Protokoll der Sitzung vom 10.12.2015

Ich darf alle Kolleginnen und Kollegen zur 103. Sitzung unseres Landtages in der sechsten Wahlperiode begrüßen.

(Unruhe)

- Ich bitte um ein bisschen Ruhe!

Herzlich Willkommen, meine Damen und Herren, zum zweiten Teil der 49. Sitzungsperiode, die wir nunmehr fortsetzen.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir beginnen mit dem Tagesordnungspunkt 3:

Zweite Beratung

Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit in Asylverfahren

Gesetzentwurf Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/4372

Beschlussempfehlung Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung - Drs. 6/4605

Die erste Beratung fand in der 95. Sitzung des Landtages am 17. September 2015 statt. Berichterstatter ist der Abgeordnete Herr Wunschinski. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten das Wort. Bitte schön.

Einen schönen Guten Morgen, werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Der Gesetzentwurf zur Aufhebung der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit in Asylverfahren in der Drs. 6/4372 wurde in der 95. Sitzung am 17. September 2015 in den Landtag eingebracht und hier im Hohen Hause zur federführenden Beratung und Beschlussfassung in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung sowie zur Mitberatung in den Ausschuss für Finanzen überwiesen.

Wie der Titel bereits besagt, soll durch diesen Gesetzentwurf die Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit in Asylverfahren und die daraus resultierende Zuständigkeitskonzentration für erstinstanzliche asylrechtliche Streitigkeiten beim Verwaltungsgericht Magdeburg aufgehoben werden. Hierdurch wird die Voraussetzung geschaffen, das Verwaltungsgericht Halle in die Bearbeitung derartiger Verfahren einzubeziehen. Dadurch soll eine Beschleunigung der Verfahren, eine größere Ortsnähe für die Beteiligten sowie eine gleich

mäßigere Auslastung der beiden Gerichte erreicht werden.

Bereits vor der ersten Ausschussbefassung in der 55. Sitzung des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleichstellung am 2. Oktober 2015 lag die Synopse des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes vor und empfahl eine rechtsförmliche Anpassung. In dieser Sitzung verständigte sich der Ausschuss auf ein schriftliches Anhörungsverfahren und bat den Verband der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter in Sachsen-Anhalt sowie den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts um eine entsprechende Stellungnahme.

In ihren übersandten Stellungnahmen sprachen sich die Angehörten einhellig gegen dieses Gesetzesvorhaben und für die Beibehaltung der Verfahrenskonzentration auf das Verwaltungsgericht Magdeburg aus.

In der darauf folgenden 56. Sitzung am 30. Oktober 2015 setzte sich der Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung eingehend mit den Stellungnahmen auseinander und diskutierte intensiv die ablehnenden Argumente der Angehörten sowie die für diesen Gesetzentwurf sprechenden Aspekte. An dieser Beratung beteiligte sich auch der Präsident des Oberverwaltungsgerichts.

Am Ende vermochten die Argumente gegen diesen Gesetzentwurf den Ausschuss nicht zu überzeugen, sodass im Ergebnis der Abwägung die mit der Verfahrensdekonzentration beabsichtigten positiven Effekte überwogen. In der Folge empfahl der Ausschuss die Annahme des Gesetzentwurfes mit der vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst vorgeschlagenen rechtsförmlichen Anpassung. Die so gefasste vorläufige Beschlussempfehlung wurde mit 8 : 2 : 1 Stimmen verabschiedet und dem mitberatenden Ausschuss für Finanzen zugeleitet.

Der Ausschuss für Finanzen behandelte diesen Gesetzentwurf in der 94. Sitzung am 25. November 2015 und schloss sich mit 7 : 5 : 0 Stimmen der vorläufigen Beschlussempfehlung an.

Abschließend befasste sich der Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung in der 57. Sitzung am 27. November 2015 mit dem Gesetzentwurf. Nach erfolgter Aussprache verabschiedete er mit 9 : 2 : 2 Stimmen eine Beschlussempfehlung an den Landtag. Der vorläufigen Beschlussempfehlung sowie der Beschlussempfehlung des mitberatenden Ausschusses für Finanzen folgend, empfiehlt er die Annahme des Gesetzentwurfes mit der vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst empfohlenen Änderung.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Im Ergebnis der Beratungen des Gesetzentwurfes der Koalitionsfraktionen in den Ausschüssen für Recht, Verfassung und Gleichstellung sowie für Finanzen wurde die Ihnen in der Drs. 6/4605 vorliegende Be

schlussempfehlung erarbeitet. Im Namen des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleichstellung bitte ich um Ihre Zustimmung zur Beschlussempfehlung. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank dem Herrn Abgeordneten Wunschinski. - Für die Landesregierung erteile ich jetzt der Ministerin Frau Professor Dr. Kolb das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich möchte mich zunächst herzlich bedanken für die konstruktiven und sehr zügigen Ausschussberatungen.

