Protokoll der Sitzung vom 06.10.2011

Es ist doch eigentlich das Natürlichste auf der Welt, zuallererst zu schauen, dass wir Menschen,

die arbeitslos sind - insbesondere diejenigen, die langzeitarbeitslos sind -, in Arbeit und somit in Lohn und Brot bringen. Daher müsste es das Gebot der Stunde sein, dass man in Arbeitsmarktintegration und somit in Weiterbildung und Qualifizierung investiert und nicht die Instrumente und das Geld, das hierfür gedacht ist, zusammenstreicht. Das ist nicht nur kontraproduktiv, sondern das ist eine arbeitsmarktpolitische Geisterfahrt, die Frau von der Leyen hier startet.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen mich noch einmal deutlich sagen - ich bitte auch den Finanzminister zuzuhören -, welche arbeitsmarktpolitischen Mittel wir im Land zukünftig weniger zur Verfügung haben werden. Im Vergleich zu 2010 werden wir in Sachsen-Anhalt im Jahr 2011 im Bereich der Arbeitsmarktpolitik 81,2 Millionen € weniger zur Verfügung haben. Im Jahr 2012 werden es 134,3 Millionen € und im Jahr 2013 240 Millionen € sein, die in Sachsen-Anhalt fehlen werden. Im Jahr 2014 sind wir bei 320 Millionen €, die im Land Sachsen-Anhalt für die aktive Arbeitsmarktpolitik fehlen werden.

Meine Damen und Herren! Das sind Gelder, die zukünftig nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Deshalb muss das hier deutlich angesprochen werden.

Meine Damen und Herren! Eigentlich müsste jetzt das Gegenteil gemacht werden: Gerade wenn sich der Arbeitsmarkt verändert, aufnahmefähiger wird, mehr Chancen für arbeitslose Menschen entstehen, wieder einen Job zu bekommen, sollte man in Weiterbildung und Qualifizierung investieren und nicht bei der Verwaltung und Betreuung von Arbeitslosen verharren.

Das geht nicht mit kurzfristigen Arbeitsgelegenheiten, sondern nur mit intensiver Qualifizierung und Weiterbildung, und wenn es sein muss, auch mit Nachhilfe und pädagogischer Betreuung. Hierfür haben wir im Land Sachsen-Anhalt gute Weiterbildungsträger, die das leisten können und dies auch wollen.

Allerdings kostet das Geld. Daher brauchen wir für die Zukunft eine klare Vorfahrt für Weiterbildung und Qualifizierung und weniger Arbeitsgelegenheiten - auch, aber nicht nur vor dem Hintergrund eines sich verändernden und aufnahmefähigeren Arbeitsmarktes. Das, was wir jetzt brauchen, sind Maßnahmen für eine aktivierende und integrative Arbeitsmarktpolitik.

Meine Damen und Herren! Um noch einmal zum Thema Fachkräftebedarf zu kommen - -

Entschuldigung, ich bitte, zum Schluss zu kommen.

Ich komme gleich zum Ende. - Viele in Wirtschaft und Politik haben daran geglaubt, dass augrund der weiter geöffneten EU-Grenzen das Problem der Sicherung des Fachkräftebedarfs durch Zuwanderung gelöst werden kann. Mittlerweile wissen wir, dass gerade die jungen qualifizierten Menschen, insbesondere junge Frauen, lieber Ostdeutschland überspringen und sich einen gut bezahlten Job in Baden-Württemberg, Bayern oder sogar in Österreich oder in der Schweiz suchen.

Herr Kollege Steppuhn, ich weiß, dass das Herz in dieser Angelegenheit voll ist, aber Ihre Redezeit reicht nicht aus, um alles auszudrücken, was Sie bewegt.

Ich bin ja fast fertig, Herr Präsident. Dann lassen Sie mich noch drei Botschaften loswerden, Herr Präsident.

Das müssten aber sehr kurze Botschaften sein.

(Heiterkeit - Unruhe bei der CDU)

Wenn dem so ist, gibt es nur drei Botschaften, die für die Zukunft wichtig sind:

Erstens. Wir brauchen eine bessere Bezahlung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land. Gute Arbeit muss mit guten Tariflöhnen honoriert werden.

Zweitens. Wir müssen alles dafür tun, dass wir möglichst viele der Menschen, die noch arbeitslos sind, mitnehmen und versuchen, sie in Ausbildung und Arbeit zu integrieren. Dies gilt insbesondere für die vielen jungen unversorgten Menschen.

