Protokoll der Sitzung vom 09.12.2015

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Wir fahren fort mit dem Tagesordnungspunkt 8:

Beratung

Forschungsstrategie des Landes Sachsen-Anhalt

Große Anfrage Fraktion SPD - Drs. 6/4205

Antwort der Landesregierung - Drs. 6/4411

Es wurde die Debattenstruktur „D“ vereinbart, also eine 45-Minuten-Debatte. Die Reihenfolge der Fraktionen und ihre Redezeiten sind: DIE LINKE neun Minuten, CDU zwölf Minuten, GRÜNE vier Minuten und SPD acht Minuten. Ich erteile gemäß § 43 unserer Geschäftsordnung zuerst der Fraktion der SPD das Wort. Das Wort hat Frau Dr. Pähle. Bitte schön, Frau Dr. Pähle.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit der Begutachtung unseres Wissenschaftssystems durch den Wissenschaftsrat wissen wir, dass die Hochschul- und Wissenschaftslandschaft in unserem Bundesland gut aufgestellt ist. Mit zwei Universitäten, vier Hochschulen für angewandte Wissenschaften an insgesamt acht Standorten, einer Hochschule für Kunst und Design und deren Ergänzung durch fünf Institute der Leibniz-Gemeinschaft, vier Max-Planck-Instituten, vier Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft und dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung sowie dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen sind wir mit der vorhandenen Forschungsexpertise in unserem Land sehr gut aufgestellt.

Die Beantwortung der Großen Anfrage zum Thema „Forschungsstrategie des Landes SachsenAnhalt“ zeigt dies anhand von vielfältigen und aufschlussreichen Übersichten und Datensammlun

gen. Für die Erarbeitung sage ich an dieser Stelle allen Beteiligten Dank.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Hinsichtlich der statistischen Aussagen bietet die Antwort der Landesregierung einiges. So hat der Landtag einen aktuellen Überblick über das Personal an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen in unserem Land erhalten. Hier tun sich erschreckende Einsichten in die Realität von Forschungseinrichtungen auf.

In der Antwort auf die Frage 14 zeigt sich, dass lediglich die Standorte des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung, die hier ansässigen Institute der Fraunhofer-Gesellschaft und das IWH einen Anteil von unbefristetem wissenschaftlichen Personal von mehr als 25 % haben. Das UFZ liegt mit 53,3 % an der Spitze. Dem steht in anderen Einrichtungen ein Anteil von befristetem wissenschaftlichen Personal von 73 % und mehr gegenüber. Das ist, ehrlich gesagt, unglaublich.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Das reicht bis zu einem Anteil von 92,3 % an den Max-Planck-Instituten.

Auch wenn die außeruniversitären Forschungseinrichtungen darauf ausgerichtet sind, den wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden, fällt es mir schwer, bei einem Verhältnis von neun befristeten zu einer unbefristeten Stelle von einer ausgewogenen Struktur zu sprechen. Hierzu ist festzustellen, dass es an der Zeit ist für einen Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs, der vonseiten des Bundes im Gespräch ist, damit wissenschaftliche Karrieren nicht zum Paradebeispiel für unsichere Lebensperspektiven werden.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Wir können auch nachlesen, wie sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in unserem Bundesland in den letzten zehn Jahren entwickelt haben. Diese wie auch andere Auflistungen zeigen, dass Sachsen-Anhalt sehr froh darüber sein kann, dass unsere Hochschulen ihren Forschungsauftrag aus sich heraus ernst nehmen. Wären sie auf das Handeln des Ministeriums angewiesen, stünden wir wahrscheinlich nicht so gut da.

(Zustimmung bei der LINKEN)

So zeigen die Fragen nach der Förderung für den Bereich von Forschung und Entwicklung durch die öffentliche Hand, dass wir in der Entwicklung hinter den anderen ostdeutschen Ländern zurückstehen. Während in Deutschland im Jahr 2013 insgesamt 2,84 % des Bruttoinlandsprodukts für die Förderung in diesem Bereich aufgewendet worden sind und unsere direkten Nachbarländer Thüringen und Sachsen, mit denen wir im mitteldeutschen

Wissenschaftsraum an vielen Stellen kooperieren, aber auch konkurrieren, mit einem Anteil von 2,74 % - Sachsen - und von 2,2 % - Thüringen - aufwarten, leistet sich Sachsen-Anhalt einen Anteil von 1,43 %.

