Protokoll der Sitzung vom 27.04.2012

Vielen Dank, Herr Minister. - Wir treten in die vereinbarte Fünfminutendebatte ein. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Kollegin Frau von Angern. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Zunächst möchte ich schon vorwegnehmen, dass wir der Überweisung des

Gesetzentwurfes in den Innenausschuss zustimmen werden. Zur Gesetzesgenese hat Herr Kolze schon einiges ausgeführt. Deswegen werde ich mich diesbezüglich zurückhalten.

Wir sehen die in dem Gesetzentwurf vorgeschlagene Namensänderung als unproblematisch an. Das Problem, das wir haben - das werden Sie sicherlich erwarten -, ist der fortgesetzte Einsatz des IMSI-Catchers.

Ich denke, es ist einiges gesagt worden, aber nicht alles. Insbesondere ist nicht gesagt worden, dass ein IMSI-Catcher beispielsweise die NSU-Morde nicht verhindert hätte und auch momentan nicht verhindern würde. Ich denke, dass es bei all den Dingen, die wir dem Verfassungsschutz an die Hand geben, ein wesentliches Merkmal ist, dass wir genau hinschauen müssen, welches Instrument tatsächlich sinnvoll ist.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Herrn Striegel, GRÜNE)

Die vorgelegte Evaluation war schon mehrfach hier im Parlament Thema. Wir haben schon mehrfach über die Zeiträume der Evaluation gesprochen. Zweimal ist es schon verschoben worden. Wenn man die Evaluation mit einem Umfang von zweieinhalb Seiten liest, dann sieht man deutlich, wessen Handschrift sie trägt, nämlich die des Verfassungsschutzes.

Nun versuche ich gar nicht erst, das Bild des auszutrocknenden Teiches heranzuziehen, weil es darum heute tatsächlich nicht geht. Aber die Frage ist doch, welchen Anspruch wir als Parlament an Evaluationen haben. Wenn wir, wie im vorliegenden Fall, Evaluationen vornehmen, dann finde ich es nicht unwichtig, beispielsweise den Hinweis, den uns der Landesbeauftragte für den Datenschutz in seinem aktuellen Tätigkeitsbericht unter dem Titel „Sicherheit und Freiheit“ aufgegeben hat, noch einmal aufzugreifen. Ich zitiere aus dem Tätigkeitsbericht.

„Wer eine Verlängerung von Maßnahmen oder sogar neue zusätzliche Befugnisse zumal für die Sicherheitsbehörden verlangt, muss nachvollziehbare Belege für die Eignung und Notwendigkeit bringen.“

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Die Sicherheit wächst nicht dadurch, dass die Politik Instrumente plakativ nur fordert und dazu abstrakt auf Bedrohungen und Risiken hinweist. Pauschale Entfristungen von Gesetzen sind keine seriöse Evaluation. Ich halte das, was wir hier vorgelegt bekommen haben, für genau das eben nicht, für keine seriöse Evaluation.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Herrn Striegel, GRÜNE)

Ich möchte auch auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2005 hinweisen, in

dem durchaus eingeräumt worden ist, dass natürlich angesichts des ständigen technischen Wandels vom Gesetzgeber darauf geachtet werden muss, wie weit das Zeitalter fortgeschritten ist bzw. gegebenenfalls dass gesetzgeberisch zu korrigieren ist.

Aber es ist eben auch zu prüfen, wie effektiv verfahrensrechtliche Vorkehrungen sind. Daran muss alles gemessen werden. Erreicht der Eingriff in Grund- und Freiheitsrechte tatsächlich das verfolgte Ziel, nämlich die öffentliche Sicherheit. Auch daran müssen sich die zweieinhalb Seiten Evaluationsbericht messen lassen.

Nun haben wir es heute schon zweimal gehört: Es gab einen Fall. Es gab einen äußerst zurückhaltenden Gebrauch. Da stellt sich mir die Frage, warum. Das wäre ein Punkt gewesen, der in der Evaluation eine Rolle hätte spielen müssen. Sowohl von Herrn Kolze als auch vom Innenminister ist gesagt worden - es steht auch ausdrücklich im Bericht -, dass die Anordnung unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erging.

Wenn ich solch eine ausdrückliche Formulierung lese, werde ich erst einmal hellhörig, nicht allein, weil ich in der PKK sitze, sondern weil mich so etwas grundsätzlich hellhörig macht. Ich gehe davon aus, dass es bei allem Handeln genau so passiert.

Die Erkenntnis der Maßnahme war - wir haben es gehört -, dass eine Mobilfunkkarte gefunden wurde, die auf eine nichtexistente Person angemeldet ist. Welcher Ermittlungserfolg damit einhergegangen ist, steht nicht im Evaluierungsbericht. Es gibt auch nicht den eloquenten Hinweis, dass man das aus Gründen der Geheimhaltung in der Parlamentarischen Kontrollkommission referieren würde. Nein, dazu steht gar nichts darin.

Wir finden keine Netzwerkstruktur, die ja das verfolgte Ziel des Einsatzes des IMSI-Catchers sein sollte. Von daher ist es aus meiner Sicht eine sehr mutige Schlussfolgerung, wenn es dann heißt, der IMSI-Catcher sei ein bislang verfügbares und ermittlungstaktisch unverzichtbares Instrument für die Aufgabenwahrnehmung, das nicht aufzugeben ist.

Erlauben Sie mir diesem Einschub: Wenn ich in meiner Ausbildung als Juristin das Attribut „unverzichtbar“ verwendet habe, hat man mir gesagt, ich hätte keine Argumente, sonst bedürfte ich solcher Attribute nicht.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN - Minister Herr Stahlknecht: Don- nerwetter!)

