Protokoll der Sitzung vom 06.10.2011

Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Hiermit eröffne ich die 10. Sitzung des Landtags von Sachsen-Anhalt der sechsten Wahlperiode. Dazu möchte ich Sie auf das Herzlichste begrüßen.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Mir liegen Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung für die 6. Sitzungsperiode vor:

Herr Ministerpräsident Dr. Haseloff entschuldigt sich für heute ganztägig aufgrund der Teilnahme an der MPK-Ost sowie an einem Gespräch mit der Bundeskanzlerin, mit dem Bundesminister des Innern und mit dem Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Länder in Leipzig.

Herr Minister Webel entschuldigt sich für heute ganztägig aufgrund der Teilnahme an der Verkehrsministerkonferenz in Köln.

Frau Ministerin Professor Dr. Wolff entschuldigt sich für heute ganztägig aufgrund der Einladung zu der ChemLog-Abschlusskonferenz in Warschau, die sie als ECRN-Präsidentin wahrnimmt.

Herr Minister Webel entschuldigt sich für Freitag für die Zeit von 10.30 Uhr bis 12 Uhr aufgrund der Teilnahme an einem Pressetermin mit der Nasa GmbH zum Thema „Auswertung Schülerferienticket“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tagesordnung für die 6. Sitzungsperiode des Landtags liegt Ihnen vor. Gemäß der Vereinbarung im Ältestenrat ist festgelegt worden, die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b als erste Tagesordnungspunkte am morgigen Freitag zu behandeln.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat fristgemäß einen Antrag auf die Durchführung einer Aktuellen Debatte eingereicht. Der Antrag zu dem Thema „Verantwortung des Staates für ehemalige Sicherungsverwahrte gewährleisten - Friedliche Lösung in Insel erreichen“ liegt in Drs. 6/457 vor. Gemäß der Vereinbarung im Ältestenrat schlage ich vor, den Antrag unter Tagesordnungspunkt 2 b auf die Tagesordnung zu nehmen und am heutigen Donnerstag zu behandeln.

Mir ist zugetragen worden, dass es zu der gleichen Thematik einen Entschließungsantrag gibt. Er liegt dem Präsidium vor und trägt den Titel: „Staatliches Handeln und ziviles Engagement sind erforderlich“. Antragsteller sind die Fraktionen der CDU, DIE LINKE, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Der Antrag erhält die Drucksachennummer 6/462 und könnte auf Antrag auf die Tagesordnung genommen werden. - Herr Kollege Striegel!

Ich bitte namens meiner Fraktion, den Antrag gemäß § 57 der Geschäftsordnung unter Tagesordnungspunkt 18 auf die Tagesordnung zu setzen und nach dem Tagesordnungspunkt 2 b zu behandeln.

Vielen Dank, Herr Kollege Striegel. - Ich denke, dagegen spricht nichts. Wenn dem alle zustimmen, dann nehmen wir den Antrag in Drs. 6/462 unter Tagesordnungspunkt 18 auf die Tagesordnung. Er wird unmittelbar im Anschluss an die Aktuelle Debatte aufgerufen und soll dann - so ist mir signalisiert worden - ohne Einbringung und nochmalige Debatte zur Abstimmung gestellt werden. - Ich höre keinen Widerspruch. Wir können so verfahren.

Ich frage, ob es weitere Anträge zur Tagesordnung gibt. - Das ist nicht der Fall. Dann können wir, wie eben vereinbart, verfahren und mit der Abarbeitung der Tagesordnung beginnen.

Wir beginnen mit dem Tagesordnungspunkt 2:

Aktuelle Debatte

Ich rufe das erste Thema auf:

Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung und die Folgen für Sachsen-Anhalt

Aktuelle Debatte Fraktion SPD - Drs. 6/454

Es wird in der Reihenfolge SPD, DIE LINKE, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN debattiert. Für die Fraktion der SPD erteile ich dem Kollegen Herrn Steppuhn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Landtagsfraktion hat die von Bundesarbeitsministerin Frau Ursula von der Leyen im Deutschen Bundestag auf den Weg gebrachte Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente zum Anlass genommen, hier und heute eine Aktuelle Debatte zu führen.

Wir machen uns große Sorgen darüber, wie sich die beabsichtigte Reform im Großen wie im Kleinen in unserem Land auswirken wird. Das, was von Schwarz-Gelb in Berlin beschlossen worden ist, wird aus unserer Sicht gravierende Auswirkungen auf die Integration von Arbeitslosen und insbesondere von langzeitarbeitslosen Menschen in den Arbeitsmarkt haben.

