Protokoll der Sitzung vom 18.06.2010

In den Gemeinden, die von der gesetzlichen Regelung betroffen sind, leben mit Stand vom 31. Dezember 2008 insgesamt 113 290 Bürgerinnen und Bürger.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Bürgerinnen und Bürger wie alle in unserem Lande Lebenden sind die eigentlichen Adressaten der Gemeindegebietsreform. Ich möchte mich deshalb an dieser Stelle auch an diese wenden.

Mir ist bewusst, dass manche Bürgerinnen und Bürger der Gemeindegebietsreform skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Manche befürchten sogar, dass die Gebietsreform negative Auswirkungen auf das Wohnumfeld und das gemeindliche Leben haben könnte. In Schreiben und in Gesprächen haben mir viele angedeutet, ihr bisheriges Engagement zum Wohle ihres Heimatortes überdenken zu wollen. Einige sehen in der Gemeindereform sogar das Ende der kommunalen Selbstverwaltung in Sachsen-Anhalt.

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Gemeindegebietsreform die kommunale Selbstverwaltung stärken wird. Sie würde ausgehöhlt, wenn wir in Sachsen-Anhalt untätig geblieben wären.

Es ist leider eine Tatsache, dass die finanziellen Handlungsspielräume sowohl auf Bundesebene, auf Landesebene als auch auf kommunaler Ebene abnehmen. Wird dem nicht durch geeignete Maßnahmen entgegengesteuert, nehmen die Möglichkeiten ab, das Leben vor Ort weiterhin eigenverantwortlich zu gestalten. Größere Strukturen, Einheitsgemeinden wie auch Verbandsgemeinden, bieten jedenfalls keinen Grund, das bürgerschaftliche Engagement zurückzufahren.

Es lohnt sich weiterhin, sich und seine Fähigkeiten zum Wohl der Gemeinde und des Ortsteils einzubringen. Die zuzuordnenden Gemeinden verlieren ihre rechtliche Selbständigkeit. Ihre Seele, ihre Identität verlieren sie dadurch nicht. Die Kirche bleibt im Dorf, unabhängig davon, ob es sich bei dem Dorf um eine Gemeinde oder einen Ortsteil handelt.

An dieser Stelle möchte ich doch noch einmal das Ziel der Gemeindegebietsreform konkret benennen, wie wir es in § 1 Abs. 1 Satz 1 des Grundsätzegesetzes normiert haben - ich darf zitieren -:

„Ziel der Neugliederung der gemeindlichen Ebene im Land Sachsen-Anhalt ist die Schaffung zukunftsfähiger gemeindlicher Strukturen, die in der Lage sind, die eigenen und übertragenen Aufgaben dauerhaft, sachgerecht, effizient und in hoher Qualität zu erfüllen und die wirtschaftliche Nutzung der erforderlichen kommunalen Einrichtungen zu sichern.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Ziel der Schaffung zukunftsfähiger gemeindlicher Strukturen werden wir erreichen. Dann allerdings ist es grundsätzlich an den Kommunen selbst, das zweite Etappenziel und damit das eigentliche Ziel der Gemeindegebietsreform zu erreichen, das heißt, die eigenen und die übertragenen Aufgaben dauerhaft, sachgerecht, effizient und in hoher Qualität zu erfüllen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir ist bewusst, dass dieses Ziel nicht ohne unsere Begleitung erreicht werden kann und dass dieser Prozess eine längere Zeit in Anspruch nehmen wird. Deshalb werden sowohl die Landesregierung als auch der Gesetzgeber, also Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, gefordert sein, die Gemeinden in unserem Lande auf diesem Weg nicht allein zu lassen, sondern ihnen auch weiterhin zur Seite zu stehen und sie auf diesem Weg zu begleiten. Die Umsetzung der Gemeindegebietsreform wird uns somit auch weiterhin fordern.

In diesem Sinne, meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte ich Sie, sowohl dem Zweiten Begleitgesetz als auch den elf Gesetzen über die Neugliederung der Ge

meinden in Sachsen-Anhalt, betreffend die elf Landkreise, zuzustimmen. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Danke sehr, Herr Minister. - Wir treten jetzt in eine Debatte mit zehn Minuten Redezeit je Fraktion ein. Als erster Debattenredner wird der Abgeordnete Herr Kosmehl für die FDP sprechen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Diese Gebietsreform ist Murks.

