Protokoll der Sitzung vom 20.09.2012

Dennoch - das ist mit etwas Abstand von den Ereignissen klar geworden -: Die Krawalle in Quedlinburg haben nicht spontan begonnen. Es wurde berichtet, dass ständig große Limousinen unterwegs waren, aus denen Anweisungen erteilt wurden. Daran erinnert sich ein Journalist aus der Region und gibt dieses auch heute so wieder. Es waren Fahrzeuge aus Quedlinburg, aber auch aus Berlin und aus Braunschweig.

Im Mittelpunkt der Aufstachler aus Quedlinburg standen ein Unternehmer, der später den Kreisverband der Republikaner gründete, und der Sohn eines Bauunternehmers. Sie alle haben offensichtlich diese Situation ausgenutzt.

Ich erzähle dies deshalb, weil ich glaube, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die hohe Arbeitslosigkeit, mit ursächlich dafür waren, dass dieses Ereignis stattfand und dass fremdenfeindliches und rassistisches Gedankengut

einen Nährboden hatte, der solche Entwicklungen zumindest begünstigte.

Meine Damen und Herren! Ich habe mich sehr intensiv mit den Ereignissen von vor 20 Jahren beschäftigt, und ich bin dankbar dafür, dass es Menschen gibt, die aus ihrer Verantwortung heraus die Ereignisse von damals aufgearbeitet haben. Dies gilt auch für die Medien. Zu nennen sind ausdrücklich die Lokalredaktion der „Mitteldeutschen Zeitung“ in Quedlinburg und der MDR, die dies vorbildhaft gemacht haben.

Wenn man dies tut, dann wird man feststellen, dass man seinerzeit noch nicht von „Nazis“ sprechen konnte. Diese sind in Quedlinburg erst später in Erscheinung getreten.

(Zuruf: Das stimmt!)

Hans Jaekel, der damalige Leiter des evangelischen Jugendzentrums, berichtete kürzlich bei einer Veranstaltung mit Zeitzeugen im Kulturzentrum Reichenstraße über die Ereignisse von 1992. Jaekel selbst hat später mit den jugendlichen Tätern gearbeitet. Er sagt - ich zitiere -:

„Das waren gedemütigte und vernachlässigte junge Menschen. Man kann auch sagen, es waren die ersten Verlierer der Wendezeit, die für sich keine Perspektive mehr sahen, die mit fremden Menschen, die äußerlich anders waren, konfrontiert worden sind.“

Und, meine Damen und Herren, deutlich geworden ist auch, dass wir es damals mit einer Polizei zu tun hatten, die selbst erst einmal die Umbrüche verkraften musste und auf eine solche Situation nicht vorbereitet war.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Deshalb ist es, glaube ich, sehr wichtig gewesen, dass es Menschen gegeben hat, die 1992 in Quedlinburg dem, was geschehen ist, entgegenwirken wollten. Ich bin froh darüber, dass die Ereignisse in Quedlinburg nicht nur aufgearbeitet werden, sondern dass bis in die heutige Zeit hinein ein runder Tisch „Bürger für Demokratie und Toleranz“ wirkt, der dafür sorgt, dass in einer Zivilgesellschaft auch Zivilcourage bewiesen wird. - Und dies immer wieder von Neuem. Wir sollten auf alle Frauen und Männer stolz sein, die dies in den letzten 20 Jahren in Quedlinburg und anderswo getan haben.

Ich schlage vor, Ihren Antrag, der in verschiedenen Fassetten viel weitergehender ist, in den Innenausschuss zu überweisen, sodass auch die einzelnen Aspekte, die für die Zukunft wichtig sind und bezüglich deren man gegebenenfalls Entscheidungen treffen muss, auch zum Beispiel die Frage, wie wir mit Sammelunterkünften weiter umgehen, beraten können.

Wir, die Sozialdemokraten, haben die klare Position, dass eine Integration dieser Menschen Vor

rang haben muss. Aber es ist wichtig, glaube ich, dass wir dafür auch die Voraussetzungen schaffen.

