Protokoll der Sitzung vom 04.09.2009

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 63. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt und begrüße Sie alle ganz herzlich.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Ich möchte Ihnen nun die neueste Wasserstandsmeldung zur Tagesordnung geben.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen - Frau Budde, SPD: Die neuesten Lottozahlen!)

Die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen haben sich darauf geeinigt, dass wir mit dem Tagesordnungspunkt 1 b beginnen.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Schön!)

Dann folgen der Tagesordnungspunkt 13, der Tagesordnungspunkt 14 und die Tagesordnungspunkte 6 und 9.

(Herr Scharf, CDU: Und die Zusatzzahl? Die fehlt noch!)

- Und die Zusatzzahl, ja, ja. Und das alles ohne Gewähr.

(Minister Herr Dr. Daehre: Im Laufe des Tages!)

Die Reihenfolge der Tagesordnungspunkte lautet also: 1, 13, 14, 6 und 9. - Hiergegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.

(Frau Budde, SPD: Wenn wir vor 12 Uhr fertig sind, haben wir den Jackpot! - Heiterkeit bei der FDP - Frau Dr. Hüskens, FDP: Das ist alles schon Bundestagswahlkampf!)

Meine Damen und Herren! Ich rufe erneut Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Debatte

Ich rufe das zweite Thema auf:

Die Trägerlandschaft in Sachsen-Anhalt für die Zukunft sichern

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/2165

Die Fraktionen sprechen in der Reihenfolge DIE LINKE, CDU, FDP und SPD. Zunächst hat für die Antragstellerin der Abgeordnete Herr Gallert von der Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte schön.

Guten Morgen! Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Dienstag liegt den Fraktionen des Hohen Hauses ein Aufruf vor, der wie folgt überschrieben ist: „In Vielfalt investieren - die Trägerlandschaft in Sachsen-Anhalt für die Zukunft sichern“.

Dieser Aufruf ist in seinem Umfang und in seinem Unterstützerkreis durchaus von einer neuen Qualität gekennzeichnet. Er unterscheidet sich ganz maßgeblich von dem, was gerade Haushaltspolitiker jedes Jahr zu erfahren bekommen, wenn es an den Einstieg in die Haushaltsberatungen geht.

Es handelt sich nämlich gerade nicht um einen Aufruf, der sozusagen das wohlverstandene Eigeninteresse einer einzelnen Institution in den Vordergrund rückt, den ganz üblichen, ja auch legitimen Versuch, seine Existenz über das nächste Haushaltsjahr hinwegzuretten, möglicherweise hier und da auch einmal auf Kosten einer Institution, die sich in einem ähnlichen Aufgabenbereich befindet, oder auf Kosten von Institutionen in anderen Politikbereichen.

Nein, die neue Qualität dieses Aufrufes besteht darin, dass sich hier Institutionen und Träger aus ganz unterschiedlichen Politikbereichen auf eine gemeinsame Position verständigt haben,

(Herr Gürth, CDU: Gar nicht neu!)

Politikbereiche wie die der sozialen Infrastruktur, der Umweltpolitik, der Kultur, der Demokratieentwicklung - also Bereiche, die auf den ersten Blick nicht unbedingt etwas gemeinsam haben. Sie haben sich auf eine ganz maßgebliche Position geeinigt, die zentrale Fragestellungen an die Landespolitik formuliert, in der es eben nicht um den einzelnen Fördermittelbescheid geht, sondern um die Perspektive des Landes Sachsen-Anhalt.

Wem haben wir diesen Aufruf zu verdanken? - Natürlich zuallererst den Unterzeichnern. Allerdings haben sie eine Initiative aufgenommen, zu der sie aufgefordert worden sind, und zwar vom Finanzminister dieses Landes, Jens Bullerjahn, der Mitte Juni 2009 ein Strategiepapier vorgestellt hat, mit dem er versucht hat, ein Konzept dafür zu entwickeln, wie er in den nächsten beiden Jahren mit den entsprechenden Einnahmenvolumina die Ausgabenvolumina koordinieren kann.

Er hat dieses Strategiepapier der Öffentlichkeit vorgestellt. Er hat die Öffentlichkeit aufgefordert, darauf zu reagieren. Die Öffentlichkeit, auch die regierungsinterne, hat es danach getan. Man hatte dabei nicht immer den Eindruck, dass die Reaktion wirklich gewollt gewesen ist, aber das sei dahingestellt.

(Herr Felke, SPD: Ganz schön ehrlich!)

Die entsprechenden Institutionen, die uns diesen Aufruf vorgelegt haben, haben sich das Strategiepapier angeschaut und kommen zu folgendem Schluss - ich zitiere -:

(Herr Gürth, CDU: Brauchen Sie nicht!)

