Es ist möglicherweise über die Medien ein Streit entstanden, inwieweit es rechtliche Instrumente gibt, die Auflagen im Rahmen der Führungsaufsicht zu verändern. Insoweit war es sicherlich eine unterschiedliche Rechtsauffassung, die Herr Stahlknecht und ich hatten.
Wir hatten uns im Vorfeld über die aktuelle Sicherheitslage ausgetauscht. Wir hatten aber über dieses lange Wochenende keine Gelegenheit, uns noch einmal über die rechtlichen Fragen auszutauschen. Insoweit ist dann in der Presse der Eindruck entstanden, dass wir hier unterschiedliche Rechtsauffassungen haben.
Ich habe es eben noch einmal betont: Es besteht das Recht auf freie Wohnortwahl, und wir haben auch nicht im Rahmen der Führungsaufsicht die Möglichkeit, den Beschluss dahin gehend zu ändern, dass der Wohnort anders festgesetzt wird.
Danke schön, Frau Ministerin. - Es bestehen außerdem noch Redezeitkontingente. Die Fraktionen haben ihre Redezeiten noch nicht ausgeschöpft. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird als Nächster Herr Kollege Herbst die Debatte fortsetzen.
Außerdem habe ich als amtierender Sitzungspräsident nach § 62 unserer Geschäftsordnung noch darauf hinzuweisen: Spricht ein Mitglied der Landesregierung am Ende einer Debatte, ist die Debatte wieder eröffnet und den Fraktionen ist, wenn sie es denn wünschen, noch angemessene Redezeit zu gewähren.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich etwas zur Emotionalität der Debatte sagen. Wir hatten uns gestern darauf verständigt, an dieser Stelle keine emotionale Debatte, sondern eine sachliche Debatte zu führen.
Dafür, dass heute Emotionen eine Rolle gespielt haben, ist in erster Linie das verantwortlich, was Sie, Herr Stahlknecht, gestern Abend gemacht haben.
Meine Damen und Herren! Im Fall Insel ist wertvolle Zeit verloren gegangen, was von allen Beteiligten vor Ort als ein belastender Zustand empfunden wurde. Auch dadurch konnte sich die Situation so entwickeln, dass es zu einer schweren Belastungsprobe für unseren Rechtsstaat geworden ist. Diese Belastungsprobe galt es zu meistern.
Sie aber, sehr geehrter Herr Minister Stahlknecht, haben diese Situation nicht gemeistert, auch wenn Sie das vielleicht glauben, sondern Sie haben sie einer Ihnen genehmen Lösung zugeführt. Dies ist kein Gewinn, weder für die Betroffenen noch für das Parlament und am allerwenigsten für den Rechtsstaat.
Wenn Sie sagen, es gehe nicht mehr um Sieg oder Niederlage, sondern es gehe nur noch um menschliche Vernunft, dann halte ich das für einen Trugschluss.
Denn unser Rechtssystem lehrt uns und die höchstrichterliche Rechtsprechung zeigt uns, dass das eine gar nicht ohne das andere existieren kann. Das Bundesverfassungsgericht, das gerade 60 Jahre alt geworden ist, ist nicht deswegen eine völlig unangefochtene und mit höchstem Vertrauen ausgestattete Institution, weil es uns Bürgerinnen und Bürgern nach dem Munde redet. Es gewinnt seine Autorität vielmehr aus der unbedingten Verpflichtung auf die Grundsätze unserer Verfassung und die rechtsstaatliche Vereinbarkeit als wichtigste Maxime sowie aus dem Lebensbezug und der damit häufig korrektiven Funktion seiner Beschlüsse, die dann menschlicher Vernunft zur Geltung verhelfen.
Hierin liegt der Dreisatz, der in der Tat dazu geeignet gewesen wäre, gesellschaftliche Verhältnisse zu befrieden. Aber der vermeintliche Frieden, der jetzt im Alleingang erreicht worden ist, schadet dem Rechtsfrieden.
Mit Ihrer Festlegung, die Sie, Herr Minister Stahlknecht, auch öffentlich getätigt haben, nämlich darauf hinzuwirken, dass die Bewohner den Ort verlassen, haben Sie vielleicht eine populäre Entscheidung getroffen, aber, wie ich meine, keine vernünftige Entscheidung.
Wenn wir das ernst nehmen, was in dem heute bereits angesprochenen Entschließungsantrag steht, nämlich dass es zur Chance auf Resozialisierung in einem Rechtsstaat keine Alternative gibt, dann
Das politische Signal, das von der neuen Lage und mit der nun getroffenen Entscheidung ausgeht, bereitet mir große Sorge. In den vergangenen Wochen haben sich zu den Demonstranten in Insel immer mehr Menschen gesellt, die für ihre menschenverachtenden und demokratiegefährdenden Einstellungen dort eine dankbare Plattform gefunden haben. Sie haben den Forderungen nach einem Wegzug ihre an einem nationalsozialistischen Gewaltstaat orientierten Parolen aufgesetzt.
