Protokoll der Sitzung vom 07.06.2012

Durch Plenarbeschluss haben wir die alte Geschäftsordnung am 19. April 2011 wieder in Kraft gesetzt. Dessen ungeachtet machte sich bereits im Konstituierungsverfahren anhand verschiedener Einlassungen von den Fraktionen deutlich, dass wir die Geschäftsordnung evaluieren wollen. Der Auftrag dazu erging an die parlamentarischen Ge

schäftsführer vom zuständigen Geschäftsordnungsausschuss, dem Ältestenrat.

Mit dem heute vorliegenden Antrag in der Drs. 6/1164 legen wir Ihnen das Ergebnis der Verhandlungen in erster Lesung vor. Es ist unser Plan, die Geschäftsordnungsänderungen im Juli-Plenum zu beschließen, um dann spätestens nach der sitzungsfreien Zeit in die Anwendung der neuen Regeln einsteigen zu können.

Der Verantwortung, diese Regeln zu überprüfen, hatten wir uns als parlamentarische Geschäftsführer mit durchaus unterschiedlichen Vorstellungen und Erwartungen genähert. Aber wir haben uns in diesen Verhandlungen auch auf das Leitmotiv verständigt, im Rahmen der Reform vor allem die Institution Landtag im Blick zu behalten, die Rechte des Einzelnen dort zu stärken, wo es der Institution nutzt, und alles nach Möglichkeit im Einvernehmen aller Fraktionen zu regeln, also niemanden zu überfordern.

Die vorliegende Drucksache enthält all jene Änderungsvorschläge, über die wir entweder im Einzelfall oder im Paket mit anderen Änderungsabsichten Einvernehmen erzielen konnten.

Alle Seiten haben sich bewegt, und zwar aufeinander zu und nicht voneinander weg. Deshalb hat dieser Antrag nicht eine bestimmte Farbe. Er ist ein Erfolg aller Fraktionen. Alle mussten sich bewegen und Zugeständnisse machen, und der selbst gewählte Anspruch, dem Plenum nur Änderungen vorzuschlagen. über die wir alle Einvernehmen erzielt haben, sicherte eben erst im Interesse des Hauses den Erfolg.

Ich möchte nun zu einzelnen Änderungsvorschlägen der Fraktionen überleiten und anhand von ausgewählten Änderungen zeigen, an welchen Stellen die Kompromisse liegen.

Der vorliegende Antrag enthält 29 einzelne Änderungskomplexe in verschiedenen Kategorien. So finden wir in diesem Katalog Änderungen, die aus gelebter Praxis in den Wortlaut der Geschäftsordnung aufgenommen werden sollen.

Erstens. Wir haben vereinbart, zum Beispiel Auslegungsentscheidungen des Ältestenrates zu Fragen wie der Überweisung in den Finanzausschuss bei Finanzangelegenheiten oder Erledigungserklärungen bei parlamentarischen Initiativen in die Geschäftsordnung zu übernehmen.

Weiterhin schlagen wir vor, einzelne, bislang lediglich auf informellen Absprachen beruhende Verfahren als ausdrückliche Regelung in die Geschäftsordnung aufzunehmen, zum Beispiel die Regelung, dass Ausschussvorsitzende und Stellvertreter eben nicht der gleichen Fraktion angehören sollen.

Zweitens. Wir halten es für notwendig, mit einzelnen Änderungen auf praktische Probleme im parla

mentarischen Verfahren zu reagieren. So schlagen wir beispielsweise unter Nr. 7 vor, die Regelung hinsichtlich der Bestellung von Sachbeständigen für Enquete-Kommissionen zu ändern.

Mit diesem Vorschlag tragen wir nicht nur dafür Sorge, dass jede Fraktion eine Sachverständige oder einen Sachverständigen benennen kann. Wir sichern auch, dass es im künftigen Konfliktfall nicht zu einem Mehr an Sachverständigen kommt, was auch den Landeshaushalt belastet.

Vor allem die Fraktion der CDU, die in fünf von sechs Wahlperioden die stärkste Fraktion war bzw. ist, hat hierbei zugunsten der Gleichbehandlung aller Fraktionen und im Interesse des Landeshaushaltes auf eine bevorzugte Verfahrensposition verzichtet.

Auch haben wir die Frist für das Beantragen von Aktuellen Debatten für die Fraktionen etwas verlängert, um allen Fraktionen dienstags die Chance zu geben, in ihren Fraktionsvollversammlungen über diese Antragstellung zu entscheiden.

Dabei waren wir zunächst auch geneigt, im Interesse einer höheren Aktualität diesen Termin noch später zu setzen, näher an den Sitzungstag, haben aber dann im Interesse der Landesregierung darauf verzichtet.

Wir hoffen jedoch, mit der wieder zu erprobenden Regierungsbefragung noch aktueller werden zu können.

Das sind alles Beispiele, wo Veränderungen aus der parlamentarischen Praxis heraus verbindlicher definiert worden sind.

