Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne hiermit die 46. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der fünften Wahlperiode. Ich begrüße Sie alle, die Sie sich heute hierher begeben haben, sehr herzlich.
Wie bereits gestern bekannt gegeben wurde, sind heute folgende Mitglieder der Landesregierung entschuldigt: Herr Professor Dr. Böhmer ganztägig wegen einer Bundesratssitzung, Frau Professor Dr. Kolb ebenfalls ganztägig wegen einer Bundesratssitzung, Herr Robra bis 14 Uhr wegen des ZDF-Fernsehrates und Frau Ministerin Wernicke, da sie erkrankt ist.
Wir setzen nun die 24. Sitzungsperiode fort und beginnen die heutige Beratung mit dem Tagesordnungspunkt 23, der Regierungsbefragung.
Meine Damen und Herren! Wir sind alle auf diesem Gebiet noch nicht so sehr bewandert; wir üben alle noch ein wenig, weil es eine neue Form der Parlamentstätigkeit ist. Deswegen zunächst ein paar kurze Bemerkungen, damit Sie sich noch einmal den Ablauf des Verfahrens vergegenwärtigen können.
Wir führen zum zweiten Mal eine Regierungsbefragung durch. Die Auswertung des ersten Verfahrens hat ergeben, dass im Allgemeinen alle einigermaßen damit zufrieden gewesen sind, wie es abgelaufen ist. Vielleicht gelingt es uns auch künftig so.
Zu den Regeln: Die Fragen werden von den Saalmikrofonen aus gestellt. Das Mitglied der Landesregierung, das die Fragen beantwortet, bleibt am Rednerpult stehen.
Die Regierungsbefragung wird in zwei Runden durchgeführt. Die erste Runde eröffnet die antragstellende Fraktion mit ihrer Hauptfrage. Dafür stehen zwei Minuten Redezeit zur Verfügung. Eine Zeitbegrenzung für die erste Runde gibt es nicht. Nach der Beantwortung der Hauptfrage steht der Fraktion eine Nachfrage zu. Dafür hat sie anderthalb Minuten Zeit. Wir werden das genau messen.
Die den Befragungsantrag stellende Fraktion hat des Weiteren das Recht zu einer zusätzlichen Nachfrage, für die erneut anderthalb Minuten Redezeit genutzt werden können. Diese zusätzliche Nachfrage kann sowohl sofort nach der Beantwortung der ersten Nachfrage gestellt werden als auch später innerhalb des Verfahrens. Nach Abschluss der Befragung durch die antragstellende Fraktion geht das Fragerecht in der entsprechenden Reihenfolge an die nächste Fraktion über.
Dann kommt die zweite Runde. Diese darf maximal 30 Minuten dauern. Dort können die Mitglieder des Land
tages Zusatzfragen zum Thema stellen. Dafür steht wieder eine Redezeit von anderthalb Minuten zur Verfügung.
Die Fragen sollen beim Präsidenten schriftlich oder gegebenenfalls durch Handzeichen angezeigt werden. Ich denke, es wird das Handzeichen ausreichen. Wir erwarten nicht, dass Sie alles schriftlich nach vorn bringen, obwohl das eine bequeme Möglichkeit wäre.
Eine kurze Nachfrage ist dann immer noch möglich. Zwischenfragen und Zwischenbemerkungen - im Gegensatz zu allem Sonstigen, was wir hier treiben - sind bei beiden Runden nicht zulässig. - So viel zum Verfahren. Nun beginnen wir damit. Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Fragesteller ist Herr Gürth. Bitte schön.
Herr Präsident! Verehrter Minister! Meine Damen und Herren! Wir haben in Sachsen-Anhalt angesichts des großen Problems der Arbeitslosigkeit in der zurückliegenden Zeit Gott sei Dank ein erfreuliches Wachstum feststellen können. Das ist auch bitter nötig, um die Arbeitslosigkeit abzubauen und weiter voranzukommen. Ich denke, der Kurs war sehr erfreulich.
