Dass ihnen das leider auch gelingt, zeigen nicht zuletzt die Ergebnisse der Kommunalwahlen, aber auch das Ergebnis der Landtagswahl. Hierbei muss festgestellt werden, dass die NPD grundsätzlich dort hohe Zustimmung erzielte, wo ihre Kandidaten Präsenz zeigten und im Gemeinwesen verankert waren, wie zum Beispiel in Sportvereinen, bei der freiwilligen Feuerwehr oder in anderen Vereinen. Es kommt also auch darauf an, die demokratischen Orientierungen in den Vereinen und Verbänden zu stärken.
Meine Damen und Herren! Auch der Kultur kommen vielfältige Aufgaben im Kampf gegen den Rechtsextremismus zu. So ist Kultur immer streitbar und damit ein demokratischer Prozess. Kultur erreicht viele und unterschiedliche Menschen. Daher ist eine demokratische, kulturell vielseitige Landschaft eine zwingende Notwendigkeit für ein tolerantes und weltoffenes Sachsen-Anhalt.
Wenn wir davon ausgehen, dass rechtsextremes Gedankengut weit in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen ist, können wir eine demokratische Kultur nicht ausschließlich als Jugendkultur verstehen. Sie muss vielmehr alle Altersgruppen ansprechen, und alle Menschen, unabhängig von ihrem sozialen Status, müssen von ihr partizipieren können.
Kulturelle Angebote müssen auch und vor allem im ländlichen Raum vorhanden sein. Gibt es keine kulturellen Möglichkeiten, besteht die Gefahr, dass Rechtsextreme in dieses Vakuum eindringen und selbst die Angebote machen. Damit hätten sie dann direkt die Mitte der Gesellschaft erreicht.
Nur die Etablierung einer demokratisch verfassten Kulturlandschaft kann dies verhindern. Ein Kulturkonzept für Sachsen-Anhalt müsste auf diese Herausforderung reagieren und Lösungsansätze aufzeigen, wie zum Beispiel eine solche Kulturlandschaft dauerhaft finanziert werden kann.
Kultur muss sich als Teil der Zivilgesellschaft verstehen und dort ihre Wirkung entfalten. So kann an bewährte parteiübergreifende Projekte wie „Rock gegen Rechts“ oder „Bunt statt braun“ angeknüpft werden.
Eine Auseinandersetzung ist aber auch mit rechter Kultur wichtig, welche in einigen Bereichen bereits die Dominanzkultur bildet. Hierbei sind nicht nur die Kulturschaffenden gefragt, sondern auch Lehrerinnen, Erzieherinnen, Mitarbeiterinnen von jugendkulturellen Einrichtungen und vor allem die Eltern.
Für die Auseinandersetzung mit Geschichtsfälschung sind die Aufrechterhaltung der Erinnerungskultur und eine intensive Pflege antifaschistischer Gedenkstätten dringend notwendig.
Meine Damen und Herren! Ein weiterer Bereich, dem ein besonderer Stellenwert in diesem Zusammenhang zukommt, sind die Hochschulen und Universitäten. Wissenschaft spielt eine entscheidende Rolle für Fortschritt und Entwicklung der menschlichen Zivilisation. Zugleich können Hochschulen als Orte des lebenslangen Lernens dazu beitragen, dass in den Bereichen der Erwachsenenbildung, der Weiter- und Fortbildung sowie der Seniorenbildung die Grundlagen für demokratische und tolerante Denkmuster ausgebaut werden.
Wir sehen aber auch erhebliche Defizite. Politische Rahmenbedingungen, Tradition und in der deutschen Wissenschaftsorganisation selbst verhaftete Probleme haben autoritäre Strukturen konserviert, die dem Anspruch einer demokratischen, diskursiv geprägten Wissenschaft allzu oft zuwiderlaufen.
