Protokoll der Sitzung vom 20.09.2012

(Frau Bull, DIE LINKE: Wikipedia!)

„Rassismus ist eine Ideologie, die ‚Rasse’ in der biologistischen Bedeutung als grundsätzlichen bestimmenden Faktor menschlicher Fähigkeiten und Eigenschaften deutet. Der Begriff Rassismus entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der kritischen Auseinandersetzung mit auf Rassentheorien basierenden politischen Konzepten.“

Ich frage Sie, wollen Sie der Gesetzgebung und der deutschen Rechtsprechung in der heutigen Zeit unterstellen, dass sie auf dieser Definition des Rassismus, in der Weise, wie Sie das Wort gebraucht haben, bestehen? Dann beantworten Sie das bitte deutlich mit Ja. Dann steht es im Protokoll.

Ich würde es auch gern meinen Kolleginnen und Kollegen Staatsanwälten und Richtern von damals sagen, dass sie aufgrund biologistischer Bedeutung Menschen beurteilen. Wir müssten dann die Gesetze danach bewerten. Wenn Sie das so meinen, dann müssen Sie dies sagen. Ansonsten verwenden Sie bitte andere Begriffe und spielen Sie bitte nicht mit dem Feuer.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Herr Kollege Stahlknecht, Gott sei Dank bin ich hier nicht auf dem Standesamt. Insofern bleibt mir nicht nur Ja oder Nein,

Ich wollte Sie ja nicht heiraten.

(Heiterkeit bei der CDU)

sondern ich darf das ein bisschen ausführen. Natürlich können wir miteinander in eine Debatte eintreten, was Rassismus ist. Ich könnte Ihnen ein bisschen mehr anbieten als einen Google-Treffer. Wir könnten miteinander über Critical-WhitenessTheorien reden. Wir könnten über die Frage reden, was strukturelle Hegemonien in Gesellschaften bedeuten. Das kann man alles machen, will ich aber gar nicht tun.

(Unruhe bei der CDU)

Beantworten Sie meine Frage.

Ich will nur darauf verweisen, dass Teile der Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich darauf abheben, welche Herkunft jemand hat. Diese Teile der Gesetzgebung und ausschließlich diese Teile meine ich, wenn ich sage, dass wir es mit einem gesellschaftlichen Rassismus zu tun haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Kollege Steppuhn würden Sie auch noch gern etwas fragen. - Bitte, Herr Steppuhn.

Sehr geehrter Herr Kollege Striegel, Sie haben den Oberbürgermeister Herrn Brecht aus Quedlinburg erwähnt, der gesagt hat, Erinnern und Gedenken müsse in den Köpfen stattfinden. Ich teile diese Auffassung und will sie bestärken.

Glauben Sie, dass Ihre Rede ein Beitrag dazu ist, dass wir in den Köpfen der Menschen genau das leisten, wenn Sie ständig Schuldzuweisungen an Verantwortliche von damals machen und dann auch noch sagen, wir hätten einen gesellschaftlichen Rassismus. Ich glaube, das trägt nicht dazu bei, dass wir das Ziel erreichen, das wir eigentlich gemeinsam erreichen wollen.

(Beifall bei der SPD - Herr Leimbach, CDU: Sein Ziel ist die Konfrontation!)

Herr Kollege Steppuhn, ich glaube nicht daran, dass Erinnerung etwas Monopolisierbares ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Streit und die Auseinandersetzung über die Erinnerung und über die Erinnerungskultur ein wichtiger Teil der Debatte in einer demokratischen Gesellschaft ist. Der Zustand der heutigen Gesellschaft lässt sich daran ablesen, wie sie mit ihrer Vergangenheit umgeht.

Ich finde es völlig legitim, dass Sie andere Deutungen haben als ich. Ich finde es aber nicht legitim, wenn Sie ausschließlich Ihre Deutung von Erinnerung verwenden und alle anderen Deutungen negieren wollen.

Deswegen sage ich Ihnen: Das Problem wegzudefinieren und zu sagen, in dieser Gesellschaft gibt es kein Problem mit Rassismus, bringt uns nicht weiter. Wir müssen darüber streiten, wie wir mit Rassismus in der Gesellschaft umgehen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Herr Leimbach, CDU: Das Ziel war Streit und sonst nichts!)

Die Debatte ist beendet. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist der Antrag gestellt worden, den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an den Innenausschuss zu überweisen. Wer stimmt dem zu? - Das sind große Teile des Hauses. Wer stimmt dagegen? - Das sind kleine Teile des Hauses. Wer enthält sich der Stimme? - Noch ein Teil des Hauses. Jetzt wird es etwas schwierig.

(Herr Lange, DIE LINKE: Stimmen Sie noch einmal ab!)

Wir müssen noch einmal abstimmen. Es nützt alles nichts. Ich bin davon ausgegangen, dass alle mit sich klar sind.

Noch einmal ganz langsam: Wir haben einen Antrag auf Überweisung an den Innenausschuss. Den Antrag hat Herr Kolze gestellt. Das habe ich richtig in Erinnerung?

(Herr Kolze, CDU: Ja!)

Haben Sie eben dagegen gestimmt?

(Heiterkeit bei der LINKEN - Herr Kolze, CDU: Nein!)

- Nein. Er hat nicht dagegen gestimmt. Ich nehme meine unqualifizierte Frage zurück.

Ich frage noch einmal, wer ist dafür, dass dieser Antrag an den Innenausschuss überwiesen wird. - Die Fraktionen der GRÜNEN und DIE LINKE und große Teile der Regierungsfraktionen. Wer ist dagegen? - Sechs Abgeordnete. Wer enthält sich der Stimme? - Sechs Abgeordnete. Damit ist der Antrag an den Ausschuss überwiesen worden und der Tagesordnungspunkt ist erledigt. Frau Dr. Paschke übernimmt die Sitzungsleitung.

