Werte Kolleginnen und Kollegen! Im Ergebnis der Beratungen zu dem Gesetzentwurf und dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE in den Ausschüssen für Recht, Verfassung und Gleichstellung sowie für Bildung und Kultur wurde die Ihnen in der Drs. 6/4524 vorliegende Beschlussempfehlung erarbeitet. Im Namen des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleichstellung bitte ich um Ihre Zustimmung zu dieser Beschlussempfehlung. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke, Kollege Wunschinski, für die Berichterstattung. - Bevor Frau Professor Dr. Kolb das Wort erteilt bekommt, können wir Schülerinnen und Schüler der Freien Schule im Burgenland aus Naum
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wenn wir heute zum wiederholten Mal über einen Gesetzentwurf zur Einführung eines Jugendarrestvollzugsgesetzes und zur Änderung des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt debattieren, kann ich feststellen, dass sich in der Zwischenzeit der Jugendarrest verändert hat. Wir haben eine ganze Menge zum Besseren verändert.
Ich möchte es mal so zusammenfassen: Ja, der Jugendarrest auch unter den schwierigen Bedingungen am Standort des Roten Ochsen in Halle hat mittlerweile sein Gesicht verändert. Wir haben die Räumlichkeiten freundlicher gestaltet. Wir haben mehr Freizeitmöglichkeiten für die Jugendlichen geschaffen. Wir haben die Zahl der Sozialarbeiter erhöht. Und wir können mittlerweile gewährleisten, dass auch Schulunterricht während des Jugendarrests stattfindet.
Dafür möchte ich mich an der Stelle ausdrücklich auch bei den Abgeordneten des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleichstellung bedanken; denn ich glaube, das war wirklich ein gemeinsames Anliegen. Wir haben die Anstöße aufgegriffen und die Dinge tatsächlich auch im Interesse einer wirksamen Resozialisierung im Rahmen des Jugendarrestvollzuges gestaltet.
- Danke schön. - Richtig ist, wir haben im Moment in Sachsen-Anhalt noch keine gesetzliche Regelung. Das heißt aber nicht, dass der Jugendarrestvollzug nicht geregelt ist. Wir haben nach wie vor die Jugendarrestvollzugsordnung und eine Rechtsverordnung des Bundes, sodass wir eindeutige Rechtsgrundlagen haben.
Richtig ist auch, dass Sachsen-Anhalt in der Arbeitsgruppe zur Entwicklung eines Musterentwurfs für den Jugendarrestvollzug aktiv mitgewirkt hat. Dieser Entwurf liegt seit Mai 2014 vor und ist - auch das muss mal gesagt werden, um das in den Gesamtkontext einzuordnen - bisher nur in fünf Ländern umgesetzt worden. Bisher haben also lediglich fünf Länder ein Jugendarrestvollzugsgesetz.
Wir sind im Moment in einer intensiven Debatte, was die Regelung dieses Musterentwurfs betrifft, nicht nur intern, sondern wir reden mit den Kolleginnen und Kollegen im Geschäftsbereich, mit dem Generalstaatsanwalt, mit dem Präsidenten
Uns ist im Hinblick auf die Umsetzung eines Jugendarrestvollzuges wichtig, dass wesentliche Eckpunkte, die sich auch im Rahmen der Anhörung widergespiegelt haben, ganz konsequent umgesetzt werden. Jugendarrest ist eben keine Strafe. Ich wünsche mir, dass wir dieses alte Wort des Zuchtmittels irgendwann auch einmal aus dem Jugendstrafrecht entfernen.
Wir wollen keine Schocktherapie, sondern wir sind uns dessen bewusst, dass der Staat auch gegenüber den Jugendarrestanten eine besondere Fürsorgepflicht hat. Es ist eine Maßnahme, mit der gravierend in das Leben der Arrestanten eingegriffen wird, durch die sie aus ihrem Lebensumfeld herausgelöst werden.
Und ja, wir stehen vor besonderen Herausforderungen, weil der Jugendarrest mit einer kurzen Verweildauer von zwei Tagen bis maximal vier Wochen verbunden ist. Deshalb ist es eben wichtig, dass das, was wir an Erkenntnissen haben, was an Behandlung begonnen wurde, nicht mit dem Ende des Jugendarrestes endet, sondern nach der Entlassung möglichst fortgeführt wird.
