Protokoll der Sitzung vom 18.06.2009

Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Untersuchungshaft in Sachsen-Anhalt (Untersuchungs- haftvollzugsgesetz Sachsen-Anhalt - UVollzG LSA)

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 5/2019

Ich bitte nun die Ministerin der Justiz Frau Professor Dr. Kolb, das Wort zur Einbringung zu nehmen. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Jugendstrafvollzugsgesetz legt die Landesregierung nunmehr einen Gesetzentwurf zur Regelung der Untersuchungshaft vor. Es gibt nicht nur hinsichtlich der Bezeichnung, sondern auch inhaltlich und im Hinblick auf das Verfahren des Zustandekommens Parallelen.

Ausgangspunkt ist auch beim Untersuchungshaftvollzugsgesetz, dass es bisher allenfalls rudimentäre Vorgaben für den Vollzug der Untersuchungshaft gibt. Eine gesetzliche Regelung fehlt bisher, sodass es im Moment bundesweit allenfalls Generalklauseln in der Strafprozessordnung und eine Verwaltungsvorschrift gibt, die regeln, wie die Untersuchungshaft für die bundesweit derzeit ca. 12 000 Untersuchungshaftgefangenen aussehen soll.

Meine Damen und Herren! Die Untersuchungshaft ist auch rechtlich eine besondere Situation. Bevor der Betreffende nicht rechtskräftig verurteilt ist, gilt er als unschuldig. Praktisch sind seine Haftbedingungen zum Teil härter als die für die Strafgefangenen. Die Dauer der Untersuchungshaft ist meist ungewiss. Es gibt keine oder nur wenige sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten. Diese Beschäftigungsmöglichkeiten sind, wenn sie denn vorhanden sind, auch noch schlechter bezahlt als die für Strafgefangene.

Die Beschuldigten sind oft für 23 Stunden in ihrem Haftraum eingeschlossen. Der Besuch ist auf zweimal eine halbe Stunde im Monat beschränkt. Urlaub aus der Haft wird nicht gewährt. Meine Damen und Herren! Dass Urlaub nicht gewährt wird, liegt in der Natur der Sache der Untersuchungshaft; denn wenn man Urlaub gewähren könnte, bedürfte es keiner Untersuchungshaft.

Bei den anderen Beschränkungen bzw. Ungleichbehandlungen sehen wir jedoch Verbesserungsbedarf, weil wir denken, dass die geltenden Regelungen nicht mehr zeitgemäß sind. Deshalb sollen den Untersuchungshaftgefangenen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in den von mir genannten Punkten Rechte eingeräumt werden, die ihre soziale Situation verbessern und die sie rechtlich mit den Strafgefangenen gleichstellen.

Das gilt etwa für die Besuchszeit. Diese soll von derzeit einer Stunde im Monat auf zwei Stunden verlängert werden. Für junge Untersuchungshaftgefangene wird sie auf vier Stunden ausgedehnt. Eine solche Regelung ist analog zu der Regelung, wie sie sich bereits heute im Jugendstrafvollzugsgesetz findet.

Der Entwurf sieht auch vor, dass Untersuchungshaftgefangene das gleiche Entgelt für Arbeit erhalten wie Strafgefangene. Entfallen soll dagegen das Empfangen von Lebensmittelpaketen. Darüber haben wir in diesem Hohen Hause bereits debattiert, da eine solche Regelung bereits im Jugendstrafvollzugsgesetz verankert ist. Es ist auf die Risiken hingewiesen worden, die sich auf das Einschmuggeln von Handys, Drogen und anderen verbotenen Gegenständen beziehen.

Meine Damen und Herren! Wir haben uns in diesem Hohen Hause bereits im Vorfeld der Verabschiedung eines solchen Gesetzes mit Eckpunkten für die Regelung der Untersuchungshaft befasst. Damals gab es den Anspruch, ein Taschengeld für die Untersuchungshaftgefangenen durchzusetzen. Das ist uns leider nicht gelungen.

Die Anhörung im Kabinett hat ergeben, dass nicht die Möglichkeit besteht, dass die Anstalt quasi in Vorleistung tritt und diese Summe später vom Träger der Sozialleistung zurückfordert. Somit bleibt es bei der sozialrechtlichen Regelung. Diejenigen, die bedürftig sind, haben gegenüber dem Sozialamt einen Anspruch und müssen ihn gegenüber dem Sozialamt aus der Anstalt heraus geltend machen.

Wichtig ist uns die Einzelunterbringung der Gefangenen. Dies ist insbesondere nachts wichtig, um sie vor Übergriffen zu schützen und um eine Trennung von den Strafgefangenen zu gewährleisten.

Meine Damen und Herren! Erfahrungsgemäß ist in den ersten Tagen einer Untersuchungshaft die Gefahr eines Suizides sehr hoch. Es gibt entsprechende Studien des Kriminologischen Forschungsinstitutes in Niedersachsen. Ausgehend von dieser Gefahr sieht der Entwurf ausdrücklich eine Pflicht der Anstalt vor, Selbstverletzungen und Selbsttötungen vorzubeugen.

