Protokoll der Sitzung vom 21.09.2012

Herr Minister, Sie betreiben an dieser Stelle - das muss ich leider sagen - lebensrettende Sofortmaß

nahmen für eine überlebte Institution. Die Bevölkerung erwartet, dass Sie, statt neue Pläne zu entwickeln, für Aufklärung in den Akten und durch diese sorgen.

Der Verfassungsschutz ist mittelfristig abzuschaffen. Kurzfristig muss die parlamentarische Kontrolle dieser Behörde deutlich verstärkt werden. Hierzu entnehme ich den Ankündigungen des Ministers zumindest, dass er gegenüber der PKK zukünftig mehr und bessere Informationen sicherstellen will. Das ist überfällig, das ist gut, das begrüße ich, Herr Stahlknecht.

Als Mitglied der PKK und des Innenausschusses bin ich für das Mindeste, nämlich dafür, dass wir endlich zeitnah und vor allem umfassend informiert werden. Hierin liegen die Aufgaben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Als Nächster spricht für die Landesregierung der Minister des Innern.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für die von Ihnen beantragte Aktuelle Debatte, weil Sie mir damit Gelegenheit geben, ein paar grundsätzliche Ausführungen zu machen.

Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass wir diese Debatte auch deshalb führen müssen, weil über eine lange Zeit hinweg Menschen aus niederen und menschenverachtenden Beweggründen Menschen, die anderer Herkunft waren, umgebracht haben. Wir sollten uns diese Tatsache vergegenwärtigen, dass wir Derartiges - darüber haben wir gestern bei Ihrem Antrag zu Quedlinburg gesprochen - in unserer Gesellschaft, in einem Rechtsstaat, in dem die Würde des Menschen unangreifbar ist, nicht dulden dürfen.

Die Tatsache, dass das über eine längere Zeit in Deutschland möglich war, erfüllt uns mit Fassungslosigkeit, Zorn, Scham und auch Demut vor den Hinterbliebenen und Opfern. Das ist die Grundlage jedes weiteren Handelns. Unsere Aufgabe muss es sein - dafür stehe ich -, eine Aufklärung auch für die Zeit zu machen, in der weder Sie noch ich politische Verantwortung getragen haben, und diese Aufklärung ist professionell und schonungslos zu machen - aber ohne es zu skandalisieren, weil uns das die Demut vor den Opfern gebietet.

Meine Damen und Herren! Deshalb bitte ich Sie inständig, nicht der Versuchung zu erliegen, weil man Gutes will, Falsches zu machen oder Falsches zu sagen. Zu der Akte des MAD haben Sie, Herr Striegel, mich unvollständig zitiert. Ich habe

immer - das ist nachlesbar - gesagt: Wir haben derzeit keine Erkenntnisse von Verbindungen des NSU nach Sachsen-Anhalt.

Da ich lange genug in der Strafrechtspflege tätig war, weiß ich, dass Aufklärungsprozesse und Ermittlungsverfahren, die neue Erkenntnisse bringen, immer dynamisch sind. Das wollen wir doch gemeinsam. Wenn Sie jede neue Erkenntnis, die wir erlangen, zu dem eigentlichen Skandal machen, dann verlieren wir die Demut vor den Opfern.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Zur MAD-Akte. Ich lese das doch in den Medien, diesbezüglich auch mein Appell an die Medien in tiefer Demut vor dieser Institution: Im Jahr 1995, meine Damen und Herren, gab es keinen NSU. Es gab und gibt in diesem Verfassungsschutz keine eine Akte Mundlos, weil es mehrere Personen waren, die in Bad Frankenhausen als Soldaten rechtsradikale Lieder gesungen haben - was schlimm genug ist -, und zwei davon - das hatte ich ja vorher alles gelesen - kamen aus SachsenAnhalt.

Damit sind wir bei dem Problem. Diesbezüglich gebe ich Ihnen Recht: Durch die Abtrennung der anderen Namen, die in andere Bundesländer gingen, nämlich Mundlos nach Thüringen, blieben zwei Sachsen-Anhalter hier, die dann irgendwann aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen - zumindest einer - gelöscht wurden. Dann wurde diese im Jahr 1998 oder 1999, weil niemand den NSU kannte, niemand wusste, wer Mundlos war, ordnungsgemäß abgehängt.

Die Aktenführung im Verfassungsschutz war an dieser Stelle nicht fehlerhaft. Diesbezüglich stelle ich mich vor meine Abteilung. Das ist auch meine Pflicht. Sie wissen genau, dass im Untersuchungsausschuss in Berlin - und das ist gut so - die Erkenntnis der MAD-Akte kam und wir unverzüglich aufgrund der ordnungsgemäß geführten Registratur - auch das wurde teilweise falsch berichtet - die Akte finden konnten.

