Protokoll der Sitzung vom 15.11.2012

In Sachsen-Anhalt sind Fälle, in denen Menschen über zehn Jahre mit ungeklärtem Status in Gemeinschaftsunterbringungen leben, keine Seltenheit. Über zehn Jahre! Dabei gelten schon wenige Monate in der Gemeinschaftsunterbringung als persönlichkeitsverändernd.

Unsere Anfrage hat ergeben, dass Langzeitaufenthalte über fünf Jahre - nur danach hatten wir gefragt - leider durchaus die Regel sind; die Spitzen liegen bei über zehn Jahren. Das ist aus der Praxis bekannt. So sind in Wittenberg 77 Menschen, darunter acht Familien, seit über fünf Jahren in der Gemeinschaftsunterbringung verwahrt. In Stendal sind es 66 Menschen, darunter sieben Familien, im Jerichower Land 36 Menschen mit vier Familien usw. Das sind, wie gesagt, nur die Aufenthalte von über fünf Jahren durchgängig in der GU. Einzige Ausnahmen auch hierbei wiederum Dessau-Roßlau, in diesem Fall auch noch die Stadt Halle.

Die Zahlen zeigen, dass das Ziel der Landesregierung, Familien und Alleinerziehende mit Kindern vorrangig dezentral unterzubringen, von den Kommunen und Betreibern nicht ausreichend umgesetzt wird. Dabei ist das Ziel, das der Innenminister vor kurzem bekräftig hat, überhaupt nicht neu. Laut Antwort auf unsere Anfrage hat das Ministerium des Innern bereits im Jahr 2008 die Landkreise und die kreisfreien Städte gebeten, Familien und Alleinstehende - so ist der Ausdruck dort - mit Kindern nach Möglichkeit in Wohnungen unterzubringen. Wir fragen uns, was seitdem geschehen ist.

Was die Große Anfrage auch aussagt, ist, dass es im Gegenteil seit dieser ersten Anweisung von 2008 eher eine negative Tendenz mit Blick auf Unterbringung in Wohnungen gab. Von 14 Kreisen und kreisfreien Städten, nach früherer Zählweise, haben im Jahr 2011 acht Kreise mehr Prozent an Menschen in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht als im Jahr 2008. Bei nur drei Kreisen geht der Trend in die entgegengesetzte, in die richtige Richtung. Bei dem Rest, der noch übrig bleibt, hat sich nicht viel verändert.

Angesichts dieser miserablen Entwicklung fragen wir die Landesregierung, was sie zu tun gedenkt, damit die Städte und Gemeinden endlich umsetzen, was gefordert wird. Die alleinige Wiederholung bereits getätigter Beschlüsse reicht ganz sicher nicht mehr aus. Vielmehr bedarf es der Schaffung von Anreizen für die Wohnungsunterbringung und auch eine wesentlich strengere Kontrolle, ob dieses umgesetzt wird.

Meine Damen und Herren! Wenn Menschen über längere Zeiträume in die äußeren Umstände einer Unterbringung auf engstem Raum gezwungen werden, kommt es zwangsläufig zu psychosozialen Belastungen, häufig auch zu Verhaltensauffälligkeiten und Aggressionen - das ist in jeder Gemeinschaftsunterbringung zu beobachten -, und überdurchschnittlich viele Bewohnerinnen und Bewohner leiden unter psychischen Schäden. Erhebungen von Psychologen und Psychiatern zeigen, dass es mehr Anfragen von Bewohnern von Gemeinschaftsunterkünften als von der übrigen Bevölkerung gibt.

In dieser Situation wäre es notwendig, dass man zumindest die grundlegendsten Betreuungs- und Beratungstätigkeiten vor Ort erledigen kann. Das Land zahlt neben den Kosten für das andere Personal auch für genau diese Aufgaben an alle Betreiber die Gehälter für durchschnittlich 2,5 Sozialarbeiter.