Etwas anders verhält es sich mit den wenigen zentralen parlamentspolitischen Leitentscheidungen, auf die wir uns ebenfalls interfraktionell verständigen konnten und die auch in den Fraktionen folgerichtig intensiv und teilweise auch kontrovers debattiert worden sind. Dazu möchte ich jetzt sprechen.

Ich möchte Sie auf die Nrn. 21 und 22 des Antrages aufmerksam machen. Diese Änderungen betreffen das Amt des Alterspräsidenten. Dieses wird in der Regel nur kurz ausgeübt während der Legislaturperiode, und damit ist das beendet. Allerdings hatten wir im ersten Jahr der Legislaturperiode bereits einen Fall, in dem der Alterspräsident die Sitzungsleitung übernehmen musste. Kollege Steinecke hat dies auch in der Kurzfristigkeit ad hoc sehr souverän gemeistert, sicherlich auch, weil er einen reichen Erfahrungsschatz als Landtagspräsident der fünften Wahlperiode in sich vereint.

Dennoch haben wir uns die Frage gestellt: Wollen wir die Lebensalterregelung beibehalten? Wollen wir, dass wir das Rekrutierungsprinzip Lebensalter in Dienstalter abändern? Oder wollen wir das Amt gänzlich zugunsten einer Regelung abschaffen,

bei der der Präsident oder das Präsidium des Vorgängerlandtages bis zur Wahl einer Landtagspräsidentin oder eines Landtagspräsidenten in die Pflicht genommen wird? - All diese Varianten sind möglich.

Wir schlagen die Dienstaltersoption vor, weil wir im Konstituierungsprozess des Parlamentes stärker auf solide parlamentarische Erfahrungen und nicht nur auf das allgemeine Senioritätsprinzip setzen wollen.

Wir haben dabei im Blick, dass dem Amt des Alterspräsidenten bis zur Wahl einer Präsidentin oder eines Präsidenten auch deren Befugnisse zuwachsen. Deshalb soll die im Abgeordnetendienstalter vorhandene Erfahrung in der Mandatsausübung der Alterspräsidentin oder des Alterspräsidenten zusätzlich zum allgemeinen Lebensalter in die Waagschale gelegt werden.

Weiterhin möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass wir uns sehr intensiv mit der Beantwortung von Großen und Kleinen Anfragen befasst haben. Die Grundlage für diese Beratungen bildete eine im Ältestenrat durch die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beantragte Überprüfung der Beantwortung Kleiner Anfragen zur schriftlichen Beantwortung durch die Landesregierung. Dabei sind auch Fragen des verfassungs- und geschäftsordnungsrechtlichen Rahmens diskutiert worden. Die Landesverfassung bestimmt in Artikel 53 Abs. 2 Satz 1 - ich zitiere -:

„Fragen einzelner Mitglieder des Landtages oder parlamentarische Anfragen haben die Landesregierung oder ihre Mitglieder im Landtag und in seinen Ausschüssen nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig zu beantworten.“

Damit ist die Frage, ob die vollständige Beantwortung einer Großen oder einer Kleinen Anfrage fristgerecht oder fristwidrig erfolgte, zunächst in jedem konkreten Einzelfall verfassungsrechtlich daran zu messen, ob die Antwort unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern erfolgte. Von einzuhaltenden Fristen von einem, zwei oder drei Monaten ist hierbei nicht die Rede.

Wir haben uns deshalb entschlossen, die geschäftsordnungsrechtliche Ausgestaltung des Beantwortungsverfahrens stärker an den Wortlaut der Verfassung heranzuführen und im konkreten Einzelfall auch Geltung zu verschaffen. Wir wollen mit diesen Regelungsvorschlägen im Interesse der Mandatsausübung auch künftig ein geordnetes Verfahren der Beantwortung durch die Landesregierung ermöglichen, wollen aber dabei die Rechte des einzelnen Abgeordneten stärken.

Meine Damen und Herren! Ebenfalls neu ist der Vorschlag, den kommunalen Spitzenverbänden auch im parlamentarischen Verfahren einen Anspruch darauf einzuräumen, im Ausschuss ange

hört zu werden, wenn durch Rechtsvorschriften die Belange der Gemeinden oder der Landkreise unmittelbar berührt werden. Zu einer alten Forderung, nicht nur der kommunalen Spitzenverbände, konnte also nunmehr das Einvernehmen aller Fraktionen hergestellt werden.

Schließlich möchte ich bei den Ausschüssen bleiben und auf die Öffentlichkeit der Ausschussberatungen zurückkommen.

Bei Beginn der Verhandlungen war keinem der Beteiligten klar, dass es auch in diesem Punkt zu einer Verständigung kommen würde. Das hat meines Erachtens zwei Gründe:

Zum einen lag es quasi auf der Ebene der politischen Auseinandersetzung daran, dass dieses Thema wiederholt zu Beginn der jeweiligen Wahlperiode Gegenstand von Forderungen zum Beispiel auch meiner Fraktion war und ist und dass auch die Bündnisgrünen im Wahlkampf die Botschaft vertreten haben, ihre erste Maßnahme nach dem Einzug in den Landtag würde die Herstellung der Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen sein. Damit war der Ausgangspunkt der parteipolitischen Kontroverse um diese parlamentarische Grundsatzfrage definiert.

