Protokoll der Sitzung vom 29.01.2016

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich rufe den Debattenbeitrag der Fraktion DIE LINKE auf. Herr Gallert hat das Wort. Bitte schön.

Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, auch ich werde Sie vermissen, Herr Miesterfeldt. Wir haben schon vor unserer Zeit im Landtag miteinander zu tun gehabt. Wir haben damals, am Anfang unseres Kennenlernens, wegen des jeweils anderen beide meist mehr Bluthochdruck gekriegt als alles andere. Das hat sich seither, glaube ich, in eine deutlich andere Richtung entwickelt. Es war für mich eine interessante Erfahrung, wie zwei Menschen mit so extrem unterschiedlichen Erfahrungen und Geschichten in der DDR gegenseitiges Verständnis füreinander entwickeln konnten, weil sie miteinander gearbeitet haben. Das war für mich immer ein gutes Beispiel dafür, wie sich eine solche Gesellschaft nach 1990 entwickeln kann. Herzlichen Dank!

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die GRÜNEN haben eine Aktuelle Debatte mit einem Thema beantragt, das so aktuell wie kein anderes, aber auch so alt wie kein anderes ist. Es geht um die Frage: Welches Vertrauen haben die Menschen in Politik? - Jetzt müssen wir aufpassen, dass wir nicht selbstherrlich werden. Gemeint ist eher: Welches Vertrauen haben Menschen in politische Akteure und politische Institutionen? - Denn politisch sind alle, nicht nur wir.

Wir haben natürlich einen ganz konkreten und aktuellen Anlass für eine solche Fragestellung. Es gibt den alten Spruch: Nie wird so viel gelogen wie vor der Wahl und auf der Beerdigung. Natürlich sind wir jetzt in einer Situation - zum Glück nicht auf der Beerdigung, sondern vor der Wahl -, in

der wir alle mehr oder weniger gefordert sind, uns zu fragen, inwieweit wir diesem Klischee entsprechen oder inwieweit wir diesem Klischee widerstehen.

Ich glaube - das möchte ich aus meiner politischen Erfahrung nach 22 Jahren in diesem Landtag sagen -, es wird in diesem Jahr und in diesem Wahlkampf so wichtig sein wie zu keinem anderen Zeitpunkt, diesem Klischee zu widerstehen. Das ist meine Bitte an das ganze Haus.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Denn - darin stimme ich Claudia Dalbert ausdrücklich zu - wir haben es mit einem substanziellen Verlust an Vertrauen in die Handlungsfähigkeit, in die Erkenntnisfähigkeit und in die Ehrlichkeit der politischen Klasse zu tun. Das ist gefährlich, weil dieser Vertrauensverlust nicht nur uns als der Teil der politischen Klasse betrifft, sondern auch demokratische Abläufe und demokratische Institutionen und letztlich die Demokratie. Unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist es, das Vertrauen - nicht nur in uns, sondern vor allen Dingen in die Demokratie - nicht nur nicht weiter zu zerstören, sondern es wiederaufzubauen, es wiederzubeleben und zu stärken.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich möchte nur auf zwei Punkte eingehen, die aus meiner heutigen Sicht extrem wichtig sind. Erstens: Wie ehrlich gehen politische Institutionen und politische Akteure mit der jetzigen Herausforderung um? Damit möchte ich auf die Debatte um Flüchtlingsunterbringung und Flüchtlingsintegration zurückkommen.

Es ist zwei oder drei Tage her - Gerhard Miesterfeldt war dabei, Dieter Steinecke auch -, da saßen hier Schüler von Gymnasien, zum Teil aus Gommern, zum Teil aus Magdeburg. Der erste, der aufstand, stellte mir folgende Frage: Herr Gallert, wenn wir in Sachsen-Anhalt eine 12 000er-Grenze einführen, was soll dann mit dem 12 001. Flüchtling passieren? Können Sie mir das bitte einmal erzählen? Meine Antwort war, dass ich der falsche Ansprechpartner bin. - Nun haben wir alle in den letzten Wochen mitbekommen: Derjenige, der die These vertritt, ist bei kritischen Diskussionen ohnehin nie dabei.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Deswegen war meine Antwort eine andere. Ich hoffe, dass all die politischen Thesen, all die Forderungen, all die völlig kruden Ideen, die in diesem Kontext durch die Gegend gejagt werden, kritisch hinterfragt und auf den Prüfstand gestellt werden, wie es dieser 17- oder 18-jährige Schüler getan

hat. Ich habe Vertrauen in die Demokratie, weil ich diesem Schüler vertraue.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Der Witz ist ja, dass wir in dieser Debatte keine Antwort bekommen. Was passiert denn nun mit dem 12 001. Flüchtling, von dem wir der Meinung sind, dass wir ihn nicht mehr integrieren werden können, weil wir die Ressourcen dafür nicht mehr haben? Was tun wir denn mit ihm, wenn er trotzdem kommt?

