Protokoll der Sitzung vom 11.12.2015

Meine Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 104. Sitzung des Landtages der sechsten Wahlperiode. Dazu begrüße ich Sie alle recht herzlich. Ich hoffe, Sie alle hatten eine schöne Weihnachtsfeier am gestrigen Abend. Das kann ich mir sicherlich vorstellen.

Meine Damen und Herren! Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen nunmehr die 49. Sitzungsperiode fort. Auf der Tagesordnung steht zunächst die Aktuelle Debatte.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Aktuelle Debatte

Ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingshilfe

Antrag Fraktion SPD - Drs. 6/4642

Die Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten. Es wurde folgende Reihenfolge vereinbart: SPD, DIE LINKE, CDU und GRÜNE. Zunächst erteile ich der Antragstellerin das Wort. Wer möchte sprechen? - Matthias Graner. Bitte schön, Herr Graner, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Am 5. Dezember 2015, also in der vergangenen Woche, war der Internationale Tag des Ehrenamts. Morgen wird dazu eine Veranstaltung in der Staatskanzlei stattfinden. Viele weitere Veranstaltungen hat es schon gegeben. Auch meine Fraktion hat in der vergangenen Woche bereits Ehrenamtliche eingeladen und ihnen für ihr Engagement gedankt.

Auch anderswo gibt es diesen Dank der Politik. Ich habe in diesen Tagen gelesen, dass sich das Abgeordnetenhaus in Berlin, und zwar alle Fraktionen, für das Engagement bedankt, indem am 31. Januar 2016 alle Ehrenamtlichen freien Eintritt in Museen, in den Zoo, in Theater, in den Tierpark und in alle anderen landeseigenen Einrichtungen haben werden. Wir müssen das, glaube ich, nicht nachmachen, aber das zeigt, dass es eine ganze Reihe origineller Ideen gibt, um das Ehrenamt zu würdigen.

Aber, meine Damen und Herren, ich höre hin und wieder auch Kritik von den Ehrenamtlichen. Sie lautet dann in etwa so: Einmal im Jahr werden wir hofiert, werden wir gewürdigt - und an den restlichen 364 Tagen werden wir mehr oder weniger

alleingelassen; da dürfen wir dann unserer Arbeit nachgehen. Ich finde diese Kritik ein bisschen überzogen; dennoch sollten wir sie, denke ich, ernst nehmen.

Ich glaube, meine Damen und Herren, dass das Engagement der kirchlichen und der weltlichen Sozialverbände im Bereich der Flüchtlingshilfe wichtig und unverzichtbar ist. Es ist ein freiwilliges verbandliches Engagement, das die Haupt-, Neben- und Ehrenamtlichen dort unermüdlich erbringen. Wir sollten den Dank an die Ehrenamtlichen und an die hinter ihnen stehenden Verbände also nicht nur routiniert aussprechen oder weil es sich so gehört, sondern weil das Land, weil wir ganz unmittelbar davon profitieren.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Anderenfalls wären wir nämlich selbst verantwortlich. Hierbei greift das Subsidiaritätsprinzip ganz unmittelbar. Anderenfalls wären wir als Staat nämlich selbst und unmittelbar verpflichtet, diese Leistungen zu erbringen, um das Gemeinwohl auch in dieser schwierigen und herausfordernden Situation zu stabilisieren und die zwingend erforderlichen Leistungen im Bereich der Flüchtlingshilfe zu erbringen. Wir müssen uns vor der Annahme hüten, dass dieses Engagement selbstverständlich ist. Aber, wie gesagt, es ist für uns und für die Bewältigung der Herausforderungen unverzichtbar.

Meine Damen und Herren! Was können wir darüber hinaus tun, um ehrenamtliches Engagement zu würdigen? - Viele Ehrenamtliche sind in festen gesellschaftlichen Strukturen verwurzelt, in großen Sozialverbänden, in den Hilfsorganisationen, in den Kirchen, aber auch in vielen Vereinen und Verbänden.

Aus diesen Verbänden und auch aus den Kirchen hat es in den letzten Monaten eine Reihe von Stellungnahmen, Positionspapieren und Resolutionen gegeben. Damit möchte ich mich im Folgenden ein bisschen beschäftigen; denn wenn wir ehrenamtliche Arbeit würdigen wollen, dann sollten wir uns auch mit dem auseinandersetzen, was die Organisationen, die hinter den Ehrenamtlichen stehen, in die politische Diskussion einbringen und was sie von der Politik fordern.

Zu den Hilfsorganisationen. Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Dr. Rudolf Seiters - er ist sicherlich dem einen oder der anderen noch bekannt als Kanzleramtsminister in der Ära des Bundeskanzlers Helmut Kohl - sagte kürzlich - ich zitiere -:

„Wir haben in der Verfassung ein Grundrecht auf Asyl und dafür gibt es keine Obergrenze. Ein Asylberechtigter hat Anspruch darauf, dass wir uns um ihn kümmern.“

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

„Diese Definition“

- so Rudolf Seiters weiter -

„wird heute zu Recht auf Menschen ausgeweitet, die in Lebensgefahr sind und aus ihrer lebensbedrohlichen Situation aus Bürgerkriegen fliehen. Das halte ich für richtig.“

(Zustimmung bei der LINKEN)

Um auch die andere politische Seite zu Wort kommen zu lassen, zitiere ich Franz Müntefering, den Präsidenten des Arbeiter-Samariter-Bundes:

„Wir können nicht alle Menschen retten. Aber es geht um jeden Einzelnen.“

Dann, meine Damen und Herren, gibt es natürlich die Position der Kirchen, auch bei uns in SachsenAnhalt. So haben die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland Frau Junkermann, der katholische Bischof des Bistums Magdeburg Gerhard Feige und der Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts Joachim Liebig in der vorigen Woche ein Gemeinsames Wort zur Flüchtlingssituation veröffentlicht. Dieses Gemeinsame Wort beginnt mit dem ersten Satz des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Weiterhin würdigen die drei Bischöfe das Engagement vieler in Sachsen-Anhalt und sagen:

„Sie alle geben ein Beispiel dafür, was es heißt, in den Menschen, die zu uns kommen, den Bruder und die Schwester zu sehen, die in Not sind. […] unsere Gesellschaft“

- so formulieren es die Bischöfe -

„steht vor tiefgreifenden Veränderungen, ob wir es wollen oder nicht. Wir möchten dazu ermutigen, diese Veränderungen konstruktiv aufzugreifen und zu gestalten.“

Meine Damen und Herren! Veränderungen aufzugreifen und zu gestalten, dafür sind wir als Parlament zuständig. Die Bischöfe rufen des Weiteren dazu auf, sich menschenfeindlichen und rechtsextremen Parolen entgegenzustellen. Zitat:

„Wo immer die Würde des Menschen angetastet wird, werden unsere grundlegenden gemeinsamen Werte mit Füßen getreten.“

Auch die Laienorganisationen, auch die Laienverbände innerhalb der Kirchen äußern sich. Der Katholikenrat des Bistums Magdeburg hat kürzlich einen Denkzettel veröffentlicht, in dem es heißt:

„Es gilt, die Menschen in Not als Mitmenschen anzunehmen, miteinander zu reden, persönliche Kontakte und Begegnungen zu ermöglichen.“

Dann möchte ich noch ein Zitat des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken anführen. Dieses hat Ende November 2015, also etwa vor 14 Tagen,

eine Resolution mit dem Titel „Recht auf Familiennachzug erhalten“ veröffentlicht. Darin heißt es - Zitat -:

„Wir fordern darum die politisch Verantwortlichen auf, den aus humaner und christlicher Sicht unbedingt gebotenen und im Grundgesetz verankerten Schutz der Familie auch im Umgang mit Geflüchteten zur Grundlage ihrer Entscheidungen zu machen.“

(Beifall bei der LINKEN)

Schon im Mai 2015, also vor einem halben Jahr, hat das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken erklärt:

„ […] fremdenfeindlichen Tendenzen treten wir mit aller Entschiedenheit entgegen. Die Definition dessen, was christliche Werte bedeuten, überlassen wir nicht Populisten und Brandstiftern.“

Meine Damen und Herren! Das sind ganz wichtige Aussagen, die auch für unsere politische Arbeit, denke ich, von großer Bedeutung sind.

Ich möchte noch einen weiteren Aspekt in die Diskussion über den Umgang mit Flüchtlingen, über das Engagement der Ehrenamtlichen und über die Äußerungen der Verbände einführen. Immer wieder diskutieren wir hier im Parlament auch über das Thema der Staatsleistungen. Staatliche Leistungen an die Kirchen werden mit juristischen Argumenten begründet, die auf 200 Jahre alte historische Zusammenhänge zurückführen. Ich bin überzeugt davon, dass diese juristischen Begründungen im politischen Alltag immer weniger greifen werden. Sie sind zwar juristisch wasserdicht, aber die Akzeptanz der Staatsleistungen lässt sich mit dem Rückgriff auf den Reichsdeputationshauptschluss aus dem Jahr 1803 kaum noch herstellen.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Aber wir sehen an dieser Stelle ganz deutlich, dass es für uns in Sachsen-Anhalt ohne das Engagement der Kirchen nicht so einfach möglich wäre, den Umgang mit den Flüchtlingen weiterhin zu gestalten. Es werden Fortbildungen im Bereich der Flüchtlingsseelsorge angeboten, es gibt die Flüchtlingshilfe Sachsen-Anhalt, es gibt Engagement im Bereich der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge und vieles mehr. Diese Aufgaben, meine Damen und Herren, erledigen auch die Kirchen. Sie helfen damit uns als Staat und uns als Gesellschaft bei unserer Aufgabe.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Ich glaube, wenn wir die Diskussion über die Staatsleistungen eines Tages wieder aufgreifen werden, vielleicht weil der Bund sich dafür entschieden hat, das Thema anzugehen, dann müssen wir die Leistungen an die Kirchen nicht aussetzen oder absetzen, sondern wir müssen sie auf

eine neue normative Grundlage stellen. Diese kann für mich nur heißen: Wir brauchen die Kirchen innerhalb der Gesellschaft, wir brauchen ihr Engagement und wir brauchen auch ihre Äußerungen, um Werte, um die Grundwerte unserer Gesellschaft zu erhalten. Dafür ist ihre Rolle unverzichtbar.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Meine Damen und Herren! Wenn es uns gelingt, die Positionen, Denkschriften und Stellungnahmen von Hilfsorganisationen und Kirchen umzusetzen, wenn es uns gelingt, Flüchtlinge weltoffen, solidarisch, menschenwürdig und - ich füge hinzu - auch christlich aufzunehmen und zu integrieren, wenn wir auch als Abgeordnete hier im Landtag gemeinsam hinter dieser Politik stehen, dann, meine Damen und Herren, werden die Grundwerte unserer Gesellschaft, über die derzeit so viel diskutiert wird, auch in Zukunft tragen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Ich danke dem Abgeordneten Herrn Graner für die Einbringung. - Für die Landesregierung erteile ich jetzt Minister Herrn Bischoff das Wort. Bitte schön, Herr Minister.