Protokoll der Sitzung vom 18.03.2010

(Herr Gürth, CDU: Wir können auch direkt dar- über abstimmen!)

- Denken Sie noch einen Moment nach. - Jetzt erhält noch einmal Frau von Angern das Wort. - Frau von Angern möchte nicht noch einmal sprechen. Dann muss das Nachdenken jetzt etwas schneller gehen.

Es ist beantragt worden, dieses Papier zur federführenden Beratung an den Sozialausschuss und zur Mitberatung an den Innenausschuss zu überweisen. - Frau Knöfler, bitte.

Herr Vorsitzender, ich habe die Zeit zum Nachdenken genutzt und möchte dem Plenum empfehlen, über den Antrag auf Berichterstattung abzustimmen, damit die Berichterstattung im Ausschuss erfolgen kann. Das ist ein Antrag auf Berichterstattung, nicht mehr und nicht weniger. Dieser Antrag kann nicht überwiesen werden.

Dieser Antrag liegt schriftlich vor. Bis jetzt wollte niemand ihn ändern, also bleibt das, was hier steht, bestehen. Darin steht, der Landtag solle beschließen, die Landesregierung zu einer Prüfung aufzufordern; anschließend soll sie darüber berichten.

Nun ist die Frage, ob sich der Ausschuss damit beschäftigt, bevor die Landesregierung berichtet, oder ob der Ausschuss sagt, dass die Landesregierung prüfen und anschließend berichten soll. Das ist eine ganz einfache Frage. Das muss jetzt entschieden werden.

Solange der Antrag auf Überweisung an den Sozial- und den Innenausschuss nicht zurückgezogen worden ist, kann ich darüber abstimmen lassen. Wenn er aber zurückgezogen wird, entsteht eine neue Situation. Möchte sich jemand zu dieser Situation äußern? - Wenn nicht, lasse ich jetzt darüber abstimmen.

Also stimmen wir über den Antrag auf Überweisung zur federführenden Beratung an den Sozialausschuss und zur Mitberatung an den Innenausschuss ab.

(Herr Gürth, CDU: Direktabstimmung! - Frau Fi- scher, SPD: Direkt abstimmen lassen!)

- Wird der Überweisungsantrag zurückgezogen?

(Herr Gürth, CDU: Ja!)

- Okay. Dann gibt es keinen Überweisungsantrag mehr. Dann stimmen wir über dieses Papier direkt ab. Wer stimmt diesem Papier zu? - Offensichtlich alle. Dann ist das so entschieden worden.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 17 und rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Erste Beratung

Für eine solidarische gesetzliche Krankenversicherung (GKV) - Kopfpauschale verhindern

Antrag der Fraktion DIE LINKE – Drs. 5/2490

Ich bitte Frau Penndorf, diesen Antrag einzubringen. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke nicht, dass ich mit diesem Antrag ein Schaulaufen inszeniere. Natürlich weiß ich, dass Gesundheitspolitik in großen Bereichen Bundespolitik ist, doch wenn im Koalitionsvertrag der Bundesregierung regionale Differenzierungsmöglichkeiten festgeschrieben sind und in Sachsen-Anhalt bei Einführung einer einkommensunabhängigen Kopfpauschale ein riesiger Sozialtransfer vonnöten sein wird, dann sollte meines Erachtens die Landespolitik das Regierungshandeln der Bundesregierung in ihren Entscheidungen kontrollieren.

Außerdem tangiert Gesundheitspolitik wie kaum ein anderes Politikfeld alle gesellschaftlichen Gruppen und Schichten. Entscheidungen in diesen Bereichen haben immer gesamtgesellschaftliche Auswirkungen. Deshalb sollten sie immer mit besonderer Sorgfalt vorbereitet und getroffen werden.

In was für einer Gesellschaft wollen wir in Zukunft leben? Welche Werte, welche Moralvorstellungen, welche Prinzipien und welche politischen Konzepte sollen für die Zukunft eine Rolle spielen? Möchten wir abgehoben von der Basis Politik machen, die nur zwei Drittel unserer Gesellschaft erreicht? Oder haben wir den Anspruch, eine Politik zu machen, die alle Bürgerinnen und Bürger mitnimmt?

