Protokoll der Sitzung vom 18.10.2012

(Herr Borgwardt, CDU: Genau!)

Denn Sachsen-Anhalt liegt hinsichtlich der geschätzten Zahl der Neuinfektionen erheblich unter dem Bundesdurchschnitt. Ich glaube, dadurch relativiert sich wenigstens etwas die Zahl, die man hat, wenn man die Förderung auf das Pro-Kopf-Verhältnis umrechnet. Aber wichtig ist, dass die Arbeit, die dort geleistet wird, wirklich unsere Anerkennung und Wertschätzung verdient.

Trotz der genannten Fortschritte im Bereich der gesellschaftlichen Akzeptanz kommt es aber immer noch zu Diskriminierungen. Wenn man sich mit Menschen unterhält, die in diesen Beziehungen leben, merkt man auch, wie schmerzhaft das sein kann. Man spürt auch nicht selbst, wie das die Partnerschaft, in der jemand lebt, dann auch beeinflusst.

Es gibt auch Ausgrenzung und Gewalt gegen diese Personengruppe. Ich glaube, das ist in einer aufgeklärten und toleranten Gesellschaft, in der wir leben und die wir sein wollen, nicht hinnehmbar.

Um Toleranz und Akzeptanz für lesbische, schwule, bisexuelle, transgender und intersexuelle Lebensweisen zu erhöhen, ist es notwendig - damit haben Sie völlig Recht -, dass in der Bildungs- und Erziehungsarbeit entsprechende Schwerpunkte gesetzt werden. Diesbezüglich müssen wir mehr tun. Diesbezüglich müssen wir - das sage ich auch ganz offen - eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Sozialministerium und Kultusministerium erreichen. Das betrifft auch die Abstimmung über den Einsatz von Fördermitteln für Initiativen und Beratungsangebote in diesem Bereich.

Abschließend ist zu betonen: Die Integration aller Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, muss Ziel einer toleranten Gesellschaft sein. Verbände und Vereine sind aufgerufen, sich vorbehaltlos diesen Menschen zu öffnen - sie gehören selbstverständlich dazu -, damit sie sich dort outen können. Das betrifft Sport- und Kulturvereine, Jugend- und Freizeitklubs, die Freiwillige Feuerwehr, Heimatvereine und viele andere. Ich denke, dazu haben wir alle unseren Beitrag zu leisten. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Den Wunsch, Fragen zu stellen oder zu Interventionen habe ich nicht vernommen. Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Borgwardt. Bitte schön, Herr Kollege Borgwardt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

- Sie freuen sich doch, sehr geehrte Frau Bull, oder?

(Frau Bull, DIE LINKE: Nee, im Gegenteil!)

Ohne die Rede des Ministers gekannt zu haben - ich habe sehr deutlich hingehört -, muss ich sagen, uns eint durchaus sehr viel. Deswegen ist es vielleicht nicht ganz so verwunderlich, dass ich am Anfang gern das Gemeinsame betonen möchte, das uns in diesem Haus offensichtlich eint.

Auf der Grundlage der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes - AGG - setzen sich die Landesregierung und alle Fraktionen dieses Hohen Hauses dafür ein, die Gleichberechtigung von Menschen verschiedener sexueller Identität und Orientierung zu garantieren, Diskriminierungen ab

zubauen und die gesellschaftliche Akzeptanz zu fördern.

Liebe Kollegen! Uns eint alle das Ziel, dass die Menschen in unserem Land ganz nach ihrer Fasson selbstbestimmt leben sollen und dabei auch verschieden sein können. Keine Partei oder Fraktion hat heute beispielsweise ein Monopol auf homopolitische Anliegen, meine Damen und Herren.

Das grundrechtlich verbürgte allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die persönliche Lebenssphäre und damit auch die sexuelle Identität, die Geschlechteridentität und die sexuelle Orientierung. Wir alle stehen für gelebte Toleranz und verurteilen Diskriminierung jeder Art.

Es ist von staatlicher Seite unsere Pflicht, dass das verfassungsrechtlich garantierte Recht gegenüber allen Menschen gewahrt wird. Unser Maßstab bindet alle öffentliche Gewalt und wirkt weit darüber hinaus in wichtige Teile unserer privaten Ordnung hinein. Denn vor Diskriminierungen schützen uns nicht nur das Grundgesetz und die Landesverfassung, sondern auch unser einfaches Gesetzesrecht, das Arbeitsrecht, das Beamtenrecht und das Sozialrecht ebenso wie Gesetze auf weiteren Rechtsgebieten. Diese gesetzlichen Schutzmechanismen sind wirksam.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen nicht weit zurückzudenken, um festzustellen, dass gerade in Deutschland Dinge geschehen sind, die wir aus heutiger Sicht gern ungeschehen machen möchten. Ich möchte an dieser Stelle, auch weil es hierher passt, auf die Leistung dieses Hohen Hauses in der letzten Sitzung des Landtages verweisen.

