Protokoll der Sitzung vom 08.10.2010

(Herr Wolpert, FDP: Das habe ich nicht gesagt!)

- Auch Sachsen ist nur gutes Mittelfeld, Herr Wolpert,

(Herr Wolpert, FDP: Nein! - Frau Feußner, CDU: Nein, das stimmt nicht! Sachsen liegt oberhalb! Das ist wahr!)

und die Orientierung daran ist alles andere als zielführend. Wir haben in der Bundesrepublik mit der Tatsache zu tun - das ist in Sachsen-Anhalt genauso -, dass mittlerweile jedes vierte Kind auf der Kompetenzstufe 1 oder darunter liegt. Das ist ein schulpolitischer Befund, den wir nicht hinnehmen dürfen. Vielmehr müssen wir daraus unsere Konsequenzen ziehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Wol- pert, FDP)

12,1 % der Schülerinnen und Schüler des Jahrganges 2008 haben die Schule sogar ohne Hauptschulabschluss verlassen. Zwei Drittel dieser 12,1 % sind Jungen. Das ist eine Geschlechterdifferenz im Bildungssystem in Sachsen-Anhalt, die dramatisch ist, vor allen Dingen wenn man sich anschaut, wie der Bildungserfolg im Bereich der Hochschulreife ist. Dort dreht sich das Verhältnis nämlich um, wir haben überwiegend Mädchen.

Wir hatten im Schuljahr 2008/2009 trotz der begabungsgerechten Zuweisung, von der Sie immer sprechen, an den Gymnasien in Sachsen-Anhalt eine Wiederholerquote zu verzeichnen, die 50 % über dem Bundesdurchschnitt liegt, meine Damen und Herren.

(Frau Feußner, CDU: Da wollt Ihr noch alle zum Abitur führen, damit alle Abitur machen!)

7,8 % aller Schülerinnen und Schüler besuchen Förderschulen. Das ist ein einmaliger Spitzenwert in der Bundesrepublik Deutschland.

Und wenn Sie einen Blick in den Ländervergleich zur sprachlichen Kompetenz werfen, dann lesen Sie dort, dass in Deutschland die Chance eines Kindes mit mindestens einem Elternteil aus der oberen Dienstklasse,

das Gymnasium zu besuchen, bei gleicher Lesekompetenz um einen Faktor von 4,5 größer ist als die eines Kindes von leitenden Arbeiterinnen und Arbeitern oder solchen mit Fachausbildung.

Meine Damen und Herren! Mit diesem Befund werden wir uns nicht abfinden.

(Beifall bei der LINKEN)

Gestatten Sie mir eine Randbemerkung: In Berlin, wo seit dem Jahr 2002 sehr verantwortungsvoll Reformpolitik im Schulbereich gemacht wird,

(Oh! bei der FDP)

liegt dieser Faktor bei 1,7, meine Damen und Herren.

Viel ist in den letzten 20 Jahren erreicht worden. Aber wer so tut, als müsse es keine spürbaren Veränderungen geben, der verschließt die Augen vor der Realität oder aber er nimmt diese Defizite bewusst in Kauf. Beides ist nicht akzeptabel.

Die Gesellschaft verändert sich. Die Arbeitswelten verändern sich und auch das soziale Gefüge in unserem Land ändert sich. Bildungssysteme funktionieren nicht als abgeschlossene Kapseln, sondern Bildungssysteme müssen darauf reagieren. Heute gilt es darum mehr denn je, für individuelle Förderung statt struktureller Trennung einzutreten, für mehr polytechnische Bildungsinhalte

(Beifall bei der LINKEN - Herr Kosmehl, FDP: Ah!)

und für mehr soziale Chancengleichheit. Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen, vielleicht ja in den nächsten 20 Jahren. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank für Ihren Beitrag, Herr Abgeordneter Höhn. - Wir kommen zum Debattenbeitrag der CDU-Fraktion. Die Abgeordnete Frau Feußner erhält jetzt das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kollegen Abgeordnete! Am 14. Oktober 1990 konstituierte sich der Landtag von SachsenAnhalt. Gemäß der verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilung und in der Tradition deutscher Kultur- und Bildungsgeschichte hatte der Landtag damals viele Aufgaben zu lösen. Eine Schlüsselaufgabe war der Aufbau eines Schulsystems, das landesspezifischen Gegebenheiten und Interessen Rechnung trug und gleichzeitig in den Kontext bundesrepublikanischer, also gesamtstaatlicher Rahmenbedingungen eingefügt war.

Die Publizistin Regina Mönch von der „FAZ“ schrieb erst oder noch - wie man will - im November 2009, es habe sich um die - ich zitiere - „größte Schulreform aller Zeiten“ gehandelt. Ein Jahr nur hatten die neuen Länder Zeit, um die Einheitsschule der DDR zu entsorgen und an ihre Stelle etwas anderes zu setzen. Das sei - ich zitiere wieder -, „eine logistische Großleistung sondergleichen“ gewesen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Vorschaltgesetz wurde am 24. Mai 1991 das Schulreformgesetz beschlossen, welches am 1. August 1991 in Kraft trat. Bereits in der Regierungserklärung des da

maligen Ministerpräsidenten Dr. Gerd Gies wurde deutlich, dass die damalige Landesregierung sich für ein - ich zitiere wiederum - „modernes, gegliedertes, differenziertes und leistungsorientiertes Bildungssystem“ einsetzt.