Diese Fragen bewegen die Menschen vor allem auch in Bezug auf die gesundheitliche Versorgung. Wollen wir ein Gesundheitssystem, welches die Gewährleistung einer flächendeckenden wohnortnahen Versorgung mit ambulanten und stationären Einrichtungen und Leistungen vorhält, für alle oder nur für wenige?

Wir sind uns darin einig, dass allen Menschen alle notwendigen medizinischen Leistungen zur Verfügung stehen müssen. Wir sind uns auch darin einig, dass die wachsenden Kosten dieser Leistungen ein Problem darstellen, das es zu lösen gilt. Nicht ganz so einig sind wir darin, welches die beste Lösung ist.

Während DIE LINKE und einige andere gesellschaftliche Kräfte darauf setzen, das solidarische Grundprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung weiterzuentwickeln und möglichst alle Bürgerinnen und Bürger in die Finanzierung der GKV einzubeziehen, will die Bundesregierung den entgegengesetzten Weg gehen. Mit einer einkommensunabhängigen Gesundheitsprämie, also einer Pauschale pro Kopf, sollen vor allem die Arbeitgeber und die gut verdienenden Schichten entlastet werden. Die jetzt schon von einigen Kassen erhobenen Zusatzbeiträge sind ein Einstieg in dieses System.

Meine Damen und Herren! Diese Pauschale bedeutet, dass jeder den gleichen absoluten Beitrag bezahlt. Beträgt die Pauschale also zum Beispiel 150 €, dann zahlt eine Friseurin, die nur 3,50 € in der Stunde und monatlich - je nach Arbeitszeit - 600 € brutto verdient, genauso 150 € wie ein Landtagsabgeordneter oder ein Besserverdienender, der monatlich 3 000 bis 4 000 € verdient. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die konkreten Modalitäten dieses Systems und die Einzelheiten noch nicht ausgehandelt sind. Im Übrigen hat Minister Rösler einen sozialen Ausgleich versprochen.

Meine Damen und Herren! Mit der Einführung dieser Kopfpauschale würde die Solidarität der gesetzlichen Krankenversicherung endgültig beseitigt werden,

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Warum?)

nachdem sie mit jeder der zahlreichen Gesundheitsreformen in den letzten Jahren Stück für Stück reduziert wurde. Die Beibehaltung der relativ niedrigen Beitragsbemessungsgrenze und die Beschränkung auf Löhne und Gehälter als versicherungspflichtige Einkommensarten haben seit Jahren dazu geführt, dass sich die gutverdienenden Teile der Bevölkerung zunehmend aus der solidarischen Versicherung zurückziehen. Bestimmte Medikamente und bestimmte medizinische Leistungen sind nach und nach aus dem Leistungskatalog gestrichen worden und die Versicherten mussten diese zusätzlich bezahlen. Ihr Anteil an den GKV-Kosten beträgt schon jetzt 60 %.

Allein im Jahr 2008, meine Damen und Herren, haben die Versicherten 8,9 Milliarden € als Sonderbeitrag bezahlt, 1,9 Milliarden € als Praxisgebühr, 3 Milliarden € an Zuzahlungen und 5 Milliarden € extra für Medikamente und medizinische Leistungen.

Ab dem 1. Januar 2009 ist nun offiziell die Parität in der GKV nicht mehr gewährleistet. Egal, ob ein Beitrag von 15,5 % oder von 14,9 % erhoben wird, der Arbeitgeberanteil ist bei 7 % eingefroren. 0,9 % trägt der Versicherte, auch Rentnerinnen und Rentner, ganz allein. Das wird auch nicht anders, wenn diese Zusatzbelastung als kleine Kopfpauschale oder als zusätzliche Gesundheitsprämie deklariert wird und 29 € betragen soll, wie in den letzten Tagen angekündigt.