Alle Fraktionen haben mit ihrer Zustimmung zu der Beschlussempfehlung der Koalitionsfraktionen die Landesregierung gebeten, sich einer Initiative im Bundesrat zur Ergreifung von Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten anzuschließen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei den GRÜNEN - Zuruf von Herrn Lange, DIE LIN- KE)

- Sie können mich nachher gern fragen, sehr geehrter - -

Unser Grundanliegen hierbei war und ist es, dass eine formelle Aufhebung der entsprechenden Strafurteile sowie eine daraus resultierende Entschädigung nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ernsthaft zu prüfen sind. Ich habe damals in meinem Redebeitrag klar hervorgehoben, dass die Rehabilitation von Menschen, die nur deshalb vorbestraft sind, weil sie homosexuell sind, heute keiner gesellschaftlichen Debatte mehr bedarf.

Unsere Mindesterwartung war und ist es, dass wir durch eine bundesweit einheitliche Verfahrensweise Wege finden müssen, im Sinne der Garantie des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit die Ehre der Betroffenen wiederherzustellen. Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland hat in einer Pressemitteilung das Votum des Bundesrates hierüber ausdrücklich begrüßt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein wichtiger Punkt der Beantwortung der Großen Anfrage durch die Landesregierung ist die zentrale Frage, dass die Emanzipation und die Akzeptanz der Menschen mit verschiedener sexueller Identität und Orientierung nicht allein Aufgabe staatlicher Gewalt ist. Nein, es ist vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Ich persönlich gehe sogar noch ein wenig weiter: Akzeptanz und Emanzipation bemessen sich hauptsächlich am Umgang der Gesellschaft mit diesen Menschen.

In einer toleranten Gesellschaft muss jeder leben und lieben können, wie er es will. Sachsen-Anhalt ist ein weltoffenes und tolerantes Bundesland. Sachsen-Anhalt lebt diese freie Gesellschaft aktiv.

Gesellschaftliche Akzeptanz lässt sich aber nicht verordnen. Dies ist, glaube ich, in der Beantwortung der Großen Anfrage hinreichend dargestellt worden. Wir sind aber immer der Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass sich in unserem Land keine homophobe und transphobe Mentalität herausbildet. Diesbezüglich teile ich ausdrücklich Ihre Meinung, Frau Lüddemann.

Das Mahnmal in Berlin für die im Nationalsozialismus verfolgten und getöteten Homosexuellen wurde mehrfach geschändet. Derartige Handlungen bedrohen unsere offene Gesellschaft. Diesbezüglich müssen wir alle enorm wachsam sein. Es wird aber immer Menschen geben, die unsere Maßstäbe nicht teilen und die zum Beispiel ein moralisches Problem mit Homosexualität haben. Dem entgegenzuwirken, daran arbeiten wir.

Das zeigt uns nicht zuletzt die Antwort auf die Große Anfrage. Schulen klären Schülerinnen und Schüler immer über die Freiheit der sexuellen Orientierung und Identität auf, um homophobem und transphobem Gedankengut einen Riegel vorzuschieben.

Wir begrüßen in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Kooperation der Landeszentrale für politische Bildung mit dem Beratungszentrum lebensart e. V. zur sexuellen Orientierung, Vielfalt von Lebensmodellen und gegen Diskriminierung in den Schulen. Unsere Polizei ist hinreichend für homophobe Gewalttaten sensibilisiert.

(Frau von Angern, DIE LINKE, sagt etwas zu den neben ihr sitzenden Abgeordneten)

- Am Ende, Frau von Angern.

(Zuruf von Frau von Angern, DIE LINKE - Heiterkeit bei der LINKEN)

- Entschuldigung. - Die GRÜNEN wollen gemäß ihrer Fragestellung, dass Straftaten gegen Nichtheterosexuelle statistisch erfasst werden. Das lehnen wir ab, da eine Datenerhebung zur sexuellen Identität - der Minister ist vorhin darauf kurz eingegangen - für strafprozessuale Zwecke in der Regel keine Rolle spielt.

Unser Ziel ist es vielmehr, dass die Polizei immer auch eine Beratungs- und Anlaufstelle für unsere Bürgerinnen und Bürger ist. Das ist sie aufgrund der direkten Ansprechpartner zum Beispiel für Homosexuelle bei der Polizei vor Ort. In diesem Zusammenhang verweise ich auch auf die telefonische Notfallbetreuung für Opfer homophober oder transphober Gewalt, die sich nach unserer Meinung bewährt hat.