In diesem Sinne sollte sich der Innenausschuss damit beschäftigen. Ich bin froh, diese Dinge heute hier noch einmal gesagt zu haben; denn sie gehören zu der Historie von vor 20 Jahren einfach dazu. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Kollege Steppuhn. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Kollegin Tiedge.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Juni 2009, also vor mehr als drei Jahren, hatte meine Fraktion einen Antrag mit dem Titel „Verbesserung der länderübergreifenden Zusammenarbeit beim Kampf gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus“ in den Landtag eingebracht. Damals konnte wohl niemand von uns ahnen - vielleicht waren wir auch schon zu weitsichtig -, wie hoch aktuell und brisant leider gerade dieses Thema in den letzten Monaten werden sollte.

Ich sprach damals davon, dass angesichts der Ergebnisse rechtspopulistischer Parteien in Europa über ein europaweites Zusammenwirken aller demokratischen Parteien nachgedacht werden muss. Ich hob hervor, dass wir uns jedoch zunächst um eine Zusammenarbeit zwischen Sachsen-Anhalt und den benachbarten Bundesländern im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus bemühen sollten.

Was müssen wir heute konstatieren? - Nichts hat sich auf diesem Gebiet getan. Ganz im Gegenteil: Die Ereignisse in den letzten Wochen haben uns mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass die Sicherheitsbehörden, insbesondere die Verfassungsschutzämter der einzelnen Länder und des Bundes, auf das Jämmerlichste versagt haben.

Was wir an dieser Stelle tröpfchenweise fast täglich erfahren, macht nicht nur betroffen, sondern auch wütend. Wir sind fest davon überzeugt, dass dies nicht nur Unfähigkeit ist, sondern dass bewusst verschleiert wurde. Wir stellen uns die Frage: Warum?

Die Neonazis in diesem Land lachen sich ins Fäustchen, vernetzen sich und agieren bundesweit, während die Arbeit der zuständigen staatlichen Behörden an der Landesgrenze und nicht selten auch schon innerhalb des Landes endet.

Dabei klingt es im Nachhinein schon fast makaber, dass ich damals in der Einbringungsrede davon sprach, dass Polizei, Ordnungsbehörden und Ver

fassungsschutz der benachbarten Länder eng miteinander kooperieren und kommunizieren müssen.

Meine Damen und Herren! In aller Deutlichkeit machen uns diese Ereignisse und Erkenntnisse klar, dass sich auch 20 Jahre nach den rassistischen Übergriffen auf ein Asylbewerberheim in Quedlinburg sowohl im staatlichen als auch im gesamtbürgerschaftlichen Handeln nicht viel verändert hat.

Was wir jedoch auf jeden Fall positiv bewerten, ist die Tatsache, dass in vielen Kommunen bürgerschaftliche Bündnisse, Vereine, Verbände entstanden sind, die sich sehr aktiv gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus einsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

An dieser Stelle sei ihnen ausdrücklich für ihre Courage und ihren zivilen Einsatz gedankt.

Aber haben diese Bündnisse wirklich die breite Unterstützung der Bevölkerung? - Wir bezweifeln es. Was passiert, wenn eine Asylbewerberunterkunft neu entstehen soll? - Oft ein massiver Protest der Bevölkerung nach dem Motto: prinzipiell ja, aber nicht in unserem Ort.

Was ist, wenn ein Asylbewerber dezentral untergebracht werden soll? - Prinzipiell ja, aber nicht in unserem Haus.

Was ist, wenn Bürgerinnen und Bürger gegen NPD-Aufmärsche demonstrieren oder wenn Antikriegsaktivisten friedlich gegen Aufrüstung eintreten? - Schnell kommt der Vorwurf: Linke Chaoten verschwenden Steuergelder.

Täglich können Sie in diesem Land solche und ähnliche Verunglimpfungen lesen und hören. Wir sagen es in aller Deutlichkeit: Nicht die Demonstranten verschwenden Steuergelder, sondern der Staat, wenn er Millionen Euro dafür ausgibt, dass Menschen dafür ausgebildet werden, in Kriege zu ziehen,

(Beifall bei der LINKEN - Herr Borgwardt, CDU: Machen wir weiter bei dem Thema, oder was?)

dass ein Ort entsteht, der nur aus einem einzigen Grund gebaut werden soll, damit Soldaten darin ausgebildet werden, wie man Häuserkämpfe führt. Und Schnöggersburg sollte nicht Schnöggersburg, sondern Absurdistan heißen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von der CDU: Gott, o Gott!)

