Protokoll der Sitzung vom 16.12.2011

Die zweite Frage sei mir vor Weihnachten einfach mal gestattet. Sie sprachen völlig zu Recht davon, dass der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen insbesondere die Zielrichtung hat, die Tariftreue zu stärken.

Ist es vor dem Hintergrund unseres Gesetzentwurfes nicht viel besser, Tariflöhne für Weihnachtsmänner zu fordern als Mindestlöhne, so wie Sie es getan haben?

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU)

Ich beginne mit dem Letzten, Herr Schröder. Ich weiß nicht, welche Arbeitgeber die Unternehmer sind, die Weihnachtsmänner beschäftigen. Wenn es dort einen Arbeitgeberverband gibt, dann wird sich sicherlich auch die Gewerkschaft ver.di finden, einen entsprechenden Tarifvertrag zu machen.

(Zustimmung bei der CDU)

Sollte dort aber kein Tarifvertrag zustande kommen, weil die Voraussetzungen fehlen, brauchen wir auch da einen gesetzlichen Mindestlohn.

Zu der Frage zum Präqualifizierungsverfahren. Das ist etwas komplizierter. Sie haben Recht, dass das im Gesetzentwurf der LINKEN unterbelichtet ist. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat es auch nicht angesprochen.

Es ist so, dass die Bauwirtschaft, das Baugewerbe sich selbst ein Präqualifizierungsverfahren auferlegt hat, also speziell branchenbezogen. Daher ist es richtig, als Gesetzgeber darauf abzustellen, dies anzuerkennen. Es wird sicherlich so sein, dass weitere Branchen für sich auch Präqualifizierungsverfahren schaffen werden. Ich glaube, politisch sind wir gut beraten, auf das, was dabei gemacht wird, abzustellen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Es gibt eine weitere und letzte Frage an den Abgeordneten Steppuhn. - Herr Kollege Dr. Thiel, bitte.

Herr Kollege Steppuhn, ich habe zwei Fragen.

Erstens. Stimmen Sie mir darin zu, dass in Ihrer Koalition erheblicher Erklärungsbedarf dahin gehend besteht, was Tarifentgelte, Tariftreue und Mindestlöhne betrifft?

Nein, es besteht kein Klärungsbedarf. Es gibt unterschiedliche Auffassungen. Es gehört zu einer Koalition dazu, dass man versucht, Kompromisse zu schließen.

(Frau Budde, SPD: Richtig!)

Im Übrigen ist es in allen Koalitionen, die es gibt, so, dass nicht der eine etwas einbringt und sich 100 % durchsetzt. Das gibt es weder bei Tarifverhandlungen noch in der Politik. Das kann nur die Opposition.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Meine zweite Frage lautet: Stimmen Sie mir darin zu, dass das Thema Lohnuntergrenze, Mindestentgelt oder 8,50 € als „magische Zahl“ kein Alleinstellungsmerkmal der LINKEN ist, sondern vor allem eine Forderung der Gewerkschaften und des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Sachsen-Anhalt, das mit einem Vergabegesetz zu verbinden?

(Zuruf von der CDU)

Wir haben auch die Forderungen der Gewerkschaften ernst genommen. Deshalb haben wir zum Beispiel ein solches Tariftreuegesetz in die Koalitionsverhandlungen eingebracht und beschrieben. Wir versuchen, das jetzt entsprechend umzusetzen.

Um die Diskussion ein Stück weit ehrlicher zu machen: Es sind Gewerkschaften gemeinsam mit Sozialdemokraten gewesen, die sich darauf verständigt haben, zunächst Branchenmindestlöhnen per Tarifvertrag nach dem Entsendegesetz Vorrang einzuräumen, und dann gesagt haben: Überall dort, wo das nicht geht, muss es eine Lohnuntergrenze geben.

Deshalb bin ich dafür, dass sich überall dort, wo es geht, die Tarifvertragsparteien - das ist Tarifautonomie - auf Mindestlöhne verständigen und der Staat, der Gesetzgeber dieses unterstützt.

Ich glaube, wir sind da auf einem guten Weg. Diesen Weg sollten wir nicht kaputtreden. Wir sollten ihn stärken. Da sind wir dabei.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU - Zuruf von der CDU: So ist es!)

Vielen Dank, Herr Kollege Steppuhn. - Weitere Fragen gibt es nicht.

Vielleicht noch eine interessante Nachricht: Zu meiner großen Überraschung spielte in der Debatte in der vorweihnachtlichen Zeit der Mindestlohn für Weihnachtsmänner eine größere Rolle.

(Zuruf von der CDU: Das ist typisch für Sai- sonarbeit!)

Ein Privatsender in Sachsen-Anhalt hat heute Morgen hierzu passend - diese Debatte wahrscheinlich ahnend - die folgende Nachricht über den Äther geschickt: Im Mutterland des Kapitalismus arbeiten die Weihnachtsmänner nicht für den Mindestlohn, auch nicht für 8,50 €, sondern sie erhalten - sage und schreibe - 50 € je Stunde. Allerdings mussten sie vorher in Midland an einer Weihnachtsmannschulung teilnehmen, die 400 € kostete.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen - Herr Step- puhn, SPD: Aber brutto! Das muss versteu- ert werden!)

- Aber die haben andere Steuersätze. - Ich bitte um Entschuldigung für diesen kleinen Ausflug.

Wir fahren fort. Das Thema lautet Vergabegesetz. In der Debatte spricht als Nächster Herr Abgeordneter Henke von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion der SPD hatte am 23. November 2011 eine Presseerklärung zu ihrem Werkstattgespräch herausgegeben und zitiert dort einen Vertreter der Bauwirtschaft mit den Worten, warum man denn nicht die Erfahrungen aus der kurzen Wirkungsdauer des ehemaligen Vergabegesetzes berücksichtigt, bevor man etwas Neues erarbeitet.