Was uns die Arbeit auch nicht leichter macht, ist, dass wir einen kleinen und einen sehr heterogenen Adressatenkreis haben. Das heißt, wir haben Arrestanten, die zum ersten Mal mit einer geschlossenen Einrichtung, mit einer freiheitsentziehenden Maßnahme Bekanntschaft machen. Wir haben aber auch Bewährungsversager. Wir haben eben auch Jugendliche, die schon einmal im Jugendstrafvollzug gesessen haben. Und - darauf komme ich gleich noch einmal zu sprechen - wir hatten in der Vergangenheit auch Schulschwänzer im Jugendarrest.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen ist die eine Seite, die praktische Umsetzung des Jugendarrestvollzuges die andere.
Nach meiner Überzeugung bedarf es eines engmaschigen Netzwerkes, in dem insbesondere die Jugendhilfe, die Schulen, die Einrichtungen der beruflichen Bildung, des sozialen Dienstes der Justiz und eben auch unsere freien Träger eingebunden sind. Wir brauchen eine Vernetzung aller Adressaten, damit eben auch jemand, der im Jugendarrest war, nach seiner Entlassung genau weiß, wer seine Ansprechpartner sind. Damit soll sichergestellt werden, dass die Probleme, die wir dort erkannt haben, eben nach der Entlassung auch konsequent angegangen werden und dass ihm ermöglicht wird, dass er nicht wieder mit dem Gesetz in Konflikt kommt und ein Leben frei von Straftaten führt, und eben nicht im Strafvollzug ankommt.
Daran arbeiten wir, genauso wie wir das mit den Strafvollzugsgesetzen gemacht haben. Wir wollen zunächst einmal ein Konzept für den Vollzug des Jugendarrestes in Sachsen-Anhalt erarbeiten. Das ist für uns die Grundlage des Gesetzes: Denn wir wollen kein Gesetz, in dem steht, wie es sein könnte, sondern wir wollen ein Gesetz, das konkret sagt, wie wir es auch praktisch umsetzen wollen.
Erlauben Sie mir abschließend noch einige Worte zu den sogenannten Schulschwänzern, zu den Schulverweigerern. Das ist ein Thema, das uns sehr lange beschäftigt hat. Wir haben nach der Diskussion unter der Federführung des Kultusministeriums den Runderlass zum Umgang mit Schulpflichtverletzungen dergestalt verändert,
dass die Ultima Ratio, nämlich der Jugendarrest, nicht mehr angewandt werden soll. Vorrang haben alle pädagogischen Maßnahmen; das muss dokumentiert werden.
Ich kann Ihnen an dieser Stelle versichern, dass das offensichtlich auch Erfolg hat. Denn seit dem Inkrafttreten dieses Erlasses sind bei uns im Jugendarrest keine Schulschwänzer mehr angekommen.
Wir werden das evaluieren. Wir werden in zwei Jahren schauen, wie sich die Entwicklung insgesamt vollzogen hat. Dann lassen Sie uns daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen.
Vielen Dank noch einmal für Ihre Unterstützung, für die sehr konstruktive Diskussion. Ich bin mir sicher, dass wir in der nächsten Legislaturperiode dann auch ein Jugendarrestvollzugsgesetz so gestalten können, dass wir guten Gewissens den Jugendlichen Bedingungen im Jugendarrest anbieten, die Ihnen helfen und die eben keine Schocktherapie sind. - Vielen Dank.
Danke sehr, Frau Ministerin. - Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Als erste Debattenrednerin spricht für die Fraktion DIE LINKE Frau von Angern. Bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es ist gut, richtig und wichtig, dass wir heute hier zum wiederholten Male über den Jugendarrest und dessen Vollzug reden und diskutieren. Aber leider bleibt es auch heute wieder nur beim Diskutieren.
Ich denke, die klare Botschaft, die wir heute entsenden, ist, dass es mindestens zwei Missstände beim Jugendarrest gibt, die dank einer intensiven Anhörung, aber auch einer inzwischen langjährigen öffentlichen Diskussion auch dem letzten Mitglied dieses Hohen Hauses bekannt sein dürften
Erstens. In der Jugendarrestvollzugsanstalt können sich weiterhin Schulschwänzer, Schulverweigerer befinden. Ich habe sehr wohl die Worte der Ministerin gehört. Ich würde es nicht feiern, dass die Richtlinie zumindest dahingehend verbessert worden ist, dass wir jetzt eine Dokumentationspflicht haben.
Zu dem Argument, dass das nur die Ultima Ratio ist, ist anzumerken, dass ich davon ausgehe, dass es auch vorher schon so gewesen ist. Insofern nehme ich mit Bedauern zur Kenntnis, dass Sie heute ein Stück weit von Ihrer bisherigen Position abgerückt sind, dass Schulverweigerer grundsätzlich nicht in den Jugendarrest gehören und dass es deswegen einer Änderung des Schulgesetzes bedarf.
