Protokoll der Sitzung vom 18.03.2010

Meine Damen und Herren! Ich will es ganz kurz machen. Ich will einmal eine Lanze für Marco Tullner brechen. Der ist sonst gar nicht so. Katrin Budde hat vielleicht

Recht. Er wollte schon einmal für die Elefantenausstellung üben. Er weiß das ja genau wie alle anderen auch. Deswegen wollte ich noch einmal ein Angebot unterbreiten. Das ist ja eine Kernüberlegung von Haushältern.

Meine Bitte an die Fraktionen und an die beiden Ausschüsse ist: Geben Sie uns bitte - Frau von Angern hat ein ganz zentrales Thema angesprochen - in der Landesregierung zwei Monate Zeit, diese Politikfeldsteuerung noch einmal im Kabinett vorzudiskutieren. Ich bitte ausdrücklich darum, dass ich, bevor wir die mittelfristige Finanzplanung schreiben, die Strukturveränderungen, die daraus resultieren, die politischen Überlegungen in den beiden Ausschüssen vorstelle und wir jetzt nicht im Vorfeld anhand dieser zwei, drei Indikatoren eine Riesendiskussion zu einer Sache losmachen, die ganz zentral für die nächsten Jahre ist.

Sie haben schon etwas Wichtiges angesprochen. Nur, ich bitte Sie einfach, uns die Zeit zu geben, das Schritt für Schritt vorzudenken, vorzustellen, damit wir in der nächsten mittelfristigen Finanzplanung die Veränderungen aufzeigen können, die das nach sich ziehen wird.

Ich sage Ihnen eines: In den Fachausschüssen würde es eine sehr spannende Diskussion geben, wenn ein nächster Haushalt nach diesen Prämissen aufgestellt werden würde. Deswegen: Wir sind dabei doch beieinander. - Vielen Dank für das Zuhören.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht.

Es ist beantragt worden, wenn ich das richtig mitbekommen habe, den Antrag in den Finanzausschuss und zur Mitberatung in den Sozialausschuss zu überweisen. Ist das richtig? - Dann stimmen wir darüber ab. Wer stimmt dem zu? - Das ist dann mehrheitlich so beschlossen worden. Damit ist der Tagesordnungspunkt 15 erledigt.

Wir kommen nun vereinbarungsgemäß zum Tagesordnungspunkt 17:

Beratung

Bedarfsfeststellung von Kindertageseinrichtungen

Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/2491

Ich bitte Frau von Angern, den Antrag einzubringen. Sie hätten auch gleich hier vorn bleiben können.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ein neues Thema, nicht minder wichtig. Der vor Ihnen liegende Antrag - so ist es auch der Begründung zu entnehmen - geht auf ein Schreiben der Stadt Aschersleben vom Dezember 2009 zurück, das auch allen Fraktionen zugegangen ist.

Der Oberbürgermeister der Stadt Aschersleben macht damit aus seiner Sicht auf ein Problem aufmerksam, das in seiner Kommune besteht. Er stellt die Frage, ob die öffentliche Finanzierung einer Kindertagesstätte von ihrem tatsächlichen Bedarf abhängig gemacht werden sollte, und unterbreitet den Vorschlag, das Landesrecht entsprechend zu ändern.

Wir haben den Sachverhalt daraufhin in der Fraktion diskutiert und uns entschlossen, den heute vorliegenden Antrag einzubringen.

Wie Sie sehen, sind auch wir noch nicht zu einer Lösung gekommen, sonst würde heute sicher ein anders formulierter Antrag vor Ihnen liegen. In unserem Antrag wird vielmehr versucht, Fragen zu stellen und eine Diskussion im Ausschuss anzuregen, in deren Ergebnis eventuelle Handlungsoptionen erst zu bestimmen wären.

(Herr Gürth, CDU: Haben Sie schon eine eigene Position?)

Daher wird in dem Antrag ein Prüfauftrag an die Landesregierung formuliert. Das Land stellt im Jahr 2010 167 Millionen € für die Kinderbetreuung zur Verfügung. Nach § 11 Abs. 2 des Kinderförderungsgesetzes steuern die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, die Landkreise und kreisfreien Städte, zusätzlich zu diesem Geld 53 % der Landespauschale zur Gesamtfinanzierung bei. Die restlichen Anteile an der Gesamtfinanzierung sind die Elternbeiträge, der bis zu fünfprozentige Eigenanteil der freien Träger und der Defizitanteil, der von den Gemeinden getragen werden muss.

