Protokoll der Sitzung vom 08.10.2010

Für Menschen, die nicht arbeitsfähig sind, haben wir andere Systeme. Diese Menschen müssen durch uns versorgt und von unserer Solidargemeinschaft getragen werden. Es sind Menschen, die nicht für ihr eigenes Fortkommen sorgen können.

Allerdings, so wurde uns vom Bundesverfassungsgericht gesagt, wurden diese Reformen damals mit heißer Nadel gestrickt. Deshalb müssen sie überdacht und erneuert werden; die Neuberechnungen müssen transparent sein. Das finden wir richtig. Deshalb haben wir jetzt einen Gesetzentwurf auf dem Tisch liegen, den man aus unserer Sicht gutheißen kann.

Arbeitsministerin von der Leyen hat nun den Vorschlag gemacht, die Regelsätze nicht wie die Renten steigen zu lassen, sondern sie stattdessen an die Nettolöhne und an die Inflationsrate zu koppeln. Auch wurde gestern Abend, soweit ich weiß, die Möglichkeit eröffnet, die Hinzuverdienstgrenzen zu erhöhen. Das ist derzeit in der Planung. Ich denke, das ist ein richtiger Schritt, um wieder in Arbeit zu kommen.

(Zustimmung bei der CDU - Zurufe von der LIN- KEN)

Dieser Vorstoß ist richtig und fair, passt er doch die Hartz-IV-Sätze der Preisentwicklung an und eröffnet die Möglichkeit, durch Hinzuverdienste eigene Leistungen für seinen Lebensunterhalt zu erbringen.

Die Bundesregierung hat mit der vorgelegten Neuregelung den Gesetzentwurf erarbeitet, der die Willkür bei der Berechnung beseitigt und vor allem den Kindern mehr Möglichkeiten bei der Bildung eröffnet.

Jetzt komme ich zu dem Bildungspaket, das Sie angemahnt haben. Die Kinder aus Hartz-IV-Familien müssen bessere Teilhabemöglichkeiten bekommen. Diesbezüglich gebe ich Ihnen Recht.

Frau von der Leyen hat den Vorschlag gemacht, diese Leistungen in Form von Bildungsgutscheinen oder in Form einer Bildungschipkarte auszureichen. Die Gutscheine sind dafür vorgesehen, Sportkurse zu besuchen, am Musikunterricht in den Musikschulen teilzunehmen oder sie auch für die Nachhilfe zu nutzen. Zur Nachhilfe muss ich hinzufügen: Dieses Geld gibt es ja noch oben drauf. Das ist in diesen - -

(Frau Bull, DIE LINKE: Da gehört es aber nicht hin!)

- Wieso nicht, Frau Bull?

(Frau von Angern, DIE LINKE: Weil es in die Schule gehört! - Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

- Ja doch, das eine schließt doch das andere nicht aus.

(Zurufe von Frau Bull, DIE LINKE, und von Frau von Angern, DIE LINKE)

- Nein, das tut es nicht, Frau Bull.

Ich muss vor allen Dingen eines sagen: Um die Kinder, die Nachhilfebedarf haben, müssen wir uns besonders

kümmern. Hierfür ist die Schule mitverantwortlich. Wenn Sie sagen, die Kinder hätten nicht genügend Geld, um zum Beispiel am Nachhilfeunterricht teilzunehmen, frage ich Sie: Was kritisieren Sie eigentlich?

(Frau von Angern, DIE LINKE: Haben Sie nicht zugehört?)

- Jetzt packen wir etwas drauf. Es ist nicht nur für die Sportvereine etc.

(Frau Bull, DIE LINKE: Nachhilfeindustrie, verehr- te Kollegin! Da gehört es nicht hin! - Zurufe von der CDU und der FDP)

- Frau Bull, wissen Sie, wie viel Menschen dadurch Arbeit haben?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Wider- spruch bei der LINKEN)

Das ist so. Warum sollen denn Kinder aus Familien von Besserverdienenden für die Weiterbildung und für die Nachhilfe, die die Eltern vielleicht nicht leisten können bzw. die in der Schule nicht geleistet wird, nicht zahlen und damit Menschen den Arbeitsplatz sichern? Ich verstehe Ihre Aufregung diesbezüglich nicht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich bin der Meinung, der Staat sollte sich davor hüten, Geldgeschenke zu verteilen, die jeglichen Anreiz zunichte machen, sich durch Arbeit selbst zu versorgen. Niemand muss in Deutschland hungern oder frieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wer aber zu einer Gesellschaft nichts beiträgt, indem er etwa Steuern zahlt, darf von der Gesellschaft im Gegenzug nicht erwarten, über das Existenzminimum hinaus versorgt zu werden.