Wenn im akademischen Studium sozial- und geisteswissenschaftliche Fragen immer deutlicher in den Hintergrund geraten oder im Interesse eines knappen, effektiven, berufsorientierenden oder verwertungsorientierten Abschlusses gänzlich entfallen, besteht die Gefahr, dass zynische, technokratische und unter Umständen auch menschenverachtende Denk- und Handlungsmuster unter Menschen mit hohem Bildungsgrad voranschreiten. Dafür ist Herr Sarrazin nur ein Beispiel.
Besonders nachhaltig wirken sich die Defizite in der Lehramtsausbildung aus. Die pädagogische und sozialpädagogische Ausbildung muss deshalb in allen Lehramtsstudiengängen qualifiziert und vertieft werden.
Meine Damen und Herren! Ich habe nur einige Bereiche näher beleuchten können. Natürlich würden dazu auch die Bereiche Medien, Soziales, Wirtschaft und Arbeit, Inneres und Justiz gehören. Für all diese Politikfelder bedarf es einer klaren Analyse und konkreter Konzepte, um eine dauerhafte, verlässliche und kontinuierliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus über eine Legislaturperiode hinweg zu gewährleisten. Das soll Aufgabe des von uns geforderten Landesprogramms werden.
Rechtsextremismus ist nicht von gestern zu heute entstanden und er lässt sich nicht von heute auf morgen verdrängen. Aber die deutsche Geschichte hat uns etwas ganz Entscheidendes gelehrt: Nur gemeinsam können die demokratischen Kräfte dem Rechtsextremismus begegnen und nur gemeinsam können wir ihn bekämpfen. Lassen Sie uns also gemeinsam an diesem Landesprogramm arbeiten. - Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Frau Tiedge. - Das Wort hat nunmehr Herr Striegel von der Fraktion GRÜNE. Herr Stiegel, es ist Ihre erste Rede in diesem Hohen Haus. Manche nennen es auch „Jungfernrede“. Viel Glück und Erfolg!
Vielen herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Demokratie, das ist kein starres System von Staatlichkeit. Sie kann keine Gewissheit sein, sondern sie ist eine hart erlernte Grundeinstellung von Menschen, ein nun schon rund 2 600 Jahre alter Versuch, miteinander in Frieden und unter Beachtung der Rechte aller zu leben. Deshalb muss Demokratie jeden Tag neu gewonnen und erstritten werden. Es gilt, sie gegen Bedrohungen zu verteidigen und sie täglich neu mit Leben zu füllen.
Wir erleben gerade, wie viele Hunderttausende Menschen im arabischen Raum und im Maghreb ihrer Sehnsucht nach Demokratie folgen. Dort wirkt Demokratie angesichts der Erfahrung jahrzehntelanger Unterdrückung noch ansteckend und begeisternd. Dort und hier ist sie aber - ganz unterschiedlich - doch immer wieder bedroht.
In Sachsen-Anhalt erleben wir, dass eine neonazistische Kaderpartei, die NPD, deren Mitglieder und Führungsfiguren gegen Migrantinnen und Migranten hetzen, die den Albtraum der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft zur Realität machen will und die politische Gegner mit Mord, Totschlag und Vergewaltigung bedroht, nur äußerst knapp am Einzug in den sachsen-anhaltischen Landtag vorbeischrammt.
Dabei halfen der NPD eine Biedermannkampagne und in einigen Regionen des Landes eine bisweilen beängstigende Form lokaler Verankerung. Frau Tiedge hat auf die Wahlergebnisse in einigen Regionen unseres Landes hingewiesen. Ich glaube, das muss man sich noch einmal intensiv zu Gemüte führen und schauen, was da vor Ort passiert ist.
men, also in jedem Wahllokal - das lassen Sie sich bitte auf der Zunge zergehen - ein bis zwei Menschen mehr, und die NPD wäre heute hier im Landtag.
Wir merken auch auf, weil Neonazis an vielen Orten und teils in großer Zahl, zuletzt am 1. Mai 2011 in Halle, ihre menschenverachtende Ideologie auf die Straße tragen. Sie tragen dabei Gewalt und Hass nach draußen. Sie geben ihre kruden Vorstellungen von der Ungleichwertigkeit von Menschen immer wieder auch durch Angriffe gegen Andersdenkende, gegen Andersaussehende oder gegen Andersliebende, nicht nur verbal, sondern tatsächlich in diese Gesellschaft hinein.
