Protokoll der Sitzung vom 18.06.2010

Nun stellt sich die Frage: Wie weiter? Wie weiter auch mit dieser Funktion und mit dieser Landesstelle? - Ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein Problem bei dem Herangehen an die Besetzung dieser Stelle aufmerksam machen. Das kommt in Folgenden zum Ausdruck: Für die Besetzung dieser Stelle braucht es im Landtag eine Zweidrittelmehrheit.

Es ist übrigens interessant, wer sich bei dieser Debatte am meisten betroffen fühlt.

(Zuruf von Herrn Dr. Schellenberger, CDU)

Wir brauchen eine Zweidrittelmehrheit in diesem Landtag für den Bewerber. Was hat die Landesregierung gemacht? - Die Landesregierung hat Folgendes gemacht: Sie hat ein Bewerbungsverfahren in Gang gesetzt, nach dem nach formalen beamtenrechtlichen Kriterien eine Liste aufgestellt wurde, aus der hervorgeht, wer aus der Sicht der Landesregierung am besten, am zweit- und am drittbesten geeignet wäre. Zumindest ist dies im Wesentlichen der Presse so zu entnehmen gewesen.

Dazu sage ich: Das ist ein Problem im Verfahren, weil ich, da es sich um eine politische Funktion handelt, wie es Herr Miesterfeldt sagte, nicht glaube, dass es objektivierbare beamtenrechtliche Kriterien für die optimale Besetzung eines solchen Amtes gibt.

Ich glaube, - und das ist der eigentliche Hintergrund dieses Gesetzes - man braucht für solch einen Vorschlag eine Zweidrittelmehrheit in diesem Haus, und das ist ein politisches Haus. Da werden sehr wohl auch andere Argumente und Sichtweisen als die eines beamtenrechtlichen Besetzungsverfahrens hineingenommen.

Das Problem, mit dem wir jetzt zu tun haben, ist, dass man ein beamtenrechtliches Bewerberverfahren realisiert hat und dass man mit diesem beamtenrechtlichen Bewerberverfahren ein Ergebnis erzielt hat, das möglicherweise keine Zweidrittelmehrheit in diesem Landtag bekommt. Das war aber in gewisser Weise absehbar, weil man das eine Verfahren mit dem anderen nicht unbedingt koppeln kann. Deswegen besteht an dieser Stelle ein Problem.

Deswegen hätte ich mir gewünscht, dass es, bevor es ein entsprechendes Bewerberverfahren gegeben hat - vielleicht viel besser auch anstatt eines solchen Bewerberverfahrens - und bevor wir in der Presse oder per Brief einen Großteil - nicht den allergrößten Teil, aber einen Großteil - der 100 Bewerber kennengelernt haben, ein entsprechendes Gespräch mit den Landtagsfraktionen gegeben hätte. Denn jetzt - das sage ich mit aller Deutlichkeit - ist das Kind ein Stück weit in den Brunnen gefallen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Herr Kosmehl, Sie können kritisieren, dass Herr Miesterfeldt die Namen genannt hat. Aber, Mensch, wir leben doch nicht auf einer Insel. Die Namen geistern doch seit Wochen durch die Presse. Es wissen doch im Grunde genommen alle, um wen es geht - und noch eine ganze Menge mehr.

(Herr Kosmehl, FDP: Er hat eine öffentliche Be- werbung abgegeben!)

- Ja. Es gibt mehrere Menschen, die in dieser Diskussion sind. Es gibt Leute, die stehen in der Presse, es gibt Leute, die stehen nicht in der Presse. Die Namen, die Herr Miesterfeldt genannt hat, waren allen hier und auch außerhalb dieses Raumes bekannt. Genau das ist ja das Problem, dass wir inzwischen an dem Punkt sind, dass wir über ein Verfahren diskutieren, bei dem die Bewerber, zumindest die relativ aussichtsreichen, bekannt sind.