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Ziel war ausweislich des Leitbildes der Landesregierung erstens die Schaffung dauerhaft leistungsfähiger Gemeinden in Sachsen-Anhalt, zweitens die Schaffung effizienter kommunaler Strukturen und drittens die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, wenn Sie Ihre Beschlussempfehlung heute beschließen, erreichen Sie diese Ziele nicht.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der LIN- KEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit dem ersten Begleitgesetz - fangen wir einmal damit an - im Jahr 2007 ist viel gestritten worden - hier in diesem Hohen Hause, aber nicht viel weniger vor Ort in den Gemeinden Sachsen-Anhalts. Erlauben Sie mir an dieser Stelle, noch einmal die Grundsätze für uns Liberale darzulegen.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Erstens. Die Einheitsgemeinde ist grundsätzlich die effizienteste Verwaltungseinheit.

(Herr Stahlknecht, CDU: Hört, hört!)

Aber - Herr Kollege Stahlknecht, ich komme gleich noch zu Ihnen persönlich -

(Heiterkeit - Oh! bei der CDU - Herr Felke, SPD: Sogar persönlich!)

dies ist nur dann der Fall, wenn sie sich freiwillig gefunden haben, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass die seit dem Jahr 2003 - Herr Kollege Stahlknecht, übrigens gemeinsam mit der CDU eingebracht -

(Zuruf von Herrn Stahlknecht, CDU)

fortentwickelten Verwaltungsgemeinschaften viel besser und effizienter gearbeitet haben

(Frau Fischer, SPD: Da haben Sie aber nicht das Wortprotokoll! Sonst würden Sie das wissen!)

als noch die erste Variante der Verwaltungsgemeinschaften. Wir hätten diese zunächst evaluieren und gegebenenfalls verbessern sollen, hätten diese aber nicht

- schon gar nicht durch das erwiesenermaßen weniger effiziente Verbandsgemeindemodell - ersetzen dürfen.

(Zuruf von Frau Fischer, SPD - Herr Miesterfeldt, SPD: Haben Sie da schon mal die Verwaltungs- angestellten gefragt?)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Hövelmann, ich will Ihnen heute auf Ihre Rede noch eines entgegenhalten: Nicht die Größe einer Gemeinde sagt etwas über ihre Leistungsfähigkeit aus.

(Beifall bei der FDP - Frau Fischer, SPD: Das ist nicht neu!)

Ansonsten, Herr Kollege Hövelmann, würden die Stadt Halle und die Stadt Magdeburg wahrscheinlich anders aussehen

(Zuruf von Frau Fischer, SPD)

- in diesem Punkt werden Sie mir sicherlich zustimmen -,

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Frau Knöf- ler, fraktionslos - Zurufe von Herrn Felke, SPD, und von Herrn Gallert, DIE LINKE - Frau Dr. Hüs- kens, FDP: Ja!)

im Gegensatz zum Beispiel zu Barleben oder der Stadt Zerbst.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Reform führt nicht zum Ziel. Insbesondere haben auch die Änderungen, die es im Verfahren gegeben hat, diese Reform nicht verbessert. Es bleiben viele Punkte offen.

Zunächst einmal bleibt es die Aufgabe des Landtages, wahrscheinlich des Landtages von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode, eine interkommunale Funktionalreform nachzuholen.

(Frau Fischer, SPD: Das ist richtig! - Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schön, dass die SPD mir zustimmt.

(Frau Fischer, SPD: Ja!)

Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag von einer Funktionalreform gesprochen, habe sie aber weder im Verhältnis zwischen der Landesebene und der Landkreisebene noch interkommunal umgesetzt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von Frau Fischer, SPD)

Ich möchte das Stichwort „Demokratieverlust“ hier noch einmal näher erläutern.

(Zuruf von Frau Fischer, SPD)

In einer Vielzahl von Fällen ist dem Bürgerwillen, der in Bürgeranhörungen zum Ausdruck gekommen ist, nicht gefolgt worden. Wir stellen einen Verlust des ehrenamtlichen Engagements vor Ort fest. Dem, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU und der SPD, wollen Sie durch die Einführung des Ortschaftsrechtes und der Erweiterung der Rechte der Ortschaftsräte sowie der Ortsbürgermeister entgegenwirken. „Befriedungsfunktion“ haben Sie das im Zusammenhang mit Ihrem Änderungsantrag einmal genannt.