Mindestens 106 Angriffe mit mehr als 215 Betroffenen gab es im vergangenen Jahr in SachsenAnhalt. Knapp die Hälfe davon sind rassistische Gewalttaten. Jede einzelne dieser Gewalttaten fordert uns zum Handeln auf; denn jede für sich bedroht das friedliche Zusammenleben aller in diesem Land und damit letztlich auch die Demokratie, so wie heute Nacht, als offenbar Neonazis in Salzwedel ein linkes Jugendzentrum mit MolotowCocktails angegriffen haben. Man kann das nur als ein Signal für die Demonstration verstehen, die dort am Samstag stattfinden wird.
Ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir hier klar machen: So etwas darf es in diesem Land nicht geben.
Wir registrieren aber auch, dass die Bedrohung der Demokratie nicht nur von Neonazis kommt. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist in unserem Land weit verbreitet. Um nur ein Beispiel zu nennen: Thilo Sarrazin ist und bleibt offenbar SPDMitglied. Seine kruden biologistischen und rassistischen Thesen sind in der Mitte der Mehrheitsgesllschaft salonfähig, ja, bisweilen sogar kirchenfein.
Unsere Demokratie ist bedroht durch Gleichgültigkeit und Desinteresse. In die ehrliche Freude über eine gestiegene Wahlbeteiligung am 20. März 2011 mischt sich die Sorge, dass auch diesmal fast die Hälfte der Wahlberechtigten auf ihre Möglichkeit zum Mitbestimmen in diesem Land verzichtet hat. Manche von denen werden zufrieden sein. Keine Frage.
Aber viele - ich behaupte: die meisten - sind desillusioniert. Sie sehen keine Möglichkeiten mehr, sich einzubringen. Politisches Engagement lohne sich nicht, weil ein erstarrter Parteienapparat gerade noch Staatstheater spiele, aber nicht mehr an Lösungen arbeite.
Wir alle hier im Hohen Hause werden diese Menschen nicht mit Resolutionen zurückgewinnen können. Wir werden sie nur mit mehr Möglichkeiten zu echter, wirklicher Mitbestimmung, mit einer neuen politischen Kultur, die auf mehr Mitbestim
Meine Damen und Herren! Unsere Demokratie ist auch deshalb bedroht, weil mancher unser heutiges demokratisches Gesellschaftssystem für ewig während und für das Ende der Geschichte hält. Auch nach der friedlichen Revolution von 1989 ist Demokratie in unserem Land nicht abschließend verwirklicht. Sie braucht beständige Erneuerung, sonst verkrustet und verdorrt sie.
Das Benennen von Bedrohungen der Demokratie darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Erfolge zu vermelden sind. Die NPD ist eben nur fast in den sachsen-anhaltischen Landtag hineingekommen. Sie ist auch deshalb gescheitert, weil es eine gemeinsame Anstrengung aller Demokratinnen und Demokraten in diesem Land gab, weil Vereine, Initiativen, Verbände und Parteien klar Position gegen Neonazis bezogen haben, und nicht etwa gegen einen imaginären Extremismus.
Die NPD ist gescheitert, weil Menschen zur Wahl gegangen sind und so bei einer moderat gestiegenen Wahlbeteiligung die NPD den Landtag am Wahlabend schneller verlassen musste, als es ihr und ihren Kadern lieb sein konnte. Das ist ein großer Erfolg für die Demokratie. Daran hat mancher in diesem Hohen Hause mitgewirkt.
Aber wir können und dürfen uns auf diesem kurzfristigen Erfolg nicht ausruhen. Auch das weiterhin notwendige Nachdenken über ein Verbot der verfassungsfeindlichen NPD ersetzt nicht die tagtägliche Auseinandersetzung mit rassistischem, mit antisemitischem oder mit demokratiefeindlichem Gedankengut. Solches lässt sich nämlich nicht verbieten.
