Protokoll der Sitzung vom 19.06.2009

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister, für Ihren Beitrag. - Wir kommen dann zu den Debattenbeiträgen der Fraktionen. Ich erteile jetzt der SPD das Wort. Herr Miesterfeldt, bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Wirtschaftsausschuss vor einigen Wochen in Norditalien weilte, sagte uns ein italienisch-lombardischer Investor, der an der A 14 bei Bernburg investiert hat, der Zeitraum vom ersten Gespräch mit der Landesregierung und den Kommunalpolitikern bis zur Inbetriebnahme seines Unternehmens habe weniger als ein Jahr gedauert. In Italien hätte er in dieser Zeit gerade denjenigen gefunden, mit dem er mal über dieses Unternehmen, über diese Investition hätte reden können.

(Herr Gürth, CDU: Richtig!)

Das ist Wirtschaftsförderung in Sachsen-Anhalt, die sich durch die Vergangenheit hindurch gezogen hat - unter den unterschiedlichsten politischen Färbungen der jeweiligen Wirtschaftsminister.

(Herr Tullner, CDU: Aber einige waren erfolgrei- cher als andere!)

- Glaube lässt nichts zuschanden werden, Herr Tullner.

Wir haben in Sachsen-Anhalt ein dynamisches Wirtschaftswachstum, das steht ohne Zweifel fest. Wir haben in Sachsen-Anhalt ein Wirtschaftswachstum, das auch von der Krise weniger ausgebremst wird, als das in anderen Bundesländern in Deutschland geschieht, und darüber sind wir froh. Wir haben - ich will mal diese eine Zahl nennen - in den vergangenen Jahren zwischen 2000 und 2007 den Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung um 6 Prozentpunkte steigern können. Das ist eine gewaltige Zahl. Aber es fehlen uns immer noch über 2 Prozentpunkte am Bundesdurchschnitt, und - das sage ich sehr bewusst im 20. Jahr nach der friedlichen Revolution - wir dürfen nicht vergessen, woher wir gekommen sind.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Ihr Vergleich, lieber Kollege Thiel, bezüglich 60 und 70 %, der war heftig und mutig. Ich möchte mich doch zu Hause noch einmal hinsetzen und darüber nachdenken. Fest steht: Wenn die DDR nach dem hätte leben müssen, was sie erschaffen, produziert hat, hätten wir unser Lebensniveau von einem Tag auf den anderen um 30 % senken müssen.

(Zustimmung bei der CDU)

Fest steht, dass wir jährlich 4,5 Milliarden $ an das „kapitalistische Ausland“ zahlen mussten. Das waren 62 % des DDR-Exporterlöses. - So weit zur finanziellen Katastrophe.

Eine Zahl bzw. ein Satz zur technologischen Katastrophe: Die DDR entwickelte einen 256-Kilobyte-Chip zum Selbstkostenpreis von 534 Mark, der in Wolfsburg 4 DM kostete. Von 100 Betrieben waren 32 rentabel. - So viel zur Vergangenheit.

Richtig ist, dass wir nach diesem Aufholprozess der vergangenen 20 Jahre noch lange, lange nicht am Ziel sind und dass die neuen Bundesländer - richtig - bei 71 % der Wirtschaftskraft der alten Bundesländer liegen. Richtig ist, dass wir auch und gerade in Sachsen-Anhalt immer noch eine zu geringe Industriedichte haben und dass wir sehr viele kleine Unternehmen haben. Das ist sehr gut für die kleinen Unternehmen, uns fehlen aber immer noch große.

Eine Zahl, die mich in Sachsen-Anhalt - ich sage auch mal sehr deutlich: in Mitteldeutschland - besonders erschüttert, ist, dass bei uns auf 100 000 Einwohner 15 Patentanmeldungen kommen und im Bundesdurchschnitt 60. Es gibt also dort noch sehr viel zu tun. Ich will andere Herausforderungen nennen, die in der Zukunft vor uns stehen:

Die demografische Entwicklung. Im Jahr 2050 - ich werde selbst 96 Jahre alt sein, so ich lebe - werden in diesem Lande 1 Million Menschen weniger leben. Den Einstieg in diese - das muss man auch mal deutlich benennen - demografische Katastrophe kann man heute schon in der Wirtschaft erleben, indem es bereits einen Fachkräftemangel gibt, indem es eine sinkende Zahl von Aus

zubildenden und eine Überalterung der Belegschaften gibt. Ich war kürzlich in einem Ingenieurbüro, in dem ich mit meinen 55 Jahren derjenige war, der dort den Altersdurchschnitt gesenkt hat.

