Protokoll der Sitzung vom 19.02.2010

(Herr Tullner, CDU: Was soll das? Sollen wir uns unsere Biografien vorhalten?)

Vielen Dank, Frau Dirlich. - Wir kommen jetzt zu den Beiträgen der Fraktionen.

Zunächst begrüßen wir auf der Südtribüne aber Schülerinnen und Schüler der Comenius-Schule aus Salzwedel.

(Beifall im ganzen Hause)

Nun bitte Frau Hampel für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zustimmung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Berechnung der Hartz-IVRegelsätze ist breit. Auch meine Fraktion begrüßt dieses Urteil ausdrücklich.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Warum eigentlich?)

Doch kaum war das Urteil in der Welt, ist ein heftiger Streit über die sozialpolitischen Folgen des Richterspruchs entbrannt. Dass diese Diskussion wichtig ist und auch überfällig war, das zeigen die bisherigen Diskussionen in diesem Hause sehr deutlich.

Federführend ist auch an dieser Stelle der Vizekanzler und FDP-Parteivorsitzende Guido Westerwelle. In der „Welt“ waren Äußerungen zu lesen wie „spätrömische Dekadenz“ oder dass die Diskussion sozialistische Züge trage.

In der gestrigen „taz“ hingegen hat sich die Hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann wie folgt dazu geäußert. Sie sagte:

„Ich fürchte, durch Westerwelles Aussagen bekommen wir eine weitere Drehung in der Spirale hin zu einer Neidgesellschaft.“

Der FDP-Chef gefährde den sozialen Konsens im Land.

(Herr Tullner, CDU: Der ist doch nicht einmal evangelisch! - Zuruf von Herrn Wolpert, FDP - Frau Dr. Hüskens, FDP, meldet sich zu Wort)

Davon unbeeindruckt sitzt allerdings Frau von der Leyen mit einem Mädchen, deren Eltern vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt haben, auf den Stufen ihres Ministeriums und verspricht hoch und heilig: Ja, auch sie könne künftig in einem Schwimmverein mitwirken. Sie werde das Urteil aus Karlsruhe gern aufnehmen.

Ich will damit nur sagen - ich will es gar nicht weiter kommentieren -: Ein wenig mehr Einigkeit in der Koalition in Berlin würde uns an dieser Stelle sehr gut tun.

Ansonsten glaube ich nicht, dass diese Koalition noch lange Bestand haben wird.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Tullner, CDU: Die wird schon handeln!)

Zurück zur Sache. Einigkeit herrscht darüber, dass das Urteil schnell umgesetzt werden muss. Nach Auffassung der Richter in Karlsruhe verstößt die Methode zur Berechnung der Regelsätze für Kinder und Erwachsene gegen das Grundgesetz. Die Richter argumentierten, dass die Leistung für Kinder nicht pauschal vom Erwachsenenregelsatz abgeleitet werden könne, sondern der genaue Bedarf für Kinder und Jugendliche zu ermitteln sei.

Zur Höhe der Leistungen äußerten sie sich nicht. Das möchte ich an dieser Stelle auch nicht tun. Ich hätte mir zwar gewünscht, dass Frau Bull hier zu Ihrem Antrag, in dem 500 € auftauchen, Ausführungen gemacht hätte, aber das können wir auch im Ausschuss miteinander besprechen. Sozialverbände und Gewerkschaften glauben hingegen, dass die Regelsätze ansteigen könnten.

Die Bundesregierung hat bis zum Ende des Jahres Zeit, die Korrekturen vorzunehmen. Die Zeit drängt. Auch nach Ansicht der SPD-Landtagsfraktion ist es wichtig und auch richtig, für die Kinder und Jugendlichen eigene Ansprüche festzuschreiben und eine eigene Bedarfsermittlung vorzunehmen. Das hat man vorerst nicht so gesehen. Deshalb ist dieses Urteil wegweisend für die Zukunft.

Diese Kindergrundsicherung verbessert nämlich die Entwicklungschancen der Kinder und bekämpft gleichzeitig die Kinderarmut, die zu Zeiten der Entwicklung der Regelsätze - im Jahr 2004 - die Rolle, die sie jetzt spielt, noch nicht eingenommen hatte.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Richter stellten mit ihrem Urteilsspruch gleichzeitig fest, dass die Hartz-IV-Empfänger nicht Almosen vom Staat empfangen, sondern ein Recht auf Teilhabe an der Gemeinschaft haben. Das ist für mich die Hauptaussage dieses Urteils, und das ist derzeit auch eine große Sorge der schwarz-gelben Koalition; denn auch Herr Schäuble äußerte sich nach dem Motto: Es darf nicht mehr Geld kosten.

(Herr Gürth, CDU: Quatsch! Das hat er nie ge- sagt! Das stimmt doch gar nicht! Er hat nur ge- sagt: Das heißt nicht automatisch, dass es mehr kosten muss!)