Ich möchte an dieser Stelle noch auf die verfahrensrechtlichen Regelungen hinweisen. Hinsichtlich des Jugendstrafvollzugsgesetzes haben sich neun Länder zu einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen. Maßgeblich für den jetzt vorgelegten Entwurf eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes ist ein Musterentwurf, den sogar zwölf Länder gemeinsam vereinbart haben.

An dieser Stelle war das Bestreben besonders groß, eine Zersplitterung des Untersuchungshaftrechtes in Deutschland zu vermeiden. Das hängt natürlich auch mit Parallelen und sehr engen Bezügen zum Recht der Untersuchungshaft zusammen, das in der Prozessordnung geregelt ist und bezüglich dessen auf der Bundesebene eine Änderung verabschiedet worden ist, die ab Januar 2010 in Kraft treten soll.

Wir haben mit diesen elf anderen Ländern einen Musterentwurf erarbeitet, der abgestimmt ist. Das heißt nicht, dass alle Regelungen gleichlautend formuliert sind, aber die Eckpunkte sind die gleichen.

Es gibt in der Bundesrepublik bisher ein Land, nämlich Niedersachsen, das die Untersuchungshaft bereits in einem allgemeinen Haftgesetz geregelt hat. In Sachsen und Thüringen sind Gesetzentwürfe, die einen ähnlichen Inhalt haben wie der Gesetzentwurf der sachsen-anhaltischen Landesregierung, bereits in das parlamentarische Verfahren eingebracht worden.

Ich gehe davon aus, dass auch die zwölf Länder, die an der Arbeitsgruppe beteiligt waren, im Laufe des Jahres ihre Gesetzentwürfe auf den Weg bringen werden, so

dass wir zum Ende des Jahres feststellen können, dass in Deutschland, jedenfalls im Hinblick auf die Untersuchungshaft, mehr Sicherheit besteht.

Aus meiner Sicht ist mit dem vorliegenden Entwurf ein guter Ausgleich gelungen zwischen dem, was aus humanen und sozialen Gründen notwendig ist, und dem, was finanziell möglich ist. Deshalb bitte ich darum, den Gesetzentwurf an den Ausschuss für Recht und Verfassung zu überweisen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin Kolb. - Nun hören wir die Beiträge der Fraktionen. Wir beginnen mit dem Beitrag der FDP-Fraktion. Es spricht Herr Wolpert. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Ministerin hat die komplizierte gesetzliche Lage bereits geschildert, die die Verantwortung für die Gesetzgebung der Untersuchungshaft in die Kompetenz der Länder gebracht hat.

Wir Liberale haben nicht nur bei der Untersuchungshaft, sondern bei dem Justizvollzug insgesamt immer geglaubt, es sei eine falsche Möglichkeit, die Föderalismusreform auszuloten und diese Gesetzgebung auf die Länder herunterzubrechen. Denn wir können nicht erkennen, dass die Schaffung unterschiedlicher Maßstäbe in den verschiedenen Ländern - diese Gefahr hat sich auch hierbei wieder realisiert - zu einem guten Ergebnis führen könnte.

Wir begrüßen allerdings, dass dieses Gesetz zumindest in zwölf Bundesländern im Wesentlichen gilt. Frau Ministerin, insofern vielen Dank, dass Sie dieser Grundidee gefolgt sind, die wir immer unterstützt haben und die wir initiiert haben.

Es ist ein schwieriges Unterfangen, darauf hat die Ministerin hingewiesen; denn die Untersuchungshaft geht nicht mit Strafgefangenen um. Das sind Menschen, die bis zur Verurteilung als unschuldig gelten. Es gibt drei wesentliche Gründe dafür, diese Menschen in Haft zu bringen: die Verdunkelungsgefahr, die Fluchtgefahr und die Wiederholungsgefahr. Dass sie dort anders und strenger als normale Strafgefangene behandelt werden, ist zum Teil gerechtfertigt, zum Teil aber auch nicht.

Ich will das einmal klar sagen: Jemandem, der alles gestanden hat und der nur wegen der Fluchtgefahr in Untersuchungshaft, im Gefängnis sitzt, den Umgang mit der Außenwelt zu verweigern, ist relativ schwierig; denn eigentlich gilt er als unschuldig. Man will nur nicht, dass er wegläuft, weil er Angst vor einer hohen Strafe hat. Ihm allerdings zu verweigern, Pakete zu bekommen, weil diese so schwer zu kontrollieren seien, halte ich nicht für gerechtfertigt.

(Ministerin Frau Prof. Dr. Kolb: Eben!)

Denn warum sollte er denn nun manche Dinge nicht haben?

(Herr Stahlknecht, CDU: Weil die Säge mit hin- einkommt! Das ist doch gerade die Fluchtgefahr!)

- Dass die Säge mit hineinkommt, ist seit Jahrhunderten so. Seit Jahrhunderten wird in den Justizvollzugsanstalten das Brot kontrolliert, in dem sie eingebacken ist. Das

ist etwas, was die Vollzugsanstalt auch heute noch machen muss. Selbst wenn kein Brot hereinkommt, gibt es andere Möglichkeiten, die Dinge hineinzuschmuggeln: über die Mauer werfen oder was auch immer.