Drittens. Wir brauchen endlich für diejenigen, die keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, einen ehrlichen sozialen Arbeitsmarkt, der entsprechend ausgestaltet wird.

Meine Damen und Herren! Alles in allem möchte ich nochmals feststellen: Das, was die Bundesarbeitsministerin macht, ist schädlich für den Arbeitsmarkt und diskriminiert die Menschen. Diese Politik hat nichts mehr mit einer zukunftsgerichteten Arbeitsmarktpolitik zu tun. Diese Politik ist unsozial.

(Unruhe bei der CDU)

Kollege Steppuhn, Ihre Redezeit - -

(Unruhe bei der CDU)

Die Sozialdemokraten lehnen sie ab. Sie schadet unserem Land. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Die nächste Botschaft lautet: Sie haben die Redezeit erheblich überschritten. Ich werde die Überziehung der Redezeit den anderen Kolleginnen und Kollegen gutschreiben.

Ich gleiche es beim nächsten Mal aus.

Wir fahren in der Debatte fort. Als Nächster spricht Herr Minister Bischoff für die Landesregierung.

Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meine Kolleginnen und Kollegen!

(Herr Miesterfeldt, SPD: Guten Morgen, Herr Minister!)

- Das hatte ich eigentlich gemeinschaftlich erwartet. - In der letzten Woche sind die Arbeitslosenzahlen für den Monat September veröffentlicht worden. Dabei gibt es zwei wesentliche Trends:

Der erste Trend - dies ist natürlich immer mit Vorsicht zu genießen - zeigt deutlich, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt auch in SachsenAnhalt gebessert hat, so wie in den letzten 20 Jahren nicht. Das ist aber, wie gesagt, mit Vorsicht zu betrachten, weil man immer schauen muss, inwieweit Teilzeit, Zeitarbeit, der Niedriglohnsektor usw. mit hineinspielen.

Aber man weiß zumindest, dass die Arbeitslosigkeit weiterhin deutlich sinkt. Die beruflichen Chancen qualifizierter Fachkräfte - dies hat Herr Steppuhn gerade gesagt - werden immer besser. Das ist die erste, positive Nachricht, die man zur Kenntnis nehmen muss.

Die zweite Nachricht ist: Nach wie vor gibt es eine hohe Zahl von Langzeitarbeitslosen im Rechtskreis des SGB II, also die Hartz-IV-Empfänger; das sind knapp 100 000. An diesen Menschen ist die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt bisher leider größtenteils vorbeigegangen. Deren Zahl konnte gegenüber dem Vorjahr nur leicht, nämlich um rund 4 % reduziert werden. Dieses Problem löst sich offensichtlich auch bei positiver Gesamtentwicklung auf dem Arbeitsmarkt nicht von selbst.

Dies bedeutet - auch für mich -, dass wir in Zukunft arbeitsmarktpolitische Instrumente brauchen werden, mit denen wir auch die Integration von Langzeitarbeitslosen in Arbeit und Beschäftigung sinnvoll unterstützen können. Dies ist nicht nur eine

sozial- und gesellschaftspolitische Verpflichtung; dies ist nach meiner Überzeugung eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftebedarfs und bei schrumpfender Bevölkerung können wir es uns einfach nicht mehr erlauben, auf dieses Potenzial an Arbeitskräften zu verzichten.

Vor diesem Hintergrund sehe ich die derzeitige arbeitsmarktpolitische Strategie der Bundesregierung mit Sorge. Die gerade laufende Reform des arbeitsmarktpolitischen Instrumentenkastens, also im SGB II und im SGB III, hat vorrangig das Ziel, die von der Bundesregierung geplanten Einsparungen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik möglich zu machen. Wir haben uns mit der Mehrheit der Länder dafür eingesetzt, hierbei das Schlimmste zu verhindern und für zentrale Instrumente der Arbeitsmarktpolitik bessere Regelungen zu erreichen.

Ich möchte nur ein Beispiel nennen und aufzeigen, wie sich die Landesregierung in den letzten Monaten, auch schon vor dem Regierungswechsel, verhalten hat: Wir haben uns im Bundesratsverfahren zum Beispiel dafür stark gemacht, dass Maßnahmen zur befristeten Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen nicht durch überzogene Anforderungen - beispielsweise an Zusätzlichkeit, an Wettbewerbsneutralität oder durch ungünstige Finanzierungskonditionen - unmöglich gemacht werden. Diese Maßnahmen können nach unserer Überzeugung bei richtiger Ausgestaltung wesentlich zur Aktivierung, Stabilisierung und Arbeitsmarktintegration von arbeitsmarktfernen Personen im Sinne des SGB II beitragen.

