Protokoll der Sitzung vom 10.12.2010

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schon häufig feststellen müssen, dass die Föderalismusreform, die als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet ist, nicht viel an Kompetenzzuwachs für die einzelnen Bundesländer sowie an Verbesserungen für deren Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit gebracht hat.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Aber ausgerechnet im Bereich der Justiz erfolgte eine Reihe von Gesetzeskompetenzübertragungen auf die Länder.

(Herr Tullner, CDU: Ein bisschen!)

Ich darf an dieser Stelle nur an den Bereich des Strafvollzuges oder, wie gesagt, an das Richterrecht heute erinnern.

Es erfolgte also eine Übertragung der Gesetzgebungskompetenz an die Länder, weg vom Bund, auf Aufgabenfeldern, welche aus unserer Sicht aufgrund ihrer verfassungsrelevanten Auswirkungen unbedingt in der Bundesverantwortung hätten bleiben müssen.

Die Unabhängigkeit der Richter, festgeschrieben in Artikel 97 des Grundgesetzes und in Artikel 83 der Landesverfassung, ist ein so hohes Gut, dass es auch weiterhin bundesrechtlicher und damit bundeseinheitlicher Regelungen bedurft hätte.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Aber das ist so nicht gewollt gewesen, sodass nunmehr auch Sachsen-Anhalt in Zugzwang gebracht wurde und den vorliegenden Gesetzentwurf beabsichtigt zu verabschieden.

Aus der im Vorfeld von der Landesregierung durchgeführten Anhörung ist eine Vielzahl von Änderungsanträgen und Änderungswünschen eingebracht worden. Leider ist nur ein kleiner Teil davon im Gesetzentwurf berücksichtigt worden.

Ich möchte an dieser Stelle nur auf einige Aspekte eingehen, die heute schon genannt worden sind, insbesondere von Herrn Wolpert. Das wären zum einen die in Abschnitt 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs getroffenen Regelungen zu den Nebentätigkeiten.

Bereits in der schriftlichen Anhörung hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund die vom Landesbeamtenrecht abweichende Regelung des Nebentätigkeitsrechtes der Richterinnen und Richter kritisiert, welche besagt, dass die Ausübung einer Nebentätigkeit von einer Genehmigung abhängig ist. Begründet wird diese Regelung mit dem Schutz des Ansehens der Justiz im Allgemeinen und der Richterschaft im Besonderen in der Öffentlichkeit.

Das ist absolut nicht nachzuvollziehen, sind doch Staatsanwälte, Polizeibeamte und Richter gleichermaßen an Recht und Gesetz gebunden. Die besondere Stellung der Richterinnen und Richter ergibt sich aus ihrer Unabhängigkeit. Warum aber eine Nebentätigkeit mit dieser Unabhängigkeit nicht in Einklang gebracht werden kann bzw. in der Vergangenheit kollidierte, ist an keiner Stelle dargelegt worden und auch nicht begründbar.

So räumt die Landesregierung in ihrer Begründung selber ein, dass Zweifel an der richterlichen Unabhängigkeit und damit eine Ansehensschädigung bisher nicht be

kannt geworden sind. Man wolle aber sozusagen vorbeugend tätig werden.

Auch wir sehen es so: Das zeugt von einem nicht zu rechtfertigenden Misstrauen gegenüber den Richterinnen und Richtern.

Im Übrigen sei erwähnt, dass in Niedersachsen das Nebentätigkeitsrecht für Beamte und Richter einheitlich gestaltet worden ist. Meine Damen und Herren! Warum soll das, was dort möglich ist, nicht auch auf die Richterinnen und Richter in Sachsen-Anhalt anwendbar sein?

(Beifall bei der LINKEN)

An der Stelle beginnen eben unsere Zweifel bezüglich der Frage, inwieweit das Richterrecht auf Landesebene geregelt werden sollte, ohne dabei die Unabhängigkeit der Richterschaft zu gefährden.

Ich möchte auf einen weiteren Punkt eingehen, der von meiner Fraktion uneingeschränkt unterstützt wird. Es ist die Forderung des Bundes der Richter und Staatsanwälte, das gegenwärtige System der Justizverwaltung durch eine Selbstverwaltung der Justiz abzulösen.

