Sie, Frau Ministerin, werden nicht müde zu wiederholen, dass Ihre Justizstrukturreform die Resozialisierungschancen verbessern soll. Sie verweisen immer wieder auf die Therapiemöglichkeiten und darauf, dass die in größeren Haftanstalten besser seien.
Aber gerade davon bin ich eben nicht überzeugt. Die Argumente, die Sie für dieses Leitmotiv herausstellen, sind ausgesprochen dünn, wenn man sie sich einmal ganz genau anschaut. - Im Beschluss stehen übrigens gar keine.
Im Gegensatz zu dieser These sprechen nämlich viele Erfahrungen aus der Praxis und zahlreiche wissenschaftliche Belege gegen diese Behauptung. So wird in der Lehre aus Behandlungsgründen weitgehend ein Maximum von 200 Haftplätzen für optimal gehalten. Die absolute Obergrenze für einen sinnvollen Resozialisierungsvollzug liegt demnach bei 500 Haftplätzen.
Ich sehe auch, dass das mit den Spielräumen, die wir haben, nicht ganz zusammenpasst. Aber dann können Sie doch nicht sagen: Die Chancen verbessern sich automatisch. Das stimmt einfach nicht.
Die Erfahrungen von Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen aus der Praxis bestätigen das auch. Sie sagen, dass das zu mehr Anonymität in den Haftanstalten und zu schwächeren Bindungen zwischen Inhaftierten und Therapeuten, zu längeren Informationswegen, zu mehr Verwaltungsaufwand führt. Die Einzelfälle verlieren sich in einer größeren Gruppe, der persönliche Kontakt geht verloren. Wenn man es einmal mit dem gesunden Menschenverstand betrachtet, ist es doch vollkommen logisch, dass das passiert.
Dabei gilt es zu beachten, dass die Therapeuten in einer Haftanstalt übrigens auch eine wichtige Sicherheitsfunktion wahrnehmen, indem sie gewissermaßen als Frühwarnsystem für Probleme fungieren. Das ist eine Rolle, die mit wachsender Anstaltsgröße schwerer und schwerer auszufüllen ist.
Wie gesagt, das sind keine Mutmaßungen von mir. Es handelt sich hierbei um belegbare Erfahrungen aus der Praxis, um wissenschaftliche Erkenntnisse, und es sind auch Praxiserfahrungen, wie sie in Haftanstalten außerhalb Sachsen-Anhalts, aber auch hier im Land, wie zum Beispiel in Burg, gewonnen wurden. Die Probleme treten dort in verstärktem Maße auf. Denken Sie einmal an die massiv gestiegene Zahl an Petitionen aus Burg.
Selbst wenn man versuchen würde, diesen Faktoren mit einem massiven Personalaufbau zu begegnen, allein die anderen sozialen Rahmenbedingungen in Haftanstalten mit mehr als 500 Inhaftierten erschweren die Resozialisierung erheblich. Ebenso sprechen Erfahrungen aus der Praxis für die These, dass die Sicherheitsarchitektur großer Haftanstalten, also die besonderen baulichen Anforderungen, die man dort erfüllen muss, zu einer gesteigerten Gefährlichkeit der Inhaftierten beiträgt.
Die JVA Burg als größte Haftanstalt des Landes, meine Damen und Herren, sollte uns ein mahnendes Beispiel sein. Der Betrieb großer Haftanstalten erfordert neben einem hohen Maß an planerischer Genauigkeit und Weitsicht auch eine fach- und sachkundige Leitung und einen eingespielten Betrieb. Ich glaube, am Beispiel Burg hat sich auch exemplarisch gezeigt, dass Private-Public-Partnership-Modelle im Bereich der Justiz wirklich nichts zu suchen haben.
Das private Betreibermodell in Burg ist grandios gescheitert und führt bis heute zu massiven Problemen, sogar zu zunehmenden Problemen bei allen Beteiligten. Wenn Therapeuten um jede zusätzliche Arbeitseinheit ringen müssen, weil sie privatwirtschaftlich nicht nützlich erscheint, wenn kleinste Sachentscheidungen in mehrfach täglich stattfindenden Schnittstellenkonferenzen zwischen dem privaten Betreiber und der Justiz ausgehandelt werden - das ist die Realität in Burg -, dann zeigt sich darin die ganze Dimension einer falschen Grundsatzentscheidung.
Meine Damen und Herren! Die Justizstrukturreform ist nötig. Wir brauchen sie und wir wollen sie mitgestalten. Viele Akteure in unserem Land haben ein berechtigtes Interesse, ihre Expertise, ihren Sachverstand und ihre Meinung einzubringen, und das Parlament hat die Entscheidungshoheit für eine derart weitreichende Planung.
Die Landesregierung hat von Beginn an vor allem auf ihre eigene Expertise vertraut. Die Einbeziehung von Sachverständigen aus dem Bereich der Straffälligenhilfe beispielsweise hat schon bei den Empfehlungen der Projektgruppe nicht stattgefunden. Unabhängige Kalkulationen zu den prognostizierten Kosten der Varianten gibt es nicht; die Kalkulationen kommen alle aus dem Ministerium.
