Herr Weigelt, das ist genau das Problem. Diese Studie von Bertelsmann und sehr viele andere Studien beweisen genau das auch für SachsenAnhalt, lieber Herr Weigelt.
empfehlung ist bei uns vierfach stärker davon abhängig, aus welcher Familie jemand kommt, als von seiner intellektuellen Leistungsfähigkeit.
Danke, Herr Präsident. - Ich hätte Herrn Weigelt gern dazu befragt, aber dann mache ich das als Intervention.
Herr Weigelt hat mich mit seiner Aussage erschüttert, dass der Bildungserfolg von der genetischen Ausstattung des Menschen abhängt. Das ist eine Aussage, die wir zutiefst ablehnen.
Es gibt sehr klare Forschungsbefunde. Das ist eine Debatte aus den Vereinigten Staaten, die uns seit den 70er-Jahren begleitet und bei der es um die Unterschiede zwischen schwarzen und weißen Menschen geht, die auf die genetische Ausstattung der Menschen zurückgeführt worden sind. Ich möchte nur zwei wiederholt nachgewiesene Forschungsergebnisse anführen:
In Interaktion mit einer fördernden Umwelt tritt die genetische Ausstattung des Menschen in den Hintergrund.
Danke, Frau Kollegin Dalbert. Sie können Ihre Wortmeldung gleich fortsetzen. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht nunmehr Frau Kollegin Dalbert.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was macht die Demokratie derart attraktiv für alle Menschen in der Welt? Die Freiheit? - Ganz sicher die Freiheit, das Freiheitsverspechen der Demokratie. Aber ich bin mir sicher: nicht nur das Versprechen der Freiheit. Die Demokratie macht auch ihren Bürgerinnen und Bürgern das Versprechen, dass ihr Stand in der Gesellschaft nicht festgelegt ist.
Die Demokratie sagt ihren Menschen: Du kannst frei über dein Leben bestimmen. Das Kind armer Eltern muss in der Demokratie nicht arm bleiben und das Kind von Eltern mit einer schlechten Bildung muss sich nicht selber mit einer schlechten Bildung begnügen.
Bildung, das ist der Schlüssel zu dieser Lebensgestaltung, und in diesem Sinne ist Bildung der Kitt, der die Demokratie zusammenhält.
Der „Chancenspiegel“, über den wir heute debattieren, sagt uns, dass wir in Sachsen-Anhalt dieses Versprechen nicht einhalten. Das Ergebnis besorgt mich, aber es überrascht mich nicht. Schauen wir uns die Ergebnisse im Einzelnen an:
Bei der Lesekompetenz schneiden wir gut ab. Gerade in der 4. Klasse bringen wir den Kindern diese für das Lernen zentrale Kompetenz gut bei. In der 9. Klasse ist es nicht mehr ganz so gut, da reicht es nur noch für die Mittelgruppe.
Trotzdem ein gutes Ergebnis und vor allem - sehr wichtig - ein Ergebnis, das wir für alle Kinder unabhängig vom sozialen Hintergrund erzielen. Wir sind in unseren Schulen in der Lage, allen Kindern Lesekompetenz zu vermitteln, egal aus welchem Elternhaus sie kommen. Das ist ein sehr wichtiges Ergebnis. Hier funktioniert das Versprechen noch.
Aber wenn es um die Zuweisung von Schullaufbahnen geht, dann funktioniert es eben nicht mehr. Das Kind aus einem Akademikerhaushalt hat eine viermal so große Chance, auf das Gymnasium zu gehen, wie das Kind aus einem Arbeiterhaushalt - und das, obwohl die Leistungen gleich sind, obwohl die Lesekompetenz gleich gut ausgeprägt ist. Das ist ungerecht gegenüber den Schülerinnen und Schülern.
Wir haben es wiederholt gehört: Sachsen-Anhalt gehört zu den Ländern mit dem größten Anteil an Kindern mit einem Förderbedarf. Wir sind zwar auf einem Weg der Besserung - das möchte ich konstatieren -, aber Sachsen-Anhalt gehört immer noch zu den Ländern mit den meisten Kindern mit Förderbedarf.
Erlauben Sie mir, bei der Stelle eine oder zwei Minuten zu verweilen. Was heißt das eigentlich, wie kommt so etwas zustande? Dafür gibt es potenziell zwei Erklärungsmöglichkeiten.
Die eine Erklärung ist: Unsere Kinder sind tatsächlich so, wir haben mehr Kinder mit genetischen Defekten. Bei uns finden Havarien statt, die zu Han
dicaps bei den Kindern führen. Bei uns sind die Kitas derart schlecht, dass die Kinder Handicaps entwickeln oder sich in ihrer Entwicklung nicht richtig entfallen können. Überzeugt Sie diese Erklärung? - Mich nicht. Ich glaube das nicht.
Also muss man fragen, was noch eine Erklärung sein könnte. Da kommen wir zur Diagnostik. Offensichtlich hat es etwas mit dem diagnostischen Prozess der Zuschreibung dieses Förderbedarfs zu tun. Da kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier offensichtlich ein Klima herrscht, das das Sortieren von Kindern, von der Regelschule weg in die Förderschule, begünstigt, anstatt die Kinder gemäß ihrem Bedarf zu unterstützen.