Wer die Evaluation gelesen hat, konnte genau diese Worte heute noch einmal in beiden Statements, sowohl von Herrn Kolze als auch vom Innenminister, hören. Das Erschreckende ist, dass das, was

wir im Gesetzentwurf lesen, identisch mit dem Text der Gesetzesbegründung ist. Man kann schon sagen: Und täglich grüßt das Murmeltier. Auch hier ist wieder festzustellen, es fehlen einfach die Argumente im Land für den weiteren Einsatz des IMSI-Catchers.

Sie haben sich zum Helfershelfer der Landesregierung gemacht. Sie haben als Koalitionsfraktionen diesen Gesetzesänderungsentwurf eingebracht. Deswegen müssen Sie sich jetzt auch die Kritik anhören.

Wir werden dennoch der Überweisung zustimmen. Denn, meine Damen und Herren, ich finde schon, dass zumindest der Datenschutzbeauftragte dieses Landes im Rahmen einer Anhörung zu dieser Thematik zu Wort kommen sollte. Wir haben mehrere neue Mitglieder im Innenausschuss, die sich auch einmal die Sinnhaftigkeit des IMSI-Catchers vorstellen lassen sollten. Deshalb werden wir eine entsprechende Anhörung im Ausschuss beantragen. - Vielen Dank

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau von Angern. - Für die SPDFraktion spricht jetzt der Kollege Erben. Bitte schön, Kollege Erben.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es spricht das neue Mitglied des Innenausschusses.

(Minister Herr Stahlknecht: Was, Sie?)

- Ich sagte: „Es spricht das neue Mitglied des Innenausschusses.“

(Zuruf von Minister Herrn Stahlknecht)

Die Fraktionen der SPD und der CDU haben gemeinsam den Entwurf in dieses Hohe Haus eingebracht.

(Unruhe)

- Ich merke, die ersten Anwesenden kapieren jetzt, was ich eben meinte.

(Oh! bei der LINKEN - Zurufe von Minister Herrn Stahlknecht und von Frau Bull, DIE LINKE)

Nach der erneuten Evaluierung des IMSI-CatcherEinsatzes sehen wir als Koalitionsfraktion die weitere Notwendigkeit dieses Einsatzes. Wir halten es für erforderlich, der Verfassungsschutzbehörde die entsprechende Befugnis zu erteilen. Die bisherigen Evaluierungen haben uns überzeugt. Deswegen soll diese Ermächtigung nunmehr auch unbefristet gelten.

Diese Überzeugung gründet sich im Wesentlichen auf zwei Aspekte. Erstens. Wie bereits beschrie

ben, ist der IMSI-Catcher oft die einzige technische Möglichkeit, bei konspirativ agierenden Zielpersonen zu agieren, damit das nicht ins Leere läuft.

Zweitens. Es ist richtig, der IMSI-Catcher-Einsatz bedeutet einen Eingriff in die Grundrechte unbeteiligter Dritter. Technisch und organisatorisch ist er aber so ausgestaltet, dass Daten von unbeteiligten Dritten nicht unnötig lange gespeichert werden. Hinzu kommt, dass der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt in der bisherigen Praxis äußerst zurückhaltend von der Ermächtigung zum Einsatz eines IMSI-Catchers Gebrauch gemacht hat.

Wir sehen ihn als unabdingbar an. Wir sehen es vor allem auch als unabdingbar an, darüber zügig zu beraten, weil wir nicht wollen, dass am 1. Juli 2012 eine gefährliche Sicherheitslücke in Sachsen-Anhalt entsteht. - Danke.

(Beifall bei der SPD - Oh! bei der LINKEN - Frau von Angern, DIE LINKE, schüttelt den Kopf - Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Keine Übertreibung, Herr Kollege! - Herr Lange, DIE LINKE: Das ist Quatsch! - Zurufe von Frau Dr. Klein, DIE LINKE, von Frau Bull, DIE LINKE, und von Frau Tiedge, DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Kollege Erben. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht jetzt Herr Striegel. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Erben, ich wünschte, dass Sie immer so leicht von guten Ideen zu überzeugen wären. Dann wäre manches in diesem Hohen Hause einfacher.

(Frau von Angern, DIE LINKE: Wenn es denn eine gute Idee ist!)

- Wenn es denn eine gute Idee wäre; aber dazu komme ich gleich noch.

Der Einsatz eines sogenannten IMSI-Catchers - ich denke, das ist hier unstrittig - bedeutet einen tiefen Eingriff in Grundrechte. Überwacht wird nicht nur die vom Verfassungsschutz ausgemachte Zielperson, sondern es werden potenziell auch Tausende andere Bürgerinnen und Bürger bespitzelt, die sich als Nutzer von Mobiltelefonen in der künstlich erzeugten Funkzelle befinden.

Der Einsatz des IMSI-Catchers birgt ein hohes Missbrauchspotenzial, was uns unter anderem der rechtswidrige Einsatz eines solchen Gerätes gegen Tausende friedliche Sitzblockiererinnen und unbeteiligte Dritte bei den Antinaziprotesten in Dresden gezeigt hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Damals ist mit einer solchen Technik anlasslos ein ganzer Stadtteil überwacht worden.

Es ist richtig, dass Inhalte nicht automatisch angehört werden können; technisch ist das aber durchaus möglich. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Bewegungsprofile erstellt werden können. Insofern sind wir bei einer starken Eingriffstiefe im Grundrechtsbereich.

Ich bin deshalb froh - das sage ich sehr deutlich -, dass der IMSI-Catcher in Sachsen-Anhalt in der Vergangenheit sehr zurückhaltend, in den letzten zwei Jahren sogar nur einmal eingesetzt wurde.