Protokoll der Sitzung vom 28.01.2016

Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt ist der Auffassung, dass es sich bei dem Erschließungsbeitrag II um einen sogenannten normalen Beitrag handele und die Beitragspflicht entsprechend den allgemeinen Regelungen entstehe. Vergleiche Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, 13. Juli 2006, 4 L 127/06. Der besondere Herstellungsbeitrag beinhalte keinen von der gesetzlichen Regelung losgelösten oder durch Richterrecht geschaffenen Beitragstatbestand, sondern findet seine Rechtsgrundlage, so dass OVG, in § 6 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 6 Satz 3 des Kommunalabgabengesetzes des Landes SachsenAnhalt.

Die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht wird daher, eingeschränkt auf die Altanschlussnehmer, auch für diesen Beitrag nach § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG geregelt.

Dass in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts hinsichtlich der Vorteilslage der Altanschlussnehmer auch auf die mit der Erneuerung verschlissener Anlagenteile verbundene dauerhaf

te Sicherung der Anschlussmöglichkeit verwiesen wird, hat schon von vornherein nichts mit der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht zu tun.

Das Bestehen der Vorteilslage im Sinne des § 6 Abs. 6 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes hängt neben der tatsächlichen Möglichkeit der Inanspruchnahme auch von der rechtlichen Sicherung ab.

Hat eine Kommune oder ein Zweckverband nach Inkraftsetzung des Kommunalabgabengesetzes eine vorhandene zentrale Niederschlagswasserbeseitigungsanlage übernommen und den bei der Übernahme an diese Anlage angeschlossenen Altanschlussnehmern zur Nutzung zur Verfügung gestellt, so wird dem angeschlossenen Grundstück eine dauerhafte gesicherte Anschlussmöglichkeit erst mit der Widmung der Anlage geboten, die nach § 8 Abs. 1 Nummer 1 der Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt grundsätzlich durch den Erlass einer Satzung erfolgt, mit der die Benutzung der öffentlichen Einrichtung geregelt und der Zugang zu ihr eröffnet wird.

Wird den Anschlussnehmern kein Anschlussrecht und keine Befugnis zur Benutzung der öffentlichen Einrichtung eingeräumt, so fehlt es an der den Vorteil begründenden Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtung. Daher entstand die Vorteilslage für die in Rede stehenden Grundstückseigentümer schon allein durch die Schaffung der öffentlichen Einrichtung im Rechtssinne, die mit der erstmaligen Widmung im Satzungsrecht

des Beklagten erfolgte, so das Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 22. November 2004 - 1 L 41/03.

Aber auch vor dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes im Oktober 1997 entstand die sachliche Beitragspflicht erst mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung; denn die Gesetzesänderung war eher klarstellend als konstitutiv. Dazu das Oberverwaltungsgericht vom 19. Februar 1998 - OVG LSA, Beschluss vom 19. Februar 1998 - B 2 S 141/97 -: Eine nach der Neufassung des Absatzes 6 entstandene Beitragspflicht kann folglich nach altem Recht nicht verjährt sein.

Diese Auffassung des Oberverwaltungsgerichts von 1998 dürfte nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 und vom 12. November 2015 nicht mehr zu halten sein;

(Unruhe)

Liebe Kollegen, bitte.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte wirklich darum bitten, dem Redner zuzuhören und die persönlichen Gespräche nachher in der Pause zu führen.

denn sie führte zu einer verfassungswidrigen Auslegung des Kommunalabgabengesetzes SachsenAnhalt in der Fassung vor der Gesetzesänderung vom 7. Oktober 1997. Damit kann argumentiert werden, dass für Sachverhalte, die bis zum Oktober 1997 abgeschlossen waren, die normale Verjährungsfrist von vier Jahren in vielen Fällen schon begonnen hatte oder sogar schon abgelaufen war und somit der Beitragsanspruch in der formalen Festsetzungsverjährungsfrist erloschen ist.

Meine Damen und Herren! Seit der Inkraftsetzung am 21. Juni 1991 hat es zahlreiche Änderungen der rechtlichen Norm gegeben. Ob das Erste und Zweite Heilungsgesetz oder das Erste und Zweite Investitionserleichterungsgesetz - immer führten Änderungen nicht zu einer höheren Transparenz und Rechtssicherheit bei seiner Anwendung. Im Gegenteil: Die Grundstückseigentümer wurden immer wieder mit neuen Varianten der Einnahmebeschaffung durch die handelnden Kommunen und Zweckverbände überzogen, die nicht zuletzt eine weitere Beteiligung an längst vergangenen Baumaßnahmen ermöglichten.