Sieht man sich die Entwicklung in den Jahren seit 2000 an, so verstärkt sich der Eindruck, dass wir in diesem Bereich den Anschluss deutlich verpasst haben.

(Zustimmung von Herrn Lange, DIE LINKE, und von Herrn Dr. Thiel, DIE LINKE)

Während Sachsen von 2,42 % im Jahr 2000 - damals lag es sogar leicht über dem Bundesschnitt von 2,4 % - eine Steigerung um 0,33 % erreichen konnte und Thüringen seinen BIP-Anteil von vormals 1,73 % sogar um 0,47 % steigerte, sehen wir in Sachsen-Anhalt eine Steigerung von 0,03 %. Das ist viel zu wenig, um den Abstand aufzuholen und Forschung ausreichend zu finanzieren.

Zum einen ist der Anteil am BIP, den unsere Hochschulen für Forschung und Entwicklung ausgeben, eingebrochen, und zwar schon im Jahr 2006. Das ist eine Erklärung. Mittlerweile konnte dieser Anteil wieder auf 0,51 % angehoben werden. Das ist, ehrlich gesagt, der Drittmittelstärke unserer Hochschulen zu verdanken. Zum anderen haben auch die staatlichen Ausgaben im Verlauf der letzten Jahre Veränderungen erfahren. Sie liegen heute ebenfalls über dem Stand des Jahres 2000.

Was also lässt uns dann so schlecht dastehen? - Es ist die bemerkenswerte Entwicklung im Bereich der Wirtschaft. Festzuhalten ist, dass lediglich ein Anteil von 0,44 % dessen, was im Bereich der Forschung und Entwicklung im Jahr 2000 geleistet wurde, durch die Wirtschaft erbracht wurde. Mittlerweile sind es nur noch 0,42 %. Das heißt, der ohnehin sehr geringe Anteil der Wirtschaft für den Bereich der Forschung und Entwicklung ist noch weiter zurückgegangen.

Dies spiegelt in Zahlen wider, was wir schon lange über die Wirtschaftsstrukturen in unserem Bundesland wissen: Die Struktur von kleinen und mittelständischen Unternehmen in Sachsen-Anhalt sorgt dafür, dass Forschungs- und Entwicklungsleistungen in der Wirtschaft nur gering ausgeprägt sind, und wenn es sie gibt, werden sie an anderen Standorten erbracht.

Dies beklagen wir schon lange und fordern Instrumente, um unsere gut ausgebaute Struktur von Wissenschaftseinrichtungen mit den hiesigen Wirtschaftsunternehmen zusammenzubringen. Insbesondere in diesem Feld besser zu werden war ein Versprechen, mit dem die Neuordnung der Ressorts in dieser Legislaturperiode begründet wurde. Wissenstransfer ist für unser Bundesland absolut unverzichtbar. Bedauernswert ist es nur, dass da

mit außer dem Instrument der Transfergutscheine so wenig verbunden wird.

Meine Damen und Herren! Das Instrument der Transfergutscheine will ich gar nicht infrage stellen. Allerdings wird mir von den Hochschulen auch berichtet, dass dort sehr unterschiedlich mit diesem Instrument umgegangen wird. Entweder ist es ein Instrument, um neue Fragestellungen von Unternehmen mit dem Know-how der Studierenden zu beantworten - einige Hochschulen stellen deshalb die Transfergutscheine als eine Art Belohnung für besondere Forschungsleistungen in Aussicht -, oder es dient dazu, Unternehmen an die Hochschule zu holen, sie für die Hochschulen zu interessieren und eigentlich stetig wiederkehrende Aufgaben in Unternehmen durch Studierende bearbeiten zu lassen. Ob dadurch ein Wissenstransfer stattfindet, vermag ich nicht zu beurteilen.