Hartz IV ist kein Dauerzustand. Darin stimme ich mit Ihnen überein. Aber wir müssen alles tun, um diesen Dauerzustand zu beenden, indem wir Arbeitsplätze schaffen. Nur so können wir dazu kommen, dass nicht mehr so viele Menschen in Hartz IV leben müssen.

Indem wir die Kinder gut ausbilden, indem wir den Kindern alle Möglichkeiten zur Bildung einräumen, verhindern wir, dass diese Kinder vielleicht die Sozialkarriere ihrer Eltern machen und in Hartz IV bleiben müssen. Nur wenn wir ihnen die Möglichkeit geben, ihre Bildungsschwächen zu beseitigen, indem ihnen Nachhilfe angeboten wird, verhindern wir, dass sie keinen Schulabschluss haben, ihre Lehre nicht abschließen können und demzufolge weiterhin im Transfersystem verbleiben müssen.

(Zustimmung bei der CDU)

Frau Take, beenden Sie bitte Ihren Redebeitrag. Sie sind jetzt weit über der Redezeit.

Ja. - Lassen Sie mich zum Schluss meiner Rede noch den Kolleginnen und Kollegen der SPD danken, die mit uns den Alternativantrag tragen werden. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Frau Bull, Sie können noch einmal erwidern.

Ich möchte auf vier Argumente eingehen. Frau Dr. Hüskens, unsere Begründung für den Ganztagsanspruch ist nicht, dass wir den Eltern misstrauen. Das wissen Sie auch sehr genau. Hierbei geht es nicht um Betreuung, sondern hierbei geht es um den Zugang zu Bildungsangeboten unabhängig von der sozialen Lage der Eltern.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Kos- mehl, FDP)

Es hat doch einen guten Grund, weshalb die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern eine professionelle ist und das eben nicht die Mutti machen kann.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Die kann manche Sachen besser, aber bestimmte Sachen kann sie eben nicht besser. Genau um diese geht es uns, nämlich hochprofessionalisierte Bildungsangebote.

Dann will ich noch etwas zu den so genannten Deppen der Nation sagen.

(Zuruf von der FDP)

Ja, das kann ich ein Stück weit nachvollziehen. Aber sie sind deshalb Deppen der Nation, weil sie immer schlechter bezahlt werden.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Dr. Schrader, FDP: Das kann doch wohl nicht wahr sein!)

Und sie werden deshalb immer schlechter bezahlt, weil es Menschen gibt, die sozusagen im SGB-II-Bezug zu allen möglichen Arbeitsbedingungen gezwungen werden.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Wolpert, FDP: Das ist doch Quatsch! Das wird aus Steuern bezahlt!)

Deshalb hat auch der Niedriglöhner ein existenzielles Interesse daran, vernünftige Hartz-IV-Regelsätze zu haben.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Wolpert, FDP: Das ist doch Quatsch! - Herr Kley, FDP: Das ist doch völliger Unsinn!)

Mit einer Legende hätte ich gern noch aufgeräumt. Ein pauschaler Betrag, Frau Take, ist keineswegs verfassungswidrig. Das kann man machen. Das Kindergeld haben Sie auch willkürlich gesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich gesagt: Wenn sie rechnen, dann sollen sie richtig rechnen!

(Beifall bei der LINKEN)

Als Letztes hätte ich gern noch eines klargestellt: Es ist gestern im Abgeordnetenhaus ein gemeinsamer Antrag von SPD und den LINKEN verabschiedet worden. Dieser Antrag hatte drei Punkte zum Inhalt, nämlich erstens dass die Bundesregierung aufgefordert wird, transparenter und fair gerechnete Regelsätze vorzulegen, zweitens dass der Gesetzentwurf vom Bundesrat abgelehnt wird - das ist Gegenstand des Ihnen hier und heute vorliegenden Antrages - und drittens wird die Bundesregierung aufgefordert, endlich einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn vorzulegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer es nachlesen möchte: Es ist die Drs. 16/3551.