Protokoll der Sitzung vom 11.11.2011

Aktuelle Debatte

Wie angekündigt behandeln wir heute das zweite Thema:

Auswirkungen der Steuerüberschätzung der Landesregierung und der Steuersenkungsversprechen der Bundesregierung auf den Landeshaushalt 2012/2013

Aktuelle Debatte Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/546

Für die Aktuelle Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bringt den Antrag ein. Dann sprechen die Redner der CDU, der LINKEN und der SPD. - Es gibt keinen Widerspruch. Wir verfahren so.

Zunächst hat die Antragstellerin, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das Wort. Es spricht der Kollege Erdmenger.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aufgabe des Finanzministers ist es, die Landesfinanzen zusammenzuhalten und Unbequemes auszusprechen. Ich glaube, wir sind uns alle einig, Herr Bullerjahn, dass Sie hinsichtlich des Aussprechens von unbequemen Thesen und unbequemen Worten keinen Mangel haben.

Aber wir müssen doch feststellen, dass wir im letzten halben Jahr im Hinblick auf die Aufgabe, eine solide Finanzpolitik zu betreiben, eine ganze Reihe von Zweifeln hinsichtlich Ihres Kurses bekommen mussten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und das fällt uns nicht erst heute auf. Wenn Sie hier dargestellt haben, dass sich keiner darüber echauffiert, dass wir Steuermehreinnahmen für das Jahr 2011 in Höhe von 500 Millionen € haben, dann ist das richtig, weil Ihre Prognose für das Jahr 2011 glaubwürdig war.

Aber hinsichtlich der Frage, ob wir in den Jahren 2012 und 2013 wirklich so optimistisch von Steuermehreinnahmen ausgehen können, sind Ihre Prognosen durchaus hinterfragt worden. Darüber wurde im Finanzausschuss durchaus diskutiert, und deswegen ist das keine Diskussion, die heute vom Himmel fällt, weil jemand auf ein Trittbrett aufspringt, nur weil eine Schätzung anders gekommen ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns doch alle gewundert, als wir im Frühsommer dieses Jahres aus der Presse erfahren konnten, wie sich die Eckwertediskussion - damals hieß das so -, was jedes einzelne Ministerium bekommen soll, entwickelt hat. Wir konnten aus der Presse erfahren, dass in keinem einzigen Ministerium der Eckwert geringer ausfällt als die Ausgaben des Jahres 2011. Da haben wir uns doch alle gewundert und gefragt, wie kann das gehen?

(Zuruf von Frau Dr. Klein, DIE LINKE)

Ende August/Anfang September hat uns der Finanzminister dann präsentiert, worin sein Zaubertrank besteht und wie dieses Wunder denn gelingen kann. Der Zaubertrank bestand darin, dass die Steuerschätzung nicht nur für dieses Jahr um 500 Millionen € höher liegen sollte als in dem Plan, der auch eine ganz Weile zurückliegt, sondern dann in dem Folgejahr noch einmal um weitere mehr als 350 Millionen € ansteigen sollte. Das war ein Anstieg der Steuereinnahmen um 6,5 % in einem Jahr, in dem das Wirtschaftswachstum mit 1 % prognostiziert war. Das war schon damals nicht glaubwürdig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt stehen wir heute da und es fehlen 300 Millionen € im Haushalt. Und der Finanzminister präsentiert uns einen neuen Zaubertrunk. Der neue Zaubertrunk, den er uns präsentiert, heißt: Wir geben weniger Geld für Zinsen aus. Auch da, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir uns einmal die Frage stellen, wie viel Realismus ist denn in dieser Ankündigung drin?

Ich habe mir auch im Sommer dieses Jahres schon einmal die Frage gestellt, wie werden sich wohl die Zinsen entwickeln und wie wird sich das auf unseren Landeshaushalt auswirken? Zugegebenermaßen habe ich das nicht mit der Weisheit getan, dass die Zinsen sinken werden, sondern mit der Befürchtung, dass die Zinsen steigen könnten.

Deswegen habe ich die Kleine Anfrage gestellt, die in der Drs. 6/424 nachgelesen werden kann. Darin finden wir eine Prognose darüber, was passiert, wenn sich die Zinsen in den nachfolgenden Jahren dauerhaft bei 2 % bewegen. Ein Zinsniveau von 2 % ist der unterste Rand, den wir für möglich gehalten haben.

