Protokoll der Sitzung vom 28.01.2016

Freie Berufe - Bewährte Standards zur Sicherung von Qualität, Qualifizierung und Verbraucherschutz erhalten

Antrag Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/4748

Einbringer ist der Abgeordnete Herr Mormann. Herr Mormann von der SPD-Fraktion hat das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Hoffnung, dass wir heute bei diesem Thema mit einer gemeinsamen Stimme unsere Meinung, unseren Standpunkt vertreten, haben sich die Koalitionsfraktionen auf den Weg gemacht, diesen Antrag hier heute zu debattieren.

Wir beschäftigen uns heute mit einem europäischen Ansatz, unser Berufszugangssystem infrage zu stellen. Hinter den Schlagworten „Transparenz“ und „Diskriminierungsfreier Zugang zum europäischen Dienstleistungsmarkt“ zeigt die EU-Kommission ernsthafte Zweifel an unserem sich über Jahrhunderte entwickelten System der freien Berufe. So weit darf es nicht kommen.

Meine Damen und Herren! Wie ernst die Lage ist, zeigt, dass die Kommission bereits im Juni 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hat, weil sie in verbindlich anzuwendenden Mindestgebühren einen Verstoß gegen EU-Recht sieht. Ich bin der festen Überzeugung, dass Europa die Antwort auf viele aktuelle Fragen ist. Aber an dieser Stelle geht dies einfach zu weit.

Subsidiarität in Europa bedeutet für mich, dass Aufgaben dort angepackt werden sollten, wo sie am besten politisch zu lösen sind. Die EU sollte demzufolge auch nur das regeln, was die Städte, Kommunen, Länder oder Staaten nicht besser selbst regeln können. Wenn wir eines in den letzten Jahrzehnten bewiesen haben, dann das, dass sich das System der freien Berufe bewährt hat, viel mehr als nur bewährt.

Meine Damen und Herren! Deutschlands wirtschaftlicher Wohlstand beruht zu einem erheblichen Teil auf dem Einsatz seiner Selbständigen. Die Gruppe der freien Berufe ist volkswirtschaftlich eine wichtige Gruppe. Knapp 1,2 Millionen selbständig tätige Freiberufler erwirtschaften mit mehr als drei Millionen Mitarbeitern mehr als 10 % des Bruttoinlandsprodukts. Allein diese wirtschaftliche Bedeutung macht eine Positionierung, wie die SPD und die CDU dies in ihrem Antrag vorbringen, unausweichlich. Aber nicht nur darin besteht der Mehrwert der freien Berufe.

Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten messen der Qualitätssicherung in den freien Berufen höchste Bedeutung bei. Sie ist nicht nur für Freiberufler, sondern natürlich auch für deren Kunden notwendig. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass die Selbstverwaltung der freien Berufe erhalten bleibt.

Wir setzen darauf, dass nicht nur über den Preis ein Vorteil für den Verbraucher geschaffen wird, sondern dass die Qualität im Mittelpunkt stehen muss. Das ist Verbraucherschutz im Reinformat.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Gute Arbeit in den freien Berufen lässt sich nicht durch Deregulierung und Liberalisierung erreichen, sondern durch konsequente qualitätssichernde Maßnahmen. Der Ansatz der Deregulierung, der allein die wirtschaftliche Performance im Auge hat und die Frage der Qualität einer Dienstleistung außer Acht lässt, kann nicht die Regel sein. Das wäre keine europäische Politik, das wäre keine deutsche Politik und das wäre erst recht keine sozialdemokratische Politik.

Meine Damen und Herren! Die Landesregierung muss gegenüber der Bundesregierung und der EU-Kommission verdeutlichen, dass bei der vorgesehenen Evaluierung dem Erhalt bestehender, bewährter und funktionaler Systeme Rechnung getragen wird. Das über Jahrzehnte gewachsene System der Selbstverwaltung sowie die Qualität der Berufsausbildung im Bereich der freien Berufe sind zu achten und weiter zu fördern.

Das deutsche System der freien Berufe hat sich in den vielen Jahren seiner Existenz mehr als bewährt. Das deutsche Berufssystem steht in großem Maß für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.