Allein seit dem Jahr 1994 hat meine Fraktion mehrfach auf Probleme im Umgang mit und bei der Anwendung des Kommunalabgabengesetzes hingewiesen, zahlreiche Anträge und Gesetzesinitiativen eingebracht, um eine für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbare und verlässliche Anwendung zu garantieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Man kann diesen Aktivitäten zahlreiche Petitionsverfahren der letzten Legislaturperioden zugrunde legen, ob es die teilweise bis zum Jahr 1991 rückwirkend beschlossenen Satzungen betrifft, die erstmaligen Erschließungsbeiträge für Jahrhunderte alte Straßen oder beliebige Satzungsänderungen immer mit dem Hintergrund, dass eine Änderung in die formal oder materiell fehlerhafte Satzung rückwirkend eingeführt wird und damit erst nach der erstmaligen Veröffentlichung in Kraft treten würde.

Oder die beliebten Praktiken, die auf der Grundlage einer noch nicht vollständigen Herstellung oder eines nicht vollzogenen Ausbaus - Stichwort fehlende Straßenbeleuchtung - zu erheblichen Beitragsnacherhebungen geführt haben und somit den vorliegenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 zum Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit in Ausbringung des Rechtsstaatsprinzips für den Bürger vermissen ließen.

Bis zum heutigen Tag reißen Petitionen, die diese Materie berühren, nicht ab. Erwähnt sei an dieser Stelle die Stadt Lauchstädt, die bereits auf der Grundlage einer Straßenausbaubeitragssatzung

getätigte schlussgerechnete und bezahlte Straßenausbaumaßnahmen feststellte. Nunmehr stellt die Verwaltung fest, dass die ausgebauten Straßen aus ihrer Sicht noch nicht erschlossen waren; es fehlt der zweite Fußweg oder die Straßenlaternen oder ihre Leuchtweite waren nach dem heutigen Bedarf nicht vorhanden. Angeblich gab es kein technisches Ausbauprogramm oder ortstypische Bauweisen lagen nicht vor.

Auf welchen Zeitpunkt sich welche Satzung bezieht, die für die Beurteilung der entsprechenden Vorteilslage herangezogen wird, bleibt offen. Ist es das Ortsstatut vom 30. Mai 1853 über die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in dieser Stadt? Oder ist es die Änderung der 1. Mai 1895 erlassenen Preußischen Polizeiordnung vom 7. April 1985? Oder die Veröffentlichung von Satzungen von 1923? - Man könnte das weiterführen.

(Beifall bei der LINKEN)

All diese Bauvorschriften sind angeblich nicht dazu geeignet, ein begründetes Ausbauprogramm zu untersetzen.

Ähnlich verhält es sich in der Praxis, rückwirkend für die im Zeitraum von 1991 bis 1999 getätigten Straßenausbaumaßnahmen Beiträge zu erheben - oftmals eine von der Kommunalaufsicht im Rahmen der Prüfung der Haushaltsausgleiche vorgeschlagene zusätzliche Einnahmebeschaffungsmöglichkeit.

Dies vor dem Hintergrund, dass bis zum 21. April 1999 die Gemeindevertretung durch die Normierung von § 6 Abs. 1 Satz 1 des KAG als KannRegelung unter Berücksichtigung der Einnahmebeschaffungsgrundsätze das Recht hatte, keine Satzung zu erlassen oder geringere Beitragssätze festzusetzen. Diese Praxis fand ihre inhaltliche und rechtliche Bestätigung durch den Grundsatzbeschluss des Oberverwaltungsgerichts Bautzen vom 31. Januar 2007. Eine Handlungsoption seitens des Landes Sachsen-Anhalt wurde damals wie heute ausgeschlossen.

Meine Damen und Herren! Mit dem Leitsatz des Bundesverfassungsgerichtes vom 5. März wird Folgendes ausgeführt - ich zitiere -:

„Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlangt Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgend

wann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.“

Fazit ist, dass die Entstehung des Anspruches, jedenfalls nur für Investitionsvorhaben nach dem 7. Oktober 1997, auch von einer wirksamen Satzung abhängt. Allerdings dürfte diese Änderung rückwirkend nicht mehr anwendbar sein, weil sonst für den Zeitraum vor dem Stichtag eine verfassungswidrige echte Rückwirkung vorliegen würde.

Die entsprechende Auslegung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt ist im Lichte der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. November 2015 und vom 5. März 2013 verfassungswidrig und somit unzulässig.