Das ist die interessante Frage: Warum bleibt der jetzige Entwurf der Koalition hinter dem zurück, was wir vor zehn Jahren einmal hatten?

Herr Kollege Steppuhn, der Satz war wirklich von Ihnen, als Sie sagten: Eine Lohnuntergrenze habe für Sie nur politische Bedeutung. Für viele Menschen ist das eine Frage des Überlebens.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Liebe SPD-Kollegen, Sie haben sich im Jahr 2001 dafür eingesetzt, dass es hier ein gutes Gesetz gab. Es regelte den Geltungsbereich für alle öffentlichen Auftraggeber. Es nahm die öffentlichen Auftraggeber stärker in die Pflicht in Bezug auf die Bieter- und Angebotsprüfung. Die Tarifbindung wurde ursächlich aus der Auskömmlichkeitskontrolle jedes Angebots abgeleitet.

Es ging also um Nachweise, um fairen Wettbewerb und um korrekten Umgang mit den Beschäftigten. Es ging nicht um Dumping und Ausschluss von Bietern.

Das heißt, vor zehn Jahren waren wir schon einmal so weit, dass vor allem die öffentlichen Auf

traggeber in die Pflicht genommen wurden, solche Vergütungen zu zahlen, dass die Betriebe überhaupt in die Lage versetzt wurden, gute Löhne - damals tarifliche Mindestlöhne - zu zahlen. Damals gab es auch keine Bagatellgrenzen.

Kollege Thomas, ich glaube, Sie sollten sich einmal damit beschäftigen, dass es unterschiedliche Vergabearten, einen EU-Schwellenwert und Bagatellgrenzen gibt und dass das alles völlig unterschiedliche Dinge sind.

Die Mängel des alten Gesetzes vor zehn Jahren lagen außerhalb seiner Regelungen. Denn: Es unterstellte funktionierende, das heißt mit ausreichend qualifiziertem Fachpersonal besetzte Vergabestellen.

Seither ist die Lage nicht besser geworden. Sie ist schlechter geworden. Stichworte: kommunale Finanznot, Personalabbau auf allen Ebenen, 19 : 1 000.

Diese Dinge verhindern zunehmend, dass die Vergabestellen überhaupt in der Lage sind, Angebotskalkulationen auf Auskömmlichkeit zu prüfen und den wirtschaftlichsten Bieter festzustellen und eben damit solche Risiken wie Nachtragsforderungen, Qualitätsmängel oder Zahlungsunfähigkeit mit Einstellung der Bautätigkeit und Terminverzug auszuschließen. Denn das sind dann auch immer die Verteuerungen für die öffentliche Hand, also das Gegenteil von „Sparen um jeden Preis“ und die Lebensbestätigung davon, dass billig Bauen immer teuer wird.

Umso mehr ist es heute nach den alten Erfahrungen unerlässlich, für die Angebotsprüfungen in den Vergabestellen klare Kalkulationsgrundlagen anzubieten. Dabei sind Mindestlöhne eine sehr gute Hilfestellung und damit schon als solche eine Bearbeitungshilfe.

Eine der Erkenntnisse von 2001 ist es nun einmal, dass es die damalige Wirtschaftsministerin trotz vieler Hinweise unterließ, flankierende Arbeitshilfen unverzüglich per Runderlass zu verabschieden.

Es war dann eine Ironie, dass nach Aufhebung des alten Vergabegesetzes 2002 durch die CDU-FDPRegierung der liberale Wirtschaftsminister nicht umhin kam, eben genau solche Richtlinien zu erlassen, die dann eine Untersetzung der Prüfbarkeit der Bietererklärungen und Angebotskalkulationen im Sinne des schon aufgehobenen Vergabegesetzes enthielten. Sie standen fünf Jahre lang im Anwenderhandbuch und fanden Nachfolgeregelungen bis in dieses Jahr.

Das waren nämlich die Anforderungen an die Inhalte der Bewerbererklärungen - samt Formularen -, und das waren die Regelungen zur Präqualifizierung, einschließlich der Handhabung von Unternehmer- und Lieferantenverzeichnissen.

Herr Thomas, schauen Sie einmal in unseren Gesetzentwurf hinein: Die Präqualifizierungsregelungen haben wir ausdrücklich aufgenommen. Ich kann für mich in Anspruch nehmen, derjenige gewesen zu sein, der das für die Bauwirtschaft in diesem Lande vor zehn Jahren maßgeblich mitbefördert hat.

(Zustimmung bei der LINKEN - Frau Budde, SPD: Das stimmt!)

Allein diese Unternehmer- und Lieferantenverzeichnisse, die ULV - was ist denn das? - Das sind doch Notlösungen, Hilfskrücken der Kommunen, um sich nicht Vergabefehler nachweisen lassen zu müssen. Die Kommunen haben wissentlich in Kauf genommen, sich vorwerfen zu lassen, sie würden sich ein Haus- und Hoflieferantentum aufbauen, weil sie gar nicht mehr anders konnten, als in diesem Gewirr von unseriösen Angeboten den Richtigen herauszufinden. Das war eben eine der Erkenntnisse aus unserem alten Vergabegesetz.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Frau Budde, nicht nur Sie und ich wissen: Es gab damals auch ein Gutachten zur Wirkung dieses Gesetzes. Es wurde evaluiert. Aus diesem Gutachten ging hervor, dass die Schwächen des Gesetzes in dem gelegen haben, was ich gerade ausgeführt habe.