Protokoll der Sitzung vom 10.10.2008

Von Frau Hüskens sowieso.

Herr Minister, wie bewerten Sie eigentlich den Rückhalt zur Bildungspolitik in der Landesregierung, wenn man einmal betrachtet, dass die Regierungsbank im Augenblick auf beiden Seiten leer ist und der Finanzminister vorsorglich in die Reihen der SPD geflüchtet ist?

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das war dann eher eine Zwischenbemerkung.

Da werden mir jetzt sehr subjektive Wahrnehmungen abverlangt.

(Herr Gürth, CDU: 40 % der FDP-Fraktion sind auch nicht im Saal!)

Ich glaube, dass alle fehlenden Minister ordnungsgemäß beim Ältestenrat und beim Präsidenten entschuldigt worden sind.

(Minister Herr Bullerjahn: Es war gestern klar, dass wir beide da sind! - Zurufe von der LINKEN)

Da die Frage nicht 100-prozentig ernst gemeint war, kann ich sie vielleicht auch nicht 100-prozentig ernst beantworten. Alles in allem fühle ich mich jedenfalls als Mitglied der Landesregierung mit meinem Ressort ernst genommen.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank. - Jetzt eine Frage von Frau Dr. Paschke.

(Frau Dr. Paschke, DIE LINKE: Ich wollte eine Frage in ähnlicher Richtung stellen: Ob das Quer- schnittsaufgabe in der Landesregierung ist und wie das Interesse ist?)

Also, nehmen wir das als Kritik an der Landesregierung. - Vielen Dank, Herr Minister.

Bevor wir die Beiträge der Fraktionen hören, können wir Schülerinnen und Schüler der Fachschule für Agrarwirtschaft aus Haldensleben auf der Tribüne begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Nun hören wir die Beiträge der Fraktionen. Für die SPDFraktion spricht Frau Mittendorf. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war eine ungewohnte Einigkeit hinsichtlich der Frage, wie wir die Dinge, die mit der Föderalismusreform I und möglicherweise II zusammenhängen, einschätzen.

(Minister Herr Olbertz: Das war aber nichts Neu- es!)

Es wäre hervorragend, Herr Minister Olbertz, wenn Sie Ihre Einstellung in den Gremien, in denen Sie offiziell vertreten sind, mit der gleichen Vehemenz verträten wie hier.

(Herr Minister Olbertz: Das tue ich regelmäßig!)

- Mitunter hat man diesen Eindruck eben nicht. - Ich glaube, die etwas strittigen Auseinandersetzungen dazu, wie man mit Parteipapieren umgeht und die Verbindung zum Bildungskonvent herstellt, ist schon eine sehr schwierige. Ich meine, da sollte man sich auf allen Ebenen etwas zurücknehmen.

Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage zur Qualifizierungsinitiative hat mich bewogen, zuallererst einen Blick auf die Unternehmensberatung McKinsey zu werfen, die in einer Studie aus diesem Jahr nachdrücklich auf den zunehmenden Arbeitskräfte- bzw. Fachkräftemangel in Deutschland und auf eine Dimension hinweist, die bei Weitem über das hinausgeht, was wir uns heute vorstellen. Ich will das mal etwas genauer unterlegen; denn das steht immer im Raum und man muss dazu einmal ein paar Zahlen nennen.

Wächst die Wirtschaft wie im Mittel der vergangenen zehn Jahre um 1,6 % - Durchschnittswert -, dann fehlen laut Aussage der Unternehmensberatung im Jahr 2020 vier Millionen Fachkräfte in Deutschland. Wächst sie um 3 %, was notwendig wäre, um den Anschluss an die wirtschaftlich stärksten Länder wiederherzustellen, fehlen bis 2020 sogar sechs Millionen Fachkräfte in Deutschland.

Der Wissenschaftsrat prognostiziert bis 2015 bei 30 % der Arbeitsplätze einen Bedarf an Hochschulabsolventen. Gegenwärtig beträgt der Anteil der Hochschulabsolventen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen aber um die 20 %.

Im Gegenzug prognostiziert der Wissenschaftsrat, dass der Anteil der Arbeitsplätze mit einfachen Tätigkeitsprofilen in den nächsten zwei Jahrzehnten unter 20 % fallen wird. Das heißt, wir müssen schon einmal gucken, wie wir mit den Schulabschlüssen und den Arbeitsanforderungen in der Zukunft umgehen. Das heißt, die Beschäftigungschancen für Geringqualifizierte werden erheblich zurückgehen.