Denn eine demokratische Zivilgesellschaft braucht kritische und gesellschaftlich verantwortliche Juristinnen und Juristen, die nicht durch willkürliche Änderungen in der Geschäftsverteilung oder die Aufweichung der Unversetzbarkeit gemaßregelt werden können. Im Gründungsmanifest der Neuen Richtervereinigung heißt es dazu - ich zitiere -:

„Ohne Furcht und ohne Hoffnung gegenüber einem politischen Dienstherrn müssen Richter entscheiden und sich daher selbst verwalten.“

(Zustimmung bei der LINKEN)

Zu einem weiteren, dritten Punkt, der in der Anhörung zu sehr kritischen Äußerungen zum Gesetzentwurf geführt hat, möchte ich noch Ausführungen machen. Nun sind Richterinnen und Richter eher dafür bekannt, dass sie Kritik sehr dosiert, äußerst verhalten und mit wohlgesetzten Worten vortragen.

Aber bei der Aufgabenverteilung zwischen den Richterräten auf der einen Seite und den Präsidialräten auf der anderen Seite wurde der Verband der Verwaltungsrichter mehr als deutlich. In ungewohnter Schärfe wurde der Gesetzentwurf insbesondere an dieser Stelle kritisiert. So äußerte Herr Engels vom Verband der Verwaltungsrichter in der Anhörung am 6. Oktober 2010 Folgendes:

„Genau das ist es, was uns Verwaltungsrichter an diesem Gesetzentwurf so stört. Denn dieser Gedanke zieht sich unausgesprochen wie ein roter Faden durch den gesamten Gesetzentwurf: das abgrundtiefe Misstrauen der Landesregierung gegenüber der Richterschaft, der die rechtsprechende Gewalt in diesem Lande anvertraut ist. Von einer Landesregierung, die von einer großen Koalition getragen wird, also gleichsam nur zur Hälfte schwarz ist,“

(Zuruf: Mehr als die Hälfte!)

„und dann auch noch unter der Federführung einer sozialdemokratischen Ministerin glaubte die Richterschaft etwas anderes erwarten zu dürfen als das, was sie mit dem vorliegenden Entwurf präsentiert bekommt.“

(Beifall bei der LINKEN)

„Als Gralshüterin oder gar Vorkämpferin der Mitbestimmung ist das Ministerium der Justiz jedenfalls nicht in Erscheinung getreten.“

An anderer Stelle heißt es:

„Wenn dieser Klärungsprozess abgeschlossen ist, dann wollen wir mit Ihnen zusammen in der kommenden Legislaturperiode gern über eine grundlegende Novellierung des Richterrechts in Sachsen-Anhalt reden. Ich meine, der vorliegende Entwurf ist als Grundlage für eine Novellierung, die diesen Namen auch verdient, nicht tauglich.“

Wir können dem nur uneingeschränkt zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist schade, dass das Land Sachsen-Anhalt nicht die Chance für ein modernes, zeitgemäßes Richterrecht genutzt hat. Vielleicht haben wir in der nächsten Legislaturperiode dafür die Chance.

(Herr Borgwardt, CDU: Schauen wir einmal!)

Dem vorliegenden Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen können wir zustimmen, obwohl sich uns die Frage aufdrängt, warum das, was darin festgelegt worden ist, nicht bereits vor der Erarbeitung des Gesetzentwurfes getan wurde. Das wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, und dann hätten wir heute mit Sicherheit einen besseren Gesetzentwurf gehabt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Tiedge. - Zum Schluss der Debatte hören Sie den Beitrag der SPD-Fraktion. Ich erteile Herrn Dr. Brachmann das Wort.

(Herr Tullner, CDU: Die SPD-Fraktion gibt die Rede doch bestimmt zu Protokoll! - Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

Das geht heute leider nicht,

(Herr Kosmehl, FDP: Oh!)

weil es keine vorbereitete Rede ist.

(Herr Miesterfeldt, SPD: Das bedauern wir aber! - Herr Schwenke, CDU: Dann aber die Kurzfas- sung!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen früher auf in Sachsen-Anhalt.

(Oh! bei der CDU und bei der FDP - Herr Tullner, CDU: Neider!)

Immerhin sind wir das zweite Bundesland, das nach der Föderalismusreform ein Richterrechtsneuregelungsgesetz schafft.

Nun gibt es die Auffassung - das haben meine Vorredner, Herr Wolpert und Frau Tiedge, deutlich gemacht -, wir hätten bei diesem Gesetz besser liegen bleiben sollen.

(Herr Wolpert, FDP: Richtig!)

In der Tat: Wir haben mit dem Gesetzentwurf bei den Richterverbänden keine Begeisterungsstürme ausgelöst.

(Herr Wolpert, FDP: Bei der Alternative!)