Allein die Tatsache, dass die Arbeitslosen im Rechtskreis des SGB II anders als die im Rechtskreis des SGB III behandelt werden, führt zu einer

weiteren Spaltung des Arbeitsmarktes und damit zu einer unakzeptablen Ungleichbehandlung und Schlechterstellung von Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente wird dazu führen, dass umfangreiche Rechtsansprüche und bisherige Pflichtleistungen nur noch Ermessensleistungen sein werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich halte das für einen Skandal erster Güte, und das ist auch so zu benennen. Mit Arbeitsmarktpolitik hat das nichts mehr zu tun.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Besondere Dramatik erhält das Ganze dadurch, dass der Bundesagentur für Arbeit parallel dazu die finanziellen Mittel über den Bundeshaushalt in Milliardenhöhe gekürzt werden und somit für die Integration in den Arbeitsmarkt immer weniger Geld zur Verfügung steht.

(Herr Höhn, DIE LINKE: Damit habt ihr ja Er- fahrung!)

Wenn man eine Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente nach Art des Hauses von der Leyen durchführt, Pflichtleistungen zu Ermessensleistungen erklärt und gleichzeitig die Gelder kürzt, dann dürfte heute schon klar sein, was in der Folge passieren wird: Arbeitsmarktintegration findet künftig nur noch nach Kassenlage statt. Die Fallmanager in den Jobcentern müssen entscheiden, wem sie noch Leistungen zubilligen und wem nicht.

Meine Damen und Herren! Die Kürzungen und deren Folgen haben direkte Auswirkungen auf unser Land und gehören in der Aktuellen Debatte klar und deutlich benannt:

Die öffentlich geförderte Beschäftigung wird künftig drastisch zurückgefahren. Ein leistungsfähiger öffentlich geförderter bzw. sozialer Arbeitsmarkt mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung wird verhindert.

Das Programm „Jobperspektive“, das zum ersten Mal eine echte Chance für Langzeitarbeitslose für dauerhafte Beschäftigung geboten hat, wird faktisch abgeschafft. Das Programm wird so verändert, dass es nicht mehr praktikabel ist. Die jeweilige Förderdauer beträgt maximal 24 Monate. Der Einsatz der finanziellen Mittel für dieses Instrument wird gedeckelt.

Bei den sogenannten Ein-Euro-Jobs wird neben den Kriterien Zusätzlichkeit und öffentliches Interesse künftig auch noch das Kriterium der Wettbewerbsneutralität zu erfüllen sein.

Da die maximale Dauer einer Förderung gesetzlich eng begrenzt ist - maximal 24 Monate in einem Zeitraum von fünf 5 Jahren -, wird es immer wieder zu einer Unterbrechung der Förderung kommen,

bis die Voraussetzungen für die Förderung erneut erfüllt sind. Das Ergebnis sind demotivierende Förderlücken und demotivierte Menschen.

Ergänzende Förderleistungen werden ganz gestrichen. Qualifizierung findet nicht mehr statt.

Meine Damen und Herren! In der Arbeitslosenversicherung wird es zukünftig keinerlei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mehr geben. Dies betrifft insbesondere Nichtleistungsempfänger, das heißt Menschen, die mangels Bedürftigkeit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben. Davon werden vor allem Frauen betroffen sein.

Die Fördermöglichkeiten für einzelne Gruppen schwerbehinderter Menschen werden verschlechtert, indem die maximale Finanzierungsdauer des Eingliederungszuschusses gekürzt wird. Das ist die falsche Politik. Menschen, die es am Arbeitsmarkt am schwersten haben, darf man nicht alleine lassen. Das ist die Position der Sozialdemokraten.

(Beifall bei der SPD)

Die Leistungen zur Berufsorientierung und zur Berufseinstiegsbegleitung werden erfreulicherweise entfristet. Was nicht sehr schön ist: Der neu eingeführte Zwang zu einer 50-prozentigen Kofinanzierung durch Dritte ist kontraproduktiv, denn gerade an sozialen Brennpunkten wird den Kommunen das Geld fehlen, um die Kofinanzierung sicherzustellen.

Die Einstiegsqualifizierung steht künftig nur noch befristet bis zum Jahr 2014 zur Verfügung. Statt einer pauschalen Befristung des Instrumentes wäre es sinnvoller, das Instrument stärker als bisher auf die Zielgruppe der sogenannten nichtausbildungsreifen Jugendlichen zu fokussieren.