Keine Frage: Das Problem der auskömmlichen Finanzierung der Gesundheitsversorgung ist ein schwieriges. Es sind komplexe Lösungen und auch politische Entscheidungen gefragt, zum Beispiel darüber, ob man das Gesundheitswesen zum Feld entfesselter Marktwirtschaft werden lässt oder ob die Prinzipien sozialer Marktwirtschaft wieder das Geschehen bestimmen sollen.

Das wird aber mit Kopfpauschalen und steuerfinanzierten Zuschüssen nicht gelöst werden. Denn in der Schweiz und in den Niederlanden sind die Kosten gestiegen und erhöhen die Pauschalen; auch die Ausgaben für die Sozialausgleiche sind dort gestiegen. Der Sozialausgleich soll ja die geringverdienenden Menschen vor Überlastung schützen. Er bedeutet aber auch hohe bürokratische Aufwendungen sowohl für den Staat als auch für die Kassen, je nach konkreter Ausgestaltung. Er bedeutet aber auch, dass sich große Teile der Bevölkerung in die demütigende Rolle von Bittstellern für Sozialtransfers begeben müssen.

Meine Damen und Herren! Der Präsident der Volkssolidarität rechnet damit, dass etwa die Hälfte der Beschäftigten in Ostdeutschland und gut zwei Drittel der Rentnerinnen und Rentner - je nach Anlage der Pauschale - von entsprechenden Ausgleichszahlungen abhängig werden könnten. Das, meine Damen und Herren, ist nicht nur belastend für die Betroffenen, sondern es bedeutet auch bürokratischen und finanziellen Mehraufwand für Finanzämter und Kassen.

In den Niederlanden waren im Jahr 2008 etwa 70 % aller Haushalte auf den Sozialtransfer angewiesen. In der Schweiz sind es im Durchschnitt 38 %, regional zwischen 24 und 78 %. Der Anteil in Deutschland wäre sicherlich nicht geringer.

Für Deutschland haben Experten der Uni Kiel ausgerechnet, dass allein der Sozialausgleich jährlich 35 Milliarden € kosten würde. Das gegenwärtige Defizit in der GKV wird von Finanzexperten auf 7,8 Milliarden € geschätzt. Die Kassen sprechen aktuell von 4 Milliarden € und im kommenden Jahr sogar von einem Defizit von 10 Milliarden €. Die Bundesregierung schießt jetzt 4 Milliarden € rein. Doch man wird das Finanzloch nur verkleinern, aber nicht beseitigen.

Sicher ist aber eines: Die Umverteilung der wachsenden Kosten geht zulasten der Menschen mit geringeren Einkommen. Das ist unsolidarisch und wird von uns abgelehnt. Wir sehen uns hierbei auf einer Linie mit dem DGB, der die Kopfpauschale als eine Umverteilungsmaschine zugunsten der Arbeitgeber und der privilegierten Oberschicht sieht.

Unsere Zielstellung einer solidarischen Bürgerinnenversicherung sieht Gemeinsamkeiten auch mit dem VdEK, dem Verband der Ersatzkassen, der in seinem Positionspapier zum Koalitionsvertrag der Bundesregierung fordert, das bestehende System der solidarischen Finanzierung mit seinen sozialen Ausgleichsmechanismen weiterzuentwickeln und auf die Pauschalierung des Arbeitgeberanteils aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit zu verzichten.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, fordert die Fraktion DIE LINKE die Landesregierung auf, sich für eine solidarische, einkommensabhängige Bürgerinnenversicherung einzusetzen, die die Lasten der Finanzierung des Gesundheitssystems auf eine breitere Basis verteilt und damit für alle tragbar gestaltet, das Solidarprinzip erhält sowie die Leistungsfähigkeit sichert.

