Wir müssen uns in unserer Wirtschaftspolitik perspektivisch ganz klar darauf beziehen, diese Strukturen nicht mehr weiter zu fördern. Aber selbst wenn die von Ver.di an S Direkt gerichtete Forderung umgesetzt wird, existiert diese Konkurrenzsituation nicht und die Arbeitsplätze sind deswegen nicht gefährdet, jedenfalls nicht wegen der Lohnforderung von Ver.di, liebe Kolleginnen und Kollegen.
- Die Frage können Sie hinterher stellen. - Was also wollen wir? - Ja, wir wollen ausdrücklich eine Solidaritätsbekundung. Wir wollen eine Solidaritätsbekundung mit klarem Inhalt. Ich kenne den Alternativantrag der Koalition - immerhin. Er hat einen großen Fehler; denn er trifft keine Aussage dazu, was existenzsichernde Einkommen sind.
Die Geschäftsführung der S Direkt sagt: Dieser Streik ist völlig überflüssig; die Mitarbeiter haben bei uns viel bessere Einkommen als in anderen Callcentern. Worüber regen sie sich eigentlich auf? - Die 8,50 € werden sie irgendwann in zwei Jahren auch bekommen. Das ist eine hervorragende Arbeit; das ist eine ordentliche Entlohnung. Dort ist doch alles völlig in Ordnung.
Dazu sagen wir: Wer wirklich für existenzsichernde Arbeitseinkommen ist, der muss irgendwann einmal eine Höhe nennen, liebe Kolleginnen und Kollegen, der kann sich so nicht durchmogeln.
Ein letzter Punkt betrifft die Grünen. Ja, werte Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, auch wir haben darüber nachgedacht. Die Alternative zu einer Solidaritätsbekundung - ich glaube, sie wird nötig werden - ist ein Mindestlohngesetz nach dem Vorbild Bremens.
Dort hat es die rot-grüne Koalition geschafft, ein Mindestlohngesetz einzubringen, das garantiert, dass alle Arbeiten in öffentlichen Unternehmen und in allen von der öffentlichen Hand beauftragten Unternehmen mit einem Stundenlohn von mindestens 8,50 € zu vergüten sind. Es gibt einen Grund dafür, dass wir diesen Antrag nicht gestellt haben: Unser Vertrauen in die Landesregierung, ein solches Gesetz vorzulegen, liebe Kollegen von den GRÜNEN, geht gegen null. - Danke.
Danke schön für die Einbringung, Herr Kollege Gallert. - Für die Landesregierung spricht nunmehr Herr Minister Bischoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seitens der Landesregierung möchte ich zu dem Antrag lediglich einige Bemerkungen machen. Der Landtag hat sich in puncto Mindestlohn bereits festgelegt: Er unterstützt die Thüringer Initiative zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns bzw. einer gesetzlichen Lohnuntergrenze.
Dies ist von der Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und dem Wirtschaftsminister Matthias Machnig vorgeschlagen worden. Diese Initiative befindet sich im Bundesratsverfahren. Dabei sollen sowohl die Tarifautonomie gewahrt als auch verbindliche Übergangsregelungen geschaffen werden. Das begrüßen wir ausdrücklich, auch als Landesregierung. Das ist die Linie des Landtages, die mehrheitlich beschlossen wurde. - Das war die erste Vorbemerkung.
Die zweite Vorbemerkung. Die SPD, also meine Partei, und ich persönlich - das darf ich an dieser Stelle sagen - fordern einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 €.
Wir akzeptieren außerdem die Rolle der Tarifparteien bei der Aushandlung von Arbeitsbedingungen und Arbeitsentgelten, auch in der Tarifauseinandersetzung zwischen dem Finanzdienstleister S Direkt in Halle und Ver.di. Daher sehen wir wenig Spielraum für ein Eingreifen des Landtages in diese Tarifauseinandersetzung. Dies ist tatsächlich ein Aushandlungsprozess zwischen der Gewerkschaft, den Streikenden und dem Unternehmen selbst.
Gleichwohl teile ich die Sorge, die auch in diesem Antrag formuliert ist, dass der Niedriglohnsektor die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Sachsen-Anhalt in wachsendem Maße gefährdet.
Auch aus der Befragung des DGB-Index „Gute Arbeit“ wissen wir, dass sich in Sachsen-Anhalt ein ausgedehnter Niedriglohnsektor etabliert hat. In
diesem Index ist unter anderem zu lesen - ich war anwesend, als dieser öffentlich vorgestellt worden ist -, dass 40 % der Beschäftigten in Sachsen-Anhalt weniger als 1 500 € verdienen und dass selbst der Verdienst von 35 % der Vollzeitbeschäftigten so gering ist.
Die Niedriglohnproblematik in Sachsen-Anhalt ist daher auch nicht allein ein Problem der stärker kleinbetrieblich strukturierten Wirtschaft - das wird immer wieder gesagt -, sondern es ist offenbar auch ein Resultat der geringen Tarifbindung, die der über viele Jahre hinweg schlechten Arbeitsmarktlage in Sachsen-Anhalt geschuldet ist.
Infolge dessen kommen viele Beschäftigte mit ihrem Einkommen gerade so über die Runden. Bei einigen - das sagte ich bereits - reicht es noch nicht einmal, um über die Einkommensgrenze der Grundsicherung hinauszukommen. Dies betrifft ca. 40 000 Menschen im Land - das entspricht einem Anteil von 5 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Sachsen-Anhalt -, die sogenannten Aufstocker.
