Protokoll der Sitzung vom 23.03.2012

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wäre natürlich schöner gewesen, wenn wir uns heute über inhaltliche Schwerpunkte hätten austauschen können, nämlich über die pädagogischen Rahmenbedingungen oder über die Qualifizierung der Erzieherinnen, über die Ausbildung junger Leute,

(Herr Bergmann, SPD: Das können Sie doch im Ausschuss tun!)

über die gerechte Bezahlung in den Kitas - es gibt nach wie vor Unterschiede zwischen den freien Trägern und den kommunalen Trägern - oder auch über den Gedanken der Inklusion und vieles mehr.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Herr Jantos, Sie sprachen den Personalschlüssel an. Dazu muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Wir würden uns schon freuen, wenn der so eingehalten worden wäre, wie er im Gesetz steht. Das wäre schon ein Fortschritt.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Frau Lüddemann, GRÜNE: Ge- nau!)

Aber wie gesagt, das ist nicht Gegenstand der heutigen Aussprache zur Großen Anfrage. Es geht vielmehr um die Kostenentwicklung bei den Kindertageseinrichtungen und bei der Kindertagespflege. Lassen Sie mich meine Rede mit einem Zitat von Herrn Gauselmann - ich denke, er wird hier sein - aus der „Mitteldeutschen Zeitung“ vom 21. März 2012 beginnen. Er sagte:

„Es ist Sozialpolitik nach Kassenlage: Da steht erst die Summe, dann folgt das Konzept - was nicht passt, wird da passend gemacht.“

So sollte man ausdrücklich nicht vorgehen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Bergmann, SPD)

Wir als LINKE sagen: Es ist wichtig, die finanziellen Auswirkungen von Gesetzen stets genau im Blick zu behalten, aber grundsätzlich sollte zuerst über Inhalte diskutiert werden. Anschließend ist zu prüfen, welchen Kostenumfang diese haben und in welchem Rahmen sie umsetzbar sein werden.

Stattdessen erleben wir bei dieser Debatte hier genau die umgekehrte Situation. Wir reden heute über das Geld, obwohl die Kinderbetreuungsgesetze, die demnächst in den Landtag eingebracht werden sollen, noch gar nicht offiziell vorliegen. - Nun gut.

Nun zu der Großen Anfrage selbst. Im Grunde lagen zwei Antworten der Landesregierung auf die Große Anfrage vor. Eine erste Variante zeigte erhebliche Kostenaufwüchse auf, weil sie, wie sich später zeigte, einen Rechenfehler enthielt. Die Landesregierung hatte den Krippenschlüssel von 1 : 6 auch für den Kindergarten herangezogen. Klar, dass dann die Kosten explodieren. Die Zahlen kamen uns so merkwürdig vor, dass wir zum damaligen Zeitpunkt eine Kleine Anfrage hinterhergeschoben haben, die noch auf ihre Beantwortung wartet.

Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass ich großes Verständnis dafür habe, dass jemandem auch einmal ein Rechenfehler unterlaufen kann. Das kann jedem passieren, auch der Landesregierung. Herr Minister Bischoff hat diesen Fehler auch offiziell eingeräumt.

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Heute befassen wir uns also mit der zweiten Antwort. Diese kann man grob in drei Komplexe unterteilen: einen ersten, der nach der Kostenentwicklung der letzten Jahre fragt, einen zweiten, der unter den Annahmen veränderter Betreuungsschlüssel und Betreuungszeiten Hochrechnungen anstellt, und einen dritten Komplex, der sich im Grunde mit den Fragen rund um die Studie der Martin-Luther-Universität zur Erhebung der Platzkosten in der Kinderbetreuung beschäftigt.

Diesem dritten Komplex, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, werde ich mich in meiner Rede nicht ausführlich widmen, da uns allen die Schwächen dieser Studie mittlerweile ausreichend bekannt sein dürften. Wir brauchen die Debatte vom August 2011 an dieser Stelle nicht zu wiederholen. Ich möchte nur anmerken, dass auch DIE LINKE weiterhin ein Interesse daran hat, die tatsächlichen Platzkosten irgendwann zu erfassen, auch wenn dies nur mittels einer Vollumfrage realisierbar sein sollte.

Der erste Antwortkomplex zeigt, wie schwierig sich dieses Unterfangen darstellt, welche statistischen Probleme und welche Schwierigkeiten hinsichtlich einer Erhebung der Gesamt- und der Platzkosten existieren. Man kann sich diesem Problem ein Stück weit nähern, wenn man versucht, eine Gesamtrechnung aufzumachen.

Unsere eigenen Berechnungen haben ergeben, dass von allen an der Finanzierungsgemeinschaft Beteiligten derzeit ein finanzielles Gesamtvolumen von annähernd 690 Millionen € für die Kinderbetreuung aufgebracht wird. Darin enthalten sind Personal- und Sachkosten. Schaut man nun in die Kita-Statistik des Landes, sieht man, dass im Jahr 2011 130 627 Plätze in den Kindertageseinrichtungen des Landes belegt waren. Dies ergibt im Durchschnitt 5 282,22 € pro Platz im Jahr.