„Mit den in der Landesregierung diskutierten Kürzungen wird die Axt ans Fachwerk der Gesellschaft in Sachsen-Anhalt gelegt. So wird fachliche Kompetenz vernichtet und dem bürgerschaftlichen Engagement einer lebendigen Zivilgesellschaft und einer notwendigen Beratungsinfrastruktur die Grundlage entzogen. Mittelfristig zerstören die diskutierten Kürzungen auf breiter Basis die Trägerstrukturen.“

Das ist die Einschätzung, das ist die Position derjenigen, die diesen Aufruf unterzeichnet haben.

Schaut man sich allerdings einmal die Situation an, in der eine solche Position formuliert ist, kommt man im ersten Augenblick ein bisschen ins Staunen; denn das Strategiepapier des Kollegen Finanzministers hat zwar - das ist ausdrücklich auch unsere Einschätzung - eine Reihe von politischen Einsparmaßnahmen vorgeschlagen, die aus unserer Sicht völlig indiskutabel sind, formaljuristisch zum Teil auch gar nicht gehen, die politisch völlig falsch sind und die tatsächlich die Perspektive die

ses Landes bedrohen, aber: Der andere Teil der Wahrheit ist, dass er, obwohl er diese Einsparvorschläge unterbreitet hat, konstatieren musste, dass für den Doppelhaushalt 2010/2011 neue Schulden in Höhe von mehr als 1,1 Milliarden € aufgenommen werden müssten, dass also trotz solcher politisch unverantwortlichen Einsparvorschläge

(Herr Gürth, CDU: Als Sie regierten, haben Sie das in einem Jahr geschafft!)

diese Dinge nicht zu finanzieren sind und riesige Löcher im Haushalt entstehen.

(Herr Gürth, CDU: Von wegen! Von wegen!)

- Herr Gürth, Sie wissen genau: Unsere Schuldenbilanz ist pari-pari.

(Frau Feußner, CDU: Das glauben Sie doch sel- ber nicht!)

Sie haben genauso viel Schulden zu verantworten

(Herr Gürth, CDU: Das haben Sie auch!)

wie eine andere politische Konstellation; dagegen können Sie auch mit lauten Zwischenrufen nichts ausrichten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das politische Problem besteht nämlich genau darin, dass dieses Defizit nicht etwa Produkt einer bestimmten Landesregierung oder einer bestimmten politischen Farbe ist; das politische Problem besteht darin, dass hier ganz klar ein Missverhältnis zwischen den politischen Aufgaben der öffentlichen Hand auf der einen Seite und den dafür in der öffentlichen Kasse zur Verfügung stehenden Ressourcen auf der anderen Seite besteht. Das führt dazu, dass wir - egal wer in diesem Land regiert -

(Herr Gürth, CDU: Richtig!)

vor die Alternative gestellt sind, politisch falsche Entscheidungen im Interesse der Haushaltskonsolidierung zu realisieren oder eine Nettoneuverschuldung zuzulassen oder - und das ist die tiefere Wahrheit für die nächsten zwei, drei, wahrscheinlich vier Jahre - beides zu tun. Das ist der entscheidende Punkt, der in diesem Strategiepapier offengelegt wird: die radikale Diskrepanz zwischen den öffentlichen Einnahmen auf der einen Seite und den öffentlichen Aufgaben auf der anderen Seite. Das ist die Frage, über die wir zu diskutieren haben.

(Herr Franke, FDP: Was denn sonst?)

Denn - davon gehe ich auch aus - auch die Kollegen von der SPD und auch die Kollegen von der CDU werden - zumal kurz vor der Bundestagswahl -

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

nicht unmittelbar daran interessiert sein, dass sich die politische Stimmungslage im Land infolge der Meldungen von gestoppten Förderungen bzw. radikalen Kürzungen in diesem Bereich verschlechtert. - Nein, es gibt radikale Umstände, die dazu führen.

Ich warne ausdrücklich vor der Illusion, das sei ein kurzzeitiges Problem, das innerhalb von zwei Jahren mit dieser Finanzkrise auftrete. Nein, es gibt einigermaßen seriöse Perspektiven, die besagen: Allein das, was wir an Steuerverlusten in dieser Finanzkrise erleiden, werden wir über viele, viele Jahre nicht ausgleichen können. Wir haben langfristig in der Perspektive für das Land Sach

sen-Anhalt wegen der abschmelzenden Mittel des Solidarpakts und von der EU mit einem insgesamt sinkenden Haushaltsvolumen zu kämpfen, wodurch sich diese Diskrepanz zwischen öffentlichen Ausgaben und Aufgaben auf der einen und den dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen auf der anderen Seite immer weiter zuspitzt.