Der Spruch „Problemlösung statt Problemverlagerung“ stand auf den Transparenten der Nazis. Ich glaube, ich brauche nicht näher zu erläutern, was das bedeutet.
Trotz dieser Forderung durften sie sich vor die anderen Demonstrierenden stellen. Der Aufschrei darüber ist in Insel größtenteils leider ausgeblieben. Denn die Anführer des Protests haben den Nutzen des rechten Mobs für ihr Anliegen schnell erkannt.
Auch Sie, Herr Minister, haben das durchschaut. Sie selbst haben den Ortsbürgermeister für seine Kumpanei mit den Neonazis kritisiert und selbst Bezüge zu dem drohenden Potenzial einer weiteren Besetzung des Themas durch die Nazis hergestellt. Aber leider haben Sie daraus die völlig falschen Schlüsse gezogen und hektisch rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft gesetzt.
Das, wovor Ihre und alle anderen Fraktionen warnen wollten, ist jetzt eingetreten. In der Erklärung aller Fraktionen heißt es:
„Bereits wenn auch nur der Anschein erweckt wird, dass erst auf den Plan tretende Neonazis vermeintlich ‚Recht und Ordnung’ durchsetzten, beschädigte dies den Rechtsstaat.“
Das ist ein kluger Satz in der Erklärung. Es stehen viele kluge Sätze in der Erklärung. Es ist eine Erklärung, die in der Tat gezeigt hat, dass sich das Parlament in entscheidenden und komplizierten Fragen konstruktiv einigen kann.
Wir wollen erreichen, dass wir gemeinsam die richtigen Lehren aus den Geschehnissen in Insel ziehen, sodass wir für die Debatte über eine zukünftige Ausrichtung der Folgen der Sicherungsverwahrung etwas mitnehmen können.
Wir wollten Prozesse auf den Weg bringen, die das gegenseitige Vertrauen stärken und die die Resozialisierung den Schrecken verlieren lassen, den sie mancherorts hat.
Diesen Prozess haben Sie, wie ich meine, zumindest gefährdet und damit auch viele Menschen vor den Kopf gestoßen, die sich ernsthaft Gedanken darüber gemacht haben, wie man qualitativ etwas erreichen und für die Zukunft mitnehmen kann, nicht zuletzt diejenigen, die gestern in langen Abstimmungen über diesen gemeinsamen Entschließungsantrag gebrütet haben.
In den letzten Wochen wurde zu Recht viel Kritik am zögerlichen Handeln der Landesregierung laut. Frau Professor Kolb, dieses zögerliche Handeln schließt ein, dass Sie sich nicht für eine professionelle Moderation eingesetzt haben.
Wir sprechen an dieser Stelle nicht von irgendeiner Supervision oder davon, zwei Parteien an einen Tisch zu holen. Vielmehr ist es doch das Tagesgeschäft einer professionellen Moderation - deswegen gibt es sie ja -, verhärtete Situationen, in denen überhaupt nicht mehr miteinander gesprochen wird, aufzulösen. Dieser Ansatz wurde im Fall Insel nicht verfolgt. Ich glaube, damit wurde eine wichtige Chance vertan, frühzeitig eine Kehrtwende einzuleiten, die auf Rechtsstaatlichkeit fußt.
Viele Menschen haben aber auch gesagt, sie erwarten von der Politik, dass sie in der Lage sei, auch in solchen festgefahrenen und sehr komplizierten Situationen echte Beiträge zu liefern. Deswegen hat unsere Fraktion die Aktuelle Debatte beantragt, und zwar nicht, um aufeinander einzudreschen, sondern weil wir meinen, es gibt ein Recht der Bevölkerung darauf, dass sich das Parlament mit wichtigen Grundsatzfragen, wie sie sich in Insel kristallisiert haben, auseinandersetzt.
Wir sind froh, dass die guten Vorschläge, die gemacht wurden, in einen gemeinsamen Entschließungsantrag eingemündet sind, den wir teilweise mitverhandelt haben und der hoffentlich einmütig beschlossen wird.
Auf so viel Offenheit und Transparenz in der Politik haben die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch, aber nicht auf Hinterzimmergespräche, die Menschen zum Spielball von Interessen machen. - Vielen Dank.
Ich habe zwei Fragen. Von Herrn Superintendenten Kleemann ist der Wunsch geäußert worden, dass der Innenminister bei dem Gespräch, das Sie als Hinterzimmergespräch bezeichnet haben, anwesend ist.
Können Sie bestätigen, dass der Innenminister den Versuch unternommen hat - dies war nach meinem Wissen auch erfolgreich -, jede Fraktion über die Ergebnisse dieses Gespräches, bei dem er um Teilnahme gebeten worden ist, zu informieren oder zumindest versucht hat, alle Fraktionen zu erreichen? War das auch bei Ihrer Fraktion der Fall?
Ich habe eine zweite Frage. Ministerin Frau Professor Dr. Kolb hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in der zugespitzten Situation in Insel die Tür für einen Neuanfang zugeschlagen wurde. So ist das von ihr formuliert worden.