Protokoll der Sitzung vom 10.09.2010

Der Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien hat in der 45. Sitzung am 27. November 2009 erstmals über den Antrag beraten. Hierzu lag ihm ein Formulierungsvorschlag der Fraktion DIE LINKE vor, der bereits einige Änderungen vorsah, die sich nunmehr in der Beschlussempfehlung wiederfinden. Der Ausschuss verständigte sich darauf, eine Anhörung am 5. März 2010 durchzuführen. Zusätzlich möchte ich erwähnen, dass der Ausschuss parallel dazu im Rahmen der Selbstbefassung über die Frage einer Überarbeitung der Landtagsinformationsverarbeitung beriet.

In der Anhörung wurde von den Anzuhörenden die Frage einer stärkeren Bindung der Landesregierung an Beschlüsse des Landtages in politischer, aber auch in rechtlicher Art und Weise kritisch beleuchtet. Des Weiteren wurde von ihnen darauf verwiesen, wie bedeutsam die umfassende Information des Parlaments bzw. seiner Ausschüsse in europäischen Angelegenheiten sei. Diese allein reiche aus ihrer Sicht jedoch nicht aus; denn aus den umfangreichen Informationen müsse erst für das Parlament verwertbares Wissen generiert werden.

Einer der Anzuhörenden gab demgegenüber zu bedenken, dass es nicht Aufgabe der Landesparlamente sein sollte, eine Kontrolle der europäischen Gesetzgebung im Sinne einer institutionellen Korrekturinstanz durchzuführen. Zudem lagen dem Ausschuss weitere schriftliche Stellungnahmen allgemeiner Art vor.

Eine erneute und abschließende Beratung über den Antrag erfolgte in der 50. Sitzung des Ausschusses am 25. Juni 2010. Hierzu lag erneut ein Formulierungsvorschlag der Fraktion DIE LINKE vor.

Die Beschlussempfehlung wurde schließlich mit 8 : 0 : 3 Stimmen verabschiedet, wobei der erste Abschnitt die ungeteilte Zustimmung fand. Der zweite Abschnitt wurde auf Antrag der Fraktion der SPD mehrheitlich in der in der Beschlussempfehlung enthaltenen Formulierung - „Verfahrensabläufe auf Landesebene“ - beschlossen. Gleiches gilt für die Datumsangabe „31. Oktober 2010“ im dritten Abschnitt der Beschlussempfehlung.

Hinsichtlich der eingangs erwähnten parallelen Beratung zur Überarbeitung der Landtagsinformationsvereinbarung sei hier der Vollständigkeit halber erwähnt, dass der Ausschuss keinen Bedarf für eine Überarbeitung sieht. Dies vorausgeschickt, bitte ich den Landtag im Namen des Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien um Zustimmung zu der Beschlussempfehlung. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank. Wir haben die Bitte vernommen. - Ich erteile jetzt für die Landesregierung Staatsminister Herrn Robra das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Frage, wie der Landtag seiner Integrationsverantwortung gerecht werden kann, ist eine wichtige und berechtigte Fragestellung, die die Landesregierung in vollem Umfang unterstützt. Das habe ich bereits im Rahmen der ersten parlamentarischen Behandlung des Antrags am 9. Oktober 2009 ausgeführt.

Das Integrationsverantwortungskonzept des Bundesverfassungsgerichts bezieht die Länder ausdrücklich mit ein, wie auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Herr Professor Dr. Voßkuhle in einem Gedankenaustausch mit den Europaministern der Länder im Juni unterstrichen hat. Die Landtage sind selbstverständlich Teil dieses Gesamtprozesses im verfassungsrechtlich geregelten Rahmen des Zusammenwirkens von Exekutive und Legislative.

Das Integrationsverantwortungskonzept tritt nicht neben die Verfassung, sondern füllt sie in dem Bereich der EUAngelegenheiten aus. Sachsen-Anhalt gehört im Ländervergleich - das haben auch die Anhörungen im Ausschuss ergeben - zu den Bundesländern, in denen der Landtag bereits seit Längerem weitgehende Informations- und Beteiligungsrechte in europäischen Angelegenheiten besitzt und nutzt. Diese beruhen auf der in Artikel 62 der Landesverfassung normierten Informationspflicht der Landesregierung gegenüber dem Landtag unter anderem in Angelegenheiten der Europäischen Union und werden durch das Landtagsinformationsgesetz vom 30. November 2004 sowie durch die Landtagsinformationsvereinbarung ausgefüllt.