Bevor ich den Tagesordnungspunkt 5 aufrufe, habe ich noch etwas anzusagen: Sie wissen, dass wir im Verzug sind. Dennoch müssen wir heute zumindest als letzten Tagesordnungspunkt noch den Tagesordnungspunkt 17 behandeln. Darin stimmen alle Fraktionen überein. Schließlich wollen wir Ministerin Frau Kolb ein Votum nach Berlin mitgeben. Deshalb werden wir nach den Tagesordnungspunkten 10 und 11 noch den Tagesordnungspunkt 17 behandeln und vielleicht auch noch den Tagesordnungspunkt 19, die Konsensliste.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 a auf:

Beratung

Persönliches Budget in der Eingliederungshilfe nach SGB XII

Große Anfrage Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/965

Antwort Landesregierung - Drs. 6/1136

Für die Aussprache zur Großen Anfrage ist die Redezeitstruktur D vorgesehen, also eine Redezeit von insgesamt 45 Minuten. Davon entfallen auf die CDU-Fraktion zwölf Minuten, auf die Fraktion GRÜNE vier Minuten, auf die SPD-Fraktion acht Minuten und auf die Fraktion DIE LINKE neun Minuten.

Gemäß § 43 erteile ich zunächst der Fragestellerin das Wort. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abgeordnete Frau Zoschke. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst mit dem Dank für die Beantwortung der Großen Anfrage beginnen.

Vorausgesetzt, dass der Begriff „persönliches Budget“ bekannt ist, möchte ich an dieser Stelle unterstreichen, dass seit dem Jahr 2008 Menschen mit Behinderungen einen Rechtsanspruch auf die Gewährung von Eingliederungshilfe auch in Form eines persönlichen Budgets haben.

Leider bestehen in der Praxis noch immer erhebliche Differenzen zwischen dem theoretischen Recht auf diese Leistungsform und ihrer Inanspruchnahme. Noch immer gibt es Probleme in der Beantragungs-, Bewilligungs- und Umsetzungspraxis, die Betroffene schildern. Sie werden unseres Erachtens teilweise ignoriert. Darauf wollen wir in der Debatte eingehen.

Wir haben Neuland in der deutschen Sozialpraxis betreten, das stimmt. Es sollte unser gemeinsamer Anspruch sein, diesen Paradigmenwechsel aktiv zugunsten der Menschen mit Behinderungen auszugestalten. In der praktischen Umsetzung erleben wir gegenwärtig allerdings eher ein Zurückfahren denn einen emanzipatorischen, auf ein Selbständigkeitstraining gerichteten und die Familien stärkenden Ansatz.

In den Vorbemerkungen zur Antwort der Landesregierung loben Sie, Herr Minister, den Arbeitshinweis 1/2008, der die Grundlage für die Vorgehensweise der herangezogenen Gebietskörperschaften bei der Gewährung persönlicher Budgets ist, als eine „bewährte Arbeitsgrundlage“. Gleichzeitig räumen Sie ein, dass er - ich zitiere - „wiederholt in einzelnen Punkten kritisch hinterfragt worden ist“.

Wir teilen diese Kritik ausdrücklich. Insbesondere die Ableitung der darin festgelegten Pauschalen für die Hilfegewährung nach Hilfebedarfsgruppen, die für stationäre Einrichtungen gebildet werden, gestalten die Umsetzung individuell bedarfsdeckender Budgets schwierig.

Die Höhe der Pauschalen leitet sich eben nicht aus dem konkreten Hilfebedarf der Leistungsberechtigten ab, sondern aus Kostensätzen stationärer Einrichtungen, die um Investitions- und Lebenshaltungskosten gemindert werden.

Seit geraumer Zeit ist ein neuer Arbeitshinweis angekündigt. In der Drucksache ist von einer aktuellen Fassung die Rede, die aber bisher noch nicht vorliegt. Wann ist denn nun mit der neuen Arbeitsgrundlage zu rechnen?

Auch die Antwort, dass Leistungsberechtigte bei Anträgen auf Hilfe bei der Wahrnehmung von Freizeitaktivitäten darauf verwiesen würden, dass sie in der Fördergruppe bzw. Werkstatt für behinderte Menschen bereits die entsprechende Sachleistung bekämen, zeitigt keinen Zuwachs an Lebensqualität durch mehr Selbstbestimmung. Wochenenden, Nachmittage, Treffen mit Freunden oder gar ein Kinobesuch sind für behinderte Menschen wohl nicht vorgesehen. Da passt etwas nicht zusammen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Einige Bemerkungen zum statistischen Teil. Aus Zeitgründen beschränke ich mich auf einiges Grundsätzliches. Erneut ist es nicht möglich, geschlechtergetrennte Zahlen zu bekommen, und das, obwohl es in diesem Land einmal einen Beschluss zur geschlechtergerechten Haushaltsführung gab und obwohl Gender-Mainstreaming im Jahr 2002 zur Politikstrategie erklärt worden ist. Es ist wohl doch zu lange her.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Eine verallgemeinernde Bewertung der Zahlen hinsichtlich der Tendenzen ist schwierig, weil die Dimensionen sehr klein sind. Dennoch kommen wir zu Annahmen, die stärker beachtet werden müssen. Einerseits zeigt sich, dass noch immer viel zu wenige Anspruchsberechtigte vom persönlichen Budget Gebrauch machen. Die Gründe dafür lassen sich an dieser Stelle nur vermuten. Sie umfassen wahrscheinlich das gesamte Spektrum von Unwissenheit über Bürokratiefrust bis hin zu allgemeinen Hemmschwellen.