Die finanziellen Rahmenbedingungen werden sich dramatisch verändern. Bis 2019 verfügen wir noch über 10 Milliarden € aus dem Solidarpakt II. Aber er reduziert sich von 1,5 Milliarden € in diesem Jahr auf 700 Millionen € im Jahr 2016. Wir alle wissen, dass die EU-Strukturfondsförderperiode im Jahre 2013 ausläuft. Das heißt, wir benötigen langfristige Strategien der Wirtschaftsförderung für unser Land über diese Zeitpunkte hinaus und in diese Zeiträume hinein.

(Zustimmung von Frau Fischer, SPD)

Wir können ganz sicher sein: So schnell, wie die 20 Jahre seit 1990 vergangen sind, so schnell werden die Jahre bis 2013 und 2020 vergehen.

Wir brauchen Entwicklungen hin zu innovativen und wettbewerbsfähigen Regionen in diesem Lande und als Land zu einer innovativen und wettbewerbsfähigen Region in Deutschland und in Europa. Was wir nicht wollen, das sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Dumpinglöhne und die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt.

(Zustimmung bei der SPD)

Lieber Kollege Thiel, seien Sie versichert: Da wird die SPD für niemanden - für niemanden! - als Feigenblatt zur Verfügung stehen.

(Zustimmung bei der SPD und von Herrn Dr. Thiel, DIE LINKE)

Wir benötigen Strategien, wie Unternehmen angesiedelt werden können, die auch höherwertige Unternehmensfunktionen mitbringen. Das beziehe ich insbesondere auch auf Forschung und Entwicklung in Sachsen-Anhalt. Wir müssen uns auf Unternehmen mit regionalen Entwicklungsperspektiven konzentrieren und auf Wirtschaftskraft. Wir werden, wie in diesem Haus schon mehrfach diskutiert, die Förderung von Cluster-Initiativen und Cluster-Projekten vorantreiben. Wir werden die wirtschaftsnahe Infrastruktur und die Unterstützung bei der Gründung von technologieorientierten Unternehmen fördern.

Der Stellenwert der Bildung und Ausbildung kann gar nicht hoch genug eingeordnet werden, aber genauso wenig die Unterstützung von familienfreundlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Unternehmen.

Wir sind für einen ganzheitlichen und perspektivisch nachhaltigen Ansatz der Wirtschaftsförderung in Sachsen-Anhalt. Dieser muss aber auch flexibel sein, und das kann auch mal bedeuten, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen oder die zukünftige Schaffung von Arbeitsplätzen in einer bestimmten Situation gefördert wird.

(Zustimmung bei der SPD)

Diese Konzepte, meine Damen und Herren, müssen ständig weiterentwickelt werden. Wir stimmen deshalb zu, diesen Antrag in den Ausschuss zu überweisen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Sie meinen den Wirtschaftsausschuss, Herr Miesterfeldt? - Okay. Vielen Dank für Ihren Beitrag. - Dann kom

men wir zum Debattenbeitrag der FDP. Herr Franke hat das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als ich die Überschrift des Antrages las, dachte ich: Au, das klingt ja recht vielversprechend, was da kommt. Doch beim weiteren Lesen setzte eine große Ernüchterung ein.

(Oh! bei der LINKEN)

Es geht hierbei, Herr Thiel, nämlich nicht um Wirtschaftspolitik - jedenfalls nicht in Ihrem Antrag -, sondern einzig und allein um Förderpolitik. Wirtschaftsförderung liegt uns Liberalen, wie Sie sicherlich wissen, sehr am Herzen. Aber der vorliegende Antrag beschäftigt sich einzig und allein mit den Fördermitteln vom Bund und von der EU. Wir Liberalen verstehen unter Wirtschaftspolitik deutlich mehr als nur das Weiterreichen von Fördermitteln.

(Frau Rogée, DIE LINKE: Wir auch!)