Solche Durchschnittswerte sind zwar gut und schön, jedoch spiegeln sie nur bedingt die Realität wider. Das zumindest hat die Studie der MartinLuther-Universität gezeigt. Wir werden wohl im Rahmen der anstehenden Gesetzesberatungen nicht um eine Konkretisierung des § 15 KiFöG umhinkommen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Beantwortung der Fragen 5 und 7 macht im Grunde den Kern der gesamten Antwort aus. Zunächst ist schön zu sehen, dass die Kosten für die Wiedereinführung des Ganztagsanspruchs im Vergleich zu den Kosten für eine Verbesserung der Betreuungsschlüssel relativ moderat ausfallen.

Das zeigt, dass alle Veränderungen im Personalbestand selbst - ohne Bezug auf den Betreuungsumfang - zu einer im Vergleich immensen Kostensteigerung führen. Dies trifft im Übrigen auch auf die geplante Verbesserung der Vor- und Nachbereitungszeiten zu. Oder anders ausgedrückt: Der Ganztagsanspruch für alle Kinder ist im Vergleich - ich betone - relativ preiswert zu haben.

Beim Lesen der Antwort auf Frage 7, liebe Kolleginnen und Kollegen, musste ich, ehrlich gesagt, ein wenig schmunzeln. Die dort genannten Betreuungsumfänge gehen nämlich meilenweit an der Wirklichkeit vorbei und führen rechnerisch zu entsprechend höheren Kosten, die in der Realität nie erreicht werden würden.

Es wird unterstellt, dass alle Kinder, die vorher eine geringere Betreuungszeit hatten, jeweils exakt sechs, sieben, acht, neun oder zehn Stunden in die Kita gehen. Das ist absolut unrealistisch.

Dass das so ist, weiß die Landesregierung sehr genau. Denn wenn Sie im Hinblick auf Ihren KiFöG-Entwurf mit dieser hier genannten durchschnittlichen Betreuungsdauer gerechnet hätten, hätten Sie den Kostenrahmen von 53 Millionen € - sagen wir es vorsichtig - ein klein wenig überzogen.

Die durchschnittlichen täglichen Betreuungsdauern sind eine immens wichtige Stellschraube, wenn es um die Kostenrechnung im Rahmen der Kinderbetreuung geht. Gestatten Sie mir deshalb an dieser Stelle noch eine weitere Anmerkung zu den Berechnungsgrundlagen des Sozialministeriums für das neue KiFöG, die neben dem Referentenentwurf im letzten Fachexpertengespräch am 15. März 2012 verteilt wurden.

Sie gehen in Ihren Berechnungen davon aus, dass unter den Bedingungen einer stufenweisen Einführung des Ganztagsanspruches die durchschnittliche tägliche Betreuungsdauer in der Krippe derzeit - man höre und staune - von 7,8 Stunden auf acht Stunden und im Kindergarten von derzeit 7,85 Stunden auf ebenfalls acht Stunden steigt.

Die Kostenberechnung der Landesregierung basiert also auf der Annahme, dass der Ganztagsanspruch zu einer Erhöhung der durchschnittlichen täglichen Betreuungsdauer um insgesamt 0,35 Stunden oder - in Minuten ausgedrückt - 21 Minuten führen wird.

DIE LINKE ist sehr skeptisch, dass diese Annahme zuverlässig ist, vor allem wenn man bedenkt, dass im Jahr 2003 die tägliche Betreuungszeit in der Krippe durchschnittlich 8,14 Stunden betrug und im Kindergarten etwas darüber lag.

Wie bereits angekündigt, werden wir den Referentenentwurf der Landesregierung um eigene politische Inhalte ergänzen und in den Landtag als Gesetzentwurf einbringen. Dann werden wir Zeit haben, diese und andere Fragen in Ruhe in den Ausschüssen zu bereden. - Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Danke, Frau Kollegin Hohmann. - Für die SPDFraktion spricht die Abgeordnete Frau Grimm-Benne. Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Frau Lüddemann, Sie haben zu Recht alle Punkte angesprochen, die in der Öffentlichkeit und in der Fachwelt seit mehreren Jahren

diskutiert werden. Auch ich habe darüber gesprochen, seitdem das Volksbegehren gescheitert ist.

Ich verfolge die Debatte - ich will nicht sagen, dass sie mich traurig macht oder mich enttäuscht - mit Sorge. Wir haben diese Debatten in der letzten Legislaturperiode in ausreichendem Maße geführt. In der Koalitionsvereinbarung gab es die Regelung, dass bestehende Gesetze in dieser Legislaturperiode nicht geändert werden.

Ich habe mir zu Recht anhören müssen, dass es im KiFöG bestimmte Schieflagen gegeben hat, insbesondere im Hinblick auf den Fünfstundenanspruch.