Wir sind für die Direktabstimmung über diesen Antrag. - Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Penndorf. - Nun erteile ich Herrn Minister Bischoff das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute hat also - deshalb passt der vorgezogene Tagesordnungspunkt gut an diese Stelle - die Regierungskommission der Bundesregierung für die Einführung der Kopfpauschale ihre Arbeit aufgenommen. Nachdem der Koalitionsvertrag das gesamte Vorhaben der Gesundheitsprämie angekündigt hat, gibt es fast wöchentlich, in einzelnen Dosen verteilt, neue Vorschläge. Man weiß bis heute nicht genau, was sich eigentlich konkret hinter diesen Vorstellungen verbergen soll.

Zuletzt - eben von der Abgeordneten erwähnt - ist von einer schrittweisen Umstellung von der gesetzlichen Finanzierung auf eine zusätzliche Gesundheitsprämie von 29 € im Monat die Rede gewesen. Mit dieser Gesundheitsprämie soll der derzeitige Zusatzbeitrag in Höhe von 0,9 %, den die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer allein entrichten müssen, entfallen. Der erforderliche Sozialausgleich soll jetzt deutlich weniger als 5 Milliarden € jährlich kosten.

Interessant ist jeweils die Rechnung. Es war einmal viel mehr. Es scheint, dass zumindest die jetzt skizzierten Pläne weniger beinhalten als die ersten Ankündigungen.

Möglicherweise handelt es sich aber auch um erste Reaktionen auf die überwältigende Ablehnung dieser Pläne, nicht zuletzt aus den Reihen der Regierungskoalition selbst bis in die Wählerschaft der FDP hinein.

Eine abschließende Bewertung dieser Vorschläge ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich, weil man nicht genau weiß, was sich dahinter verbirgt. Es sind zu viele Parameter unklar.

Zum Beispiel ist aus der Pressemitteilung der letzten Woche nicht eindeutig zu entnehmen, ob diese Prämie von den Mitgliedern oder von den Versicherten zu zahlen ist. Es besteht ein großer unterschied darin, ob Versicherte diese Prämie bezahlen oder alle, denn es gibt familienversicherte Ehepartner und Kinder ohne eigenes Einkommen.

Es gibt auch unterschiedliche Aussagen dazu, ob zum Beispiel die Beitragsbemessungsgrenze höher ausfallen soll, weil man das ja zur Finanzierung brauchte, also ob die Besserverdienenden oder Gutverdienenden mit ihrem Beitrag mehr bezahlen oder ob die Anhebung der Steuersätze auf hohe Einkommen in Betracht kommen soll. Zumindest war das in der „Welt online“ zu lesen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass die FDP Letzteres wollte.

Ziele der Einführung der Gesundheitsprämie sind nach Aussage der Bundeskanzlerin, das Gesundheitssystem durch nachhaltige Reformen auf ein solideres Fundament zu stellen, den Wettbewerb stärker zu fördern und die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten mehr in den Mittelpunkt zu rücken. In dieser Legislaturperiode solle es aber - so heißt es - zunächst um einen Einstieg in eine stärkere Entkoppelung der Einnahmen von den Lohnzusatzkosten gehen.

Unabhängig von dem Sinn der Diskussion über die Lohnzusatzkosten als vermeintlich schädlicher Wettbewerbsfaktor erscheint es hinsichtlich der genannten anderen Ziele fraglich, wie diese durch die Einführung einer Gesundheitsprämie erreicht werden könnten.

Wie wird durch eine zusätzliche Gesundheitsprämie mehr Nachhaltigkeit erzielt, wenn ein Großteil der Bevölkerung diese Prämie gar nicht bezahlen kann oder künftig, wenn die Prämien steigen, nicht mehr zahlen kann und deshalb einen Anspruch auf den sozialen Ausgleich hat? Worin liegt die Förderung des Wettbewerbs und wessen Wettbewerb soll überhaupt gefördert werden? Denn der Wettbewerb der Kassen untereinander wird durch eine feste Gesundheitsprämie jedenfalls nicht verändert. Allerdings haben die Kassen dann künftig doch mehr Interesse an Versicherten, die ein ordentliches Einkommen haben oder die gesund sind.