Bei der Reform dieses Übergangssystems wird auch nicht berücksichtigt, dass es keine Maßnahmen mehr geben soll, die nicht auf eine Ausbildung angerechnet werden können. Ein unbürokratischer Zugang zu den Leistungen zur Vorbereitung auf den Hauptschulabschluss ist weiterhin nicht gewährleistet. Die gewünschte Fehlanzeige wird nicht vorhanden sein; das heißt, eine Flexibilisierung wird nicht möglich sein.

Der Vermittlungsgutschein wird entfristet. Es bleibt aber bei einer Pflichtleistung und den Auszahlungsmodalitäten an die privaten Arbeitsvermittler - trotz heftiger Kritik.

Verfehlt ist die Umwandlung zahlreicher Pflichtleistungen in Ermessensleistungen. Die Beschränkung der Rechtsansprüche Arbeitsuchender bedeutet zukünftig, dass Vermittler kein ernsthaftes Ermessen mehr ausüben können, sondern wegen fehlender finanzieller Mittel quasi zum Nein gezwungen werden.

Der Weg in die Selbständigkeit wird für viele Menschen verbaut, da der in der großen Koalition geschaffene Gründungszuschuss im SGB III von ei

ner Pflicht- in eine Ermessensleistung umgewandelt wird; auch die Förderkonditionen werden verschlechtert und die Zugangsvoraussetzungen verschärft. Es wird kaum noch Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit heraus geben.

Die Bundesarbeitsministerin - daran wird die Dimension der Veränderungen deutlich - rechnet für das Jahr 2012 in diesem Bereich der Existenzgründungen mit Einsparungen im Bundeshaushalt von rund 1 Milliarde € und in den Folgejahren mit jährlich rund 1,3 Milliarden € weniger an Ausgaben. Zur Erinnerung: Im Jahr 2010 wurden bundesweit noch 1,86 Milliarden € in Existenzgründungen investiert. Das heißt, es ist kein Geld mehr da, um Existenzgründer zu unterstützen.

Meine Damen und Herren! Bisher bestand sechs Monate nach Eintritt der Arbeitslosigkeit ein Anspruch auf Maßnahmen zur Aktivierung und zur beruflichen Eingliederung. Dieser Anspruch entfällt künftig und wird ebenfalls zur Ermessensleistung. Damit wird auch hier eine Möglichkeit eröffnet, auf Kosten der Arbeitsuchenden den Haushalt zu sanieren.

Auch die zahlreichen Komplettstreichungen sind sehr gravierend. Es wird zum Beispiel der Qualifizierungszuschuss für jüngere Arbeitnehmer und der Ausbildungsbonus für Lehrlinge aus Insolvenzbetrieben ersatzlos gestrichen. Die Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer wird gestrichen. Auch hier gilt: Die Arbeitsuchenden helfen dem Bundesfinanzminister unfreiwillig bei der Sanierung des Haushaltes. Hierbei trifft es zur Abwechslung mal die Älteren.

Meine Damen und Herren! Der Eingliederungsgutschein für ältere Arbeitnehmer wird ebenfalls ersatzlos gestrichen. Unter bestimmten Voraussetzungen bestand bisher eine Erstattungspflicht zum Beispiel des Arbeitsgebers gegenüber der Bundesagentur für gezahltes Arbeitslosengeld. Damit trägt nicht dieser die Kosten einer Entlassung, sondern die Gemeinschaft der Beitragszahler. Diese Regelung entfällt ersatzlos. Dies sendet das falsche Signal an die Arbeitgeber, denn eine Entlassung in die Arbeitslosigkeit hinein wird zukünftig billiger.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt kaum noch Veranstaltungen, auf denen es um Arbeitsmarktpolitik geht, ohne dass dabei das Thema Fachkräftesicherung angesprochen würde. Die Landesregierung gibt sich alle Mühe, gemeinsam mit den Sozialpartnern im Rahmen eines Fachkräftepaktes dafür Sorge zu tragen, dass wir auch zukünftig noch genügend junge Menschen im Land ausbilden können und gleichzeitig Menschen aus der Arbeitslosigkeit in Ausbildung und Arbeit bekommen.

Es ist doch eigentlich das Natürlichste auf der Welt, zuallererst zu schauen, dass wir Menschen,