Nunmehr haben wir die so genannte internationale Finanzkrise, die die ganze Welt bewegt. Die spannende Frage, die sich hierzu auftut, ist insbesondere, ob auch für Sachsen-Anhalt konkrete Auswirkungen zu erwarten sind. Es sind ja nicht nur die Sparerinnen und Sparer, die Bürger als Privatpersonen, sondern auch viele Unternehmer, die ihre Existenz, die Finanzierung ihres Unternehmens und der Investitionen sichergestellt wissen müssen.
Ich frage deshalb Herrn Minister Dr. Haseloff: Welche Auswirkungen hat die internationale Finanzkrise konkret auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in SachsenAnhalt? Welche Handlungsspielräume sieht die Landesregierung überhaupt in dieser internationalen Finanzkrise und was unternimmt die Landesregierung, um den Wachstumskurs Sachsen-Anhalts stabil zu halten?
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Gürth, das erste Halbjahr 2008 war ein sehr, sehr gutes Halbjahr. Wir haben bezüglich des Wachstums und auch der Ausdifferenzierung unter den Bundesländern in Deutschland einen Platz erreicht, den wir so noch nicht vorzeigen konnten. Mit einem Wirtschaftswachstum von 2,8 % insgesamt und einem Wachstum im verarbeitenden Gewerbe von fast 9 % lagen wir jeweils auf Platz zwei im Ranking der 16 Bundesländer.
Das war sozusagen das Abbild der bisherigen, über die letzten Jahre laufenden Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, der Finanzpolitik, der Konsolidierungspolitik unserer Landesregierung, die dieses hervorragende Ergebnis in Gänze herbeigeführt hat.
Das Wichtige ist, dass an dieser Stelle die Korrelation zwischen dem Wirtschaftswachstum und dem Arbeitsmarkt eindeutig gegeben war. Wir haben einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen allein gegenüber dem Vor
jahr um 15 % zu verzeichnen. Das heißt, es sind 30 000 Arbeitslose weniger in der Statistik registriert.
Wir können auch im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit den größten Rückgang in Deutschland verzeichnen. Das heißt, es entstehen nicht nur Arbeitsplätze, sondern vor allen Dingen auch Arbeitsplätze für die junge Generation, die dadurch in der Lage ist, ihre Zukunft im Lande zu planen.
Das war, wie gesagt, die Bilanz kurz zusammengefasst für das erste halbe Jahr. Der Finanzminister konnte auch im Kabinett berichten, dass sich diese Entwicklung bis in die Steuereinkünfte des Landes Sachsen-Anhalt durchzieht. Denn wir haben innerhalb der ostdeutschen Flächenländer die höchsten Pro-Kopf-Einnahmen bei den Steuern zu verzeichnen. Mit 3 851 € im Jahr 2007 lagen wir über dem ostdeutschen Durchschnitt, der bei 3 810 € - inklusive Sachsen-Anhalt - lag. Es ist also insgesamt eine durchgängig gute Bilanz.
Wie sieht nun das dritte Quartal aus? - Das dritte Quartal ist schon ganz klar geprägt und gezeichnet von den weltwirtschaftlichen Szenarien, die wir alle kennen und die fast jeden Tag mit einer neuen Botschaft aufwarten. Für das dritte Quartal, das noch nicht komplett zu Ende ist, kann ich bereits jetzt, wenige Tage vor Abschluss, zumindest Folgendes konstatieren:
Die Industrie und das verarbeitende Gewerbe haben weiterhin eine konstant gute Entwicklung genommen. Es gab also auch im dritten Quartal keinerlei Einflüsse der weltwirtschaftlichen Effekte, sondern ein hohes Wachstum, eine hohe Dynamik und zumindest eine Konstanz.
Im Bereich der Bauwirtschaft haben wir sogar einen Anstieg gegenüber den ersten beiden Quartalen zu verzeichnen. Das heißt, an dieser Stelle - man merkt es auch an den vielen Baustellen und an den damit einhergehenden Wartezeiten - ist ganz klar Dynamik angesagt, sogar mehr als im ersten und zweiten Quartal. Im dritten Quartal ist also keine Abschwächung zu verzeichnen. Das kann man jetzt schon mit hoher Sicherheit sagen.