Meine Damen und Herren! Wenn wir die Auseinandersetzung mit Neonazis ernst nehmen, wenn wir Demokratie- und Menschenfeindlichkeit zurückdrängen wollen, dann müssen wir mehr Demokratie wagen. Unser Land braucht ein Programm für Demokratie, gegen Neonazismus, Rassismus, Antisemitismus und andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit.
Diese anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit heißen beispielsweise auch Chauvinismus und Sexismus. Auch das muss angesprochen werden, weil es in diesem Land offenbar noch ein Thema ist.
Es braucht mehr als die bisherigen unverbundenen, wenngleich manchmal guten Aktivitäten eines Landesnetzwerkes für Demokratie und Toleranz.
Es braucht mehr als Klingeltöne und Imagekampagnen gegen Neonazis. Ja, es braucht mehr als die bestehenden Strukturen, die von Land und Bund unterstützt werden. Es ist gut, dass das Land das tut, dass es Initiativen unterstützt, die sich vor Ort und in täglicher mühseliger Kleinarbeit für die Stärkung von Demokratie und zum Beispiel für die Opfer von rechter Gewalt engagieren.
Es braucht endlich einen großen und einen gemeinsam mit den im Land tätigen Initiativen erarbeiteten Entwurf für ein Landesprogramm für Demokratie. Für diesen werben wir mit unserem Antrag. Ein solches Programm muss Aktivitäten nicht nur aus der Auseinandersetzung mit Neonazis oder mit Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit entwickeln. Es geht dabei auch, aber nicht nur um die Auseinandersetzung mit Parteien, mit Gruppen und mit Individuen, die einen Führerstaat mit Volksgemeinschaft und ohne Demokratie und Menschenrechte durchsetzen wollen. Es geht um Recherche, um Analyse und um die Entwicklung von Konzepten gegen eine neonazistische Bedrohung. Es geht uns um Beratung und Unterstützung all derer, die sich vor Ort engagiert für Demokratie einsetzen.
Es geht um mehr, vor allem aber geht es um bessere politische Bildung. Diese darf sich, anders als von den Koalitionsfraktionen geplant, aber nicht nur den jungen Menschen zuwenden. Mit Blick auf die Wahlergebnisse der NPD stimmt es; es ist richtig, auch junge Menschen in den Fokus politischer Bildung zu nehmen. Aber Sie werden wissen - Sie haben die Studien bestimmt gelesen -, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit weniger ein Problem junger Menschen, sondern vielmehr der älteren Jahrgänge in unserem Land ist. Auch das muss ein Thema werden. Nur weil die jungen Menschen in der Zwangsgemeinschaft Schule leichter erreichbar sind, kann das nicht bedeuten, dass sich politische Bildung ausschließlich auf sie konzentriert.
Ein Landesprogramm muss die Mehrheitsgesellschaft fit machen, damit sie Minderheiten akzeptiert und nicht als Bedrohung empfindet. In Sachsen-Anhalt gibt es doch kaum Probleme mit dem Anteil von unter 2 % an Migrantinnen und Migranten. Aber es gibt Probleme mit einer Mehrheitsgesellschaft, die zu rund einem Drittel Angst vor Menschen mit Migrationshintergrund hat, diese ablehnt und unser Bundesland für - das ist ein Zitat - in einem gefährlichen Maße „überfremdet“ hält, oder von Migrantinnen und Migranten annimmt, sie kämen nur ins Land, um - das ist wieder ein Zitat - den Sozialstaat „auszunutzen“. - Wo leben wir denn?
Unser Antrag für ein Landesprogramm spricht nicht nur salbungsvoll von mehr Demokratie. Ein solches Programm muss letztlich auch real mehr
Demokratie ermöglichen, indem es mehr und bessere Angebote zur Beteiligung an politischen und gesellschaftlichen Prozessen macht. Die Menschen hier wollen nicht mehr nur Zuschauer sein. Sie wollen auch selbst Verantwortung übernehmen und sich jenseits von Parteien in die Gestaltung ihrer ureigensten Verhältnisse einbringen.