Ein Blick in den neuen „Länderreport Frühkindliche Bildung“ der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass die Landkreis- und Gemeindeanteile immerhin ca. 50 % der Gesamtfinanzierung der Kinderbetreuung in SachsenAnhalt ausmachen. Nach § 11 Abs. 4 des Kinderförderungsgesetzes sind die leistungsverpflichteten Gemeinden zur Zahlung des Betriebskostendefizits verpflichtet. Sie sollten dazu Verträge mit den freien Trägern abschließen. Die Notwendigkeit und Angemessenheit des Betriebskostendefizits hängt von den Kosten ab, die die Gemeinde selbst als Träger einer Kita aufzuwenden hätten. - So weit das Gesetz.

Wie Sie alle wissen, gestalten sich die konkreten Vertragsverhandlungen zwischen den Gemeinden und den freien Trägern hier im Land auf höchst unterschiedliche Weise.

Das geht vor Ort einerseits einvernehmlich über die Bühne, solange das Geld in dem Bereich reicht. Andererseits ist diese Frage aber auch immer ein immenser Zankapfel. Dennoch ist diese Regelung grundsätzlich gut so. Das ist kommunale Selbstverwaltung. Das spiegelt auch die Vielfalt in der Betreuungslandschaft im Land Sachsen-Anhalt wider.

Genau an diesem Punkt setzt jedoch das Schreiben der Stadt Aschersleben an. Der Hintergrund war, dass die Stadt Aschersleben in einem Verwaltungsgerichtsverfahren im Jahr 2008 unterlegen war und zu einer Nachzahlung zur Deckung des Betriebskostendefizits an einen örtlichen freien Träger aufgefordert wurde. Mit Verweis auf die derzeitige Rechtslage ist die Begründung der Stadt, dass sie genügend freie eigene Platzkapazitäten im Stadtgebiet vorgehalten habe, vom Gericht damals abgelehnt worden.

Meine Damen und Herren! Ich denke, wir sollten im Ausschuss klären, ob hinsichtlich dieser Frage in SachsenAnhalt Regelungsbedarf besteht, soll heißen, ob der festgestellte örtliche Bedarf einer Kindertageseinrichtung die Voraussetzung für die öffentliche Förderung durch das Land und auch durch die Kommunen sein soll.

Daran hängen natürlich noch weitere Fragen, die Sie unserem Antrag entnehmen können. Wissenswert wäre in diesem Zusammenhang beispielsweise auch, wie die

Praxis in anderen Bundesländern funktioniert. Bei einem Blick in die Gesetze der Länder Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen ist festzustellen, dass in den jeweiligen Landesgesetzen eine Bedarfsplanung festgeschrieben worden ist.

Zu prüfen ist darüber hinaus, ob Sachverhalte wie in Aschersleben auch in anderen Kommunen in SachsenAnhalt bestehen. Wer die „Volksstimme“ aus dem Harz bekommt, der konnte sehen, dass es im Vorharz, konkret in Harsleben, zu konkreten Diskussionen aufgrund eines möglichen Neubaus eines Kindertageseinrichtung durch einen freien Träger kommen wird.

Auch wir haben über das Für und Wider unseres Antrags natürlich sehr heftig diskutiert. Um es ganz klar zu sagen: Wir sind uns des Subsidiaritätsprinzips in der Jugendhilfe bewusst und stehen auch dazu. Das ist ein sehr hohes Gut, das auch wir erhalten wollen. Wir sehen nämlich in den freien Trägern sehr wohl einen wichtigen und unersetzlichen Partner, der täglich engagiert und eben auch sehr ideenreich soziale Arbeit leistet und damit auch ein wichtiger Motor in der Kommune ist.

Trotzdem gilt neben den Prinzipien der Freiwilligkeit und der Subsidiarität in der Kinder- und Jugendhilfe der Grundsatz der Bedarfsgerechtigkeit, sprich: Angebote und Leistungen der Jugendhilfe, egal ob in kommunaler oder in freier Trägerschaft, müssen eben bedarfsgerecht ausgestaltet sein. Daher ist es, denke ich, legitim, dass wir diese Frage in den parlamentarischen Raum geholt haben und heute im parlamentarischen Raum erörtern.

Die Frage ist, ob die kommunale Selbstverwaltung durch das Kinderförderungsgesetz eingeschränkt wird. Weil es ein Landesgesetz ist, müssen wir uns hier in diesem Hause damit beschäftigen.

Ich hoffe also, dass wir über diese Problematik im zuständigen Ausschuss gemeinsam diskutieren können. Ich denke, in einem zweiten Schritt können wir über eine Anhörung nachdenken. In einem dritten Schritt können wir über eine Gesetzesänderung nachdenken. Ich denke aber, so weit sind wir noch nicht. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. Möchten Sie eine Frage von Herrn Gürth beantworten?

Aschersleben.

Mich würde erstens interessieren, wie Sie als Fraktion DIE LINKE den Begriff „bedarfsgerecht“ definieren und welche Schlussfolgerungen Sie ziehen.

