Protokoll der Sitzung vom 12.11.2010

Der Gesetzentwurf - das wurde schon gesagt - basiert auch auf Anregungen und Initiativen des Landesbehindertenbeirates. Gleichwohl konnten nicht alle Wünsche erfüllt werden. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe, auf die ich jetzt nicht umfänglich eingehen kann und will. Herr Dr. Eckert hat ja in der Berichterstattung schon einiges skizziert.

Aber auf zwei Aspekte möchte ich eingehen. Zum einen liegt uns ein Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE zu § 10 vor. Wir haben darüber im Ausschuss diskutiert. Das Thema ist mit Sicherheit nicht zum letzten Mal auf einer Tagesordnung des Landtages gewesen. Aber wir werden diesen Antrag auch heute wieder ablehnen. Ich möchte es jedoch nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass die vom Sozialausschuss empfohlene Formulierung einen Fortschritt gegenüber der alten Regelung darstellt und in die richtige Richtung weist.

Zum anderen geht es um ein Thema, auf das ich jedes Mal eingegangen bin, wenn ich zu diesem Gesetzentwurf gesprochen habe, nämlich um hauptamtliche Behindertenbeauftragte in den Landkreisen und den kreisfreien Städten. Der Stadtrat von Magdeburg und die Kreistage einiger Landkreise haben sich schon vor einigen Jahren freiwillig und mit dem Segen der Kommunalaufsicht zu einem hauptamtlichen Behindertenbeauftragten bekannt.

Herr Pischner leistet hervorragende Arbeit, die uns im Stadtrat vor vielen Nachfragen und Nacharbeiten und wahrscheinlich auch vor nachträglichen Kosten bewahrt hat.

(Herr Dr. Eckert, DIE LINKE: Genau!)

Trotzdem empfehlen wir, auf eine Festschreibung der Hauptamtlichkeit im Gesetz zu verzichten, weil die Kosten sonst aufgrund des Konnexitätsprinzips beim Land hängenbleiben würden und wir in die kommunale Selbstverwaltung eingreifen würden.

Ich persönlich appelliere deshalb an die Kreistage und an die Stadträte der kreisfreien Städte: Prüfen Sie wohl

wollend die freiwillige Installation eines hauptamtlichen Behindertenbeauftragten; es lohnt sich.

(Zustimmung von Frau Fischer, SPD)

Zurück zur Beschlussempfehlung. Zusammenfassend sage ich Folgendes: Der vorliegende Gesetzentwurf ist modern und zukunftsweisend. Es wird den aktuellen Herausforderungen gerecht und berücksichtigt aktuelle Sprachregelungen und vor allem die Vorgaben der EUKonvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen.

Wir werden deshalb die Anträge der Fraktion DIE LINKE ablehnen und bitten um Zustimmung zu der Beschlussempfehlung des Sozialausschusses zum vorliegenden Gesetzentwurf. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Schwenke. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht Herr Dr. Eckert.

Herr Schwenke, jetzt dauert es bei mir so lange.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Es ist schlecht, wenn die beiden nacheinander reden! Das Hochfahren des Rednerpults dauert so lange! - Heiterkeit)

Vielleicht komme ich noch darauf zu sprechen, dass wir uns möglicherweise in der Bewertung unterscheiden.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Initiiert wurde der Gesetzentwurf, wie der Minister schon erwähnt hat, vom Landesbehindertenbeirat. Die Erarbeitung des Gesetzentwurfes erfolgte in den Jahren 2006/2007. Die Übergabe des Entwurfes an die Landesregierung fand Ende 2007 statt.

Die Landesregierung benötigte nunmehr immer noch fast zwei Jahre, um den Gesetzentwurf in den Landtag einzubringen. Beschleunigt wurde dieser Erarbeitungsprozess letztlich auch dadurch, dass die Fraktion DIE LINKE anbot, bei weiteren zeitlichen Abstimmungsproblemen den Gesetzentwurf des Landesbehindertenbeirates eigenständig in den Landtag einzubringen.

