Protokoll der Sitzung vom 23.03.2012

Eine kurze Erwiderung. Erstens. Herr Herbst, an Mut fehlt es mir nicht. Es ist nicht eine Frage des Mutes, sondern meines Erachtens Ausdruck dessen, was die Landesregierung getan hat. Sie war bemüht, diesen Prozess von vornherein transparent zu gestalten. Seitdem das vorliegt, sind alle Fraktionen, ist das Parlament, ist der Rechtsausschuss rechtzeitig unterrichtet worden.

Was den „Teig“ anbelangt, kann ich nur sagen: Wenn die Landesregierung im Rahmen dieses Verfahrens darauf hinweist und sagt, wir backen da jetzt etwas, und Sie Rezepte beibringen wollen, dann geht das nicht auf Zuruf - diesbezüglich wiederhole ich mich -, sondern nur durch entsprechende Anträge im Parlament und in den Ausschüssen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Danke, Herr Kollege Dr. Brachmann. - Damit schließen wir die Aktuelle Debatte ab. Beschlüsse in der Sache werden nicht gefasst.

Wir begrüßen weitere Gäste bei uns im Haus. Ich begrüße zusammen mit Ihnen herzlich Schülerinnen und Schüler der Gemm-Sekundarschule Halberstadt. Willkommen im Haus!

(Beifall bei im ganzen Hause)

Ich rufe das zweite Thema der Aktuellen Debatte auf:

Politische Konsequenzen aus dem Insolvenzantrag der Schlecker-Handelskette ziehen

Aktuelle Debatte Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/940

Wir debattieren darüber in folgender Rednerreihenfolge: DIE LINKE, SPD, GRÜNE, CDU. Zunächst hat die Antragstellerin das Wort. Ich gebe dieses Herrn Kollegen Dr. Thiel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Aktuellen Debatte wollen wir eine Diskussion zu einem Thema anstoßen, zu dem manche die Meinung haben, keine staatliche Hilfen bei unternehmerischen Fehlentscheidungen zu gewähren oder die gesunden Regeln von Markt und Wettbewerb nicht außer Kraft zu setzen.

Wir wollen uns heute den Gesundheitszustand, also die Regeln, anschauen und zugleich in der Diskussion auf politische Konsequenzen verweisen, in denen der Staat Lücken in den Rahmenbedingungen zugelassen hat, die unternehmerische Fehlentscheidungen begünstigen.

Schlecker war immer gut für Positivschlagzeilen, wenn es um Expansion und Umsatzentwicklung ging, und gut für Negativschlagzeilen, wenn es um Arbeitnehmerrechte ging.

Bereits im Jahr 1998 wurde das Ehepaar Anton und Christa Schlecker per Strafbefehl durch das Landgericht Stuttgart zu einer Freiheitsstrafe von jeweils zehn Monaten auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von 1 Million € verurteilt, weil den Schlecker-Beschäftigten vorgetäuscht worden war, sie würden nach Tarif bezahlt werden. Tatsächlich lagen die Löhne niedriger, was das Gericht als Betrug wertete. Merken wir uns als Stichwort für politische Konsequenzen: Einhaltung der Tariftreue.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Oder erinnern wir uns an die Diskussionen um Schlecker, die wir hier im Jahr 2009 geführt haben. Es betraf die Umwandlung von Filialen in „XL“, also der Zusammenschluss in Läden mit größeren Verkaufsflächen. Schlecker wollte ein wettbewerbsfähigeres Ambiente schaffen. Dies erfolgte zulasten der Beschäftigten, indem die Mitarbeiter in Leiharbeitsfirmen mit deutlich schlechteren Arbeits- und Einkommensbedingungen arbeiten mussten.

Stundenlöhne von 6,78 € statt des Tariflohns von 12,70 € waren die Regel.

Damals entdeckte Schlecker die Lücken in den Gesetzen zur Leiharbeit und nutzte diese aus. Merken wir uns als Stichwort für politische Konsequenzen: Leiharbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Oder erinnern wir uns an die Skandale zur Überwachung von Mitarbeitern - aber nicht nur bei Schlecker. Merken wir uns als Stichwort für politische Konsequenzen: betrieblicher Datenschutz.