Wir haben heute gehört, dass der Bundesfinanzminister Kredite vielleicht noch billiger kriegt. Aber wir können aus dieser Anfrage ablesen, dass bei einem Zinsniveau von 2 % der Finanzminister Zinsausgaben im Jahr 2012 in Höhe von 769 Millionen € erwartet hat. Und in seinem Finanzhaushaltsplan, also in dem Ausgangspunkt, über den wir gerade reden, hat er eine Zinszahlungserwartung in Höhe von 790 Millionen hineingeschrieben.

Für das Jahr 2013 sind diese Zahlen noch darunter angesetzt worden. Im Jahr 2013 erwartet er bei einem Zinsniveau von 2 %, dass wir Zinsausgaben von 850 Millionen € haben werden. In seinem Haushaltsplan hat er anschließend nur Zinsausgaben von 820 Millionen € eingeführt. Damit erwartet er ein Zinsniveau von weniger als 2 %.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie die Rechnungen zustande gekommen sind. Sie sind sicherlich komplex. Und ich glaube auch, dass sie in der Antwort auf die Kleine Anfrage seriös gemacht worden sind. Aber eines zeigt uns diese Antwort: Der Finanzminister hat schon bei der Einbringung des Haushaltsplans mit einem Zinsniveaus von allenfalls 2 % gerechnet. Wenn es jetzt noch weiter heruntergehen soll, dann allenfalls um weitere 2 %. Mehr Luft ist an dieser Stelle nicht drin.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und wie spart man denn, wenn die Zinsen sinken? - Man spart nicht, indem man sagt, liebe Banken, wir zahlen euch jetzt weniger Zinsen. Das können Sie probieren, falls Sie einen Kredit auf Ihr Haus aufgenommen haben. Sie können dahin gehen und sagen, ich will jetzt weniger Zinsen zahlen. So funktioniert es nicht. Es funktioniert so, dass Sie bei dem Volumen, das Sie umschulden, neue Zinsbedingungen aushandeln können.

Jetzt gucken wir einmal in den Haushaltsplan hinein. Im Haushaltsplan finden wir für das Jahr 2012 Umschuldungsermächtigungen in Höhe von etwa 3,7 Milliarden €. Getätigt waren im August schon 3,1 Milliarden €. Es ist noch ein Umschuldungsvolumen von exakt 669 Millionen € im Jahr 2011 übrig gewesen ab dem Zeitpunkt, in dem uns der Haushaltplan vorgelegt wurde.

Wenn Sie bei 669 Millionen € 2 % sparen - es tut mir leid, dass ich Ihnen diese Zahlen nicht ersparen kann; wer sie schriftlich haben will, ich habe Sie auch noch einmal dabei -, dann sind das Zinsen im Gegenwert von 13,34 Millionen € und nicht von 79 Millionen €. Also ich möchte wissen, woher Sie dieses Geld bekommen. Für das Jahr 2013 kann man die gleiche Rechnung machen.

Ich habe eine Vermutung, woher Sie das Geld bekommen wollen. Ich habe die Vermutung, dass Sie das mithilfe von Derivaten erzielen wollen, also mit der Wette darauf, dass die Zinsen dauerhaft niedrig bleiben werden, sodass wir unsere Zinsen ge

gen niedrigere in der Zukunft tauschen können. Diese Methode hat den Nachteil, dass Sie damit verdienen können, wenn die Zinsen sinken; sollten sie aber doch steigen, dann haben Sie den Salat und dann stehen wir hier im Parlament da und haben ein echtes Problem im Haushalt.

Deswegen kann ich nur empfehlen, gehen Sie diesen Weg bitte nicht. Lassen Sie ab von diesem Zaubertrank und machen Sie eine solide Schätzung hinsichtlich der im Haushalt möglichen Zinseinsparungen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von Minis- ter Herrn Bullerjahn)

Zu allem Überfluss gibt es dann auch noch Schwarz-Gelb in Berlin. Und Schwarz-Gelb in Berlin hat uns jetzt erklärt, dass sie trotz einer immensen Verschuldung, die wir weiterhin im Bundeshaushalt haben, die Steuern senken wollen. Der Finanzminister hat schon etwas dazu gesagt. Der Presse war zu entnehmen, dass Sie die Einnahmeausfälle für unser Land auf 30 Millionen € schätzen. Jetzt kann man sagen, wir haben vorhin über 300 Millionen € geredet. Was kümmern uns jetzt 30 Millionen €?