Ich freue mich nun auf die Diskussion und hoffe sehr, dass wir im Interesse der freien Berufe - seien es nun Ingenieure, Ärzte, Rechtsanwälte oder Steuerberater -, aber eben auch im Interesse unserer Verbraucherinnen und Verbraucher am Ende einen breiten gemeinsamen Nenner finden. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Das ging ja fix. Herzlichen Dank für die Einbringung, Herr Mormann. - Für die Landesregierung erteile ich dem Herrn Minister Möllring das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Mormann hat es schon gesagt: Freiberufler sind ein unverzichtbarer Teil des Mittelstandes in diesem Land. Die Selb

ständigen und ihre Angestellten stehen für etwa 100 000 Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt - Herr Mormann hat die deutschlandweite Zahl genannt - und erwirtschaften ein Zehntel des Bruttoinlandsproduktes.

Die hohe Anzahl von Freiberuflern belegt die besondere Bedeutung der freien Berufe für unseren Mittelstand. Kurz gesagt: Freiberufler haben in Sachsen-Anhalt einen großen Anteil an der Wirtschaftskraft. Sie geben wichtige Impulse für Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung. Architekten, Ingenieure, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte usw. stehen für eine lebendige Unternehmenskultur.

Das alles darf nicht gefährdet werden. Deshalb lehnen wir die Pläne der Europäischen Kommission zur Aufweichung der in Deutschland geltenden Regelungen zum Berufszugang und zur Berufsausübung ab.

Gute Arbeit in den freien Berufen lässt sich nicht durch Deregulierung oder Vereinheitlichung erreichen, sondern nur durch konsequente qualitätssichernde Maßnahmen. Ziel ist es deshalb, die hohen Qualitätsstandards in dem sich ständig verschärfenden wirtschaftlichen Wettbewerb als strukturellen Wettbewerbsvorteil zu bewahren.

Wer eine freiberufliche Tätigkeit nachfragt, der darf zu Recht erwarten, dass er mit Kompetenz, Unabhängigkeit und hohen Qualitätsstandards versorgt wird. Das muss so bleiben.

Die von der Europäischen Kommission angestrebte europäische Vereinheitlichung würde diesen Standard gefährden. Deshalb werden wir uns dafür einsetzen, das gut funktionierende System der freien Berufe zu erhalten. Das gilt sowohl für den Berufszugang als auch für die Berufsausübung und das gilt eben auch - Herr Mormann hat es eben angesprochen - für die Selbstverwaltung durch die Kammern, für die Qualität der dualen Berufsausbildung und für eine angemessene Vergütung.

Der bestehende Rechtsrahmen für den Berufszugang und für die Berufsausübung in den freien Berufen fügt sich zu einem Gesamtsystem zusammen, das strikt auf Qualität der Leistung ausgerichtet ist. Das nützt dem Verbraucher und damit auch der Allgemeinheit.

Lassen Sie mich noch auf zwei Kritikpunkte der Europäischen Kommission ganz besonders eingehen: erstens die Kosten- und Honorarordnungen, zweitens das deutsche Fremdkapitalverbot.

Zum ersten Punkt. Die Europäische Kommission will die Kosten- und Honorarordnungen am liebsten abschaffen und öffnet damit einem Preiswettbewerb auf Kosten der Qualität Tor und Tür. Das sollten wir verhindern. Unser Vergütungssys

tem hat sich bewährt. Es sorgt für objektive und transparente Kostenberechnungen und schützt die Verbraucher auch vor ruinösen Honorarforderungen.

(Zustimmung von Herrn Gürth, CDU)

Zum zweiten Punkt. Auch das deutsche Fremdkapitalverbot darf nicht infrage gestellt werden. Es verhindert nämlich Interessenkonflikte zwischen Gewinnerwartungen von Kapitalgebern auf der einen Seite und den Interessen der Kunden auf der anderen Seite. Das Fremdkapitalverbot sichert die Unabhängigkeit der Berufsausübung und stärkt so den Verbraucherschutz.