Dass wir aber jetzt, wo wir vor einer Novelle stehen, noch einmal eine solche Debatte führen, kann ich nicht verstehen. Ich habe nämlich die Sorge, dass wir mittlerweile alles zerreden, und so wirkt das auch in der Öffentlichkeit.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir haben uns so angenähert, dass wir eigentlich alle wissen, was wir wollen. Jetzt kämpfen wir nur noch darum, wer noch eine Schippe draufpacken kann. Das finde ich verkehrt.

Dabei haben wir aus den Augen verloren - das will ich noch einmal sagen -, für wen wir das hier eigentlich machen. - Ich habe vorhin gezählt, Frau Lüddemann: Sie haben die Kinder dreimal genannt, öfter nicht.

Wir haben uns im Bildungskonvent versprochen - das haben wir formuliert; dazu gab es hier im Parlament einen Konsens -: Wir wollen allen Kindern bereits im frühkindlichen Alter eine chancengerechte Bildung und Teilhabe geben, damit sie später in der Schule und im Berufsleben die gleichen Chancen wie Kinder aus „besseren“ Elternhäusern haben.

(Zustimmung bei der CDU)

Das müssen wir uns immer vergegenwärtigen und das fehlte mir hierbei. Wir haben hier leidenschaftliche Debatten über den Armuts- und Reichtumsbericht geführt. Das kommt hier überhaupt nicht mehr vor. Jetzt, wo wir kurz vor der Novelle stehen, wird sich hier über ein solches Klein-Klein ausgelassen.

Mich hat noch etwas geärgert. Der Minister ist bisher offensiv mit dem Gesetz umgegangen. Herr Herbst hat heute Morgen die Landesregierung dafür gerügt, dass sie nicht transparent genug mit der Justizstrukturreform umgegangen wäre, dass sie etwas vorgelegt habe und wir das sozusagen alles „fressen“ sollten. - Das haben Sie so zwar nicht gesagt, jedoch konnte man das heraushören.

Wir haben mit Blick auf das Landesbündnis für ein familien- und kinderfreundliches Sachsen-Anhalt einen Referentenentwurf vorliegen. Den hatten wir

spätestens, nachdem die Expertenrunde getagt hat. Wir hatten vor den Dialogen schon den anderen Entwurf. Wir haben die Berechnungsgrundlagen. Wir haben die Begründungen.

Mensch, dann ist es doch an uns, wenn das im Parlament im Juli tagt, aus dem Referentenentwurf, wenn er ein Gesetzentwurf geworden ist, das Beste herauszuholen. Dann können wir uns darüber streiten - das erwarte ich auch -, wie der Ganztagsanspruch aussehen soll, wie viele Stunden er umfassen kann. Der Minister hat ausdrücklich gewünscht, dass wir hierzu Vorschläge unterbreiten. Das soll auch von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung getragen werden.

Kann man in diesem ganzen System tatsächlich noch einen Betreuungsschlüssel, wenn man das geschickt macht, verändern? - Die Möglichkeit hätten wir. Niemand hat sich verschlossen.

Wenn ich den Minister richtig verstanden habe, ist der Referentenentwurf eine Arbeitsgrundlage, damit es endlich einmal losgeht und wir endlich einmal etwas haben, an dem wir uns auch reiben können, was wir abarbeiten können.

Der nächste große Block ist die qualitätsgerechte Bildung und Betreuung. Ja natürlich, wir müssen darauf schauen: Wie bekommen wir - darüber haben wir beim letzten Mal im Sozialausschuss beraten, als wir über das Kompetenzzentrum für frühkindliche Bildung debattiert haben - einen vernünftigen Mix mit unterschiedlichen Fachkräften hin? Dann muss man einmal schauen, wie wir es innerhalb des Tages schaffen, Bildung und Betreuung so zu verzahnen, dass das Optimale für alle Kinder dabei herauskommt. Diesbezüglich werden wir auch noch schauen müssen, wie wir das hinbekommen.

Dann zu dem großen Thema Finanzierung: Damit es weitergeht, haben wir jetzt erst einmal die alte Finanzierungsregelung in den Referentenentwurf geschrieben, wohl wissend, dass wir noch bis zum Ende des Jahres über das Finanzausgleichsgesetz debattieren müssen, und in der Hoffnung, dass uns während der beiden Lesungen noch etwas einfällt, wie das gerechter und transparenter laufen kann.

Ich habe jetzt die Studie der Bertelsmann-Stiftung leider auf meinem Tisch liegengelassen. Wir sind bei dem, was wir pro Kind ausgeben, spitzenmäßig - wenigstens in den neuen Bundesländern; nur die habe ich zum Vergleich herangezogen. Ich glaube, es waren ca. 3 400 € pro Kind. Damit liegen wir noch immer vor Sachsen, Thüringen und weit vor Mecklenburg-Vorpommern.