Dieses Klima des Sortierens statt des Unterstützens finden wir auch in Bezug auf das Sitzenbleiben. Wir gehören zu den Ländern mit den höchsten Quoten beim Sitzenbleiben. Wir werden morgen Gelegenheit haben, ausführlich über das Sitzenbleiben zu sprechen, und dann werde ich Ihnen ausführlich erklären, warum Sitzenbleiben uneffektiv und ungerecht ist,
Das Ergebnis eines solchen Bildungssystems - auch das zeigt uns der „Chancenspiegel“ - ist, dass wir zu den Spitzenreitern gehören, was die Anzahl der Kinder ohne Schulabschluss betrifft, also der Kinder, bei denen wir das Versprechen der Demokratie nicht erfüllen, die keine gute Chance haben, einen Ausbildungsplatz zu finden, die keine gute Chance haben, ihr Leben erfolgreich zu gestalten, die keine gute Chance haben, für sich und ihre Familien ein menschenwürdiges Leben aufzubauen.
Am anderen Ende der Skala sieht es genauso düster aus, wenn es um die Anzahl der Kinder geht, die die Berechtigung erwerben, eine Hochschule besuchen zu dürfen. Auch da gehören wir zu der Schlussgruppe. Bei uns verlassen viel zu wenige Kinder das Schulsystem mit der Erlaubnis, eine Hochschule zu besuchen - und das in Zeiten eines anwachsenden Fachkräftemangels.
Summa summarum: Wir sind Schlusslicht im „Chancenspiegel“. Sachsen-Anhalt ist das einzige Land, das in drei von vier Dimensionen zur Schlussgruppe gehört. Wir haben gehört, dass es bei der Vermittlung von Lesekompetenz bei uns durchaus gut aussieht. Auch wenn hierbei noch Luft nach oben ist, ist das ein gutes Ergebnis.
Aber bei allen anderen Dimensionen gehören wir zu der Schlussgruppe. Das heißt, das Versprechen, das wir den Menschen bei uns im Lande machen, dass sie die Chancen haben, ihr Leben
frei zu gestalten, erfüllen wir nicht. Unser Bildungssystem gibt nicht allen Kindern die gleiche Chance.
Herr Weigelt, es ist unsere Verantwortung als Politikerinnen und Politiker, dass wir ein Schulsystem, ein Bildungssystem etablieren, das dieses wichtige Versprechen der Demokratie erfüllt, nämlich allen Kindern, unabhängig von ihrem Elternhaus, unabhängig davon, ob die Eltern arm oder reich sind, unabhängig davon, ob die Eltern Abitur haben oder nicht, eine gute Bildung zu vermitteln und die Chance zu eröffnen, alles aus ihrem Leben zu machen. Das machen wir in Sachsen-Anhalt eben nicht.
Dann stellt sich die Frage: Was müssen wir tun, um dieses Versprechen zu erfüllen? - Ein wichtiger Punkt hierfür sind die Ganztagsschulen. Auch dazu sagt der „Chancenspiegel“ etwas. SachsenAnhalt ist das Land mit dem geringsten Ausbau an Ganztagsschulen.
Warum sind Ganztagsschulen wichtig? - Ich will nur zwei Punkte nennen. Selbstverständlich hängt der Lernerfolg auch von der Lernzeit ab. Das ist Ihnen vielleicht auch aus Ihrem familiären Umfeld bekannt. Wenn man mehr Zeit in das Lernen investiert, wird auch das Ergebnis besser.
Die Ganztagsschule bietet eben die Möglichkeit, mehr Lernzeit für die Schüler und Schülerinnen vorzuhalten.
Hierzu eine Zahl, die nicht im „Chancenspiegel“ steht: In Bezug auf die zum Erwerb der Hochschulreife erforderliche Anzahl der Schulstunden gehören wir in Deutschland zur Schlussgruppe. Nur wenige Länder verlangen so wenige Schulstunden für den Erwerb der Hochschulreife. Bei uns findet das Lernen also auch außerhalb der Schulstunden statt, sonst könnten wir gar nicht konkurrieren.
Deshalb brauchen wir Ganztagsschulen, damit wir mehr Lernzeit für die Kinder haben und damit eben auch - auch das haben wir aus Pisa gelernt - die besonderen Lernangebote Teil der Schule werden. Damit meine ich sowohl die Angebote für Kinder mit besonderen Fähigkeiten - ob in der Musik oder in der Physik; das gehört in die Schule und nicht in die Zeit außerhalb der Schule - als auch die Lernangebote für Kinder, die Lernschwierigkeiten haben und eine Förderung brauchen.
Pisa hat uns gelehrt: Wir erlauben uns eine ganze Nachhilfeindustrie, um Unterstützung für die Schülerinnen und Schüler bereitzuhalten, aber eben Unterstützung für Kinder von Eltern, die sich das leisten können.
machen will. Wir haben in der Haushaltsdebatte einen Antrag zur Aufstockung der Mittel für die Ganztagsschulen gestellt, sowohl für den Schulausbau als auch für das Personal, aber die Mehrheit der regierungstragenden Fraktionen hat diesem nicht zugestimmt. Insofern haben wir im Haushalt gar keine Mittel dafür vorgesehen. Ich bin gespannt, wie Sie dennoch die Ganztagsschulen ausbauen wollen.