Zweitens. Wir haben nach wie vor einen Jugendarrestvollzug ohne gesetzliche Grundlage für dessen konkrete Ausgestaltung. Das Erstgenannte halte ich für fachlich absurd und nicht tragfähig. Das Zweite ist mindestens verfassungsrechtlich bedenklich, wenn nicht gar verfassungswidrig. Aber dazu sage ich später noch etwas.
Die Besonderheit der heutigen Debatte - das tatsächlich etwas Besonderes im Hohen Hause - ist, dass der Gesetzentwurf und der Entschließungsantrag zwar am Ende abgelehnt werden, doch zumindest die rechtspolitischen Sprecherinnen aller Fraktionen beides für richtig und erforderlich erachtet haben. Dazu kann ich nur ganz ausdrücklich sagen: Respekt, Sie haben den Bildungspolitikerinnen in Ihren eigenen Reihen etwas voraus.
Denn letztlich muss man ganz klar sagen, es sind die Bildungspolitikerinnen der Koalitionsfraktionen, die die Änderung im Schulgesetz verhindern. Diese können sich in ihrer Argumentation lediglich auf die Stellungnahme des Verbandes der Schulleiterinnen und Schulleiter in Sachsen-Anhalt berufen. Das ist auch in der Berichterstattung des Ausschussvorsitzenden deutlich geworden. Dieser Verband hat als einziger Anzuhörender ausdrücklich auf die Beibehaltung der jetzigen Formulierung im Schulgesetz gesetzt.
Insoweit weise ich lieber auf die Stellungnahme des Landesschülerrates hin, der für eine höhere pädagogische Fachkompetenz steht und in seinen Forderungen vor allem auf besser ausgebildete Lehrerinnen, mehr Schulsozialarbeiterinnen an den Schulen und eine verbesserte Kommunikation zwischen Schule, Eltern und Behörden setzt.
wird, lassen Sie mich einige Gedanken aus der Anhörung zum Gesetzentwurf anführen. Die wichtigsten wurden aus meiner Sicht vom DVJJ dargestellt.
Die Arrestanstalt ist in vielerlei Hinsicht eine Schule der Kriminalität. Für viele ist der Arrest auch der Einstieg in die Kriminalität. Die Jugendgerichtshilfe Magdeburg sagte ganz deutlich, dass eine Unterbringung von Schulverweigerern gemeinsam mit Jugendlichen und Heranwachsenden aus pädagogischer Sicht völlig indiskutabel ist.
Die Leitern der Jugendarrestanstalt in Halle sagte ganz klar, dass sie auf keinen Fall möchte, dass Jugendliche wegen Schulbummelei in den Jugendarrest kämen, dass man vielmehr hinschauen müsse, warum sie nicht zur Schule gingen.
Ein Richter vom Amtsgericht Eilenburg sagte ganz deutlich, dass ein Jugendarrestvollzugsgesetz zwingend notwendig sei. Er verwies dabei auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2006. Dieses entschied damals, dass Grundrechtseingriffe im Vollzug freiheitsentziehender Sanktionen gegen junge Menschen nur dann verfassungsgemäß sind, wenn diese aufgrund einer formalgesetzlichen Grundlage erfolgen. Der Jugendarrest wird weitaus häufiger vollstreckt und es ist verheerend, dass das tagtäglich hier in Sachsen-Anhalt ohne Eingriffsgrundlage erfolgt.
„Befassen Sie sich so schnell wie möglich mit einem Jugendarrestvollzugsgesetz. Lösen Sie sich dabei von Ihren vorgeformten Bildern. Binden Sie die Betroffenen ein. … Formulieren Sie dann konkrete Vollzugsziele und prüfen Sie, was Sie zu deren Umsetzung benötigen.“
Nun, ich bin keine Pädagogin, ich bin Juristin. Aber wenn Pädagogen in einer öffentlichen Anhörung feststellen, dass der Beugearrest, wenn alle pädagogischen Möglichkeiten ausgereizt sind - Frau Ministerin sprach selbst von einer Ultima Ratio -, das letzte Mittel sein solle, sein müsse, dann halte ich das mehr als fragwürdig und für eine pädagogische Bankrotterklärung.
Meine Damen und Herren der Koalition! Ich finde, dass Sie dann den Mut haben sollten, ehrlich zu benennen, was Ihr eigentliches Problem ist. Es geht Ihnen nicht um junge Menschen in schwierigen Lebenslagen, es geht Ihnen vielmehr darum, was denn das vermeintliche Wählerpotenzial zu einer solchen Positionierung sagt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Ich denke, ich brauche Ihnen heute nicht die Augen zu öffnen. Sie sind hellwach.