In dieser Debatte entgegnete die Abgeordnete Frau Dr. Hein von der damaligen PDS-Fraktion auf die Anfrage eines FDP-Abgeordneten: „Ich bin dafür,“ - nun hören Sie bitte genau hin - „dass es ein differenziertes und leistungsorientiertes Schulsystem gibt, aber kein dreigliedriges“.

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Dass die Landesregierung in Sachsen-Anhalt ihre Schulpolitik auf eine Zwei-Säulen-Struktur ausrichtete, nicht das dreigliedrige System kopierte und damals alles andere als das konservativste System - dies behauptete Frau Sitte in der gleichen Debatte - zu etablieren gedachte, übersah die Abgeordnete wahrscheinlich geflissentlich.

Für die SPD sprach damals Herr Dr. Höppner. Er kritisierte das vorgestellte Konzept stark. Er sagte, die SPD werde sich gegen ein Überstülpen einer Bildungskonzeption von oben mit den meisten Lehrern zur Wehr setzen.

Auch er hatte offenbar nicht zu erkennen vermocht, dass mit dem konzipierten Zwei-Säulen-Modell im Übrigen nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern auch in Sachsen und Thüringen Wege beschritten wurden, mit denen die Schullandschaft in Sachsen-Anhalt ein eigenes Gepräge erhielt, das auch später auf die alten Bundesländer ausstrahlte.

In diesem Zusammenhang möchte ich ein weiteres Zitat aus der FAZ von gestern vorbringen, weil ich die Länder Sachsen und Thüringen gerade nannte, die in der Debatte hier schon eine wesentliche Rolle gespielt haben. Gestern stand in einem Artikel in der „FAZ“ - darin ging es um Weimar -: Herr Matschie ruiniert als Bildungsminister gerade aus ideologischen Koalitionsgründen das bislang enorm erfolgreiche thüringische Schulsystem und braucht seinerseits nur Erfolge.

(Zustimmung von Herrn Weigelt, CDU)

Für die CDU sprach damals Herr Auer. Er ging im Besonderen auf das Bildungssystem der DDR ein. Auch hieraus möchte ich zitieren:

„Zu höheren Bildungsabschlüssen kamen oft nicht die Leistungsstarken, sondern die Anpassungsfähigen.“

Dazu gab es Beifall - hören Sie zu! - bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung bei der SPD.

Herr Auer machte ebenfalls darauf aufmerksam, dass die CDU mit Blick auf die übrigen EU-Staaten weiterhin am Abitur nach zwölf Jahren festhalten möchte. Er machte ebenfalls deutlich, dass er sich für ein differenziertes Schulsystem, das die individuelle Entwicklung jedes Kindes ermöglicht und fördert, einsetzt.

In diese kontroverse Debatte mischte sich später Frau Hajek ein, welche eine Gegenposition zu dem Abgeordneten Herrn Tschiche einnahm, der sich für die Einheitsschule aussprach. Frau Hajek sagt damals - ich zitiere -: „Ich bin nicht für die bisherige Einheitsschule.“

Meine Damen und Herren! Dies zur Entstehungsgeschichte des ersten Schulgesetzes in Sachsen-Anhalt. Bis heute - das können Sie beim intensiven Lesen alter

Protokolle feststellen - sind die unterschiedlichen Meinungen mit einer gewissen Konstanz immer wieder angesprochen worden.

Aufgrund der häufigen Regierungswechsel im Verlauf der letzten 20 Jahre hat sich - das kann sicherlich niemand hier im Hause leugnen - das damals eingeführte Schulsystem häufig verändert, ohne dass durch diese Änderungen sichtbare Verbesserungen eingetreten wären.

(Zustimmung von Herrn Kley, FDP)

Stünde ich heute in Sachsen oder Thüringen vor den Abgeordneten, könnte man ganz anders argumentieren. Hier hat sich das Zwei-Säulen-Modell bewährt.

(Zustimmung von Frau Rotzsch, CDU, von Herrn Weigelt, CDU, und von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Durch eine kontinuierliche und inhaltliche Weiterentwicklung sind diese Länder nicht nur deutschlandweit, sondern auch europaweit ganz weit vorn. Daran kann nun niemand zweifeln;

(Zustimmung von Frau Rotzsch, CDU, und von Herrn Weigelt, CDU)

denn dies ist nicht nur durch die Ergebnisse der PisaStudien, sondern auch durch andere Studien klar belegbar.

Lassen Sie mich nun in Kurzform auf einiges eingehen, was unsere Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler sowie unsere Eltern in den letzten 20 Jahren alles mitmachen mussten.

Zur Grundschule. Die Grundschule hat sich seit 1990 strukturell nicht wesentlich verändert, ist aber die Schulform, die eine Vielzahl von inhaltlichen Veränderungen umsetzen musste. Die Schule mit festen Öffnungszeiten, damals von der rot-roten Landesregierung eingeführt, ist dann nach viel Kritik in eine Grundschule mit verlässlichen Öffnungszeiten umgewandelt worden.

Weiterhin haben wir die ständige Diskussion über die Länge der Primarzeit. Auch von Herrn Bullerjahn war vor Kurzem in der Zeitung zu lesen, man könne sich ja auf eine sechsjährige Grundschulzeit verständigen.

Hierzu möchte ich nur eines sagen: Ich möchte an Hamburg erinnern; denn ich glaube, das ist uns Zeichen genug, um zu sehen, was bei einer solchen Veränderung herauskommen kann.