Wir haben eine Reihe von Vorschlägen. Der Herr Kollege Innenminister sagt: Dann stellen wir jemanden an die Grenze und der sagt: Du Flüchtling aus Syrien - oder egal, woher du kommst -, wir haben gerade die 12 000 erreicht; tut mir leid, nimm deinen Zettel und geh nach Hause! - Und das wird der dann auch tun! Er wird dann sagen: Oh, schade; das passt mir jetzt eigentlich nicht, aber das mache ich natürlich.

Nein, das wird nicht funktionieren. Natürlich werden die Flüchtlinge nicht nach Aleppo zurückgehen, wo die Bomben fallen oder von wo sie vor einem Massaker geflohen sind. Sie werden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht in ein Schlauchboot setzen und zurück übers Mittelmeer nach Libyen fahren. Dies ist völlig falsch, und wir alle wissen, dass das falsch ist.

Was müsste also passieren? - Wir müssten einen Zaun bauen. Ja, wir müssten einen Zaun bauen und ihn bewachen, ansonsten funktioniert es nicht. Selbst die Grenzkontrollen, über die diskutiert wird, sind in ihrer Logik nicht durchzuhalten.

Wissen Sie, wenn mir jemand am Stammtisch irgendwo sagt, die müssen wir jetzt außen vor lassen, die Grenzen müssen geschlossen werden, dann kann ich damit noch leben. Wenn aber Politiker diese These vertreten, die klug genug sind, um genau zu wissen, dass das nie und nimmer funktionieren kann, dann ist das verantwortungslos und zerstört Vertrauen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Ich komme auf ein zweites Problem zu sprechen. Ist Politik überhaupt noch in der Lage, ernsthaft - ernsthaft! - die wirklichen Bewegungen und Entwicklungen in der Gesellschaft wahrzunehmen?

Ich muss sagen, die Landesregierung und insbesondere der Ministerpräsident, der sich heute hat vertreten lassen - nicht besonders gut; aber das sei dahingestellt -, haben eine ganz eigenartige Wahrnehmung. Alle von uns, die sich intensiv mit den Dingen beschäftigt haben, kennen die ökonomischen Daten dieses Landes Sachsen-Anhalt im Vergleich mit allen anderen. Alle diejenigen, die sich mit der Arbeitsmarktentwicklung beschäftigt

haben, wissen, dass wir in fast allen Bereichen unter den ostdeutschen Bundesländern - auch in der Entwicklung - die rote Laterne haben.

Vor einigen Tagen kam die Meldung, dass sich bei uns die Schere zwischen Einpendlern und Auspendlern wieder weiter geöffnet hat. Wir hatten im Jahr 2015 zwar 500 Einpendler mehr als im Jahr 2014, gleichzeitig ist aber die Zahl der Menschen, die in Sachsen-Anhalt leben und woanders arbeiten, um 3 200 gestiegen.

Was sagte der Ministerpräsident beim IHK-Empfang zur wirtschaftlichen Entwicklung? - Bei fast allen wichtigen Daten liegen wir vorn oder mindestens im Mittelfeld. - Ein Raunen ging durch den Saal. Denn diejenigen, die dort saßen, kannten die wirkliche Entwicklung besser als er. Wer sich so hinstellt und leugnet, dass es diese Probleme gibt, wer sich so hinstellt und leugnet, dass es eine eigene Verantwortung auch für Fehlentwicklungen und Stagnation gibt, der verspielt ebenfalls Vertrauen in die Politik.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich nenne ein weiteres Beispiel. Der Wirtschaftsminister erzählt: Ist doch super, wenn die alle nach Wolfsburg fahren; dann verdienen sie halt mehr Geld; das ist doch schön. Wenn man nicht einmal im Ansatz erkennt, welches Problem sich hinter dieser Entwicklung verbirgt, wenn man nicht einmal im Ansatz erkennt, dass unsere Wanderungsbilanzen nicht nur mit Blick auf Niedersachsen, sondern auch mit Blick auf Sachsen, Thüringen und Brandenburg negativ sind - offensichtlich ist in jedem anderen Bundesland der Arbeitsmarkt attraktiver -, wenn das von dieser Landesregierung nicht einmal mehr als Problem erkannt, sondern geleugnet wird, verliert man Vertrauen in die Politik und in ihre Lösungskompetenz.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Deswegen gilt es, dabei ehrlich zu sein. Wir können uns lange über die Ursachen unterhalten. Eine zehnjährige wirtschaftliche Stagnation mit der aktuellen Ölpreisentwicklung zu begründen, ist allerdings eine Offenbarung, und zwar eine Offenbarung von wirtschaftspolitischer Inkompetenz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sage ich mit aller Deutlichkeit.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich möchte am Ende doch noch auf den bemerkenswerten Redebeitrag des Kollegen Robra eingehen. Offensichtlich geht diese Koalition - nach seiner Interpretation - als Koalition unter der Führung des Kollegen Haseloff in den Wahlkampf. Offensichtlich hat sich diese Koalition darauf verstän