Nur, eines ist klar: In dem Gesetzentwurf schreiben Sie, ein Paket werde auch deshalb nicht notwendig sein, weil es Einkaufsmöglichkeiten innerhalb der Haftanstalt gebe. - Gerade eben hat uns die Ministerin erläutert: Aber ein Taschengeld darf er nicht kriegen. - Also, er kommt ohne Geld hinein. Er gilt als unschuldig, aber er kriegt keine Genussmittel, weil er ohne Geld nicht einkaufen kann und von außen auch nichts hereinbekommen darf. Diese Situation ist nach unserer Auffassung mit der Unschuldsvermutung nicht zu vereinbaren.

(Zustimmung bei der FDP)

Es ist auch noch zu diskutieren, dass der Musterentwurf hinsichtlich des Untersuchungshaftvollzugsgesetzes in Sachsen-Anhalt ein wenig verwässert wurde. So wurde die Bestimmung über die schulische und berufliche Aus- und Weiterbildung, die im Musterentwurf noch als Sollbestimmung ausgestaltet ist, in Sachsen-Anhalt als Kannregelung ausgestaltet. Auch da, denke ich, sollten wir nicht hinter den Standards zurückbleiben.

(Zustimmung bei der FDP)

Ansonsten gäbe es noch Folgendes zu beachten: Anders als in den anderen Ländern sagen wir in SachsenAnhalt, dass jeder Untersuchungshäftling das Recht hat, von einem Seelsorger seiner Religionsgemeinschaft betreut zu werden. Das, denke ich, sollten wir so streng nicht sehen. Es könnte auch sein, dass ein Katholik mit einem evangelischen Pfarrer sprechen möchte, ohne dass das gleich verboten sein sollte, oder dass ein Nichtgläubiger mit einem Pfarrer sprechen möchte. Es sollte also nicht seine Religionsgemeinschaft sein, sondern eine. Dann könnten wir damit auch schon etwas liberaler leben. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Wolpert. - Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Sturm das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die alte, in Ehren ergraute Untersuchungshaftvollzugsordnung reicht als gesetzliche Grundlage für die Untersuchungshaft nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr aus. Außerdem ist hierfür aufgrund der 2005/2006 durchgeführten Neuordnung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern nicht mehr der Bund zuständig, sondern das ist Sache der Länder geworden.

Wir können die uns und die Bürger immer mehr erdrückende Gesetzesflut kritisieren wie wir wollen, wir können einen Damm errichten, aber wir kommen nicht darum herum, dieses Gesetz im Landtag zu beschließen.

Denken wir bitte daran: Wer in Untersuchungshaft sitzt, ist noch nicht rechtskräftig verurteilt und gilt nach der Gesetzesvermutung als unschuldig. Deshalb heißt es ausdrücklich noch einmal in § 4 Abs. 1 des Entwurfs:

„Der Untersuchungsgefangene gilt als unschuldig. Er ist so zu behandeln, dass der Anschein

vermieden wird, er würde zur Verbüßung einer Strafe festgehalten.“

Doch muss der als unschuldig geltende Untersuchungshäftling im Interesse der gegen ihn laufenden Ermittlungen eine Reihe von Beschränkungen hinnehmen. Einige dieser Beschränkungen sind nicht mehr zeitgemäß. Deshalb sollen den Untersuchungsgefangenen mit diesem Gesetz mehr Rechte eingeräumt werden und ihre soziale Situation soll verbessert werden, worauf die Frau Ministerin soeben hingewiesen hat. Ich möchte daher auf ihre Ausführungen verweisen.

Der Vollzug der Untersuchungshaft hat die Aufgabe, durch sichere Unterbringung des Untersuchungsgefangenen die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und der Gefahr weiterer Straftaten vorzubeugen. Vorrangig ist also das öffentliche Interesse. Der Gedanke der Sühne, der Abschreckung und der Besserung, der bei der Strafhaft im Vordergrund steht, greift noch nicht und hat hier noch nichts zu suchen.

Wenn auch aufgrund der gesetzlichen Vorgaben und der staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Praxis mit der Anordnung von Untersuchungshaft zurückhaltend umgegangen wird - bisweilen so zurückhaltend, dass die Volksseele kocht - und wenn es in der Regel bei Anordnung der Untersuchungshaft auch zu einer Verurteilung kommt, gibt es doch Fälle, wo das nicht der Fall ist und der Untersuchungshäftling als freier Mann, also unschuldig die Haftanstalt verlässt. Wegen dieser Fälle, aber auch um Beschuldigten ein faires Verfahren zu ermöglichen, bedarf es dieses gesonderten Gesetzes.

Unsere Fraktion begrüßt die heute erfolgte Einbringung dieses Gesetzentwurfs, der nun im zuständigen Ausschuss noch zu beraten ist. Wir stehen vollumfänglich hinter diesem Gesetz und werden dafür Sorge tragen, dass es recht bald im Landtag verabschiedet wird.

Lassen Sie mich aber bitte noch auf zwei Punkte zu sprechen kommen, die unserer Fraktion in diesem Zusammenhang besonders wichtig sind.