Zum dichten Beratungsnetz nur so viel: Die Beratungsangebote im Land sind vorbildlich, transparent und werden trotz aller Sparzwänge finanziell ausreichend gefördert. Zahlreiche Projekte und Initiativen werden gefördert. Beratungsstellen, Projekte und Initiativen leisten eine hervorragende Arbeit; meine Vorredner gingen darauf schon ein. Dies hat uns auch die Beantwortung der Großen Anfrage wieder vor Augen geführt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Begrifflichkeiten in der Großen Anfrage - der Minister ging am Anfang auch darauf ein - benutze ich eigentlich nur sehr ungern. Das möchte ich an dieser Stelle auch sagen; denn es gibt meiner Auffassung nach keine pauschalen Schemata für sexuelle Identität oder Orientierung. Es muss immer der Einzelne in seiner Persönlichkeit und mit seinen Besonderheiten betrachtet werden. Jedes Individuum hat unterschiedliche Lebenslagen und Bedürfnisse. Ziel unserer Politik muss es sein, diesen Bedürfnissen über die Enttabuisierung bei der Setzung politischer Rahmenbedingungen gerecht zu werden.

Beispiel Intersexualität. In Deutschland kommen, wenn die statistischen Zahlen, die mir zugearbeitet worden sind, zutreffen, pro Jahr etwa 120 Menschen zur Welt, die in kein Geschlechterschema passen. Viele Jahre lang wurden Menschen ohne gesundheitliche Relevanz nach einem vermeintlichen ästhetischen Ideal bereits im Kindesalter operiert.

Das lange vorherrschende Denken, dass nur die Festlegung auf ein Geschlecht, und zwar die sehr frühe Festlegung, die Lösung für die weitere Entwicklung ist, ist zum Glück längst überholt. In der Fachwelt hat hierzu ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Hingegen ist in der breiten Öffentlichkeit hierüber noch nicht genügend aufgeklärt worden.

Es fehlt an Sensibilität, zum Teil sogar beim Fachpersonal im Gesundheitswesen.

Homosexualität ist in vielen Bereichen unserer Gesellschaft angekommen. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist hoch. Bei Intersexualität besteht in weiten Teilen der Bevölkerung ein erhebliches Wissensdefizit. Wer ist der beste Ansprechpartner für die Eltern? Trägt unser Personenstandsrecht intersexuellen Menschen genügend Rechnung?

In die Beantwortung dieser komplexen Fragen und in die Suche nach zielführenden Verbesserungen ist auch der Deutsche Ethikrat einbezogen worden. Wir müssen aber auch hierbei zur Kenntnis nehmen, dass diese Anliegen vordergründig auf der Bundesebene verfolgt werden müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir abschließend noch ein paar Worte zum Agieren hier im parlamentarischen Raum. Ein großer Teil des in der Anfrage ersuchten Datenmaterials liegt der Landesregierung nicht vor. Darauf ging der Minister schon ein.

Ich würde es auch als höchst bedenklich empfinden - meine Fraktion ebenfalls -, wenn in unserem Bundesland Menschen danach erfasst und katalogisiert würden, ob sie heterosexuell, homosexuell, bisexuell, transgender oder intersexuell sind. Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage, und das ist nach unserer Meinung auch gut so.

Ich hätte schlichtweg Angst, um es deutlich zu sagen, wenn all das erfasst werden sollte, was Sie in Ihrer Großen Anfrage wissen möchten. Jeder hat auch das Recht, seine sexuelle Orientierung zu verschweigen.

Exemplarisch hierzu zum Beispiel unter Abschnitt II Ihre Frage Nr. 6. An der Stelle wird von Ihnen tatsächlich gefragt, wie viele alleinstehende Erziehungsberechtigte es in Sachsen-Anhalt gibt, die lesbisch, schwul, bisexuell, transgender oder intersexuell sind. Das geht nach unserer Auffassung niemanden etwas an, die grüne Fraktion nicht und auch das gesamte Hohe Haus nicht.

(Zustimmung bei der CDU)

Bei Abschnitt V wird mit der Frage Nr. 2 weitestgehend verlangt, dass erfolgreiche Suizide statistisch danach erfasst werden, ob der Suizident lesbisch, schwul, bisexuell, transgender oder intersexuell ist. Das wollen Sie - - Schauen Sie bitte in Ihrem Fragenkatalog nach, weil Sie so ungläubig blicken!

(Zuruf von Frau Lüddemann, GRÜNE)

Die Landesregierung hat das immer ziemlich sachlich beantwortet.