Wir werden es immer wieder erleben - dafür kann ich keine Garantie geben -, dass durch einen Untersuchungsausschuss, der Rechtsstaatliches macht, in irgendeinem Bundesland dieser Republik im laufenden Aufklärungsverfahren Akten auftauchen. Darüber müssen wir reden und es aufklären, aber wir dürfen nicht der Gefahr der Versuchung erliegen, uns gegenseitig zu treiben und zu skandalisieren.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe noch eine Bitte - das verorte ich auch in Berlin -: Ich bin gesetzlich gehalten, Dinge im Verfassungsschutz in der Öffentlichkeit für mich zu behalten. Wenn Indiskretionen - woher auch immer - durchsickern, bringen sie mich in eine missliche Lage, weil ich es gegenüber den Medien

nicht richtigstellen kann, es sei denn, ich würde Geheimnisverrat begehen. Bitte tun Sie mir den Gefallen - Sie haben es vielleicht bislang nicht getan; ich sage es ganz allgemein -, mich nicht in eine solche Lage zu bringen.

(Beifall bei der CDU)

Tun Sie uns den Gefallen - ganz allgemein -, selbst in dem Willen und Wollen - das auch ich habe -, Gutes zu tun, nicht der Versuchung zu erliegen, durch Fahrlässigkeiten - ich sage es einmal höflich - eine Gefährdung für Leib oder Leben von V-Leuten zu organisieren.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Ich nehme die Parlamentarische Kontrollkommission außerordentlich ernst. Ich schätze auch dort die Zusammenarbeit. Ich habe Vorstellungen, wie Abteilungen in meinem Haus zu führen sind, und habe in vielen Abteilungen Veränderungen herbeigeführt - auch in der Polizeiabteilung, in der seit meinem Amtsantritt ein anderer Geist, ein Geist der Transparenz herrscht.

Das habe ich auch in der Abteilung Verfassungsschutz vor. Wir haben diese Überlegungen - das kann ich Ihnen auch im Urkundsbeweis nachweisen - bereits im Frühjahr dieses Jahres gehabt.

Diese Frage, lieber Herr Kollege Striegel, ist kein Geheimnisverrat. Herr Limburg ist nicht wegen einer enttarnten Quelle zurückgetreten, sondern er hat einen Antrag auf Rente gestellt. Er ist aus Gründen zurückgetreten, die in der Kommunikationsstruktur zwischen ihm und mir lagen.

Aber Sie werden verstehen, dass ich mich weder in der PKK noch hier im Plenum zu meinen Personalentscheidungen und der Würde des Menschen Herrn Limburg in irgendeiner Weise äußern werde. Er war ein verdienstvoller Beamter.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Damit Sie aber sehen, dass wir in unserem Haus nicht nur reden und auch ich nicht nur rede, sondern wir auch handeln - wie ich es in anderen Fällen auch getan habe -, habe ich mit dem neuen Chef des Verfassungsschutzes, Herrn Hollmann, ein Achtpunkteprogramm entwickelt, das ich Ihnen jetzt vorstellen werde. Das werden wir gemeinsam begleiten, weil wir rechtsstaatlich in der Demut vor den Opfern gemeinsam den Willen und das Wollen haben müssen aufzuklären. Diesbezüglich bin ich ganz eng bei Ihnen, Herr Striegel.

Erstens. Wir werden eine Zusammenführung der Auswertung und Beschaffung machen. Bislang gab es eine Gruppe, die die Erkenntnisse beschaffte, und eine zweite Gruppe wertete aus. Das führt, meine Damen und Herren, zu Synergieverlusten, die am Ende zu solchen Imponderabilien führen, wie Sie sie hier geschildert haben.

Zweitens. Ich will mit Ihnen besprechen, ob wir ein gemeinsames Sicherheitszentrum von Verfassungsschutz und Polizei einrichten.

Aufgrund unserer historischen Vergangenheit, in der es eine Geheime Staatspolizei gab, haben wir das Trennungsgebot. Das wollen wir auch nicht verändern, aber die Kommunikation bezüglich der Erkenntnisse zwischen der Polizei einerseits und dem Verfassungsschutz andererseits muss optimiert werden.

Drittens. Wir werden die Internetpräsenz verstärken, weil der Geheimdienst nicht so geheim sein kann, dass draußen niemand weiß, was er macht.