Interessant wird für uns jetzt - darauf zielt auch Ihre Frage ab - die Entwicklung im vierten Quartal 2008 und vor allen Dingen die Entwicklung im Jahr 2009 sein. Wenn man die Prognosen für das Jahr 2009 schon einmal vorwegnimmt, dann kann man insgesamt für Deutschland sagen - Sachsen-Anhalt wird davon nicht ausgenommen sein -, dass wir ein realwirtschaftlich nicht einfaches Jahr vor uns haben. Wie sich das allerdings im Einzelnen gestalten wird, hängt von einer ganzen Reihe von durchaus noch beeinflussbaren und in den nächsten Wochen gestaltbaren Parametern ab. Ich sage dazu nachher vielleicht noch etwas.
Ich muss noch einmal ganz kurz zum Präsidenten schauen. - Für die Beantwortung der ersten Frage habe ich wie viel Zeit?
Dann kann ich das ausführen, ohne mit einer Unterbrechung rechnen zu müssen. - Zum Jahr 2009 mache ich noch einmal gesonderte Ausführungen.
Aber schon das vierte Quartal 2008 wird für uns ein hochinteressantes Quartal sein, weil wir in diesem Zeit
raum zum ersten Mal spüren werden, wie sich die Bevölkerung in Sachsen-Anhalt und in Deutschland verhält. Es geht um das Vertrauen der Menschen in die Politik, in die marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, in die Maßnahmenpläne und Krisenpläne, die weltweit erarbeitet werden, und letztlich auch in das konkrete Agieren der politisch Handelnden bei der Herstellung von Transparenz zu den Fragen: Wie steht es mit der wirtschaftlichen Entwicklung? Wie steht es um meine Einlagen? Wie steht es um mein Konto und letztlich auch um die Sicherheit meiner Ersparnisse einschließlich meiner Altersvorsorge?
Ich mache das deswegen an dem vierten Quartal fest, weil wir im vierten Quartal üblicherweise die größte Kaufkraftnachfrage bzw. Kaufkraftbindung und Konsumentennachfrage zu verzeichnen haben. Da sind die Vorweihnachtswochen und die Weihnachtseinkäufe. Diese korrelieren immer eindeutig mit der allgemeinen wirtschaftlichen Situation, mit der Kaufkraftsituation und mit der persönlichen Prognose für die nächsten Wochen, Monate und Quartale.
Wenn es nicht gelingt, in diesem Bereich des Einzelhandels Signale zu senden und auch vom Kunden das Signal einzufordern, dass er wieder Vertrauen in das allgemeine Umfeld gewinnt, dann wird das sicherlich auch für die Binnennachfrage im Jahr 2009 eine große Rolle spielen und realwirtschaftlich durchaus deutlichere Einflüsse haben, als wir sie momentan vom verarbeitenden Gewerbe, von der Industrie und von der wirtschaftlichen Entwicklung insgesamt erwarten.
Hinsichtlich der Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung würde ich momentan lediglich den Bereich der Banken und Versicherungen mit einem Fragezeichen versehen. In allen anderen Bereichen würde ich weiterhin von einem Wachstum ausgehen - sicherlich nicht in der dynamischen Größe wie in den ersten beiden Quartalen, aber es muss in den nächsten Monaten keinen Abbruch geben.
Die Auftragsbücher der im Maschinenbau, in der chemischen Industrie und in der Solarindustrie tätigen Unternehmen sind nach wie vor voll. Selbst die für uns immer bedeutsamer werdende Solarindustrie, die zu nicht unwesentlichen Teilen mit Kapitalanlegern dargestellt wird und mit Finanzanlegern arbeiten muss, zeigt zurzeit eine robuste Entwicklung. Das ist auch heute wieder in den Medien nachzulesen. Es gibt weitere Investitionen, zum Beispiel im Solar Valley. Das ist also nach wie vor darstellbar, auch in dieser weltweiten finanzpolitischen Krisensituation.
Die Auftragsbücher sind vor allem aufgrund von nationalen Aufträgen voll. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass der Export - die Exportquote liegt in Sachsen-Anhalt bei 30 % - von der Struktur her anders situiert ist, als das in den alten Bundesländern der Fall ist.