So wird als Argument für die Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen ins Feld geführt, sie gewähre mehr Einblick in die mitunter kleinteilige und anspruchs- wie verantwortungsvolle Sacharbeit der Gewählten in den Ausschüssen und sie ermögliche das Nachvollziehen, wer welche Interessen verfolge. Außerdem motiviere es zu einer weiteren Verbesserung der Ausschussarbeit, wenn sie öffentlich kontrolliert werde bzw. werden könnte.

Schließlich ermögliche die Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen es Interessierten, die Ausschussverhandlungen selbst zu interpretieren. Sie wären dann nicht mehr nur auf die parteipolitisch gefärbten Interpretationen durch die Pressemitteilungen der Fraktionen oder das notwendigerweise selektive Recherchieren und Schreiben von Journalisten angewiesen.

Bedenken hingegen fußen regelmäßig auf der Sorge, man gäbe mit der Herstellung der Öffentlichkeit im Ausschuss zugunsten von mehr Transparenz eine Arbeitsatmosphäre auf, die für die Arbeitsergebnisse des Gesamtparlamentes wichtig ist. Fachpolitische Kontakte über Fraktions- und Lagergrenzen hinweg sind unabdingbar, um den Ausschüssen und dem Parlament insgesamt ihre Arbeits- und Entscheidungskapazität zu erhalten und um eben die fachlich besten Ergebnisse zumindest möglich zu machen. Die Sorge besteht darin, dass die Anwesenheit der Öffentlichkeit im Ausschuss zum Halten von Fensterreden verführen könne oder es den Mehrheitsfraktionen erschweren könne, fachlich solide Anregungen der Opposition zu übernehmen.

Die Grundlage unserer Verhandlungen war zunächst die Geschäftsordnung des Sächsischen Landtages. Dass wir in der Auseinandersetzung mit den sächsischen Erfahrungen eine eigenständige Lösung vereinbaren konnten, die einen weiteren Schritt hin zur Öffnung geht, ohne die Öffentlichkeit vollständig herzustellen, ist ein überzeugender Verhandlungserfolg aller Fraktionen.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Wir sind uns auch darin einig, dass im Einzelfall im Einvernehmen mit allen Fraktionen mitunter sehr kurzfristig die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen oder von Teilen der Sitzungen hergestellt werden kann. Wir wollen ein Mehr an Transparenz, diese sollte aber steuer- und verhandelbar sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der parlamentarischen Geschäftsführer möchte ich mich bei allen bedanken, die unseren Auftrag unterstützt haben. Das betrifft die Kolleginnen und Kollegen in den Fraktionen genauso wie die speziellen Arbeitsgruppen, die wir in den Fraktionen gebildet haben, um an den Paragrafen zu feilen und Erfahrungen aus dem Parlament einzubringen.

Das betrifft aber auch die Landtagsverwaltung. Diese hat nicht nur ihre Erfahrungen einfließen lassen. Sie hat uns wie so oft mit Akribie und Geduld dabei geholfen, die in typischer Abgeordnetenmanier vorgebrachten Vorschläge in eine Form zu bringen, in der sie parlamentarischen Bestand haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mark Twain soll einmal gesagt haben: Die Musik von Richard Wagner ist besser, als sie klingt.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

In diesem Sinne interpretiere ich unsere Geschäftsordnung nicht als eine Sammlung von Worten und Paragrafen, sondern als ein Notenwerk für eine lebendige parlamentarische Debatte. Ich möchte Sie alle daher bitten, der Überweisung des Antrages in den Ältestenrat zuzustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Vielen Dank für die Einbringung, Herr Dr. Thiel. - Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind, dass auch die nächsten Beiträge gesprochen und nicht gesungen werden.

(Heiterkeit bei der SPD und bei der LINKEN)

Dann treten wir jetzt in die vereinbarte Fünfminutendebatte ein. Die Fraktionen erhalten in der folgenden Reihenfolge das Wort: CDU, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, SPD und DIE LINKE. Es beginnt die CDU. Herr Kollege Borgwardt, bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Wagner könnte ich wirklich nicht konkurrieren; deshalb bin ich froh, dass ich meine Rede nicht singen muss.

Die Geschäftsordnung eines Parlaments wie auch die Geschäftsordnung dieses Hohen Hauses ist von einer größeren Bedeutung als eine normale Geschäftsordnung. Sie regelt nicht nur reine Verfahrensfragen, sondern auch Mitwirkungs- und Minderheitenrechte. Sie ist durch das Diskontinuitätsprinzip ein herausragendes Beispiel für eine lebendige Demokratie.

Im Bewusstsein um diese Bedeutung der Geschäftsordnung gilt mein persönlicher Dank - Herr Dr. Thiel hat es bereits gesagt - all denjenigen, die sich in das Vorhaben eingebracht haben, Vorschläge unterbreitet haben, Transparenz, Effizienz und Lebendigkeit hineingebracht haben und in dem intensiven Diskussionsprozess der letzten Monate fraktionsübergreifend dafür gesorgt haben, dass einvernehmliche Lösungen erzielt werden konnten.