Die frühzeitige und umfassende Information des Landtages über die die Integrationsverantwortung der Landtage betreffenden Sachverhalte ist ein eingespieltes Verfahren, und zwar nicht erst seit dem Vertrag von Lissabon. So wird der Landtag regelmäßig unter anderem über die Schwerpunkte der EU-Ratspräsidentschaft unterrichtet und erhält wöchentlich die Eingangslisten über die dem Bundesrat zugeleiteten Dokumente der europäischen Institutionen, die nicht als Bundesratsdrucksache erscheinen.

Einmal jährlich erhält der Landtag einen vorausschauenden Bericht über die bundes- und europapolitischen Schwerpunkte der Landesregierung, der ihm genauso wie die so genannten informellen Vorbesprechungen in Vorbereitung der Sitzungen des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien als frühzeitige Orientierung dienen kann, um eigene Beratungsschwerpunkte zu setzen und Vorlagen für die weitere vertiefte Beratung auszuwählen.

Die Auswahl dann tatsächlich zu treffen und die Beratungsgegenstände festzulegen, kann und darf hingegen nicht Sache der Landesregierung sein; denn wir wollen uns nicht dem Vorwurf aussetzen, auf Ihre Beratungstätigkeit, meine Damen und Herren, in unlauterer Weise Einfluss zu nehmen, den Landtag womöglich gar zu bevormunden.

(Zustimmung von Herrn Czeke, DIE LINKE - Herr Kosmehl, FDP: Den Vorwurf macht Ihnen doch keiner!)

Auch bei den nach dem Vertrag von Lissabon neu eingeführten Instrumentarien besteht aus unserer Sicht kein aktuelles Problem. Die Einbindung des Landtages in das mit dem Vertrag von Lissabon eingeführte Frühwarnsys

tem zur Subsidiaritätskontrolle ist unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Dezember 2009 erfolgt, und zwar auf der Basis der vorhandenen Regelungen, die dies auch ohne weitere Anpassungen unproblematisch ermöglichten.

Seitdem sind dem Landtag ca. 40 dem Bundesrat im Rahmen des Subsidiaritätsfrühwarnmechanismus - was für ein Wort - zugegangene Vorschläge für europäische Rechtsakte sowie in einem Fall ein vom Bundesrat festgestellter Subsidiaritätsverstoß übermittelt worden. Der Landtag bzw. seine Gremien haben sich bislang mit einem dieser Vorschläge auseinandergesetzt.

Auch hinsichtlich der Verfahren auf der Grundlage der so genannten Brückenklausel und des Notbremsmechanismus, die seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon erst in einem Fall angewandt worden sind, ist die Unterrichtung auf der Grundlage der bestehenden Landtagsinformationsvereinbarung im Wege der laufenden Unterrichtung über Bundesratsangelegenheiten - welche sie ja alle sind - unproblematisch erfolgt. Über diese Bundesratsangelegenheiten wird der Landtag ohnehin kontinuierlich und zeitnah auf dem Laufenden gehalten.

Seit Inkrafttreten der Landtagsinformationsvereinbarung im Jahr 2005 sind dem Landtag immerhin ca. 650 EUVorlagen zugeleitet worden, die in diesem Zeitraum im Bundesrat behandelt worden sind oder noch behandelt werden müssen. Soweit der Landtag oder ein hierzu ermächtigter Ausschuss Stellungnahmen zu derartigen Vorlagen abgegeben haben - dies war in vier oder fünf Fällen der Fall -, hat die Landesregierung diese, soweit möglich, bei ihrer Willensbildung bezüglich der Stimmabgabe im Bundesrat berücksichtigt.

Denn auch hierzu treffen Landtagsinformationsgesetz und Landtagsinformationsvereinbarung die nötigen Regelungen. Beide sehen bereits für Fälle, in denen Gesetzgebungskompetenzen des Landes oder substanzielle finanzielle Interessen der Länder berührt sind, sogar die maßgebliche Berücksichtigung von Stellungnahmen des Landtags vor. Dies betrifft unter anderem Bereiche wie Bildung, Kultur oder Rundfunk, die im Übrigen das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon als Kernbereiche der nationalen Identität, die besonders geschützt sind, bezeichnet hat.