Zum Beispiel beträgt der Anteil der Exporte in die USA im Land Sachsen-Anhalt nur knapp über 3 %. Der Anteil der Exporte nach Asien ist deutlich höher. Mehr als 30 % unserer Exporte gehen in die osteuropäischen Länder, das heißt, in die Beitrittsländer der Europäischen Union im Osten. Dort sind weiterhin Wachstumsraten von 8 bis 10 % zu verzeichnen. Diese werden sich auch von den jetzigen Finanzmarktturbulenzen nicht beeindrucken lassen.
Bei uns nimmt der Handel mit Asien, inklusive Indien, insgesamt einen größeren Anteil ein als der Handel mit
ganz Nordamerika. Aufgrund der Tatsache, dass unsere Wirtschaft, die auf der einen Seite sehr kleinteilig ist, die aber auf der anderen Seite inzwischen eine erhebliche Exportquote aufweist, durch die Neustrukturierung in den letzten 15 Jahren völlig anders ausgerichtet ist, ist an dieser Stelle eine etwas andere Entwicklung zu erwarten, als das gegebenenfalls in den alten Bundesländern der Fall sein wird.
Die Entwicklungen, die wir auf dem Arbeitsmarkt erwarten, lassen sich vielleicht wie folgt zusammenfassen: Derzeit haben wir fast keine Einflüsse auf den realen Arbeitsmarkt zu verzeichnen.
Allein im Agenturbezirk Stendal gibt es eine Inanspruchnahme der Kurzarbeit. Dabei wurde die angemeldete Zahl von 270 Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeitern nicht einmal ausgeschöpft. Lediglich 134 Menschen sind dort von Kurzarbeit betroffen. Wir wissen bereits, dass sich die Situation dort relativ schnell wieder entspannen könnte, weil man andere Aufträge akquiriert hat und nicht nur von einem Zulieferer bzw. von einem Hauptabnehmer allein abhängig ist. Darüber hinaus hat es in diesem Agenturbezirk, der nicht unerheblich von Automobilzulieferern geprägt ist, zwei weitere mündliche Anfragen gegeben.
In allen anderen Agenturbezirken ist, abgesehen von ein oder zwei Fällen, in denen mündlich nachgefragt wurde, wie das Verfahren rein theoretisch ablaufen würde, derzeit keinerlei Spontanreaktion zu verzeichnen. Für uns ist die Zahl der gemeldeten Kurzarbeiter immer ein Frühindikator, der die weiteren Folgen ahnen lässt bzw. der bereits Rückschlüsse auf weitere Maßnahmen zulässt. An dieser Stelle herrscht zum jetzigen Zeitpunkt Ruhe.
Auch von den Zeitarbeitsfirmen wurde uns bisher keine Veränderung signalisiert. Das heißt, dass man diese flexible Möglichkeit der Arbeitskräftebereitstellung, die meist zuerst genutzt wird, momentan noch nicht in Betracht zieht. - Die Abfragen haben jeweils am gestrigen Nachmittag stattgefunden.
Wir sind zurzeit in einer Situation, in der wir alle aufgefordert sind, Ruhe zu bewahren, aber auch die Signale, die wir aus der Finanzbranche bekommen, sehr ernst zu nehmen und diese auch als belastbare Informationen entgegenzunehmen.
Bei dem gestrigen Zusammentreffen mit allen Vertretern der drei Säulen, die wir im Land haben, einschließlich der - in Anführungsstrichen - staatlichen Banken, der NordLB, der Investitionsbank und der Bürgschaftsbank, sind wir von folgenden Indikatoren ausgegangen:
Die Bevölkerung des Landes Sachsen-Anhalt handelt nicht irrational. Es gibt einen erhöhten Beratungsbedarf; das ist ganz klar. Wenn die Telefone früher durchschnittlich 50-mal am Tag geklingelt haben, verzeichnen die Filialen nun 250 bis 300 Anrufe täglich. In Einzelfällen finden Abhebungen statt bzw. andere individuelle Reaktionen, aber sie halten sich absolut in Grenzen und sind überhaupt nicht vergleichbar mit Entwicklungen in anderen Regionen dieser Welt.