Die Bürgerinnen und Bürger sollen in Anhörungen - O-Ton - zur Sprache kommen, während aber die Grundsatzentscheidungen schon längst gefallen sind. Die Argumente der Befürworter des Erhalts verschiedener Standorte werden einfach als Kirchturmpolitik abgetan, mit der sie vor allem ihre eigenen Interessen wahren wollen. Derart pauschal kann man das wirklich nicht sagen. Ich denke, so einfach ist es nicht.
Es gibt Faktoren, die zum Beispiel aus meiner Sicht für den Standort Dessau sprechen - um auch einen zu benennen -, und es wäre nötig, diese weiter zu untersuchen und nicht einfach alles pauschal als „Geht nicht“ abzutun.
Die Vielschichtigkeit der Argumentationen und der Interessen zeigt, dass wir uns in einem wichtigen gesellschaftlichen Spannungsfeld bewegen. Es geht um die Sicherheit der Bevölkerung und es geht um die Chance auf erfolgreiche Wiedereingliederung in die Gesellschaft.
Viele der von Ihnen gemachten Vorschläge, Frau Ministerin, sind richtig, andere sind infrage zu stellen. Aber zumindest haben Sie sich einer Debatte zu stellen. Wir kennen den Stein der Weisen in dieser Frage, bei diesem Thema genauso wenig wie die anderen Fraktionen in diesem Hause. Aber es ist doch unsere gemeinsame Aufgabe, die besten Vorschläge und Ideen zu beleuchten und zu beschließen und weniger aussichtsreiche zu verwerfen, meine Damen und Herren.
Wir fordern Sie auf, Frau Ministerin, die Neuordnung der Justizstruktur in unserem Land, die das Kabinett als Gesamtpaket beschlossen hat, in die parlamentarische Beratung einzubringen. Lassen Sie uns über die geübten Verfahren unter Beteiligung externer Sachverständiger, über Anhörungen usw. und über den normalen Gang der Lesungen gemeinsam die beste Lösung für unser Land und für alle Beteiligten finden. - Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dankbar dafür, dass sie das Thema im Landtag auch im Plenum behandelt. Ich möchte aber auch sagen: Selbstverständlich behandeln wir Rechtspolitiker das Thema. Ich persönlich blicke in dieser Legislaturperiode, in diesem Jahr schon auf acht Gefängnisaufenthalte zurück.
Herr Herbst, darf ich Sie fragen, ob Sie im Grundsatz das Ziel unterstützen, zu einer Konzentration der Gefängnisstandorte auf Burg, Raßnitz und Halle zu kommen? Ist das nicht wirklich der Weg dahin, dass wir zu einem Behandlungsvollzug kommen, dass wir weniger Personalaufwand für die Wache, die Küche, die Verwaltung usw. haben und dass wir mehr Personal für den Umgang mit den Gefangenen im Sinne von Resozialisierung zur Verfügung haben?
Danke, Herr Rothe, für Ihre Frage. Ich möchte sie beantworten, indem ich erst einmal sage, dass auch ich in diesem und im letzten Jahr schon einige Gefängnisaufenthalte hinter mir habe. Ich weiß, dass das bei den anderen Rechtspolitikern ebenso ist. Ich glaube, diese Nähe zur Praxis und dieses Interesse für die Themen im Detail und auch für den laufenden Betrieb in den Haftanstalten zeichnet fraktionsübergreifend gerade die Rechtspolitiker aus. Das zeichnet sicherlich auch das Ministerium mit seiner Expertise aus.
Aber gerade deswegen, Herr Rothe, wollen wir doch die Erkenntnisse, die wir in der Praxis gewinnen, die wir in Gesprächen gewinnen und die wir im wissenschaftlichen Diskurs gewinnen, in das Parlament und in die wichtigen Grundsatzentscheidungen, die wir auf diesem Gebiet zu treffen haben, einbringen. Der Grund, aus dem wir die Debatte heute beantragt haben, ist doch, dass wir dafür überhaupt keine Möglichkeit gesehen haben.
Ich möchte nicht im Rechtsausschuss sitzen und mich mit einer Powerpoint-Präsentation berieseln lassen, in der mir ganz nette Varianten vorgestellt werden, die ich durchaus diskutieren könnte, wo man auch schöne Zahlenspiele anstellen kann und wo es um Standorte geht, wo es um Menschen geht und wo es auch um Existenzen geht, und anschließend aus der Presse erfahren, dass wir gar nicht mehr weiter mitreden dürfen. Das ist der falsche Weg, und ich möchte nicht, dass derart wichtige Grundsatzentscheidungen in Sachsen-Anhalt auf diese Weise gefällt werden.