Aber jeder und jede von uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, die einmal versucht haben, 30 Millionen € für ein Projekt wie zum Beispiel die Kinderbetreuung oder zur Rettung der Zukunftsstiftung im Haushalt zu finden, wissen, dass 30 Millionen € auch viel Geld sind.

Deswegen wünsche ich mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass von diesem Haus heute das Signal ausgeht, dass wir in Sachsen-Anhalt diese Ankündigung der Bundesregierung, Steuersenkungen auf Pump durchzuführen, absolut nicht gebrauchen können.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Herr Borgwardt, CDU: Was soll Sach- sen-Anhalt da machen?)

Ich komme zum Schluss. Sehr geehrter Herr Haseloff, Sie haben heute gehört, dass es erhebliche Zweifel hinsichtlich der Solidität dessen gibt, was uns der Finanzminister hier vorgelegt hat. Ich erwarte von Ihnen als Regierungschef, dass Sie sich das sehr kritisch angucken. Ich ziehe aus den Zahlen, die uns heute vorliegen, den Schluss, dass wir eine erhebliche Haushaltslücke im vorliegenden Haushalt haben. Es kann nicht die Aufgabe des Parlaments sein, dass wir jetzt die fehlenden Mittel wieder an allen Ecken und Enden finden.

Deswegen fordere ich Sie auf, ziehen Sie diesen Haushaltsplanentwurf zurück, überarbeiten Sie ihn und legen Sie uns ein solides Zahlenwerk vor, sodass wir im Landtag

(Herr Schröder, CDU: Wissen Sie, was das bedeutet?)

unsere Aufgabe tatsächlich erledigen können.

(Beifall bei den GRÜNEN - Herr Schröder, CDU: Wissen Sie, was es bedeutet, einen Haushaltsplanentwurf zurückzuziehen?)

Vielen Dank, Herr Kollege Erdmenger. - Ich schaue in die Richtung der Regierungsbank. Da sehe ich keinen Redewunsch. Dann fahren wir fort.

(Minister Herr Bullerjahn: Ich warte ab, am Ende vielleicht!)

- Du wartest ab, was kommt.

(Minister Herr Bullerjahn: Am Ende!)

- Okay. Dann schauen wir einmal. - Es spricht für die Fraktion der CDU der Kollege Barthel.

(Herr Schröder, CDU: Mehr als ein Zurück- ziehen des Haushaltsplanentwurfs kann nicht mehr kommen! Das ist schwierig zu toppen! - Minister Herr Bullerjahn: Ich über- lege mir das gerade!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Erdmenger, Sie muten uns hier einiges zu, muss ich sagen. Wenn ich einmal darüber nachdenke, dass Ihre Kritik in erster Linie darauf gerichtet war - und so verstehe ich die Aktuelle Debatte -, dass der Finanzminister oder das Finanzministerium Prognosen über zusätzliche Steuereinnahmen erstellt hat, dann stelle ich fest, dass Ihre ganze Argumentation auf einer eigenen Vermutung fußt. Das haben Sie eingeräumt. Insofern sollten wir, wenn wir über Ehrlichkeit und Seriosität reden, das nicht nur bei anderen kritisieren, sondern für uns selbst in Anspruch nehmen.

(Beifall bei der CDU)

Ich will einmal fortfahren, Herr Erdmenger. Wenn ich solche Superlative in den Zeitungen lese wie „finanzpolitischer Scherbenhaufen“ oder „Luftbuchungen“ - das ist kaum noch zu übertreffen -, dann frage ich mich ganz besorgt, auf welches Vokabular wir uns alle freuen dürfen, wenn wirklich einmal Grund zur Empörung besteht.

(Beifall bei der CDU)

Wir reden jetzt über eine Steuerschätzung, nicht mehr und nicht weniger. Diese Steuerschätzung zeigt Tendenzen auf. Die früheren Finanzminister können sicherlich ein Lied davon singen, wie oft Steuerschätzungen korrigiert werden mussten, im positiven wie im negativen Sinne. Ich erinnere daran, dass Herr Professor Paqué, glaube ich, den Allzeitrekord hält, was das Aufeinanderfolgen von negativen Steuerschätzungen angeht. - So viel zum Thema Verlässlichkeit von Steuerschätzerkreisen.

Die Prognosegenauigkeit der unterschiedlichen Annahmen können wir insofern immer erst rückblickend bewerten. Wir nehmen diese Steuerschätzung aber ernst und sind deshalb dankbar für diese Aktuelle Debatte.