Hervorhebenswert ist, dass wir in Sachsen-Anhalt als erstes Bundesland nach dem Inkrafttreten der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Deutschland im Jahr 2009 unser Gleichstellungsgesetz neu fassen. Vor allem der direkte Bezug auf die Konvention in § 1 des Gesetzentwurfes sowie die Formulierung eines eigenen Abschnittes zur Barrierefreiheit sind aus unserer Sicht bedeutsame Schritte zur faktischen Gleichstellung behinderter Menschen.

In § 10 - Gemeinsame Erziehung und Bildung in öffentlichen Einrichtungen - griff die Landesregierung den Vorschlag des Behindertenbeirates, die inklusive Entwicklung des Schulwesens stringenter zu verankern, nicht auf. Damit bleiben die Regelungen in dem vorliegenden Landesbehindertengleichstellungsgesetz sogar hinter den Vorschriften des aktuellen Schulgesetzes zurück.

(Zustimmung von Frau Tiedge, DIE LINKE, und von Frau Dr. Klein, DIE LINKE)

Ich darf an die Bestimmungen der UN-Konvention erinnern. Dort heißt es in Artikel 24 - Bildung - ich zitiere -:

„Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen.“

Dabei ist uns bewusst, dass die Gesamtsituation sehr komplex ist.

Herr Minister, Sie haben darauf verwiesen, dass es keine Sondersysteme mehr geben sollte. Genau das ist unsere Kritik. § 10 orientiert eben nicht darauf, dass dieses Sondersystem aufgelöst bzw. ein wenig entschärft wird.

Nur Schritt für Schritt - das ist eigentlich Konsens - sind Veränderungen zu vollziehen. Deshalb bringen wir unseren Änderungsantrag erneut ein. Gefordert ist, Herr Schwenke, die notwendigen Voraussetzungen für ein gemeinsames Lernen zielstrebig zu schaffen. Das bedeutet, die notwendigen personellen, sächlichen und räumlichen Bedingungen für eine individuelle Förderung aller Kinder in einem absehbaren Zeitraum vorzuhalten. Mit unserem Antrag greifen wir einen Formulierungsvorschlag des Verbandes Sonderpädagogik e. V. auf.

Mit ihrem Gesetzentwurf hat die Landesregierung auch den Vorschlag des Beirates, hauptamtliche Behindertenbeauftragte in den Landkreisen und den kreisfreien Städten als wesentliche Struktur zur Umsetzung der Ziele des Gesetzes nicht aufgegriffen. Es blieb bei der bisherigen unzureichenden Formulierung.

Auch unser Antrag, beim Behindertenbeauftragten der Landesregierung eine Monitoringstelle einzurichten, welche bei der Umsetzung der UN-Konvention berät und den Prozess kritisch begleitet, wurde von der Regierungskoalition abgelehnt. Damit Sie sich nochmals klar dazu positionieren, haben wir diese Änderungsanträge in den Drs. 5/2510 und 5/2511 erneut gestellt.

Denn es ist schon interessant und auch zu hinterfragen, dass Sie einerseits die Formulierung von Zielen bei der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen noch mittragen, dass Sie andererseits jedoch, wenn es um die Schaffung von Strukturen zur Umsetzung der Ziele geht, bei allgemeinen Appellen stehen bleiben und die entsprechende Struktur verweigern.

(Herr Scharf, CDU: Ihre Rede ist wirklich schwer zu ertragen! Nehmen Sie das mal zur Kenntnis!)

- Die Struktur zur Umsetzung fehlt.

Abschließend halte ich fest: Wenn es darum geht, bestimmte Erfahrungen und Entwicklungen aus den vergangenen Jahren nachträglich zu berücksichtigen, tun Sie es. Wenn es aber darum geht, ein modernes, nach vorn weisendes Gesetz zu beschließen, welches nicht nur Ziele formuliert, sondern auch Strukturen zur Umsetzung befördert, verweigern Sie sich.