- Doch, er sagte, dass es nicht mehr kosten darf. Herr Gürth, ich reiche Ihnen das gern zu; ich habe es im Büro und kann es Ihnen nachher geben.

Wie die Leistungen für Kinder ausgestaltet werden, wird in den nächsten Monaten erarbeitet werden müssen. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist für Kinder und Jugendliche von besonderer Bedeutung, denn sie legt schließlich den Grundstein für ihr gesamtes späteres Leben. Diese Teilhabe kann nicht allein auf Geldleistungen reduziert werden. Vielleicht sind wir uns an dieser Stelle wieder ein Stück weit einig.

(Herr Gürth, CDU: Das sind wir!)

Das Entscheidende ist, dass diese Leistungen, die eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen, tatsächlich bei den Kindern ankommen. Es gibt dafür eine Menge Möglichkeiten; kostenloses Schulessen, Zugang

zu Sportvereinen, musikalische und kulturelle Bildung sind nur einige davon. Dies sollte jedem Kind ermöglicht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Teilhabeaspekte in seiner Urteilsbegründung explizit betont.

Es gibt, wie Sie sehen, vieles zu diskutieren. Wir sind uns sicherlich darin einig, dass das Urteil die Chance bietet, die Grundsicherung für Kinder bedarfsgerechter und auch zukunftsorientierter zu regeln.

Ich freue mich auf die Diskussion in den Ausschüssen. Wir bitten um Überweisung des Antrags zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit sowie zur Mitberatung in den Ausschuss für Soziales. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Frau Dr. Hüskens möchte eine Nachfrage stellen.

Frau Hampel, Sie sind in der SPD, und die Hartz-IV-Gesetze sind von einer SPD-Bündnis 90/Die Grünen-Regierung beschlossen worden. Mich wundert in den letzten Tagen, dass sich die SPD so ungeheuer über dieses Urteil freut. Mich ärgert es immer, wenn ein Gesetz, das wir im Landtag beschlossen haben, vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wird. Sie freuen sich darüber, und zwar pauschal landauf, landab. Können Sie das erklären?

(Heiterkeit bei der CDU)

Ich will kurz auf die Äußerungen von Minister Dr. Haseloff Bezug nehmen. Er sagte, dass auch die schwarzgelb regierten Länder diese Hartz-IV-Gesetzgebung im Bundesrat beschlossen haben.

(Oh! bei der CDU - Frau Dr. Hüskens, FDP: Das war nicht die Frage!)

Ich freue mich darüber einfach, weil die Diskussion um Kinderarmut - das habe ich auch in meiner Rede betont - zum damaligen Zeitpunkt noch keine Rolle gespielt hat. Diese Entwicklung der letzten Jahre im sozialen Bereich - das müssten Sie am ehesten wissen - gab es zum damaligen Zeitpunkt in dieser Form noch nicht.

(Zuruf von der SPD)

Wenn die Richter festgestellt haben, dass die Regelsätze für Kinder zu niedrig sind bzw. auch die Teilhabe an Bildungsangeboten usw. berücksichtigt werden muss und die Regelsätze für Kinder nicht nur reduzierte Regelsätze für Erwachsene sind, sondern dies zu pauschal ist, dann ist das ein Grund - Sie sagen, ein Grund zur Freude -, es als richtig zu erachten, dass diese verfassungswidrigen Umstände abgestellt werden.

Ich sehe das auch so. Es war nicht richtig, was Rot-Grün an dieser Stelle damals gemacht hat. Aber jetzt gibt es das Urteil, jetzt gehen wir damit um, und jetzt wird auch eine ordentliche Umsetzung der Thematik vorgenommen.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Frau Hampel, möchten Sie noch eine Frage von Herrn Wolpert beantworten?

Bitte, Herr Wolpert.

Frau Hampel, ich gehe jetzt nicht auf die Frage ein, wie sehr man sich für etwas, was man getan hat, verantwortlich fühlt. Meine Frage ist: Wie kommen Sie darauf, dass dieses Urteil besagt, dass die Sätze zu niedrig bemessen seien? In diesem Urteil wurde im Wesentlichen festgestellt, dass die Methoden, wie man die Sätze berechnet, nicht transparent genug seien und neu angesetzt werden müssten.

Das ist richtig. Es ist auch richtig, dass das Gericht nichts zur Höhe der Regelsätze gesagt hat. Darin gebe ich Ihnen Recht, da habe ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt. Ich habe jetzt aber die Auffassung der Gewerkschaften und der Sozialverbände aufgenommen, die aufgrund ihrer Berechnungen zu einer Erhöhung der Regelsätze für Kinder und Jugendliche gekommen sind.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Frau Hampel, möchten Sie noch eine Frage von Frau Bull beantworten?

Frau Hampel, stimmen Sie mir zu, dass es genau zwei Punkte gibt, die die Höhe der Sätze zumindest infrage stellen? Das Bundesverfassungsgericht kritisierte nämlich zum einen, dass die Abteilung für Bildung bei Kindern und Jugendlichen auf null ist.