Vielmehr steht die Frage im Raum: Welche Ansätze gibt es noch, um Wirtschaft und Wissenschaft einander anzunähern, damit beide davon profitieren können?

Sehen wir uns die Antwort auf die Frage 16 an. Die Frage lautet: Welche vom Land geförderten Kooperationen zwischen Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft bestehen in Sachsen-Anhalt und wie sieht die Förderung aus? - In der Antwort wird auf die Forschungsschwerpunkte der Universitäten und der außeruniversitären Forschungseinrichtungen hingewiesen. Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften spielen hierbei für die Landesregierung anscheinend keine Rolle, obwohl mit der Verfolgung von Third Mission anwendungsorientierte Forschung dort eine immer größere Rolle spielt.

Auch die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft wird in der Antwort nicht aufgeführt. Gibt es sie etwa nicht? - Ich bin der Meinung: Doch, es gibt sie, aber jenseits des Blickfeldes. Dass dieses Blickfeld recht eingeengt ist, zeigt sich auch bei der Einschätzung der möglichen Barrieren, die Kooperationen in diesem Bereich behindern. Die Antwort der Landesregierung: Barrieren bestehen höchstens beim Umfang der zur Verfügung stehenden Fördermittel. Mit anderen Worten: Wenn SachsenAnhalt mehr Mittel zur Verfügung hätte, dann würden wir die bisherigen Programme besser ausstatten. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber innovative Ideen, um die Wirtschaft besser einzubeziehen, haben wir nicht. Hierin liegt das Problem, meine Damen und Herren.

Es zeigt sich an verschiedenen Stellen, dass von Innovation im Sinne der Anwendung neuer Verfahren und der Einführung neuer Techniken, um einen Bereich zu verbessern und auf den neusten Stand zu bringen, aufseiten des Ministeriums nicht gesprochen werden kann.

Bei den Fragen zu den Instrumenten, Einrichtungen und Programmen der Landesregierung verweist das Ministerium auf die nunmehr ausgelaufene Rahmenvereinbarung für Forschung und Innovation als zentrales Instrument der Forschungsförderung. Aber dieses Programm ist mittlerweile eingestellt worden. Und bevor der Vorwurf aus den Reihen der Opposition kommt, sage ich: ja, auch mit den Stimmen der SPD.

Die im Rahmen der EU-Förderperiode in Aussicht gestellten Mittel in Höhe von 132 Millionen € bis 2020 für den Bereich der FuE-Vorhaben und in Höhe von 14 Millionen € für den Bereich des Wissens- und Technologietransfers sollten diese Lücke jedoch auffangen können. Wie diese Mittel strategisch eingesetzt werden sollen, ist der Antwort jedoch nicht zu entnehmen.

So wird die Frage 5 nach den Forschungsfeldern mit besonderen Zukunftschancen für SachsenAnhalt damit beantwortet, welche Forschungsfelder man bisher gefördert hat. Das ist zwar im Sinne des Ansatzes „Stärken weiter stärken“ recht plausibel, aber ein „Das haben wir schon immer so gemacht“ wird unsere FuE-Leistungen nicht weiter steigern können, erst recht nicht im Bereich der anwendungsorientierten Forschung für Unternehmen in unserem Land. Aus der Sicht meiner Fraktion fehlen an dieser Stelle Ideen und neue Ansätze, um Sachsen-Anhalt zukunftsfähig zu machen.

Noch ein anderer blinder Fleck tut sich bei der Bewertung von Technologietrends auf. Das Ministerium stellt - mit meinen Worten zusammengefasst - klar, dass diese Aufgabe den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in unserem Land obliegt. Diese werden das Land schon darauf aufmerksam machen, welche Entwicklungen in der Welt im Gange sind.

Zwar wird vom Ministerium auf die vorgelegte Regionale Innovationsstrategie Sachsen-Anhalt 2014 bis 2020 hingewiesen, aber auch hier - so ist zumindest mein Eindruck - sollten die Arbeitsgruppen richten und geradebiegen, was sonst nicht geleistet werden kann.