Mittlerweile machen asylrechtliche Streitigkeiten die Hälfte aller erstinstanzlichen Verfahren bei den Verwaltungsgerichten unseres Landes aus. Von den insgesamt 5 035 Verfahren, die in den ersten neun Monaten, also bis September dieses Jahres, bei den beiden Verwaltungsgerichten in Magdeburg und Halle eingegangen sind, waren 2 437 Asylsachen, das heißt, jedes zweite Verfahren. Im Vergleich dazu: Vor fünf Jahren war es etwa jedes zehnte Verfahren.

Dennoch ist es derzeit so, dass aufgrund der historisch bedingten Asylkonzentration beim Verwaltungsgericht in Magdeburg die dort 29 Richterinnen und Richter das allein stemmen müssen. Die 16 Kolleginnen und Kollegen am Verwaltungsgericht in Halle haben im Moment nichts damit zu tun. Wir wollen mit diesem Gesetz die Verfahrenslast gleichmäßig auf alle Schultern verteilen, das heißt, auch die 16 Kolleginnen und Kollegen am Verwaltungsgericht in Halle mit ins Boot holen.

Das bedeutet nicht, dass wir in irgendeiner Form die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen hier in Magdeburg nicht schätzen. Im Gegenteil, sie machen ihre Arbeit sehr gut. Sie haben die Verfahrensflut, die in den letzten Monaten auf uns eingeströmt ist, hervorragend bewältigt. Das zeigt beispielsweise, dass die Eilverfahren - in der Hauptsache sind es Eilverfahren, die im Moment die Verwaltungsgerichte erreichen - gerade einmal 1,1 Monate dauern.

Es läuft im Moment alles gut. Die Frage ist, wenn im Moment alles gut läuft, dann könnten wir uns ja zurücklehnen. Nein, das können wir nicht; denn wir wissen alle, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist noch nicht richtig zum Arbeiten gekommen. Da liegen im Moment schon 350 000 unbearbeitete Verfahren. Das heißt, die eigentliche Verfahrensflut wird uns in den nächsten Jahren erst erreichen. Dafür wollen wir gewappnet sein.

Deshalb bin ich dankbar, dass die Ausschüsse eine positive Beschlussempfehlung zu diesem Gesetzentwurf erarbeitet haben. Ich denke, wir haben in den Ausschüssen intensiv diskutiert, insbesondere was die qualifizierte Entscheidung der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter am Standort in Halle betrifft. Wir haben dargestellt, dass es nicht eintreten wird, dass diese sich erst lange und aufwendig in diese Verfahrensmaterie einarbeiten müssen. Das sind vielmehr Kolleginnen und Kollegen mit langjähriger Berufserfahrung, sodass wir diese Fähigkeiten gern mit einbinden würden.

Wir stellen auf der anderen Seite jetzt viele junge Kolleginnen und Kollegen neu für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ein. Aber das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sind alles junge Leute, die noch keine Berufserfahrung haben, die sich dann dieser schwierigen Materie der Asylverfahren stellen müssen.

Insoweit bin ich der Meinung, dass wir mit der Aufhebung der Asylkonzentration eine gute Lösung gefunden haben. Ich kann Ihnen versprechen, dass wir auch alles andere tun werden, um in Zukunft sicherzustellen, dass die Asylverfahren in kürzester Zeit abgearbeitet werden. Wir werden auch im nächsten Jahr regulär Richterfortbildungen durchführen. Eine zweitägige Veranstaltung zum Asylrecht ist bereits in unser Tagungsprogramm eingebaut, so dass wir die Möglichkeiten, die wir haben, nutzen, um die Herausforderungen zu bewältigen.

Abschließend: Mit den derzeit 16 Richterinnen und Richtern am Verwaltungsgericht Halle haben wir ein großes Potenzial, das uns bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen helfen kann. Es ist an der Zeit, dass wir dieses Potenzial auch nutzen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Ministerin. - Wir treten dann wie vereinbart in die Fünfminutendebatte ein. Frau von Angern hat für die Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Bereits in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes habe ich für meine Fraktion erhebliche Zweifel dargelegt, die grundsätzlich nicht das von Ihnen verfolgte Ziel infrage stellen, nämlich die Bewältigung bzw. Beschleunigung der stark angestiegenen Verfahrensanzahl für erstinstanzliche asylrechtliche Streitigkeiten beim Verwaltungsgericht hier in Sachsen-Anhalt,

aber den Weg anzweifelt, den Sie gewählt haben, um dieses Ziel zu erreichen.

Nun führte - der Berichterstatter hat es schon ausgeführt - der Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung eine Anhörung der Betroffenen bzw. der Kundigen zum Gesetzentwurf durch. Der Ausschussvorsitzende benannte schon einige Kritikpunkte, die in der Anhörung genannt wurden. Erlauben Sie mir, aus meiner Sicht einige Punkte herauszunehmen, die aus unserer Sicht wesentlich für unsere Entscheidungsfindung waren.