Die entsprechende Formulierung in der Informationsvereinbarung weist zudem auch auf ein Problem hin, das ebenfalls in der zur Abstimmung stehenden Beschlussempfehlung thematisiert wird, nämlich die Frage von Fristen und Verfahrensabläufen, die sich im Zusammenhang mit der Abgabe von Stellungnahmen in der Praxis stellt.

Im Frühwarnsystem ist die Frist von acht Wochen nach Vorliegen aller Sprachfassungen primärrechtlich, also europarechtlich, geregelt und gilt für alle Akteure und alle Ebenen in Europa gleichermaßen. Wir halten sie - in Übereinstimmung mit Ihnen - ebenfalls für zu kurz, insbesondere auch im Hinblick auf das Erreichen des europaweiten Forums für die Subsidiaritätseinrede. Daher haben wir seinerzeit, als das debattiert wurde, auch die Verlängerung von den ursprünglich vorgesehenen sechs Wochen auf acht Wochen begrüßt.

Daran wird sich allerdings in absehbarer Zeit - jedenfalls aus unserer Sicht - wenig ändern lassen. Deswegen sind wir bis auf Weiteres gehalten, unser eigenes Vorgehen so zu optimieren und zu qualifizieren, dass wir die notwendigen Verfahren hier bei uns, in der Binnenkom

munikation zwischen Landesregierung und Landtag, innerhalb dieser Frist abschließen können.

In dieser praktischen Dimension besteht die eigentliche Herausforderung, die sich jedoch nicht durch weitere Vorschriften meistern lässt, sondern durch zielgerichtetes Handeln, durch die Nutzung vorhandener Instrumentarien und gegebenenfalls praktische Verbesserungen.

Sie mahnen unter Punkt 2 der Beschlussempfehlung eine frühzeitigere Information an. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass Sie bereits jetzt alle EU-Drucksachen zum frühestmöglichen Zeitpunkt erhalten. Beispielsweise ist eine weitere Beschleunigung des Verfahrens bei der Zuleitung der Frühwarndokumente und der zugehörigen Zusatzinformationen kaum möglich, da Ihnen alle entsprechenden Dokumente bereits jetzt am gleichen Tag oder spätestens am Folgetag des Eingangs bei der Landesregierung zugehen.

Darüber hinaus sieht die Informationsvereinbarung bereits jetzt die Möglichkeit für den Landtag vor, auf Verlangen Zusatzinformationen in Form von in den Eingangslisten aufgeführten Einzeldokumenten zu erhalten, sofern diese - was allenfalls gelegentlich vorkommt - nicht einer vertraulichen Behandlung unterfallen. Derartige Informationen ermöglichen in vielen Fällen eine frühzeitige und vertiefende Auseinandersetzung mit EUVorlagen und eine genauere Bewertung. Seit dem Jahr 2005 hat der Landtag in neun Fällen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung ist selbstverständlich jederzeit für zusätzliche Anregungen offen, die der weiteren Verbesserung unseres Zusammenwirkens im Sinne der Wahrnehmung unserer gemeinsamen Integrationsverantwortung dienen. Entscheidend bleibt jedoch, dass wir alle uns zu Gebote stehenden Möglichkeiten bei der Mitwirkung in europäischen Angelegenheiten auch tatsächlich ausschöpfen.

Den vom Landtag erwähnten Bericht werden wir fristgemäß vorlegen. Es wird mir eine besondere Freude sein, mich in dem Bericht auch mit der Meinungsäußerung des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Papier in der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente vom 20. August 2009 auseinanderzusetzen, der dort die kühne These vertreten hat, das Bundesverfassungsgericht irre bei seiner bisherigen Rechtsprechung zum Einfluss von Landesparlamenten auf das Abstimmungsverhalten von Landesregierungen im Bundesrat. Wir werden sehen, wie sich auch in dieser spannenden Frage die Dinge weiterentwickeln. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Robra. Wir sind auf den Bericht gespannt. - Wir treten jetzt in die Debatte ein. Als erstem Debattenredner erteile ich dem Abgeordneten Herrn Kosmehl von der Fraktion der FDP das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich resigniere.

(Oh! bei der CDU - Herr Borgwardt, CDU: Das haben wir ja noch nie erlebt!)

