Protokoll der Sitzung vom 07.10.2011

Herr Präsident! meine Damen und Herren! Herr Scheurell, eines ist sicher: Ihre Rede hat niemanden in Sachsen-Anhalt dazu bewogen, auch nur ein Kind mehr zu zeugen.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wird nicht alles versucht, um im Sommerloch die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen! In diesem Jahr machte eine Kuh namens Yvonne das Rennen. Doch spätestens als man sie mit einem Ochsen sexuell locken wollte, wurde klar, wes Geistes Kind sie war.

(Heiterkeit bei der LINKEN - Frau Bull, DIE LINKE: Wie jetzt? - Herr Gürth, CDU: Ein in- teressanter Ansatz!)

Zumindest kurzzeitig gelang es unseren Kollegen Scheurell und Schröder, ihr mit einem ernsthaften Thema Konkurrenz zu machen und in die Medien zu kommen. Das muss man fairerweise anerkennend feststellen.

Um die bisherigen Konzepte zur Gestaltung des demografischen Wandels fortzuentwickeln, wolle die CDU-Fraktion zu Beginn der sechsten Wahlperiode eine parlamentarische Initiative ergreifen - so war zu hören -, um der Diskussion konkrete Impulse zu verleihen.

Doch bis auf den Vorschlag, familiäre Kompetenzen als Kriterium für die Einstellung oder einen Karriereaufstieg zu berücksichtigen, gab es nichts Neues. Deshalb sorgte auch nur dieser Punkt für ein kurzes Rauschen im Blätterwald. Doch auch dieser Vorschlag entpuppt sich bei genauerem Hinschauen als alter Hut.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Punkt 5 des Koalitionsantrages ist in Sachsen-Anhalt bereits seit 15 Jahren Bestandteil des Frauenförderungsgesetzes

(Frau Bull, DIE LINKE: Was hat es ge- bracht? - Nichts!)

und somit verbindlich für den öffentlichen Dienst. In § 4 findet sich folgende Passage:

„Für die Beurteilung der Eignung, Leistung und Befähigung sind Fähigkeiten und Erfahrungen aus der familiären oder sozialen Arbeit zu berücksichtigen…“

(Zustimmung bei der LINKEN)

Und in § 5 des Frauenförderungsgesetzes steht:

„Für die Übertragung höherwertiger Tätigkeiten, bei Beförderung und Höhergruppierung gilt § 4 entsprechend.“

Wir brauchen also kein Bundesdemografiegesetz, Herr Kollege Bergmann, sondern Vorschläge, wie der offensichtlichen Unkenntnis und den beträchtlichen Vollzugsdefiziten entgegengewirkt werden kann.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Diese Sommerinitiative der CDU-Fraktion hat nun, wie angekündigt, den parlamentarischen Raum erreicht. Zuvor ist der Koalitionspartner SPD, ohne groß zu überlegen, noch auf den fahrenden Zug aufgesprungen.

(Frau Hampel, SPD: Wir haben schon über- legt!)

- Ich weiß, Ihre Handschrift sei deutlich erkennbar, werden Sie gleich rufen. Aber, liebe Sozialdemografen,

(Heiterkeit bei der LINKEN)

man muss sich schon bemühen, um die marginalen redaktionellen Änderungen auch zu finden. Sofort fällt aber auf, dass der Demografiebeirat und die Demografieallianz gegenüber dem AchtPunkte-Vorschlag der CDU fehlen. Ich frage mich, weshalb.

Es ist höchste Zeit - insofern, Herr Schröder, macht ihre Initiative Sinn -, dass der Landtag der sechsten Legislaturperiode seinen Blick für die mit dem demografischen Wandel verbundenen Probleme schärft. Alle parlamentarischen Initiativen sollten auf ihre demografischen Auswirkungen hin geprüft werden, weil man manchmal erst auf den zweiten Blick sieht, dass sie demografisch relevant sind.