Anfang 2012 beantragte die Drogeriekette Schlecker die Einleitung eines planmäßigen Insolvenzverfahrens, das Ende März/Anfang April eröffnet wird.

Betroffen sind über 30 000 Beschäftigte. Nach dem Plan des Insolvenzverwalters, der sich bisher ausschließlich auf Schlecker-Filialen bezieht, soll die Hälfte der Läden und Stellen abgebaut werden. 2 400 der 5 400 Filialen sollen geschlossen werden. 11 750 von insgesamt 25 250 Beschäftigten sollen ihren Arbeitsplatz verlieren. In Sachsen-Anhalt sind mehr als 80 Filialen mit knapp 400 Beschäftigten betroffen. Also gehen auch hier etwa 50 % der Filialen und Arbeitsplätze verloren.

Zehntausende Verkäuferinnen und Verkäufer haben über Jahrzehnte für Schlecker hart gearbeitet und die Familie Schlecker reich gemacht. Die bei Schlecker beschäftigten Frauen und Männer haben sich immer wieder erfolgreich gegen Unterdrückung zur Wehr gesetzt. Sie kämpften dagegen, dass ihre Löhne gedrückt und sie drangsaliert und bespitzelt werden. Sie gründeten trotz enormer Gegenwehr von Schlecker Betriebsräte, erkämpften Tarifverträge und verhinderten jüngst die Tarifflucht in die Leiharbeit.

Auf die Geschäftspolitik des Familienunternehmens hatten die Beschäftigten allerdings keinen Einfluss; denn trotz Milliardenumsätzen und zehntausender Beschäftigter gibt es in Familienunternehmen wie Schlecker keine unternehmerische Mitbestimmung. Es fehlt jegliche Transparenz. Die Fehlentwicklungen wurden zu spät korrigiert. Die Erfahrungen und der Sachverstand der Beschäftigten blieben unberücksichtigt. Dabei kennt keiner das Unternehmen und die Erwartungen der Kunden so gut wie sie.

Der Fall Schlecker zeigt, dass die Beschäftigten einen realen Einfluss auf betriebliche Entscheidungen benötigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Merken wir uns als Stichwort für das politische Handeln: Mitbestimmung.

Erst im Jahr 2011 gab Schlecker bekannt, dass man seit drei Jahren Verluste fahre. Alle Umstrukturierungen mit XXL-Filialen, mit einem massiven

Ausbau von Teilzeitarbeit und Leiharbeit, mit skandalösen Bedingungen für Mitarbeiterrechte, Überwachung und Sicherheit haben also nichts für die erfolgreiche Umgestaltung des Riesenimperiums gebracht. Es wurde zulasten der Beschäftigten versucht. Das Ergebnis ist bekannt. Nun müssen die Beschäftigten wiederum Einbußen hinnehmen.

Gesamtbetriebsrätin Mona Frias beschreibt die Situation im Unternehmen wie folgt - ich zitiere -:

„Mit unternehmerischen Fehlentscheidungen, Selbstüberschätzung und sozialer Inkompetenz ging es bergab. Die Stimmung in der Belegschaft blieb schlecht. Niemand kümmerte sich um die Belange der Frauen an ihren Arbeitsplätzen. Die Firmenphilosophie ‚Wir sind Händler aus Leidenschaft’ konnten wir in der Zeitung lesen, aber nicht im Alltag am Arbeitsplatz. Anton Schlecker hat den Spruch nicht verinnerlicht: ‚Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit.’“

(Beifall bei der LINKEN)

Das sieht nicht nur die Betriebsrätin, sondern auch die Mitarbeiterin. Vorgestern hatte ich ein Gespräch in einer Filiale, die morgen schließt. Die Frauen wussten bis dahin nicht, wie es mit ihnen am Montag weitergeht. 20 Jahre bei Schlecker, und nun? - Der Filialleiterin wurden 35 Stunden pro Woche und den Verkäuferinnen wurden 15 Stunden pro Woche zugestanden. Überstunden: Ja, natürlich gerne, aber ohne Bezahlung.