Zweitens. Kennen Sie - es gibt ja einen konkreten Anlass hierfür - das Urteil, das bereits vorliegt, mit dem die Lebenshilfe als ein Träger die Betriebskostendefiziterstattung quasi vor Gericht eingeklagt hat, gewonnen hat und diese nunmehr auch bekommt?

Wissen Sie, dass in dem Urteil - ich sage es stark verkürzt - steht, dass Bedarf überhaupt keine Rolle spiele; vielmehr bestehe ein bedarfsunabhängiger Anspruch? Selbst wenn man eine Bedarfsplanung als Kommune

hat, hat jeder einen Anspruch auf die Erstattung zur Deckung der Betriebskostendefizite.

Genau, Herr Gürth. Sie haben das Problem genau erkannt.

(Heiterkeit bei der LINKEN - Herr Gallert, DIE LINKE: Im Gegensatz zu Herrn Tullner! - Zurufe)

- Also, es ist nicht ganz so prekär, nein. - Aufgrund des Kinderförderungsgesetzes ist es momentan tatsächlich wie folgt: Wir haben ein Kind in einer Einrichtung, die Einrichtung hat eine Betriebserlaubnis durch das Landesjugendamt erhalten. Das heißt, die Gemeinde hat also gar keine Möglichkeit zu sagen, du bekommst das Geld aus diesen und jenen Gründen nicht. Es muss gezahlt werden.

In einigen Kommunen besteht momentan ein Problem. Die Stadt Aschersleben war der Stein, der alles ins Rollen gebracht hat. Daraufhin haben wir uns auch in anderen Kommunen danach erkundigt, ob es dort ebenfalls so ist, um festzustellen, ob dieses Problem möglicherweise flächendeckend im Land besteht.

Das Problem besteht einfach darin: Wenn sich freie Träger neu gründen und den kommunalen oder auch den anderen freien Trägern die Kinder abwerben - was nicht negativ sein muss -, dann geht das Geld aufgrund unserer Landesgesetzgebung natürlich mit dem Kind. Das bedeutet aber auch, dass die Summe, die die Gemeinde zur Deckung des Defizits an die verschiedenen Träger zahlen muss, größer wird. Ich stelle mir eine große Einrichtung mit 120 Kindern vor, in der dann möglicherweise nur noch 100 Kinder betreut werden; diese hat trotzdem dieselben Betriebskosten. Die Frage ist natürlich: Was tun wir dann? Denn der Euro kann vom Land, von den Landkreisen und von den Gemeinden nur einmal ausgegeben werden.

Sie haben nach der Auffassung meiner Fraktion gefragt. Genau damit haben wir uns auch schwergetan. Wir sehen, wie wichtig freie Träger in unserer Landschaft sind, welche wichtigen Impulse sie gerade auch im Bildungsbereich von der Kita bis hoch zur Schule geben. Diese wichtigen Dinge wollen wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Aber wir sehen eben auch, dass das Geld knapp ist. Deswegen wollen wir darüber diskutieren. Sie können gern in den Sozialausschuss kommen und dort als unmittelbar betroffener Aschersleber mit uns diskutieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau von Angern. - Bevor wir die Fraktionen hören, kommt die Regierung an die Reihe. Bitte schön, Herr Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau von Angern und die LINKE machen auf ein Problem aufmerksam, das erstens nicht neu ist, weil es das in der letzten Wahlperiode beschlossene Kinderbetreuungsgesetz beinhaltet. Zum Zweiten machen sie auf ein Problem aufmerksam, für das sie die Lösung nicht kennen.

Ich sage gleich am Anfang: Ich kenne sie auch nicht. Denn das ist ein Dilemma. Das Dilemma ist gut beschrieben worden. Das kann man beschreiben. Das

können wir auch im Ausschuss noch einmal beschreiben. Trotzdem habe ich keine Lösung.

Wenn man auf der einen Seite das Wahlrecht der Eltern will - es ist festgelegt worden, dass sie zwischen den Einrichtungen je nach konfessioneller und inhaltlicher Ausrichtung wählen können -, dann kann man auf der anderen Seite schwer eine Bedarfsplanung machen. Wenn man eine solche Bedarfsplanung macht, dann ist jede Kommune dazu verführt zu sagen, ich richte soundso viele kommunale Plätze ein; man braucht keine freien Träger, weil der Bedarf bei mir erfüllt wird. Dann sind wir am Ende der Wahlfreiheit angekommen.

Allerdings kann ich die Stadt Aschersleben gut verstehen, die sagt: Wir haben die Plätze, wir haben eine Überkapazität und jetzt müssen wir auch das noch bezahlen, weil der Landkreis sagt, die Betriebserlaubnis können wir nicht versagen. Denn die Betriebserlaubnis muss erteilt werden, wenn die sächlichen und räumlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Und dann sind die Kosten zu tragen.