Der Präsident des Oberverwaltungsgerichtes, Herr Dr. Benndorf, hat sich klar und deutlich gegen den Weg, den der Gesetzentwurf der Regierungskoalition aufzeigt, ausgesprochen. Dabei betonte er in seiner Stellungnahme ausdrücklich, dass sich - ich zitiere -: „die Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes selbstverständlich in der Pflicht [sieht], ihren Beitrag zu einer möglichst zeitnahen Bearbeitung und Entscheidung der zahlreichen Asylverfahren beizutragen.“

Er vertrat ferner die Prognose, dass ein Fortbestand der Konzentration der Asylverfahren beim Verwaltungsgericht Magdeburg, selbstverständlich unter der Prämisse des zugesagten Personalaufwuchses, die Grundlage dafür bietet, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit die besondere Herausforderung, vor der sie aktuell steht, auch tatsächlich erfolgreich wird bewältigen kann. Demgegenüber ist eine Aufteilung der Asylverfahren auf nunmehr zwei Gerichte mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden, die auch im Einzelnen dargelegt worden sind, die aus seiner Sicht nicht zuletzt ein ständiges Nachjustieren erfordern würden.

In dieser Meinung, die er im Ausschuss sowohl mündlich als auch schriftlich vorgetragen hat, wurde er vom Gesamtrichterrat beim Oberverwaltungsgericht und vom Bezirkspersonalrat unterstützt. Ich denke, das ist nicht ganz unwichtig zu wissen; denn wenn eine Überlastungssituation bestünde, würde gerade von denen ein Aufschrei zu erwarten sein.

Schließlich wurde die Meinung auch vom Verband der Verwaltungsrichter und -richterinnen des Landes Sachsen-Anhalt geteilt.

Ich möchte explizit einige Einlassungen hervorheben: Das Gespräch mit Herrn Dr. Benndorf hat meines Erachtens vor allem in einem Punkt deutlich gemacht, dass diese einfache Logik „Mehr Hände schaffen mehr“ rein quantitativer Natur ist und deshalb nicht unbedingt einen qualitativen Anspruch haben muss, nein, ihm sogar widersprechen kann.

Des Weiteren legte er dar, dass eine Konzentration beim Verwaltungsgericht Magdeburg seiner Ansicht nach auch künftig sehr wohl für eine

schnelle, eine effiziente und fachlich kompetente Entscheidungen stehen würde.

Die Einlassungen der Frau Ministerin insbesondere im Ausschuss, die für eine Divergenz der Rechtsprechung, sprich: für unterschiedliche Entscheidungen in Halle und Magdeburg sprechen, haben uns zumindest in weiten Teilen nicht überzeugt.

Abschließend sei noch mal darauf hingewiesen - auch das sagte ich schon in der ersten Lesung -, dass die Situation in den 90er-Jahren, als ein enormer Anstieg bei den Fallzahlen zu verzeichnen war, gerade zu dieser Entscheidung geführt hat, die Asylverfahren beim Verwaltungsgericht Magdeburg zu konzentrieren. Ex ante betrachtet, kann man sehr wohl sagen, dass es eine richtige und sinnvolle Entscheidung war.

Die Länderöffnungsklausel, die auf der Bundesebene nun im Rahmen des Asylpaketes vereinbart wurde, geht ausdrücklich einen anderen Weg, als es in Sachsen-Anhalt beabsichtigt ist. Wir werden sehen, inwiefern wir sie dann für uns nutzen müssen.

Nach all diesen Punkten teile ich die Einschätzung, die im Ausschuss getroffen worden ist - Frau Ministerin hat es nicht explizit gesagt, aber im Ausschuss ist es angesprochen worden -, dass es hierbei lediglich um die Verteidigung von kleinen Königreichen gehe, ausdrücklich nicht, weil es aus meiner Sicht durchaus fachlich fundierte Argumente sind.

Nun tritt das Gesetz am 1. Februar 2016 in Kraft und die Opposition wird es kritisch begleiten, wie und wo die Stellen für die Neueinstellungen herkommen, die jetzt vorgenommen werden bzw. werden müssen. Wer sich daran erinnert, der weiß, dass im Finanzausschuss festlegt worden ist, dass keine neue Stellen geschaffen werden, sondern auf das Stellen aus dem Kontingent des Justizbereiches zurückgegriffen werden muss. Wir sind gespannt, wer sich darauf freuen darf, dass ihm die Stellen weggenommen werden.

Darüber hinaus werden wir kritisch begleiten, wie sich die Verfahrensdauer tatsächlich entwickelt, ob die Beschleunigung realisiert werden kann, auch in Abhängigkeit von der Entwicklung der Fallzahlen.