sonntagnacht tatsächlich?

Sehr geehrte Damen und Herren! Die - nach Marx - „Verwertungsbedingungen des Kapitals“ verlangen offenkundig starke Staaten. Es waren doch zuerst die Privatbanken, die von der Bundesregierung eine Verstaatlichung der HRE gefordert haben, als Frau Merkel noch dem rechten Glauben folgte und sich vor Namenszusätzen wie Chavez oder Castro fürchtete.

Im Ergebnis des Pariser Minigipfels akzeptierte sie die Forderungen des Elysée-Chefs nach der - wörtlich - „flexiblen Auslegung des EU-Stabilitätspaktes“, da es darauf ankomme, das Vertrauen in die Finanzmärkte wiederherzustellen.

Was wären die Finanzmärkte heute ohne öffentliche Liquidität und ohne öffentliche Schuldtitel, die einzigen noch als tauglich akzeptierten Sicherheiten? - Fazit: Private Kapitalinteressen nutzen die Gelegenheit, um das Finanzsystem mit Steuergeld nach eigenem Gusto neu zu ordnen und gleichzeitig unverkäufliche Papiere auf Steuerzahlerkosten den öffentlichen Haushalten aufzunötigen. Also: Solange staatliches Vollkasko gilt, können die Kurse weiterhin den Märkten überlassen werden, und das bedeutet: privaten Finanzinteressen.

(Beifall bei der LINKEN)

So werden mit Staatsgarantien alle Risiken für den Steuerzahler potenziert, während unser Finanzminister noch immer von einem Verschuldungsverbot träumt - inzwischen aber ganz still.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Tullner, CDU: Wir werden ja sehen, ob es stimmt! - Weitere Zurufe von der CDU)

Auffällig leise verhalten sich die mitteldeutschen CDULandtagsfraktionen, nachdem sie noch vor zwei Wochen heftig rechtlich verankerte öffentliche Neuverschuldungsverbote gefordert haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Brachte sie nun die Autorität ihrer Kanzlerin oder bessere Einsicht zum Schweigen? - Sie müssten spätestens jetzt und hier laut gegen Frau Merkel protestieren. Wenn Sie das nicht tun, dann gestehen Sie konsequenterweise ein, dass Ihre Deregulierungspolitik gescheitert ist.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren! Absehbar ist nicht nur für Bedenkenträger, dass weitere immense öffentliche Finanztransaktionen erforderlich werden.

(Herr Gürth, CDU: Das ist wie bei der letzten DDR-Regierung!)

Selbst wenn diese ausreichend sein sollten, stellt sich die Frage: Zulasten welcher künftigen öffentlichen Ausgaben gehen sie eigentlich? - Fehlen künftig Sozialleistungen, Investitionen, Infrastruktur?

Der Bundesfinanzminister sorgt sich angesichts des USFinanzpaketes um die Wettbewerbssituation deutscher Banken. Er räumt ein - wörtlich -, dass gewisse Teile der marxistischen Theorie doch nicht so verkehrt sind, dass ein „maßloser Kapitalismus“ mit all seiner Gier sich am Ende selbst auffrisst; so hieß es im Bundestag.

(Frau Weiß, CDU: Hoch lebe der Sozialismus!)

Dieses Eingeständnis ist aber nur ein scheinbares; denn die beklagte Gier ist doch keine Managerkrankheit. Sie hat systemische Ursachen. Der Kapitalismus wurde zum finanzgetriebenen Kapitalismus. Die Renditen der realen Produktion genügten nicht mehr. Besagte Deutsche Bank wollte 25 % Rendite, und bis vor vier Wochen waren noch alle begeistert. Erst jetzt sind wir bei dem Klassiker.

„Es tritt damit nur hervor, dass die Verwertung... des Kapitals die wirkliche, freie Entwicklung nur bis zu einem gewissen Punkt erlaubt, also in der Tat eine immanente Fessel und Schranke der Produktion bildet, die beständig durch das Kreditwesen durchbrochen wird.“

Karl Marx, Das Kapital, Band 3.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Chef der Deutschen Bank Ackermann ließ sich natürlich nicht lange bitten und verlangte ob der Steilvorlage des Bundesfinanzministers am 1. Oktober einen Plan für deutsche und europäische Banken, vergleichbar den US-Hilfsmaßnahmen.

Nur: Wohin gelangen die Gelder dieser modernen Räuber? - Vermutlich nicht in die Ankurbelung der produzierenden Wirtschaft und in die Stärkung der Binnennachfrage, zum Beispiel per Mindestlohn, eher in sichere Verstecke. Noch einmal Professor Hickel:

„Es besteht die Gefahr, dass nach der Sozialisierung der gigantischen Verluste... von einer neu formierten Basis zur Tagesordnung übergegangen wird.“

Das heißt, die nächsten Spekulationen folgen garantiert, aber dann voraussichtlich mit Lebensnotwendigem: Trinkwasser, Nahrungsmittel, Infrastruktur.

(Herr Tullner, CDU: Der Weltuntergang sozusa- gen! - Zuruf von Herrn Wolpert, FDP)

- Ja, Herr Tullner. Sie haben Recht.

Und die Einlagensicherung? Wie erfolgt die rechtliche Umsetzung der im Stile einer absoluten Monarchin von Frau Bundeskanzlerin proklamierten Sicherheit der Spareinlagen? Wo bleibt der Bundestag? Wer trägt Risiken und Kosten?

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf)

Nur die Nutznießer wurden erfrischend ehrlich von Frau Bundeskanzlerin genannt: Man habe vermeiden wollen, dass Bankkunden ihre Guthaben abheben. Dass hätte die Geldnöte der Banken verschärft. Also: Die Sparerinteressen waren nur moralisches Beiwerk;

(Zustimmung bei der LINKEN - Herr Tullner, CDU: Also! - Weitere Zurufe)

denn der Ausfall nur einer großen Bank fordert den gesamten Einlagensicherungsfonds.

Und was geschieht bei dem berüchtigten Dominoeffekt? Sollen dann wieder die öffentlichen Kassen zahlen? - Fazit: Die Sparer mögen ruhig schlafen. Dem Steuerzahler drohen Alpträume.

Ohnehin auffallend ist: Hilfspakete gibt es immer nur für Banken. Wo bleiben die Hilfen für verschuldete Kreditnehmer?