Protokoll der Sitzung vom 11.11.2010

Jetzt haben wir die endgültigen Strukturen, die auch in der Verfassung vorgegeben sind, erreicht. Daran wird sich kaum etwas ändern, auch nicht an der Zahl der Optionen, die wir im Land Sachsen-Anhalt haben. Da bestimmte Sachen sich nicht dauerhaft probeseitig etablieren ließen - auch zur überregionalen Vermittlung -, muss für die optierenden Landkreise eine ähnliche Plattform geschaffen werden. Wir sind dabei, dies zu tun. Dafür muss es wiederum eine ganz klare, systematische und finanziell dem Bund gegenüber abrechenbare Lösung geben, die vergleichbar ist mit dem, was im beitragsfinanzierten System erfolgt bzw. was in den Systemen erfolgt, in denen die Beitragsstränge mit drinsitzen, das heißt, wo die Bundesagentur zu 50 % an den Arbeitsgemeinschaften beteiligt ist.

Was die Geschichte anbelangt: Das ist in den einzelnen Arbeitsamtsbezirken unterschiedlich gewesen. Im Durchschnitt waren es 60 %, die im Arbeitslosenhilfebestand waren.

Ich war damals derjenige, der im Vermittlungsausschuss gewarnt hat. Ich habe gesagt: Das ist bezüglich der Sozialhilfe, die dann einheitlich als SGB-II-Leistung eingeführt wird, eigentlich eine Absenkung bzw. eine Leistungsminderung. Hätte man die eigentliche Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt im originären Sinne verglichen, dann stimmte auch meine damalige Aussage. Ich habe davor gewarnt, dass bei uns zahlenmäßig eine Mehrheit finanziell hiervon negativ betroffen ist. Damit verbunden war immer die Hoffnung auf eine Vermittlung und darauf, dass sich der Status verbessern lässt. Demgegenüber steckten in den alten Ländern bis zu 80 % in der Sozialhilfe, und deren Status verbesserte sich im Allgemeinen, und zwar auch durch den Zugang zu neuen Instrumenten.

Im Nachhinein muss ich mich dahin gehend korrigieren, dass wir das System der Kosten der Unterkunft als neues Element im SGB II in seiner Entwicklung und seiner Wirkung so nicht erwartet haben. Es hat sich nämlich positiv entwickelt. Im Vergleich zum alten Wohngeldrecht, bei dem nur anteilig auf bestimmte Quadratmeter ein Kaltmietezuschuss gewährt wurde und dann noch gesondert ein Heizkostenzuschuss beantragt werden konnte, aber nur für einen Teil der Kohle, des Öls oder des Gases, ist das, was heute bezogen auf einen angemessenen Wohnraum komplett als Warmmiete bezahlt wird, wesentlich komfortabler als das, was damals ein Arbeitslosenhilfeempfänger im Durchschnitt mit Arbeitslosenhilfe, Wohngeld und Heizkostenzuschuss bekommen hat.

Deshalb stehe ich unter dem Strich klar zu diesem System. Es ist gut, dass die Menschen, die sich in diesem Sicherungssystem befinden, sich keine Sorgen machen müssen über Gaspreisentwicklungen, Ölpreisentwicklungen oder Kohlepreisentwicklungen. Das war früher

ein Problem. Diese Kosten werden heute komplett übernommen.

Die Von-bis-Spannen, Frau Dirlich, im Sinne dessen, dass in Teilen etwas aus der Grundsicherung genommen werden muss, damit mehr Quadratmeter bezahlt werden, sind übrigens nicht im Gesetz festgelegt. Das kann in den Landkreisen durch Festlegung gewisser Spannen durchaus flexibel gestaltet werden und wird auch wesentlich großzügiger gehandhabt. In diesem Zusammenhang gibt es kaum Widersprüche und Klagen.

Die Klagen gehen in ganz andere Richtungen, wie wir in Widerspruchsverfahren und Klageverfahren festgestellt haben. Die Bereiche Wohnung oder Kosten der Unterkunft stellen einen wesentlich kleineren Konfliktbereich dar, sodass ich unter dem Strich sagen muss, dass sich das System bewährt und sich die Situation für die Leistungsempfänger eindeutig verbessert hat.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke, Herr Minister. - Es gibt noch eine Nachfrage.

Frau Präsidentin, ich frage, wo die Mitglieder der Landesregierung sind. Es sind lediglich zwei Minister anwesend. Ich finde es wichtig, dass bei diesem Thema wesentlich mehr Minister anwesend sind.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich schlage vor, dass man das den Ministern übermittelt und dass wir trotzdem weitermachen.