digt - zumindest hat er diesen Eindruck sehr deutlich vermittelt -, dass sie gemeinsam unter der erfolgreichen Führung des Kollegen Ministerpräsidenten in die nächsten fünf Jahre gehen will. - Das ist eine völlig neue Ansage. Ich kannte sie von den Sozialdemokraten so bisher nicht. Es kann sein, dass die Minister das so tragen. Aber dann müssen wir den Wählerinnen und Wählern klar sagen, was die eigentliche Wahloption ist.

Der Kollege Robra hat eben die gesamte Landesregierung in die Pflicht genommen, Wahlkämpfer für den Kollegen Haseloff zu sein. Das ist interessant. Darüber werden wir in der Öffentlichkeit diskutieren. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Herzlichen Dank für Ihren Beitrag, Herr Gallert. - Wir kommen zum letzten Beitrag, zu dem Beitrag der CDU. Der Abgeordnete Herr Schröder hat das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte eigentlich lakonisch beginnen und feststellen, dass die Opposition aus Prinzip Gutes schlecht findet und dass die Demokratie es nun einmal gestattet zu wählen, wer an allem schuld ist. Aber natürlich habe auch ich mich gefragt: Was bedeutet - erst recht nach dieser Einbringung der Aktuellen Debatte - das bemühte Sprachbild des Vertrauens? - Gefordertes Vertrauen, das strahlt Zuversicht, es strahlt Güte aus. Ihre Einbringung, sehr geehrte Frau Dalbert, strahlte dagegen höchstens das Vertrauen in die eigenen Vorurteile aus.

(Beifall bei der CDU)

Schwarzmalerei schafft gewiss kein Vertrauen. Und dann reden Sie davon - ich zitiere -: Wir wollen Brücken bauen, statt Ängste zu schüren. Dann kommt der Satz: Wer den Staat an den Rand der Funktionsfähigkeit führt, ebnet den Weg zu den neuen Nazis.

Dass die Politik meiner Fraktion, dass ich persönlich verantwortlich gemacht werde für den Siegeszug neuer Nazis, das empfinde ich als unverschämte Entgleisung.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Ich bin empört und weise das zurück, für mich persönlich und für meine Fraktion.

Am Mittwoch hat hier im Plenarsaal ein Professor vorgetragen, was der Grund für das Böse sei, der Grund dafür, dass scheinbar normale Menschen zu Tätern würden; abstrakt sprach er von einer deformierten partikularen Moral. Kollege Miester

feldt hat von dem Mut zur Pluralität gesprochen. Beides passt sehr gut zusammen. Sie sollten sich Gedanken darüber machen, welche partikulare Moral Sie hier zu Felde führen.

(Beifall bei der CDU)

Sachsen-Anhalt funktioniert. Der Staat funktioniert. Ob Sie heute Ihrer Rolle im Hohen Haus gerecht geworden sind, das müssen Sie mit sich selbst ausmachen.

(Herr Lange, DIE LINKE: Das ist doch un- glaublich!)

Mit der heutigen Debatte zeigen die GRÜNEN, die um ihren Verbleib im Landtag und damit um das Vertrauen der Menschen in besonderer Weise kämpfen müssen, dass sie nur bis zum Wahltermin denken. Wahlen sind heute aber eher eine Verhandlungsermächtigung als eine Entscheidung zur Macht.

(Herr Lange, DIE LINKE: Das hat Herr Ro- bra gerade gesagt!)