- Ja, vom Prinzip der Gewaltenteilung habe ich gehört. - Ich habe in meiner Rede - wenn Sie mir zugehört haben, Frau Grimm-Benne, wissen Sie das - die Landesverfassung zitiert, dass der Verfassungsgeber es genau so vorgesehen hat: dass wir als Parlament in solchen wichtigen Fragen beteiligt werden. Dann kann letztlich die Exekutive nach Beratung tätig werden. So ist es vorgesehen und so hat es auch in diesem Fall stattzufinden.
Vielen Dank, Herr Präsident, für diese kombinierte Zulassung. - Ja, ich teile die Auffassung des Ministeriums - das habe ich in meiner Rede auch gesagt -, dass wir zu einem starken Strukturwandel im Justizbereich kommen müssen, der auch die Zusammenlegung von Anstalten umfasst. Selbstverständlich.
Ich teile übrigens auch die vorgeschlagenen Maßnahmen, zumindest zum großen Teil, was die Grundsatzentscheidung angeht, sich mit Burg, Halle und Raßnitz auf Standorte zu konzentrieren. Aber ich glaube, dass wir über eine vierte Anstalt im Land sehr wohl diskutieren können und sollten, und zwar aus qualitativen und finanzpolitischen Erwägungen. - Vielen Dank.
Danke schön, Herr Kollege Herbst. - Bevor wir in der Debatte fortfahren, begrüßen wir im Haus Schülerinnen und Schüler des Fallstein-Gymnasiums Osterwieck. Herzlich willkommen!
Zur Erläuterung sei vielleicht noch darauf hingewiesen, dass die Offenbarung der Gefängnisaufenthalte unserer Kolleginnen und Kollegen aus dem Parlament allesamt freiwillige Aufenthalte in Form von Besuchen betrifft, bei denen man selbstbestimmt wieder herausgehen konnte, und dass diese nicht infolge irgendwelcher Straftaten veranlasst wurden. Nur, um das klarzustellen. Mir war dieser Unterschied wichtig.
Wir fahren fort in der Debatte. Bevor als Nächster in der Debatte für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Borgwardt das Wort nimmt, spricht die Ministerin für Justiz und Gleichstellung Frau Professor Kolb. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Sehr geehrter Herr Herbst, Sie können mir viel vorwerfen, aber nicht, dass ich mich scheue, heikle Themen anzusprechen.
Das Thema Justizvollzugsstrukturreform ist nicht neu. Sie haben völlig Recht, das ist die umfassendste Strukturreform, die seit 20 Jahren im Land Sachsen-Anhalt stattgefunden hat, und wir fangen nicht erst jetzt an. Wir haben in der letzten Legislaturperiode in diesem Hohen Haus schon sehr oft über das Thema diskutiert - nicht nur über Standorte, sondern auch fachlich über die Fragen: Was stellen wir uns konkret vor? Wie soll ein Resozialisierungsvollzug in den einzelnen Anstalten aussehen?
Wir haben ein Jugendstrafvollzugsgesetz erarbeitet, darüber gemeinsam debattiert und einen fraktionsübergreifenden Konsens gefunden. Gleiches gilt für das Untersuchungshaftvollzugsgesetz. Und wir haben mit dem JVAG als einziges Bundesland in ganz Deutschland ein Gesetz erarbeitet, womit wir uns als Justizministerium verpflichten, die dort festgelegten Standorte nur mit einer parlamentarischen Entscheidung zu ändern.
Wir haben da in gewisser Weise auch schon Vorentscheidungen für die jetzige Strukturreform getroffen in dem Sinne, dass dort eine Flexibilität vorgesehen ist. Es sind Außenstellen in Naumburg und in Magdeburg gebildet worden, und das sind die Standorte, die jetzt als erste zur Schließung anstehen. Hierzu bedarf es keiner gesetzgeberischen Entscheidung. Das hat dieses Hohe Haus so entschieden.
Hier können wir aufgrund der Tatsache, dass wir in den letzten Jahren in Größenordnungen Gefangene verloren haben und heute schon freie Haftplätze haben, diese Flexibilität nutzen, um die Haftplatzkapazitäten zu reduzieren und damit natürlich Kosten zu sparen. Warum sollen wir Haftplätze finanzieren und eine Infrastruktur vorhalten, die wir gar nicht brauchen, weil wir nicht mehr ausreichend Gefangene haben?
Mir ist es wichtig, dass ich Unterstützung habe, auch in diesem Hohen Haus. Ich glaube, gerade bei diesem Reformprojekt haben wir sehr frühzeitig begonnen, über unsere Vorstellungen zu sprechen. Wir haben ein Projekt initiiert, wir haben eine Projektgruppe, an der auch externe Experten beteiligt waren, beauftragt, alle Standorte zu untersuchen und unterschiedliche Varianten vorzustellen. Es gab dann einen Beschluss der Lenkungsgruppe und eine entsprechende Kabinettsvorlage, die am 21. Februar so entschieden worden ist.