Aufgrund des überdurchschnittlich hohen Anteils von SGB-II-Beziehern in Sachsen-Anhalt hat das Land großes Interesse am Erhalt praktisch umsetzbarer Förderkonditionen in diesem Bereich. Wir konnten uns in diesem Punkt leider nicht durchsetzen.

Auch die allermeisten anderen konstruktiven Vorschläge der Länder, zum Beispiel - dies ist schon gesagt worden - die Erhaltung des Existenzgründerzuschusses, die dauerhafte Absicherung des Instruments der Einstiegsqualifizierung und der zielgenauere Einsatz von beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen auch für Langzeitarbeitslose, sind letztlich vom Bund vom Tisch gewischt worden.

Ich habe veranlasst, dass im Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik des Bundesrates ein Antrag zur Anrufung des Vermittlungsausschusses unterstützt wird. Ziel war dabei eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzentwurfs zur Instrumentenreform. Aber da das Gesetz nicht zustimmungspflichtig ist, müssen wir uns - ich glaube, das ist jetzt Realität - auf erhebliche Verschlechterungen und finanzielle Kürzungen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik des Bundes einstellen, die deutliche Auswirkungen

auch auf Sachsen-Anhalt haben werden. Einige der Kürzungen hat Herr Steppuhn gerade deutlich gemacht; das möchte ich nicht wiederholen.

Vielmehr möchte ich die Prognosen für das Eingliederungsbudget der Jobcenter in Sachsen-Anhalt darstellen, das von rund 393 Millionen € im Jahr 2010 auf rund 217 Millionen € im Jahr 2012 sinken wird. Das entspricht einem Rückgang um 45 % im Landesdurchschnitt. In einigen Landkreisen wird der Rückgang sogar noch deutlich höher ausfallen. Die größten Kürzungen sind nach unseren Berechnungen mit 55 % im Altmarkkreis Salzwedel zu erwarten.

Wir werden diese Kürzungen nicht annähernd durch Aktivitäten oder Programme des Landes ausgleichen können. Aber wir werden versuchen - dies möchte ich deutlich sagen -, durch gute Zusammenarbeit mit den Arbeitsagenturen und vor allem auch mit den kommunalen Akteuren der Arbeitsmarktpolitik das bestmögliche Ergebnis auch unter den schlechten Rahmenbedingungen zu erreichen.

Wir wollen die aktive Arbeitsmarktpolitik im Bereich des SGB II gemeinsam mit den zugelassenen kommunalen Trägern und der Bundesanstalt so gestalten, dass die arbeitsmarktpolitische Wirkung in diesem Bereich in Bezug auf Integration in den Arbeitsmarkt und Beendigung der Hilfebedürftigkeit verbessert wird.

Ganz konkret sind wir derzeit dabei, für die letzte Phase der ESF-Strukturfondsperiode unter dem Namen „Regionale Beschäftigungsinitiative“ - das ist neu eingeführt worden; manche haben schon kritisiert, dass der Landtag zu wenig darin einbezogen worden ist, aber das war wegen der Kürze der Zeit nicht möglich; das musste in den letzten Wochen geregelt werden, weil es einen Stichtag dafür gegeben hat; deshalb war das nicht anders zu handhaben; aber ich hoffe, dass Sie zumindest diesen Punkt unterstützen - noch ein ergänzendes Landesprogramm zur befristeten Beschäftigung und Arbeitsmarktintegration von schwer vermittelbaren SGB-II-Beziehern vorzubereiten.

Dieses Programm soll in enger Kooperation mit den Trägern von 2012 bis 2014 umgesetzt werden, weil dann die ESF-Strukturfondsperiode ausläuft. Zielgruppen dieses Programms sollen insbesondere Alleinerziehende und Familien mit mehreren arbeitslosen Erwachsenen sein. Auch mit diesem Angebot wollen wir der Kürzungspolitik der Bundesregierung ein positives Signal entgegensetzen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Bischoff.

Wir begrüßen jetzt, bevor wir in der Debatte fortfahren, Gäste auf der Besuchertribüne, und zwar

Lehrerinnen und Lehrer des Geschwister-SchollGymnasiums Zeitz als Gäste der Landeszentrale für politische Bildung. Herzlich willkommen!