- Dann lesen Sie sich den Antrag mal genau durch, Frau Rogée. - Dass Fördermittel ein Bestandteil erfolgreicher Wirtschaftspolitik in den neuen Ländern sind, bestreiten wir damit nicht. Das kann und darf aber keinesfalls der einzige Aspekt einer Wirtschaftspolitik sein.

Wir als FDP-Fraktion werden den Antrag ablehnen, weil er unserer Meinung nach überflüssig ist.

(Frau Tiedge, DIE LINKE: Schön!)

Sehr geehrte Damen und Herren! Den im Antrag formulierten selbsttragenden und nachhaltigen Entwicklungspfad - Herr Dr. Thiel hat das in seiner Rede ja sehr schön beschrieben - erreichen wir durch ein solches Förderszenario nicht. Vielmehr muss es uns darum gehen, gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen und eine vernünftige Standortpolitik zu betreiben.

(Herr Tullner, CDU: Richtig!)

Das heißt: Schaffung von flexiblen Arbeitsmärkten, Aufbau einer guten Infrastruktur und Gewährleistung eines investoren- und gründerfreundlichen Klimas. Der Staat muss es zulassen, dass sich die Löhne auf einem der Produktivität entsprechenden Niveau einpendeln. Die Steuer- und Abgabenlast muss sowohl für den Verbraucher als auch für den Unternehmer auf ein moderates Niveau abgesenkt werden. Heimische Unternehmen, die sich auf die Weltmärkte wagen und unsere Exportquote erhöhen können, müssen unterstützt werden.

Das müssen die Schwerpunkte einer perspektivischen Wirtschaftspolitik sein; denn nur wenn das gewährleistet ist, bildet sich ein gesunder Mittelstand heraus. Dann kommt es zu weiteren industriellen Ansiedlungen und damit auch zu wirtschaftlichem Wachstum.

Sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich obliegt es in vielen Bereichen dem Bund, für die von mir genannten Änderungen zu sorgen. Dennoch kann auch das Land perspektivische Wirtschaftspolitik durchführen. Eine Möglichkeit wäre, die Idee der Modellregion wieder aufzugreifen, bestimmte bundesrechtliche Hemmnisse zu beseitigen

(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Aber Mindestlohn ein- führen!)

und den Unternehmen mehr Freiheit einzuräumen. Beispielhaft sei hier die Lockerung des Kündigungsschutzes genannt.

(Frau Schmidt, SPD, schüttelt den Kopf)

Doch auch ohne eine solche Region hat das Land genug Möglichkeiten, die Unternehmen von Bürokratie zu befreien. Staatliche Bürokratie ist und bleibt das Hindernis für unternehmerischen Erfolg. Bürokratieabbau und Deregulierung mit einem systematischen ordnungspolitischen Gesamtansatz sind für uns Liberale perspektivische Wirtschaftspolitik. Vereinfachungen von Genehmigungsverfahren oder Befreiungen von statistischen Berichtspflichten werden sehr schnell wirksam und sind auf alle Fälle nachhaltig.

Für uns gehört aber eine professionelle Ansiedlungs- und Investitionspolitik genauso zu einer perspektivischen Wirtschaftspolitik wie eine neue Unternehmer- und Innovationskultur in Sachsen-Anhalt. Unsere Unternehmen brauchen Innovation. Sie benötigen neue Technologien und Produkte, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Anliegen einer perspektivischen Wirtschaftspolitik sollte es deshalb sein, den Zugang bestehender Unternehmen zu Innovationen zu unterstützen. Gleichzeitig müssen die Bedingungen für neue innovative Unternehmensgründungen und -ansiedlungen verbessert sowie die Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft deutlich erleichtert werden.

Natürlich ist auch die Förderpolitik ein wichtiges Instrument, um Wirtschaftspolitik zu gestalten. Ziel einer perspektivischen Förderpolitik sollte es aber sein, die nicht zu durchschauende Programmvielfalt, die wir in Sachsen-Anhalt haben, drastisch zu reduzieren. Wirtschaftsförderung sollte sich auf Investitions-, Forschungs- und Exportförderung beschränken.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, dass dieser kurze Ausblick in unsere liberalen Vorstellungen zu einer perspektivischen Wirtschaftspolitik verdeutlicht hat, dass die FDP auch und gerade in Zeiten der Finanzkrise eine ganz andere Auffassung von Wirtschaftspolitik vertritt als die Damen und Herren von der LINKEN.