Meine Damen und Herren, damit verpassen Sie die Chance, ein Gesetz für unser Land zu beschließen, das wirklich Veränderungen bewirkt und welches außerdem noch in anderen Bundesländern Anstöße für weitergehende Aktivitäten geben könnte.

Da ich davon ausgehe, dass Sie, wie schon angekündigt wurde, unsere Anträge ablehnen werden, werden wir uns bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Stimme enthalten. - Danke.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Eckert. - Zum Schluss der Debatte hören wir den Beitrag der SPD-Fraktion. Ich erteile Frau Dr. Späthe das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Den Ausführungen des Sozialministers und insbesondere der fulminanten Rede des Herrn Schwenke kann ich mich nur anschließen. Ich möchte die genannten Aspekte nicht wiederholen.

(Oh! bei der CDU und bei der FDP)

Wahr ist: Die Diskussionen über den Gesetzentwurf waren sehr umfangreich und arbeitsintensiv. Alle Stellungnahmen, ob mündlich oder schriftlich vorgetragen, waren geprägt von der Intention, den Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am Leben in Sachsen-Anhalt vollumfänglich zu ermöglichen.

Insbesondere die Interessenvertreter der Menschen mit Behinderungen - sie wurden schon genannt - wie beispielsweise der Behindertenbeirat, verschiedene Behindertenbeauftragte sowie der Allgemeine Behindertenverband Sachsen-Anhalt haben sehr intensiv zugearbeitet. Sie werden aber feststellen müssen, dass nicht jede Anregung und nicht jede Forderung im Gesetz verankert wurde.

Es lag in unserer Verantwortung, ein realistisches Gesetz zu machen. Das Recht kann nicht vorgeben, was die Wirklichkeit nicht hergibt. Rechtsansprüche zu schaffen, die in Sachsen-Anhalt noch nicht flächendeckend umsetzbar sind, ist eben nicht realistisch. Forderungen im Gesetz zu verankern, die ganz klar die kommunale Ebene betreffen, ist auch nicht realistisch.

In der Begründung zu dem heutigen Änderungsantrag zur Schaffung einer inklusiven Schulbildung schreibt die Fraktion DIE LINKE selbst:

„Ein inklusives Bildungssystem kann nicht mit einem Mal erreicht werden. Es bedarf langfristiger sächlicher und personeller Veränderungen, die unbedingt unverzüglich in Angriff zu nehmen sind.“

Dazu kann ich nur sagen: Damit haben Sie Recht. Da das so ist, kann man Ihrem Antrag, in dem Sie formulieren, dass die Einrichtungen dies alles schon einhalten, nun einmal nicht folgen. So wünschenswert es ist, wir sind materiell noch nicht so weit. Das muss man auch einmal klar so sagen.

Das Gesetz ist ein großer Schritt auf dem Weg zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen in Sachsen-Anhalt. Der Prozess der Erarbeitung hat den Dialog mit den Gremien und Verbänden gefördert und das Bewusstsein für die Belange der Menschen mit Behinderungen geschärft.

Lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass dieser Prozess anhält und dass das Gesetz mit Leben erfüllt wird. Ich habe schon öfter gesagt: Barrieren in den Köpfen kann man nicht per Gesetz beseitigen. Dazu bedarf es der unermüdlichen Kommunikation, der Einbeziehung aller in den Dialog und der Bereitschaft aller Menschen, sich diesem neuen Denkansatz auch zu öffnen. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Dr. Späthe. Herr Dr. Eckert möchte noch eine Frage stellen, Frau Dr. Späthe.

Frau Dr. Späthe, eine Frage. Ich gehe davon aus, Sie haben vielleicht die Anfragen meines Kollegen Hendrik Lange zur Barrierefreiheit in Hochschulen verfolgt. Es liegt jetzt die Zielvereinbarung für die nächsten Jahre vor. Wenn Sie sie kennen, möchte ich Sie fragen: Ist es richtig, dass in dieser Zielvereinbarung das Wort Barrierefreiheit der Hochschulen nicht vorkommt?

Ich muss zugeben, ich kenne die Zielvereinbarung nicht.

(Unruhe)