Deswegen ist es auch eine Illusion zu glauben, man könnte an diesem Punkt noch ohne Verletzungen herauskommen. Dafür ist es einfach zu spät. Dafür hätten Sie, Herr Böhmer, eher handeln müssen. Sie hätten zu einem sehr frühen Zeitpunkt versuchen müssen, eine entsprechende Debatte mit den Fraktionsvorsitzenden zu bekommen, um eine Zweidrittelmehrheit zu erreichen.

Das haben Sie nicht getan. Und manchmal ist Nichtstun auch ein Fehler und erzeugt eine solche Situation, wie wir sie jetzt haben.

Ich möchte abschließend vielleicht nur Folgendes sagen: Auch wir haben die Namen alle zur Kenntnis genommen. Ich habe in der Öffentlichkeit auch immer gesagt, dass wir uns zu keinem dieser Bewerber positionieren werden, solange es nicht einen entsprechenden Vorschlag der Landesregierung gibt.

(Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

Der Koalition, die sich nicht einig wird, stehen Sie vor, Herr Böhmer. Das ist das Problem, das auch bei Ihnen persönlich ankommt. Wir würden uns dann zu einem Bewerber verhalten, wenn er denn öffentlich vorgeschlagen ist, allerdings selbstverständlich auch mit einer entsprechenden Absprache, die man sehr wohl vorher realisieren kann.

Ich muss ganz ehrlich sagen: Zumindest nachdem es einen für mich sehr überzeugenden Personalvorschlag aus der VOS relativ frühzeitig gegeben hat - jemand, der sich in diesem Bereich längst bewährt hat -, habe ich gedacht, dass die Situation unter Kontrolle ist und relativ leicht entscheidungsreif ist. Dann habe ich mich gewundert, dass dies nicht der Fall gewesen ist, sondern dass immer mehr Namen in die Debatte gekommen sind.

Ich kann nur hoffen, Herr Böhmer, dass Sie sehr schnell versuchen, mit den Fraktionsvorsitzenden eine entsprechende Lösung dafür zu finden - je schneller, desto besser. Denn ich glaube, je länger dieser Prozess jetzt noch dauert, umso mehr Namen tauchen auf, umso mehr Verletzungen wird es geben und umso stärker wird möglicherweise auch diese Institution infrage gestellt werden. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gallert, es gibt eine Nachfrage von der Abgeordneten Frau Feußner. Möchten Sie diese beantworten?

Das überrascht mich nicht. Ich werde die Frage beantworten.

Auch Frau Brakebusch hat sich gemeldet. - Sie wollen die beiden Fragen beantworten?

Herr Gallert, Sie haben in Ihrer Rede eben gesagt, Sie hätten in Ihrer Partei die Vergangenheit hinterfragt und auch aufgearbeitet. Das sieht man aus meiner Sicht am Fall Tiedge.

Aber meine Frage: Warum - könnten Sie das bitte begründen? - lässt sich dann die Partei DIE LINKE geschlossen nicht von der Stasi überprüfen

(Zurufe)

- Entschuldigung, ich hatte das zu stark verkürzt -, auf eine eventuelle Stasi-Tätigkeit hin überprüfen, zumal das

gesamte Parlament - ich möchte sagen, alle Fraktionen mit Ausnahme der gesamten LINKEN - persönlich einen entsprechenden Antrag beim Präsidenten gestellt hat?

(Zustimmung bei der CDU)

Frau Feußner, ich möchte als Erstes noch einmal sagen, dass ich hier nicht behauptet habe, dass wir unsere Vergangenheit und unsere Verantwortung vollständig aufgearbeitet haben. Das hätte ich hier nie behauptet; denn das geht nicht. Man kann es nicht weg aufarbeiten; man kann sich damit auseinandersetzen.

Die Situation, die wir allerdings haben, ist, dass wir in einem ganz anderen Maße auch durch alle anderen dazu gezwungen worden sind, das zu tun, und zwar völlig unabhängig davon, ob wir es selber wollten. Diesbezüglich gibt es deutliche Unterschiede zwischen den hier im Landtag vertretenen Parteien.