Meine Damen und Herren! Die Deckung des Bedarfs an qualifizierten Fachkräften wird gerade für unser Land ein entscheidendes Kriterium für die Zukunftsfähigkeit sein. Wenn man auf die jährlichen Bildungsberichte der OECD schaut, dann habe ich nicht gerade den Eindruck, dass Deutschland die Zeichen der Zeit erkannt hat. Deshalb noch einige Zahlen; denn an den konkreten Zahlen lässt es sich ablesen. Der Anteil der Hochschulabsolventen am jeweiligen Altersjahrgang beträgt in Deutschland

20%. - Herr Olbertz, niemand will, dass 100 % das Abitur erreichen.

(Zustimmung von Frau Reinecke, SPD, und von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

Das immer zu wiederholen, bringt langsam nichts mehr. Der OECD-Mittelwert liegt bei 35 % und auf 1 000 Menschen eines Abschlussjahrganges kommen in Deutschland 32 Ingenieure, im OECD-Durchschnitt sind es 44 Ingenieure. Im Hinblick auf die Absolventenquote in anderen naturwissenschaftlich-technischen Fächern konnte Deutschland die Zahlen in den letzten Jahren zwar um 5 % steigern, aber die anderen OECD-Länder haben diese Quote im Durchschnitt um 41 % gesteigert.

Ich denke, da kommt etwas auf uns zu, von dem die meisten im Moment nicht die richtige Vorstellung haben, wie es sich auswirken kann. Zudem - diesbezüglich sage auch nichts Neues - wirkt in Sachsen-Anhalt die demografische Entwicklung verschärfend. Wegen des starken Geburtenrückgangs klagen heute schon viele Betriebe über fehlenden qualifizierten Nachwuchs.

Meine Damen und Herren! Dieser Herausforderung ist unser Land nur gewachsen, wenn wir es schaffen, das Bildungspotenzial, welches wir im Land durchaus haben, nachhaltiger und besser auszuschöpfen. Die Antwort auf die Große Anfrage zeigt klar, dass in unserem Land ein akuter Fachkräftemangel auftreten wird, insbesondere im Hinblick auf die Hochschulabsolventen.

Aus Zeitgründen möchte ich mich jetzt nur auf diesen Bereich konzentrieren, weil die vielen Fragen heute in der Tat nicht alle behandelt werden können. Von den insgesamt 64 000 sozialversicherungspflichtig beschäftigten Akademikern im Land scheiden aus Altersgründen in den nächsten zehn Jahren 15 000 Akademiker und in den nächsten 15 Jahren 25 000 Akademiker aus. Das sind - diese Zahlen sollte man sich vor Augen führen - fast 40 % der heute beschäftigten Akademiker. Um diese Zahlen zu kompensieren, benötigen wir dringend eine konstant hohe, wenn nicht höhere Anzahl von Hochschulabsolventen, insbesondere in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern.

Es kommt eben sehr wohl darauf an, dass diejenigen, die sich bis zum Abitur durchquälen - manche quälen sich wirklich -, wenn sie es geschafft haben, dann auch studieren und eben nicht in die anderen Bereiche der Ausbildung gehen und andere Bewerber verdrängen. Natürlich benötigt man auch dort Fachkräfte unterhalb der Hochschulabsolventen - das steht außer Frage -, aber man muss einmal sehen, warum in vielen Berufen Schülerinnen und Schüler, die mit einem Sekundarschulabschluss kommen, häufig nicht angenommen werden, sondern auf Abiturienten zurückgegriffen wird. Das hat auch etwas mit der Qualität des Abschlusses zu tun; aber darüber reden wir an anderer Stelle.

Meine Damen und Herren! Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Hochschulen unseres Landes die Zahl der Studienanfänger mindestens konstant halten müssen. Um eine Gesamtzahl von 51 000 Studierenden, wie im Personalentwicklungskonzept vorgesehen, zu halten, muss die Zahl der Anfänger erhöht werden. Bis zum Jahr 2011 scheint das aufgrund des doppelten Abiturjahrganges des Jahres 2007 möglich zu sein, aber danach wird es wirklich schwierig, weil dann die geburtenschwachen Jahrgänge in die Hochschulen kommen.

Meine Damen und Herren! Wenn man weiß, dass 55 % aller Studierenden in unseren Hochschulen aus Sachsen-Anhalt kommen und weitere 24 % aus den neuen Bundesländern, dann wird das Problem deutlich. Denn alle neuen Bundesländer haben einen Geburtenrückgang von mehr als 50 % seit der Wende zu verzeichnen. Wir benötigen also Kompensationsmaßnahmen, um dem Absinken der Studierendenzahl entgegenzuwirken.