(Herr Wolpert, FDP: Es ist keiner zum Übermit- teln da!)

- Das ist auch wahr. - Frau Hampel, bitte sehr.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach zwei so spannenden Wahlgängen, die wir hinter uns haben, ist es auch in den Reihen der Fraktionen leerer geworden, allerdings mit Ausnahme der FDP, die immer sehr ordentlich ist. Mein Blick ging gerade in diese Richtung. Sie haben aber natürlich Recht. Bei diesem Thema kann man erwarten, dass die Minister anwesend sind.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Akzeptanz von Arbeitsmarkt- und Wohlfahrtsstaatsreformen ist grundsätzlich immer dann problematisch, wenn diese mit Einschnitten und signifikanten Veränderungen gegenüber dem Ausgangszustand verbunden sind. Das war auch bei der Einführung der Grundsicherung, der so genannten Hartz-IVReform der Fall, die heute immer noch als einschneidendste und gravierendste Sozialreform der letzten Jahre wahrgenommen wird.

Hartz IV - das zeigen die mittlerweile vorliegenden Befunde - hat weder den positiven Effekt noch den negativen Effekt gehabt, den die Befürworter erwartet bzw. die Kritiker befürchtet hatten.

(Herr Gürth, CDU: Gehofft haben aus politischen Gründen!)

Fakt ist, dass die Reform bei den betroffenen Menschen bis heute wenig Akzeptanz gefunden hat.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Landesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE eine gute politische Bewertung der Hartz-IVReform vorgenommen, sehr ausführlich über die Wirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Strukturen berichtet sowie die arbeitsmarktpolitischen Instrumente sehr genau unter die Lupe genommen.

Die Antworten sind präzise. Wir haben ein ergiebiges Zahlenmaterial erhalten, das verständlich und auch gut auswertbar ist. Deshalb noch einmal der Dank an alle beteiligten Ämter, Institutionen und an das Ministerium seitens der SPD-Fraktion.

Ich möchte nun kurz im Einzelnen auf die einzelnen Komplexe eingehen. Die generelle Wirkung der Hartz-IV-Reform auf den Arbeitsmarkt wertet die Landesregierung grundsätzlich positiv, insbesondere was die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zur Grundsicherung für erwerbsfähige Hilfebedürftige angeht. Hierzu hat sich der Minister schon ausführlich eingelassen, weshalb ich das nicht weiter vertiefen möchte.

Positiv bewertet wurde die Einführung eines reichhaltigen Instrumentariums zur Aktivierung und zur Integration der Arbeitsuchenden, die jetzt ausnahmslos allen Hilfebedürftigen zur Verfügung steht. Das sei gerechter, weil es Chancengleichheit für alle Hilfebedürftigen eröffnet.

Positiv wird auch hervorgehoben, dass eine umfassende Aktivierung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen für den regulären Arbeitsmarkt durchgeführt wird und dass sich der Grundsatz des Forderns und Förderns insgesamt bewährt hat und zu einer Stärkung der Eigenverantwortung und Autonomie der Betroffenen geführt hat. Die Funktionsfähigkeit des SGB II sei spürbar, da die Zahl der Hilfebedürftigen insgesamt abgenommen habe. Die neusten Zahlen vom Juni 2010 bestätigten dies. Der Trend geht in die richtige Richtung.

Ich möchte an dieser Stelle aber nicht verschweigen, dass wir - das ist meine Meinung und die Meinung der SPD-Fraktion - immer noch eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit haben, mit der wir keinesfalls zufrieden sein können.

Die Wirkungen der Arbeitsmarktinstrumente werden überwiegend als positiv eingeschätzt. Die Landesregierung kommt zu dem Schluss, dass die Instrumente für sich genommen nicht zu einem Erfolg, also nicht zu einer Integration in den Arbeitsmarkt führen, sondern immer nur im passgenauen Einsatz für jeden einzelnen betroffenen Arbeitslosen in Abhängigkeit der Marktsituation vor Ort zum Erfolg führen.

Auf die Organisationsformen der Ausführung des SGB II möchte ich nicht näher eingehen. Auch dazu hatten wir neulich erst eine Debatte. Wir wissen, wir als Land Sachsen-Anhalt haben die Möglichkeit, zwei weitere Optionen dazuzubekommen. Dass die Verfahren laufen, wissen Sie. Ich denke, wir warten erst einmal ab, was wir vielleicht am Ende des Jahres dazu weiter wissen.