Jetzt möchte ich zu Ihrer Frage im Einzelnen kommen. Wir haben einen entsprechenden Beschluss, der da lautet, dass jeder, der sich für ein politisches Mandat bewirbt, seine politische Biografie demjenigen gegenüber offenlegt, der ihn wählt. Das ist zuallererst selbstverständlich das Parteigremium, das ihn aufstellt. Das ist allerdings auch der Wähler - das ist auch klar -, dem man dann gegenübertritt.

Wir haben das deshalb getan, weil eine solche Positionierung nicht nach der Wahl, sondern vor der Wahl kommen soll, weil auch eine Tätigkeit als IM für die Staatssicherheit für uns nicht von vornherein ein Ausschlussgrund ist.

(Zurufe)

Das Entscheidende ist: Wie verhält sich derjenige mit seiner Biografie gegenüber den Menschen, die ihn wählen sollen oder eben nicht wählen sollen? Wie offen und ehrlich ist er dabei? Welche Bewertung gibt er dazu ab und wie ziehen die Menschen diese Bewertung auf sich, wie bewerten sie wiederum seinen Umgang damit? - Das ist das entscheidende Kriterium für uns.

Das große Problem bei der Stasi-Überprüfung im Parlament mit einem entsprechenden Ausschuss besteht im Wesentlichen darin, dass dort die politischen Vertreter, also sozusagen die Vertreter der politischen Freunde und der politischen Konkurrenten die Aufgabe haben, eine Stasi-Akte, so sie denn vorhanden ist, politisch auf ihre Wichtung und ihre Bewertung hin zu untersuchen. Das ist das große Problem, dass in diesen Bereich dann eine politische Struktur hineinkommt, die diese Akte bewertet.

Das, was wir verlangen, ist, dass das der Wähler vorher tun kann, und zwar der Wähler in der Partei, aber auch der außerhalb. Das ist unsere Beschlusslage. Deswegen bleiben wir dabei und werden diese auch weiterhin realisieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt noch eine Nachfrage von Frau Feußner.

Herr Gallert, das würde also bedeuten, dass jemand, der sich in Ihrer Partei um ein politisches Mandat bewirbt, of

fenlegt - auch vor dem Wähler offenlegt -, dass er, wenn er IM war, eine IM-Tätigkeit durchgeführt hat, dass er also bei der Staatssicherheit war, hauptamtlich oder auch ehrenamtlich?

(Zuruf von der LINKEN: Und jede andere Funk- tion!)

Ja, das ist so.

Das habe ich noch nicht erlebt. Dann nennen Sie mir bitte einmal eine solche Person. Ich habe das noch nicht ein einziges Mal von irgendeinem Mandatsträger Ihrer Fraktion erlebt.

(Zurufe von der LINKEN)

Na ja, Frau Feußner, dann muss ich sagen: Dann haben Sie ganze Serien von Zeitungsartikeln ignoriert. Zum Beispiel sprachen Sie Gudrun Tiedge an. Sie hat auf einem Parteitag im Beisein sämtlicher Medien gesagt, als sie das erste Mal kandidiert hat, dass sie eine IM-Akte hatte. Sie hat das dargelegt, das ist von den Menschen dort bewertet worden, das stand in der Presse, und zwar überall. Und ich sage mit ausdrücklicher Deutlichkeit - -

(Frau Feußner, CDU: Was ist mit Ihrer Fraktion hier?)

Wie bitte?

(Frau Feußner, CDU: Wie ist das mit Ihrer Frak- tion hier?)

- Das ist genauso. - In Brandenburg war es so, dass zum Beispiel Thomas Nord, Kerstin Kaiser usw. ausdrücklich mit ihrer IM-Vergangenheit an die Öffentlichkeit gegangen sind, diese dort aufgezeigt haben, und die Menschen haben sie im Wissen um diese Tätigkeit und im Wissen um ihre Bewertung gewählt. Das ist der Unterschied.