Das war einer der wesentlichen Gründe dafür, dass Menschen aus dem Land wegziehen. Wenn wir sie zurückholen wollen, dann benötigen wir eine gute Arbeitsmarktlage und Arbeitsplätze, die sicher sind und die gut bezahlt sind.
Gleichwohl geht es hierbei - diesbezüglich gebe ich Ihnen Recht - nicht nur um angemessene Löhne, sondern es geht auch um gute Arbeitsbedingungen. Auch diese Diskussion haben wir im Landtag schon geführt. Sie betrifft mich als Gesundheitsminister. Wenn eine Zunahme von psychischen Erkrankungen, von Ausgebranntsein oder auch Depressionen zu verzeichnen ist, werde ich aufgefordert, mehr Psychotherapeuten ins Land zu holen, damit die Leute wieder fit für den Arbeitsplatz gemacht werden. Wichtiger ist, die Ursachen dafür zu suchen. Die Ursachen liegen zum überwiegenden Teil darin, dass die Arbeitsbedingungen nicht so gut sind.
Ich unterstütze ausdrücklich den Alternativantrag der regierungstragenden Fraktionen, der zum Ausdruck bringt, dass prekäre Arbeitsbedingungen nicht nur den unmittelbar Betroffenen schaden, sondern auch eine Gefahr für den sozialen Frieden und den Wirtschaftstandort Sachsen-Anhalt sind.
Ich unterstütze ausdrücklich auch die Auffassung, dass Unternehmen, die sich in öffentlicher Hand befinden, ein Vorbild sein sollten. Ich appelliere an die Tarifpartner, in diesem konkreten Fall an S Direkt, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.
Ich war vor einigen Wochen vor Ort. Ich habe Respekt vor denen, die dort so lange - das war, glaube ich, einer der längsten Streiks - durchgehalten und nicht aufgegeben haben. Es scheint aber am Ende der Strecke Bewegung hineingekommen zu sein.
Ich halte es auch für richtig, die Sparkassen, die bisher einen guten Ruf im Land haben und deren Gewährträger die Kreise und Städte sind, aufzufordern, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und auf die Unternehmen, die für sie arbeiten, Einfluss zu nehmen, um zu erreichen, dass ein Stundenlohn in Höhe von 8,50 € und in Zukunft in Höhe von 9 € das Mindeste ist, was man den Beschäftigten zugute kommen lassen sollte. - Danke schön.
Herr Minister, darf ich Ihre Ausführungen mit Blick auf die Tarifautonomie und auf die Wichtigkeit der Tarifpartner als implizite Kritik auch an Ihrem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel verstehen, der in Halle bei S Direkt vor Ort war und der davon gesprochen hat, dass es sich um einen Skandal handele, dass man für 8,50 € auch noch streiken müsse? Oder war das nur ein wahlkampftechnisches Pflasterverkleben von Ihrem Parteivorsitzenden?
Ich sage jetzt einmal meine persönliche Meinung. Wir fordern einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 €. Auch ich bin der Meinung, dass man für 8,50 € nicht auf die Straße gehen müssen sollte. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die schnell das Wort Skandal in den Mund nehmen, aber ich finde es, ehrlich gesagt, beschämend.
Als wir über die Höhe der Rente diskutiert haben, haben wir gesagt, eine auskömmliche Rente müsste einen Stundenlohn von 11,20 € voraussetzen. In dieser Spanne sollte es sich bewegen. Aber wir wären schon froh darüber, wenn wir 8,50 € verbindlich regeln könnten.
Herr Bischoff, Sie haben sich explizit auf den Alternativantrag bezogen. Ich frage jetzt einfach ein
mal nach: Gibt es gegenüber dem Antrag, den DIE LINKE eingebracht hat und auf den sich der Alternativantrag bezieht, Ihrerseits irgendeinen inhaltlichen Einwand außer koalitionspolitische Rücksichtnahme?
Es ist doch offensichtlich, dass wir in einer Koalition unterschiedliche Standpunkte haben und uns zusammenraufen müssen.
Es gab einen Kompromiss, den wir hier im Landtag beschlossen haben. Dass die SPD oft weitergehende Forderungen hat, ist völlig klar. Von daher sage ich: Das ist auch ein Stück weit das Ergebnis dieser Koalition, von der ich sage, dass sie gut zusammenarbeitet.
Danke schön, Herr Minister. - Wir fahren fort. Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Es beginnt für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Rotter.
Bevor er beginnt, können wir noch Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schulen Zeitz als Gäste des Bildungswerks Sachsen der Deutschen Gesellschaft Leipzig begrüßen. Herzlich willkommen!
Wir begrüßen außerdem noch Schülerinnen und Schüler der Clausewitz-Sekundarschule in Burg. Herzlich willkommen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Überschrift des Antrags der Fraktion DIE LINKE „Keine Löhne unter 8,50 € in Unternehmen mit öffentlicher Trägerschaft“ liest, dann könnte man meinen: Das kommt mir doch irgendwie bekannt vor. Stichwort Mindestlohn.
(Zustimmung bei der LINKEN - Herr Gallert, DIE LINKE: Ja! - Herr Wagner, DIE LINKE: Jetzt haben Sie es endlich mitbekommen! - Weitere Zurufe von der LINKEN)