Wir sagen auch mit aller Deutlichkeit: Demokratie und Bürgerrechte dürfen nicht unter dem Deckmantel der Rechtsextremismusbekämpfung aufgegeben werden.

Meine Damen und Herren! Selbstverständlich erkennen auch wir an, dass insbesondere in den letzten Jahren ebenfalls in Sachsen-Anhalt einiges

unternommen wurde, um dem Neofaschismus die Stirn zu bieten. Hier ist vor allem das Landesprogramm für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit zu nennen. Doch dieses muss nun endlich mit Leben erfüllt werden.

Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus stellen zuallererst die Frage nach der Verfassung der Zivilgesellschaft. Sie haben letztendlich vor allem dort eine Chance, wo Zivilgesellschaft schwach ist. Lassen Sie uns deshalb alle gemeinsam für eine starke Zivilgesellschaft eintreten, damit die Ereignisse von Quedlinburg vor 20 Jahren sich niemals wiederholen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Tiedge. - Für die CDU spricht jetzt Herr Kolze. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe einige Freunde und Bekannte, die nicht in Deutschland geboren sind. Allesamt sind erfolgreich, stehen mit beiden Beinen im Berufsleben und sind integriert. Wenn diese heute hier auf der Besuchertribüne gesessen hätten und den Beitrag des Kollegen Striegel hätten erleben dürfen, dann wären sie wohl kopfschüttelnd und fassungslos aufgestanden und hätten die Besuchertribüne verlassen.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den schrecklichen Bildern in Rostock und Eisenhüttenstadt kam es im September 1992 in der schönen Harzstadt Quedlinburg zu mehrtägigen Ausschreitungen vor dem Asylbewerberheim in der Oeringer Straße. Auf dem traurigen Höhepunkt dieser Gewaltwelle wurde die Unterkunft mit Molotowcocktails und Pflastersteinen angegriffen.

Der Rechtsstaat hat in Sachsen-Anhalt an diesem Tag eben nicht kapituliert. Als sich 100 rechtsgerichtete und gewaltbereite Menschen, die zum Teil angereist waren, vor der Unterkunft versammelt haben, wurden 155 Beamte, ausgerüstet mit Schlagstöcken, Helmen und Schilden sowie mit 33 Fahrzeugen, aus ganz Sachsen-Anhalt zusammengezogen.

Als dann die ersten Brandsätze in eine Scheibe des Gebäudes geworfen worden sind und ein Zimmer in Brand setzten, reagierte die bis dahin deeskalierend handelnde Polizei unmittelbar und mit der notwendigen Härte. Straßen und Kreuzungen wurden geräumt. Als Widerstand hiergegen geleistet worden ist, wurden die ersten 20 Randalierer festgenommen und in das Polizeirevier verbracht.

Zahlreiche weitere Einsätze der Polizei konnten die Gewalttäter aus der Nähe der Asylunterkunft

drängen. Insgesamt wurden in der Nacht über 71 Randalierer in Gewahrsam genommen, und gegen sechs Festgenommene, darunter auch Rädelsführer, wurde Haftbefehl erlassen.

Trotz der damaligen personellen Engpässe und der fehlenden materiellen Ausstattung Anfang der 90er-Jahre konnte durch den schnellen und harten Einsatz der Polizei Schlimmeres verhindert werden. Zurückgeblieben sind jedoch seelische Wunden bei den Bewohnerinnen und Bewohnern.

An diesem Tag war der Rechtsstaat in SachsenAnhalt wehrhaft und hat die rechten Chaoten zurückgeschlagen. Versagt hat am Tag des Angriffs aber ein Teil der Zivilgesellschaft vor Ort. Da gleichen die Bilder denen aus Rostock-Lichtenhagen. Mit dem Aufruf „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!“ wurden die Gewalttäter von Schaulustigen beklatscht, geradezu aufgestachelt. Es wurde gejubelt, wenn ein Wurfgeschoss sein Ziel gefunden hatte. Viele Anwohner schauten einfach nur weg. Nur ein Teil der Bevölkerung - so auch anwesende Vertreter der Kommunal- und Landespolitik - haben sich diesem Mob in den Weg gestellt.