Viertens. Wir werden die Öffentlichkeitsarbeit verstärken und Transparenz herstellen.

Fünftens. Es wird zum 1. Oktober 2012 eine Stabsstelle im Verfassungsschutz eingerichtet werden, die mit einem Juristen und einem hochqualifizierten Sachbearbeiter besetzt wird, der die Kommunikation zwischen der PKK, dem Bundestagsuntersuchungsausschuss, der Öffentlichkeit und dem Parlament im Rahmen des rechtlich Möglichen organisieren wird.

Sechstens. Es wird eine Rundum-Erreichbarkeit des Verfassungsschutzes geben, insbesondere für das von uns vorgelegte und überarbeitete Aussteigerprogramm im Bereich Rechtsextremismus, das wir gemeinsam besprechen werden.

Siebentens. Wir werden die IT-Abteilung stärken, weil insbesondere im Internet und in den Social Networks erkennbar ist, welche Umtriebe Rechtsextremisten haben. Das brauchen wir, um das gemeinsam verfolgen zu können.

Achtens. Wir werden zu einer Konferenz der Sicherheitskooperation - das werden wir als unser Bundesland tun, und zwar zügig - einladen, an der die Länder Brandenburg, Sachsen und Thüringen teilnehmen sollen, weil die Tatsache, dass die Verfassungsschutzämter in den Ländern nicht miteinander gesprochen haben - jedenfalls nicht genügend -, dazu geführt hat, dass solche Dinge, möglicherweise aufgrund fehlender Kommunikation, entstanden sind.

Meine Damen und Herren! Dieses Thema ist wichtig. Es ist auch wichtig, in der Außenwahrnehmung der Welt, weil wir es unseren europäischen Nachbarn, den Opfern und den Hinterbliebenen schuldig sind, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um das aufzuklären, was war, und um zu verhindern, dass sich wiederholt, was geschehen ist. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Danke schön, Herr Minister. - Als Nächster spricht in der Debatte für die Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Erben.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Striegel, Sie haben so geredet, wie ich mir das im Vorfeld gedacht habe; folglich kann ich Ihnen auch den Rat geben, den ich mir im Vorhinein notiert habe.

In den letzten Wochen war nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Sicherheitsbehörden in unserem Land, in anderen Bundesländern, im Bund selbst von vermeintlichen oder tatsächlichen Pannen bei Polizei oder Verfassungsschutz die Rede. Meine Erfahrung bei diesen Fragen reicht auch schon etwas länger zurück.

Ich will das anhand eines Bildes veranschaulichen. Meist sind solche Fragen sehr komplex. Ich will das mit einem Puzzle vergleichen, das aus 100 Teilen besteht und von dem wir nicht wissen, was auf dem Bild zu sehen ist. Das, was auf dem Bild wirklich zu sehen ist, weiß man meist erst dann, wenn 80 oder 90 Teile richtig zusammengesetzt worden sind. Manchmal ist sogar das einhundertste Teil das Entscheidende.

(Minister Herr Stahlknecht: So ist es!)

Wenn Sie drei Teile aneinandergereiht haben, dann sind Sie euphorisch und brüllen: Skandal!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Ich werde mich heute nicht an dem Wettbewerb derer beteiligen, die schon immer alles gewusst oder geahnt haben und die natürlich auch mit Bestimmtheit wissen, was alles zu tun ist.

Einfache Schuldzuweisungen an diesen oder jenen auch politisch Verantwortlichen für das Nichtentdecken der NSU sind nun einmal zu einfach. Sie kommen meist von Leuten, die davon ausgehen, man hätte zu jedem Zeitpunkt in der Vergangenheit den Wissensstand von heute gehabt, aber den hatten wir nun einmal nicht. Es ist eine Illusion, eben das zu glauben.

Kein Innenminister in Bund und Ländern, kein Innenpolitiker irgendeiner politischen Partei hatte in den letzten anderthalb Jahrzehnten in Deutschland rechten Terror dieses Ausmaßes auf dem Schirm. Als jemand, der seit dem Jahr 2006 selbst Verantwortung für die Sicherheit in diesem Lande trug, beziehe ich mich dabei ausdrücklich mit ein.

Richtig ist, dass wir sagen, dass die Arbeit der Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex aufgearbeitet werden muss. Wichtig ist auch, dass jetzt alles auf den Tisch kommt; denn nur so können Fehler und Schwachstellen benannt und die richtigen Schlüsse gezogen werden. Wir sind dazu aufgerufen - das ist vor allem als Gesetzgeber unsere Aufgabe -, erkannte Missstände dann auch zügig zu beseitigen.