So wird auch die Frage 35 „Welche Schwerpunkte will die Landesregierung zukünftig in der Forschungsförderung setzen?“ mit bekannten Fakten beantwortet: dem Auslaufen der Rahmenvereinbarung und dem Verweis auf die EU-Mittel.

Ähnlich sieht das Dilemma beim Thema Internationalisierung aus. Zur Frage 20 wird nur dargestellt, dass es natürlich ein wichtiger Bereich ist. Die Frage, warum er wichtig ist, wird lediglich damit beantwortet, dass die Aufrechterhaltung von internationalen Kooperationen den Zugang zu Erasmus-Programmen möglich macht. Eine Aussage dazu, dass die internationale Vernetzung der

Einrichtungen auch für das Land wichtig ist und dass sie durch die Landesregierung unterstützt wird, bleibt auf einem allgemeinen Niveau.

Wie werden denn die Hochschulen und Forschungseinrichtungen dabei unterstützt? Gibt es einen strategischen Ansatz, weitere Kooperationen zu fördern? Oder ist die Landesregierung der Meinung, dass die vorhandenen ausreichend sind? - Hierzu hätte ich mir mehr Aussagefreudigkeit durch das Ministerium gewünscht. Aber vielleicht ist das auch zu viel verlangt.

Meine Damen und Herren! So ließen sich noch weitere Beispiele für Antworten finden, in denen das Ministerium hinter dem zurückbleibt, was man eigentlich erwarten könnte, entweder weil man sich die Mühe nicht machen wollte oder weil man wirklich nicht weiß, wo man steht.

Ich nenne Ihnen folgende Beispiele. Zur Frage 63 - Patentanmeldungen - wird für den Bereich der Unternehmen geantwortet, dass man hierzu keine Aussage treffen könne, weil man keine differenzierten Daten zur Verfügung habe. Gleichzeitig weist die Regionale Innovationsstrategie einen Indikator zum Messen des Wirkens auf: die Patentintensität von Unternehmen, also die Zahl der Patentanmeldungen aus der Wirtschaft je 100 000 Einwohner, die durch das Statistische Landesamt zu erheben ist. Also bleibt die Frage offen: Verfügen wir über Daten oder nicht?

Zu der Frage 67 nach Existenzgründungen aus dem universitären Forschungsbereich in den letzten zehn Jahren kann das Ministerium zwar berichten, wie viele Gründungen es gab, aber nicht, wie die Überlebensrate der Neugründungen aussieht. Die aufgeführten Daten einer Studie des IfM Bonn sind zwar sehr interessant, ob sie jedoch auf unser Bundesland zu übertragen sind, bleibt offen.

Dabei wäre doch das Wissen um Fakten und Faktoren, mit denen es gelingt, Unternehmen am Markt zu halten, oder um die Gründe, aus denen sie scheitern, in einem Bundesland, das so wenig Gründungskultur hat, von besonderer Bedeutung. In Sachsen-Anhalt scheint die Verbindung zwischen dem Wissenschafts- und dem Wirtschaftsbereich irgendwie nicht so ganz zu funktionieren.

Kollegin Dr. Pähle, wir hatten vorhin ein technisches Problem mit der Uhr. Deshalb haben Sie jetzt noch so viel Redezeit auf Ihrer Uhr. Sie ist aber eigentlich abgelaufen. Wenn Sie so langsam zum Ende kommen könnten, wäre das sehr charmant.

Das mache ich. - Lassen Sie mich am Ende kurz zusammenfassen: Vielen Dank für die umfang

reiche Datensammlung, aber die Erkenntnisse daraus lassen zu wünschen übrig. Von einer strategiefähigen Ausrichtung kann leider nicht die Rede sein. Die beiden Teilbereiche des Ministeriums greifen auch nach fünf Jahren nicht ineinander. Gerade für den Bereich von Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft ergeben sich keine nennenswerten Vorteile aus der neuen Struktur. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LIN- KEN)