Deshalb kann ich Ihnen hier zusagen, dass wir uns sowohl im Bundesrat als auch direkt in Brüssel weiter für die freien Berufe starkmachen und dafür einsetzen werden, dass der heute in Deutschland bestehende Rechtsrahmen erhalten bleibt. Statt ein solches Erfolgsmodell durch Gleichmacherei zu gefährden, sollte man es lieber in andere Länder exportieren. Das gilt - das betone ich - sowohl für den Berufszugang als auch für die Berufsausübung, für die Selbstverwaltung aus Kammern und Verbänden, für die Kosten- und Honorarordnungen, für das Berufsrecht der Freiberufler sowie für das Fremdkapitalverbot. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Minister, für Ihren Beitrag. - Wir kommen zu den verabredeten Fünfminutenbeiträgen. DIE LINKE hat das Wort. Herr Dr. Thiel, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kunden der freien Berufe! Die Europäische Kommission hat einen Antrag zur Evaluierung der Berufszugangsregeln im Oktober 2013 in den Mitgliedstaaten in Umlauf gebracht, dessen Anliegen nun auch als einen der letzten den Landtag von Sachsen-Anhalt erreicht. Bereits im vorigen Jahr gab es intensive Debatten in anderen Landtagen, im Bundesrat - übrigens auch mit Stimmen unserer Landesregierung - und auch im Bundestag zu diesem durchaus sehr wichtigen Thema.

Aber offenbar ist die Stimme Sachsen-Anhalts noch nicht richtig wahrgenommen worden. Nun wird auf den letzten Metern dieser Regierung noch ein Auftrag zur Reaktion erteilt, der eigentlich schon erledigt ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die inhaltlichen Botschaften Ihres Antrages sind ziemlich holzschnitt

artig. Einfach Konzepte von Lobbygruppen zu übernehmen, reicht eben nicht aus.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Frau Wicke-Scheil, GRÜNE)

Denn natürlich verkennt die Kommission nicht, dass es länderspezifische Regelungen geben muss. Natürlich verkennt die Kommission in ihrem Evaluierungsauftrag nicht, dass Beschränkungen beim Zugang zu freien Berufen und bei deren Ausübung allenfalls zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor unqualifizierten Dienstleistungserbringern erfolgen, ohne damit den freien Zugang und die Berufsausübung von Personen aus anderen Mitgliedstaaten unionsrechtswidrig auszuschließen oder zu behindern. Aber sie fragt, wie auf neue Entwicklungen zu antworten ist.

Unsere Fraktion ist selbstverständlich für den Erhalt der hohen Qualität der freien Berufe und deren Unabhängigkeit. Freie Berufe und auch das Handwerk sind ein wichtiger Teil der modernen Dienstleistungsgesellschaft. Weil diese Dienstleistungen ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Dienstleister und dem Kunden voraussetzen - zum Beispiel zwischen Arzt und Patient oder zwischen Rechtsanwalt und Mandant -, sind hohe Anforderungen an die persönliche Eignung notwendig. Die Kosten- und Honorarordnungen sichern zudem, dass es einen Qualitäts- und nicht einen Preiswettbewerb gibt.

(Beifall bei der LINKEN)

EU-Bestrebungen, die bestehenden Regelungen über die Ausübung freier Berufe zu kippen, lehnen wir ab.

Aber, meine Damen und Herren, Gebühren- und Honorarordnungen sind von Zeit zu Zeit zu aktualisieren, um neue Entwicklungen und Herausforderungen zu berücksichtigen. Das ist doch unstrittig. Auch wir sind für ein qualitätsorientiertes Leistungsbewertungssystem und nicht für Vergütungen, die sich primär dem Preiswettbewerb fügen. Vernünftige Honorarordnungen sind für die freien Berufe genauso wichtig wie gute Tarife für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ähnliches gilt übrigens auch für Mindesteinkommen für Existenzgründer oder Soloselbständige. Auch sind bestimmte staatliche Regelmechanismen notwendig; denn freie Berufe sind nicht mehr geschützt, wenn sie dem Markt allein überlassen werden.

Aber, meine Damen und Herren, es entwickeln sich auch neue Berufsbilder. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung gilt es mehr und mehr, dies zu berücksichtigen.

In der Evaluierungsphase wäre Gelegenheit, die Handwerksnovelle von 2004 auf den Prüfstand zu

stellen, mit der die Meisterpflicht für 53 Gewerke aufgehoben wurde. Wir sollten nämlich auch die Kehrseite der Medaille beleuchten;

(Zustimmung von Herrn Czeke, DIE LINKE)

denn in diesen Gewerken gibt es jetzt viele Soloselbständige mit geringer Wettbewerbsfähigkeit, wenig Personal und kaum Auszubildenden.

Meine Damen und Herren! Beizubehalten sind auf jeden Fall das System der dualen Ausbildung und der Meisterbrief. Darauf haben wir uns in diesem Landtag mehr als einmal verständigt und wir haben klare Beschlüsse dazu gefasst.