Zur Struktur der Betroffenen ist zu sagen - das möchte ich noch einmal wiederholen -: Die Zahl der Hilfebedürftigen ist immer noch zu hoch. Aber es ist eine abnehmende Tendenz bei der Entwicklung der Zahl der Bedarfsgemeinschaften der nicht erwerbsfähigen Hilfe

bedürftigen festzustellen. Die Zahlen sind bereits genannt worden.

Zu dem Komplex der Regeleistungen für SGB-II-Empfängerinnen und Empfänger. Auf die Regelleistungen ist Herr Haseloff jetzt, glaube ich, nicht noch einmal ausführlich eingegangen. Aber auch insoweit kann ich auf die Debatte, die wir in der letzten Landtagssitzung dazu geführt haben, verweisen. Wir wissen, wir sind auch da in einem Abstimmungsverfahren, das bislang noch nicht abgeschlossen ist.

Wir, die SPD-Fraktion, und auch die Bundestagsfraktion der SPD lehnen den Gesetzentwurf derzeit ab. Wir sind der Auffassung, dass bis jetzt noch keine Transparenz und keine ordentliche Berechnung der Regelsätze vorliegt. Deswegen werden wir einfach abwarten müssen, was in Berlin die Fraktionen bzw. die Regierung in dieser Hinsicht noch unternehmen werden. Ich werde mich hierzu jetzt nicht weiter äußern.

(Herr Gürth, CDU: Wir haben es schon besser gemacht als Schröder! Aber vielleicht kriegen wir es noch besser hin! - Zurufe von der FDP)

Bei dem Komplex „Widersprüche und Klagen“ ist mir allerdings aufgefallen, es gibt eine sehr große Spanne bei den Zeiten der Bearbeitung sowohl bei den Widersprüchen als auch bei den Klagen.

(Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP - Herr Gürth, CDU: Das stimmt!)

So wird die Bearbeitungszeit in Schönebeck mit 14 Monaten angesetzt.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Ja!)

Der Durchschnitt liegt, glaube ich, so bei drei, vier Monaten. Das ist für die Betroffenen schon eine unglaublich lange Zeit. Aber 14 Monate? Mein lieber Scholli! Herr Minister, Sie könnten vielleicht einmal persönlich nachfragen, woran es dort vor Ort liegt.

(Oh! bei der FDP - Zuruf von Minister Herrn Dr. Haseloff - Herr Franke, FDP: Ihre Ministerin müssen Sie da fragen! - Zurufe von Frau Bull, DIE LINKE, von Frau Dr. Hüskens, FDP, und von Herrn Kosmehl, FDP)

Meine Redezeit neigt sich dem Ende zu. Ich dachte, ich hätte acht Minuten Redezeit.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Ja! - Frau Dr. Hüskens, FDP: Hatten Sie!)

- Hatte ich. Okay.

Das wurde am Anfang Ihres Redebeitrages angezeigt.

(Herr Miesterfeldt, SPD: Die Rede fließt dahin! - Frau Fischer, SPD, lacht)

Ich komme zum Schluss meines Redebeitrages zu dem Fazit, das ich für unsere Fraktion ziehen möchte. Für uns sind zwei Punkte in dem gesamten Paket der Diskussion um die Hartz-IV-Reform wichtig, nämlich dass wir Menschen in Arbeit bringen müssen und dass wir tatsächliche Alternativen anbieten müssen.

Es gibt - das wissen Sie alle und das ist auch medienwirksam gut verkauft worden - ein Projekt, mit dem man

jetzt den Versuch unternimmt, in Bedarfsgemeinschaften, in denen beide Erwachsene sozusagen nur mit SGB-II-Leistungen ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen, einen der beiden Erwachsenen in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren, damit die Kinder auch in diesen Familien erfahren, dass wenigstens ein Elternteil morgens zur Arbeit geht.

(Zuruf von Frau von Angern, DIE LINKE)

Ich glaube, es ist für die Gesellschaft insgesamt ganz, ganz wichtig, für die Betroffenen umso mehr, die so lange und ausschließlich auf Leistungen des Staates angewiesen gewesen sind, dass sie die Chance auf Integration und auf eine ordentliche Arbeit auf dem Arbeitsmarkt bekommen.

Was wir aus unserer Sicht aber ganz besonders fordern, ist, dass es insbesondere für die so genannten Aufstocker Lösungen gefunden werden müssen. Auch diese müssen aus dem Leistungsbezug heraus. Auch hier fordere ich noch einmal die Einführung von Mindestlöhnen ein. Das ist aus unserer Sicht der einfachste Weg, dieses Problem zu lösen.