Ich will ein Paradebeispiel nennen. So dürfte der Verzicht auf die Senkung des Zugangsalters für den Mopedführerschein eine demografisch nachhaltigere Wirkung zeitigen als ein Großteil der vorliegenden Konzepte.

(Frau Hampel, SPD: Deshalb haben wir es ja beschlossen!)

Meine Damen und Herren! Den Ausgangspunkt für die parlamentarische Befassung sollte jedoch das Handlungskonzept „Nachhaltige Bevölkerungspolitik in Sachsen-Anhalt“ aus dem Jahr 2010 als Ganzes bilden und nicht nur einige selektiv herausgegriffene Brocken. Sein Erscheinen im Februar 2010 ging offenbar in der heißen Wahlkampfphase zur Landtagswahl weitgehend unter. Nicht einmal der Koalitionsantrag bezieht sich darauf.

Gänzlich unbekannt geblieben ist offenbar das ebenfalls im Februar 2010 vom damaligen Staatssekretär Herrn Schröder in Vertretung für Herrn Dr. Daehre für Sachsen-Anhalt, vom zuständigen

Minister des Freistaates Thüringen und dem Chef der sächsischen Staatskanzlei unterzeichnete Eckpunktepapier zur Zusammenarbeit der mitteldeutschen Länder mit dem Titel „Gemeinsam den demografischen Wandel gestalten“. Von dessen Existenz wurden die Mitglieder dieses Landtages bis heute noch nicht einmal in Kenntnis gesetzt.

Eigentlich spricht alles für die Annahme unseres Änderungsantrages. Er spannt den Rahmen für die Diskussion viel weiter.

(Beifall bei der LINKEN)

Die von der Koalition vorgeschlagenen Punkte finden sich darin alle wieder. Nun wäre unser Vorschlag als Kompromiss - es kommt ja darauf an, dass ein ordentlicher Beschluss auch nach außen wirkt -, nun nicht krampfhaft irgendwelche Teile zu übernehmen; lassen Sie uns vielmehr beide Anträge, auch wenn über sie eigentlich unmittelbar abgestimmt werden sollte, in die Ausschüsse überweisen und in vier Wochen einen Text präsentieren, den wir auch nach außen hin vertreten können. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Herr Dr. Köck. - Für die Fraktion der SPD spricht jetzt der Kollege Herr Bergmann. Bitte, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dr. Köck, eigentlich habe ich die Rede Ihrerseits auch nicht anders erwartet. Ich habe in den letzten Minuten keinen einzigen konstruktiven Vorschlag von Ihnen gehört. Eigentlich war es das alte Motto: Was die Koalition macht, ist falsch, was die Opposition macht, ist richtig.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Ich kann Ihnen nur sagen, ich komme aus einer Region, von der ich glaube, dass sie kontinuierlich mit dem demografischen Wandel zu tun hat, weil er in der Altmark, in der Region, die ich hier vertrete, schon längst wirkt. Er wirkt im täglichen Leben, er wirkt, wenn es um den Schülerverkehr geht, er wirkt, wenn es um bestimmte Situationen in den Ortslagen geht. Ich komme nachher noch darauf zu sprechen. Ich glaube, dass ich die Situation daher ganz gut kenne.

Mich fragte letztens jemand, wie ich die Situation in der Altmark überhaupt einschätze. Angesichts der Eindrücke aus den letzten Sitzungen der Ausschüsse im Landtag - ich denke an den Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr und an den Umweltausschuss, in denen ich mitarbeite - fiel mir ein - ich sagte das auch so ganz flapsig -: Der

Mensch geht, der Wolf kommt. - Das ist die Situation, wie sie sich darstellt.

Das war natürlich spaßig gemeint. Aber das ist die Situation, dass wir mit einem großen Bevölkerungsverlust zu kämpfen haben. Damit haben wir natürlich entsprechende Probleme zu bewältigen.