Dabei können die Maßnahmen helfen, die zur Umsetzung des Hochschulpaktes zwischen Land und Hochschulen vereinbart worden sind. Aber ich denke, das wird nicht ausreichen. Wir müssen anders herangehen. Wir brauchen auch mehr Studierende aus anderen Bundesländern, aus den alten Bundesländern und aus dem Ausland. Damit verbindet sich natürlich die Frage, wie es uns anschließend gelingt, die Absolventen hier zu halten. Das ist eine spannende Frage, die man nicht unbedingt positiv beantworten kann. Darauf gehe ich noch ein.

Ich denke, dass wir trotzdem noch anders herangehen müssen. Das Ziel wäre, die Quote der Studienanfänger, die in Sachsen-Anhalt bei 26,1 %, im Bundesdurchschnitt bei 36 % und im OECD-Durchschnitt bei 54 % liegt, zu erhöhen. An dieser Stelle stimmt etwas nicht. Nun kann man sagen, den Unterschied zum OECDDurchschnitt kann man mit der Struktur der Berufsausbildung bei uns begründen. Trotzdem stellt sich die Frage, warum wir so weit unterhalb des Bundesdurchschnittes liegen.

Schauen Sie sich noch einmal ganz genau die Ergebnisse der Pisa-Länderstudie hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg an. Herr Höhn hat es sehr deutlich gesagt: Kinder von Akademikern und Führungskräften haben bei gleichen Grundfähigkeiten eine mehr als sechsmal höhere Chance, die Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben als Kinder aus Facharbeiterfamilien. Nun ist es keine Schande, als jemand, der aus einer Facharbeiterfamilie stammt, auch Facharbeiter zu werden; aber es geht nicht immer nur um die Reproduktion aus der Gruppe selbst, sondern man muss das unterbrechen und Aufstiegschancen eröffnen.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich denke, dass durch diese strukturelle Benachteiligung nicht nur Lebenswege sehr früh verbaut werden, sondern auch das Bildungspotenzial ungenutzt bleibt. Das können wir uns insgesamt nicht erlauben.

Deshalb, meine Damen und Herren, muss das Schulsystem auch dahin gehend analysiert werden, inwieweit es durch eine frühe Festlegung auf unterschiedliche Bildungswege in der Tat vor allem Entwicklungs- und Bildungschancen von Kindern verbaut, die eben nicht aus den bildungsnahen Schichten stammen. Das zeigt sich nachweislich - das ist alles empirisch untersucht, zum Beispiel in der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes - am so genannten Bildungstrichter. Dieser zeigt auf, wer durchkommt und dort ankommt.

Daraus müssen wir die nötigen Schlussfolgerungen ziehen. Es kann nicht sein, dass von 100 Akademikerkindern 88 ein Gymnasium und 81 anschließend eine Hochschule besuchen und von 100 Nichtakademikerkindern 46 ein Gymnasium besuchen und nur 23 studieren.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Das sind beinahe 50 %!)

Dies ist eine Sonderstellung, die wir in Deutschland haben, und das, meine Damen und Herren, - ich nehme jetzt bewusst Bezug auf die gestrige Debatte im Hinblick auf den Bildungskonvent - ist die bittere Wahrheit in Deutschland und die ist nicht von Gott gegeben und sie ist nicht nur durch die Begabungstheorie zu erklären. Man könnte es ändern, wenn man es wollte.

(Zustimmung bei der SPD)

Aber wir schlagen nicht die Schlachten von gestern, sondern wir müssen kritisch analysieren, Veränderungen bringen und umsetzen, um die zukünftigen Bedarfe zu decken.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Aufgabe, die wir zu lösen haben, ist schwierig, und sie ist eben nicht nur immer damit abzuweisen, dass das alles so toll wäre und wir im System etwas voranbringen. Nein, es gilt grundlegende Debatten zu führen; denn so, auch bei Erfolgen in einigen Bereichen im Land, werden wir langfristig unsere Bildungsressourcen nicht ausnutzen und wir werden dem drohenden Mangel an Fachkräften nicht ausreichend entgegenwirken. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Mittendorf. - Nun erteile ich Herrn Kley das Wort, damit er für die FDP-Fraktion spricht. Bitte schön, Herr Kley.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kultusminister kann einem ja schon fast leidtun, steht er doch im Bereich Bildung im Landtag drei Oppositionsfraktionen gegenüber, die ihn kritisieren

(Zustimmung bei der LINKEN)