Deshalb ist es einerseits auch sehr wichtig, dass Gerichte wie das Bundesverfassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ganz genau hinschauen. Andererseits ist es unsere Aufgabe als Politiker und Politikerinnen, ehrlich zu sagen, dass wir nicht in
der Lage sind, jegliche Kriminalität mit den Mitteln, die einem Rechtsstaat zur Verfügung stehen, zu verhindern. So schlimm das in jedem einzelnen Fall auch ist, aber Kriminalität gehört zu jeder Gesellschaft.
Natürlich punktet man in der Bevölkerung mit der Überschrift „Wegschließen - und zwar für immer“, worunter am 26. August 2010 in der „Volksstimme“ ein Plädoyer des Staatsministers Herrn Robra pro Sicherungsverwahrung zu lesen war.
(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Er ist soeben gegan- gen! - Herr Stahlknecht, CDU: Sagen Sie, dass Sie die Sache nicht lösen können und dann ist es gut!)
Diese Art und Weise der öffentlichen Kommunikation spielt meines Erachtens sogar mit den Ängsten von Menschen, ist populistisch und daher wenig hilfreich in dieser Debatte.
Ich werbe heute für meine Fraktion für eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema, die auf nachhaltige Lösungen zielt. In diesem Zusammenhang will ich auch darauf hinweisen, dass es eben nicht nur um Gewalt- und Sexualstraftäter, sondern dass es hierbei auch um Delikte wie Betrug, Diebstahl, Brandstiftung, Nötigung und auch Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geht.
Sehr geehrte Kollegen der FDP, mir ist schon klar, dass Sie aufgrund Ihrer Verantwortung in Berlin einen Satz in den Antrag eingefügt haben, der da lautet: Sie begrüßen die geplante Neuregelung.
Dennoch bedauere ich Ihren Meinungswandel in der Debatte und erwarte gerade von Ihnen, dass Sie nichts kritiklos übernehmen,
die Zahl der Sicherungsverwahrten dank der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung zu explodieren droht und das Problem der Altfälle eben weiterhin ungelöst bleibt. Das möchte ich nun wirklich nicht begrüßen. Schade, dass Ihre Bundesministerin diesbezüglich eingeknickt ist.
Der Deutsche Bundestag seinerseits beriet die Neuregelung zur Sicherungsverwahrung am 29. Oktober 2010 und führte vorgestern eine Anhörung zu dem Gesetzentwurf durch. In der Debatte wurde noch einmal deutlich, dass es vor allem um den Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung geht.
Neu ist, dass der Hang zu schweren Strafen nicht mehr sicher, sondern nur noch wahrscheinlich sein muss. Da stellt sich sehr wohl die Frage, ob die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderte Verknüpfung von Verurteilung und Freiheitsentzug umgesetzt wurde.
Professor Renzikowski von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sagte im Rahmen der Anhörung, dass die Gefährlichkeit des Täters nicht zugleich den Schluss zulasse, dass er auch geisteskrank sei.
Ich möchte zugleich auf den Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Universität Duisburg hinweisen, der in der Anhörung sagte, dass die neu vorgeschlagene Unterbringungsform der Versuch sei, die Psychiatrie als Ersatzreserve für das Strafrecht zu nutzen. Das halte ich für rechtlich sehr bedenklich.
Was wir tatsächlich dringend brauchen, ist ein besserer, früherer und stetiger Zugang für alle Strafgefangenen zu Therapieangeboten. Es geht um einen sinnvollen Behandlungsvollzug genau so, wie ihn das Gesetz auch vorschreibt. Wir brauchen mehr qualifiziertes Personal in unseren Vollzugsanstalten, keine fortgebildeten Vollzugsbeamten, sondern Psychologen und Sozialarbeiter. Wir brauchen mehr Bewährungshelfer für die Altfälle. Und wir müssen auch die Möglichkeit von mehr ambulanten Maßnahmen, wie sie Forensa vorhält, prüfen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Mensch darf nicht ausschließlich als Täter, sondern muss als Mensch gesehen werden, der im Sinne eines nachhaltigen Schutzes wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden muss; denn Resozialisierung ist meines Erachtens die beste Prävention vor neuer Kriminalität bzw. vor Rückfälligkeit. Ich denke, das sollte die Maxime unseres Handelns sein.
(Zuruf von Herrn Stahlknecht, CDU - Herr Borg- wardt, CDU: Die sind doch gerade nicht resoziali- sierbar! Das ist das Problem!)
Da wir uns aber der Diskussion nicht verschließen wollen, werden wir der Überweisung in den Ausschuss zustimmen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau von Angern. - Wir kommen zu dem Debattenbeitrag der SPD. Herr Dr. Brachmann, Sie haben das Wort. Bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Morgen lang und breit über den Opferschutz geredet.
Der Verein für Opferschutz und Strafgerechtigkeit hat mir Anfang des Jahres einen Brief geschrieben. Darin war zu lesen, dass er auch nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erwartet, dass es ein System der Sicherungsverwahrung gibt, um den Sorgen der Klientel Rechnung zu tragen.
„Sicherungsverwahrung ist wegen des gravierenden schuldabhängigen Eingriffs in die Freiheit der Betroffenen angesichts der erheblichen Prognoseunsicherheit ein Übel. Ob sie ein notwendiges ist, bezweifeln wir.“
Das haben keine „juristischen Geisterfahrer“ aufgeschrieben, Herr Stahlknecht, sondern der Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins.
Es ist hier schon mehrfach gesagt worden, dass sich die Gesetzgebung auf diesem Gebiet in den letzten Jahren nicht mit Ruhm bekleckert hat und häufig, der aktuellen Meinung folgend, gesetzgeberische Schnellschüsse produziert worden sind, die das System ziemlich undurchschaubar gemacht haben.
Ob der jetzt in den Bundestag eingebrachte, aus dem Bundesjustizministerium stammende Entwurf der große Wurf ist, darüber lässt sich trefflich streiten. In dem Antrag - Frau von Angern hat das eben schon vorgetragen - ist von „begrüßt“ die Rede.
Dass der Bund nunmehr darangeht, das endlich einmal vernünftig zu klären, das erscheint mir unabdingbar und insoweit begrüße ich das auch. Vom Verfahren sind wir völlig d’accord. Aber ob das, was jetzt inhaltlich vorliegt, ausreicht, dazu haben wir, wie gesagt, noch Fragen. Das ist auch der Grund, weshalb wir für eine Ausschussüberweisung plädieren.
Ich will das kurz anreißen. Die Regelung, die jetzt im Bundestag liegt, versucht zum einen, die so genannten Altfälle - das ist hier schon ausgeführt worden - unter das Therapieunterbringungsgesetz zu stellen. Aber auch hierzu gibt es - dazu ist aus der Anhörung zitiert worden; Frau Ministerin hat es auch ausgeführt - erhebliche Kritik, ob in dieser Hinsicht überhaupt ein Regelungsmechanismus möglich ist.
Es geht zum anderen darum, für alle neuen Fälle das System der Sicherungsverwahrung neu zu konzipieren. Die komplizierte Regelung, die wir momentan haben, nämlich die primäre Sicherungsverwahrung, die vorbehaltene und die nachträgliche - es gibt also drei Kategorien -, wird dadurch nicht abgeschafft. Es gibt nur, was den Anwendungskreis betrifft, Verschiebungen und Verlagerungen.