Ich will mich nun einmal völlig von meinem Redemanuskript trennen und stattdessen auf einige andere Dinge eingehen. Ich habe gelesen, dass sich die Ministerpräsidenten und der Ostbeauftragte der Bundesregierung gestern getroffen haben. Sie haben einige Dinge verabschiedet, die zum Teil gehaltsreich sind. Aber ich konnte auch der Presse entnehmen, dass es sich doch im Wesentlichen um eine Bestandsaufnahme handele und noch nicht um Handlungskonzepte.

Dazu haben wir natürlich in der Altmark einiges zu bieten. Dazu haben wir auch in Sachsen-Anhalt einiges zu bieten. Fakt ist: Natürlich müssen wir jetzt zu Maßnahmen kommen.

Besonders ist mir aufgefallen - daran will ich zeigen, wie dramatisch die Situation zum Teil schon ist -, dass Herr Bergner unter anderem sagte, dass man im Bildungsbereich darüber nachdenken müsse, ob man durch kleinere Grundschulen in Ortsnähe Abhilfe schaffen könne.

Diesbezüglich will ich auf Regionen im Land verweisen, wo wir bereits jetzt Grundschulen haben, die gerade einmal noch 40 oder, wenn es hoch kommt, 45 Schüler beschulen. Das heißt, in der Region sind wir längst bei kleinen Schulen angekommen. In den nächsten Jahren stellen sich hier ganz andere Probleme, nämlich die Frage, wie gehen wir weiter damit um.

Die Lehrer sagen, Schulen mit weniger als 40 Schülern machen keinen Sinn. Den Schülern ist es zum Teil egal. Sie würden vielleicht auch in kleineren Gruppen lernen. Es ist ein Thema, über das diskutiert werden muss.

Wir müssen auch darüber nachdenken - das machen inzwischen auch andere Länder im Westen -, wie wir unsere Ortskerne, unsere Dorfkerne stärken können. Vielleicht kann man mit alten Einwohnern aus dem Dorf reden, die ihre Scholle, 2 000 m² für den Bau eines Wohnhauses, vielleicht für die Enkelkinder freigehalten haben. Vielleicht kann man sie dazu bewegen, an Leute zu verkaufen, die bereit sind, in das Dorf zu ziehen.

Wir müssen zusehen, dass wir Menschen in die Ortskerne bekommen, damit die Zersiedlung im ländlichen Raum schlicht und ergreifend aufhört. Denn die macht das Ganze in Zukunft sehr teuer. Ich weiß auch, wie die Diskussionen hier im Landtag verlaufen. Also müssen wir hier aktiv einsteigen und diese Dinge diskutieren.

Das Thema Infrastruktur, das immer wieder angesprochen wird, will ich ein bisschen relativieren.

Denn Infrastruktur bringt im Zusammenhang mit dem Thema Demografie natürlich ein bisschen etwas in die richtige Richtung. Allerdings reagieren fast alle Regionen, die ein demografisches Problem haben, mit Infrastrukturmaßnahmen. Sie sagen: Wir müssen unsere Infrastruktur verbessern.

In der Konsequenz und in der Summe heißt das zum Schluss: Wenn alle demografisch problembehafteten Regionen ihre Infrastruktur verbessern, erreichen wir in Bezug auf die Demografie überhaupt nichts. Das Einzige, was wir damit schaffen, ist, dass es für die Leute in der Region etwas einfacher wird, den Arbeitsplatz zu erreichen. Aber wir erreichen damit weder einen Zuzug noch positive Geburtssalden.

(Frau Frederking, GRÜNE: Keine A 14!)

- Darüber kann man in einem anderen Zusammenhang diskutieren. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Frau Frederking, das hatte ich Ihnen an anderer Stelle schon gesagt: Die Altmark lässt sich ihre Entwicklungschancen durch die GRÜNEN nicht kaputt machen.