Herr Staatsminister, ich weiß nicht, woran es liegt, dass Sie nach so vielen Jahren und so vielen Debatten zu diesem Thema den Landtag offensichtlich noch immer missverstehen wollen.

(Herr Tullner, CDU: Das macht er nicht!)

Es geht doch nicht darum, ob die Landesregierung ihrer Pflicht nach der Landesverfassung nachkommt, uns Dokumente zu übergeben. Es geht auch nicht darum, dass Sie sich einem Vorwurf der Vorauswahl oder der Bevormundung aussetzen müssen. Es geht vielmehr um die Frage: Wie kann der Landtag als Gesetzgeber mit der Landesregierung gemeinsam europäisches Recht beeinflussen, diskutieren und dann auch umsetzen? - Dazu muss nicht nur die Landesregierung in der Lage sein, sondern auch der Landtag. Dazu brauchen wir Mechanismen.

Wir sind - das will ich durchaus positiv erwähnen - ja schon einen kleinen Schritt vorangekommen, indem jetzt eine - ich nenne es einmal so - Qualifizierung stattfindet, sodass zumindest deutlich wird, um welchen Vorgang es sich handelt. Auch das war bei den ersten Informationen der Landesregierung nicht der Fall. Aber das kann man ja gemeinsam bereden.

Wenn man dann noch sagt, zuständig bzw. federführend ist das Ministerium des Innern - jetzt tun Sie das -, dann wissen die Innenpolitiker: Achtung, das ist ein Fachthema, mit dem man sich beschäftigen kann. Sonst sieht doch kein Innenpolitiker 600 Dokumente auf der Suche danach durch, ob es irgendetwas aus dem Bereich Inneres von Europa geben kann. Das erleichtert uns die Arbeit. Es verkürzt die Fristen, die wir zur Verfügung haben, und es führt dazu, dass wir uns inhaltlich mit europäischen Initiativen auseinandersetzen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Staatsminister Robra, ich kann es mir an dieser Stelle nicht verkneifen: Sie haben die Verfassung natürlich auf Ihrer Seite. Bei Ihrem Selbstverständnis als Mitglied der Landesregierung ist das auch nicht anders zu erwarten, dass Sie die Mitbestimmung der Landtage im Bundesratsverfahren möglichst heraushalten wollen, weil der Bundesrat als Länderkammer nicht ein Abbild der Gesetzgeber ist - das wären nämlich die Landtage -, sondern eine Länderkammer mit Vertretern der Exekutive. Und die Exekutive will nun einmal nicht, dass sich die Landesparlamentarier damit beschäftigen oder sich dort einbringen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Das kann ich nachvollziehen. Wie gesagt, von Ihnen als Jurist hätte ich es auch nicht anders erwartet; die Verfassung sieht das so vor.

Das bedeutet doch aber für die Landtage nicht, dass wir uns jetzt zurücklehnen und sagen können: Wir warten jetzt, was wir am Ende bekommen, und wir schauen einmal, ob der Bundesrat alles richtig macht. Dann stellen wir fest: Ui, da gibt es aber einen Vorschlag und der muss schon umgesetzt werden. Und dann diskutieren wir plötzlich darüber, ob die Umsetzung, die uns das europäische Recht vorgibt, auch für Sachsen-Anhalt passen würde.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Auftrag, die Integrationsverantwortung der Landtage zu stärken, muss der Landtag der nächsten Wahlperiode weiterverfolgen. Wir haben - zumindest aus der Sicht der FDP -

durchaus noch Möglichkeiten, wie wir den Landtag in seiner Europakompetenz stärken können.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich nur als Möglichkeit in den Raum werfen, was es da noch gäbe: Es gäbe zum Beispiel die Möglichkeit, dass der Landtag von Sachsen-Anhalt ein Verbindungsbüro in Brüssel unterhält.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Der Bundestag macht das, weil der Bundestag nämlich nicht darauf wartet, dass die Bundesregierung etwas übermittelt - was sie auch tut -, sondern der Bundestag will in Brüssel frühzeitig das Ohr an der Masse haben.

(Zuruf von der LINKEN)

Natürlich wird nun die Frage kommen: Muss es denn ein eigenes Büro sein? Wir haben eine super Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt bei der Europäischen Union.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)