Auf meine Frage, aber Verkäuferinnen werden doch gesucht, wie sind denn die Chancen, antwortete sie: Ja, freie Stellen gibt es. Aber wie soll man alleinstehend mit 400-€-Jobs über die Runden kommen; das sind nämlich die freien Stellen im Umfeld. Eine Auffanggesellschaft wäre nicht schlecht, aber bitte nicht mit Bewerbertraining oder dem Umgang mit Windows; denn das beherrschen wir schon.

(Beifall bei der LINKEN)

In Gesprächen mit Kunden sagten die Kolleginnen, ja, es wäre schön gewesen, wenn sie schon früher einkaufen gekommen wären und nicht nur dann, wenn im Ausverkauf alles 30 % günstiger sei.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Da antworteten die Kunden, wir würden schon gern einkaufen, wenn wir mehr Einkommen zur Verfügung hätten.

(Oh! bei der CDU)

- Ja, das ist so. Sie kennen doch die Realität in Ihren Städten und Gemeinden, oder nicht? Frau Weiß, wo leben Sie in Halberstadt?

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU)

Und wo bleibt die persönliche Verantwortung von Anton Schlecker? Es sei nichts mehr da, ließ die

Familie verlauten. Es sei alles in das Unternehmen gesteckt worden. - Das glaubt wohl niemand. Ein Zitat aus dem Internetportal einer Rechtsanwaltskanzlei:

„Ein erfahrener Anwalt mag das wirklich nicht glauben. Vom Milliardär zum Tellerwäscher? Geradezu utopisch, kann doch ein Milliardär Kohorten an exzellenten Beratern beschäftigen, frühzeitig sein Familienvermögen so zu retten, dass selbst eine Insolvenz nur einen persönlich haftenden Gesellschafter wie Anton Schlecker trifft, aber keine Auswirkungen auf den angesparten Familienschatz hat.

Dazu bedarf es nicht einmal besonders raffinierter Gestaltungen. Vermögensschutz ist ohne größere Schritte auch bei persönlich haftenden Kaufleuten denkbar. Wirkliche Profis beschäftigen sich natürlich frühzeitig mit dem Thema Vermögensschutz über Generationen. Gern informieren wir Sie darüber.“

Das Stichwort für die politische Verantwortung lautet also: Unternehmensbesteuerung und Haftungsrecht.

Nicht umsonst fordert der Schlecker-Betriebsrat auch deshalb staatliche Bürgschaften, weil der deutsche Gesetzgeber Anton Schlecker als Einzelkaufmann bei seiner Geschäftsführung jahrzehntelang privilegiert hat, zum Beispiel mit geringeren Veröffentlichungspflichten bezüglich der Lage des Unternehmens.

Dem Gesetzgeber kommt hierbei eine besondere Verantwortung zu. Er hat es der Familie Schlecker aufgrund der geltenden Rechtslage über viele Jahre ermöglicht, mit minimaler Pflicht zur Transparenz das Unternehmen auf patriarchalische Weise zu führen. Merken wir uns als Stichwort: Handelsgesetzbuch.

Nach einem ersten Überblick befindet sich mindestens die Hälfte der betroffenen Filialen in ländlichen Räumen. Die Schließungsvorschläge belegen, dass Umsatzbetrachtungen die Entscheidung herbeigeführt haben, welcher Laden bleibt und welcher nicht. Es gibt ländliche Regionen, in denen sie erhalten bleiben, in anderen Regionen schließen sie. In den von der Schließung betroffenen Regionen war Schlecker oftmals die letzte verbliebene Handelseinrichtung, gerade auch für ältere Bürgerinnen und Bürger.

Eine echte Alternative wäre die Etablierung von Dorfläden. Auch für diese könnten die jeweiligen Kommunalvertretungen Fördermittel der EU beantragen. Die Voraussetzung dafür ist aber das Engagement von Bürgern, die zunächst eine Genossenschaft bilden und diese mit ausreichendem Grundkapital ausstatten müssen. Erste Dorfläden in ehemaligen Schlecker-Filialen gibt es bereits, zum Beispiel im unterfränkischen Gräfendorf. Mer

ken wir uns als Stichwort: Daseinsvorsorge im ländlichen Raum.