(Beifall bei der LINKEN)

Das bedeutet aber, dass die Betragspflicht für den Herstellungsbeitrag II zu Beginn der 90er-Jahre in vielen Fällen rechtlich entstanden war. Für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht war aber keine wirksame Beitragssatzung notwendig. Die Gemeinde oder der Zweckverband hätten aber eine Satzung erlassen und den Beitrag geltend machen müssen. Der Beitragsanspruch für den Herstellungsbeitrag unterlag dann natürlich der Festsetzungsverjährung von vier Jahren. Er dürfte also bis zum Jahr 1997, als das zusätzliche Merkmal für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht das Erfordernis einer Satzung vorschrieb, in vielen Fällen bereits zu dem Zeitpunkt verjährt gewesen sein, als das Oberverwaltungsgericht SachsenAnhalt sich zur Problematik der Erhebungsmöglichkeit noch gar nicht geäußert hatte.

Es kommt aber nicht darauf an, ob die Gemeinden und Verbände ein entsprechendes Rechtsbewusstsein hatten - das Oberverwaltungsgericht hat nach eigenem Bekunden nicht etwa eine neue Rechtslage geschaffen, sondern die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen angewandt.

Das BVG hat mit seinen Entscheidungen vom November klare Grenzen gesetzt. Wenn Kommunen und Verbände diese Rechtslage nicht erkannt haben, so müssen sie sich dieses Versäumnis anrechnen lassen. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Herzlichen Dank dem Abgeordneten Grünert für die Einbringung. - Bevor ich der Landesregierung das Wort erteile, dem Herrn Minister Stahlknecht, begrüße ich Gäste von der Stiftung Bildung und Handwerk Magdeburg auf der Besuchertribüne. Herzlich willkommen, meine Damen und Herren!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es dürfte noch recht gut in Erinnerung geblieben sein, dass an dieser Stelle am 10. Dezember des Jahres 2014 das Gesetz zur Änderung kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften verabschiedet worden ist, das nunmehr seit dem 24. Dezember 2014 gilt.

Der Gesetzgeber hat mit dieser Novellierung des KAG insbesondere erstmalig eindeutige Regelung zur zeitlichen Begrenzung von Beitragsfestsetzungen geschaffen. Er hat mit dem Gesetz aber keine neue Rechtsgrundlage zur Beitragserhebung geschaffen. Dass die Herstellungsbeiträge II erhoben werden können, obliegt einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes des Landes SachsenAnhalt. Aufgrund dieser Entscheidung sehen sich auch Verbände zunächst verpflichtet und müssen dies auch, solche Beiträge zu erheben.

Ich erlaube mir an dieser Stelle auch einmal die Frage, warum die Verbände in den zurückliegenden Jahren ihrer Beitragserhebungspflicht aufgrund dieser Rechtsprechung nicht nachgekommen sind.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Denn es entsteht der Eindruck, dass wir durch die festgelegte Verjährung die Rechtsgrundlage dafür geschaffen haben. Nein, die Verbände haben nunmehr festgestellt, dass durch die festgelegte Begrenzung eine Verjährung eintritt, und haben in einer Torschlusspanik nahezu das erledigt, was sie eigentlich Jahre vorher hätten erledigen müssen.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Schröder, CDU: So ist es! - Zuruf von Herrn Grünert, DIE LINKE)

Das ist die Situation, in der wir uns befinden. Insofern haben wir eine zeitliche Absicherung auch für die Festsetzung des sogenannten Herstellungsbeitrags II vorgenommen, den die Altanschließer zu zahlen haben.

Die Intention des Gesetzgebers findet ihre rechtliche Bestätigung in der für die Auslegung des KAG maßgeblichen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes vom 4. Juni, also nach der Novellierung des Gesetzes 2015. In dieser Entscheidung kommt unzweideutig die Übereinstimmung der neuen §§ 13b und 18 Abs. 2 KAG mit dem erwähnten Grundsatz der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit zum Ausdruck.

Am Ende des Jahres 2015 erfuhren wir von einer weiteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die sich mit der Rechtslage zur Beitragsfestsetzung im Land Brandenburg auseinandersetzt. Den Verfassungsbeschwerden zweier Grundstückseigentümer dort in Brandenburg gegen die

rückwirkende Festsetzung von Kanalanschlussbeiträgen wurde stattgegeben.

Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich die Rechtslage in Brandenburg erheblich von der in unserem Land unterscheidet, sodass Vorsicht vor übereilten Rückschlüssen aus der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, zumindest was die unmittelbare Wirkung in SachsenAnhalt betrifft, geboten ist, nicht zuletzt, um nicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern im Land voreilig den Eindruck zu vermitteln, sie seien zu Unrecht mit Beiträgen belastet worden. Auch dazu gehört, dass wir das, was wir jetzt tun, mit einer gebotenen Ruhe und auch Sachlichkeit tun, auch wenn Wahlkampf ist.