Das Problem besteht aber darin, dass die von den Betreibern eingestellten Personen in den seltensten Fällen über eine entsprechende Ausbildung verfügen. Ich habe diese Thematik erst in die Große Anfrage aufgenommen, als mir eine dieser sogenannten Sozialarbeiterinnen berichtete, dass sie eigentlich Konditorin sei und von der Tätigkeit, für die sie eingestellt wurde, im Grunde keine Ahnung habe.

Meine Damen und Herren! Die Antworten auf unsere Große Anfrage haben ergeben, dass hinsichtlich der beruflichen Qualifikationen geradezu eine Täuschung vorliegt. Aber das Land bezahlt jeden Monat die Gehälter.

Die Antworten auf unsere Große Anfrage zeigen auch, dass wir vom Ziel einer flächendeckenden dezentralen Unterbringung in Sachsen-Anhalt noch weit entfernt sind. Zahlreiche Berichte aus den Gemeinschaftsunterkünften legen darüber hinaus

nahe, dass wir klarere Kriterien benötigen, welche Mindeststandards für eine menschenwürdige Unterbringung gelten müssen.

Ein Heim-TÜV müsste her; so nennen das die Sachsen. Hier könnte man nach sächsischem Vorbild zumindest so lange Abhilfe schaffen, wie es noch Gemeinschaftsunterkünfte in Sachsen-Anhalt gibt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Frau Quade, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Schlussendlich erhärten sich durch die Antworten der Landesregierung auf die Große Anfrage drei grundsätzliche Forderungen, die wir Grüne mit Bezug auf die Unterbringung schnellstens umgesetzt wissen möchten.

Erstens. Die Landesregierung muss das Ziel einer dezentralen Unterbringung in Wohnungen auf alle Flüchtlinge und Migranten ausweiten, unabhängig von deren Familien- oder Aufenthaltsstatus.

(Zustimmung von Herrn Erdmenger, GRÜ- NE)

Zweitens. Die Landesregierung muss sich dafür einsetzen, dass es nicht zu einer Unterbringung von Migranten und Flüchtlingen kommt, die als Geschäftsmodell ausgenutzt wird. Eine menschenwürdige Unterbringung und nicht Profit muss die Messlatte bei der Unterbringung von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen sein.

Die Kommunen und Betreiber müssen nachweisen, dass sie die finanziellen Zuweisungen des Landes auch wirklich in voller Höhe für die Unterbringung und nicht für andere Aufgaben einsetzen; auch dafür gibt es Hinweise. Außerdem ist ein Nachweis der fachlichen Qualifizierung des eingesetzten Personals erforderlich.

Drittens. Wir brauchen kontrollierbare Standards für die Betreiber von Unterkünften. Sie müssen ihre Sachkunde nachweisen und dass sie als Träger einer solchen Einrichtung überhaupt qualifiziert sind. Für die Einhaltung menschenwürdiger Lebensbedingungen müssen klare Standards her, die einer strengeren Kontrolle unterliegen.

Meine Damen und Herren! Das ist das Zahlenmaterial, das sind die Fakten, die unsere Große Anfrage ans Tageslicht gebracht hat - so kann man das vielleicht nicht sagen - bzw. die wir kompakt zusammengetragen haben. Ich denke, die Antworten der Landesregierung sprechen für sich.

Ich bin erfreut, dass wir heute noch einen Antrag zu diesem Themengebiet auf der Tagesordnung haben. In diesem Zusammenhang werden dann sicherlich noch andere Aspekte des Asylrechts beleuchtet. Hierbei ging es primär um die Unterbringung. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Herbst. Es gibt eine Frage von Herrn Gallert.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Jetzt ist er schon gegangen!)

- Sie verzichten auf Ihre Frage? - Dann darf ich ganz herzlich Damen und Herren der Katholischen Erwachsenenbildung Magdeburg und Damen und Herren des Stadtseniorenrates Stendal begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Unser Innenminister ist auch Minister für Sport. Deswegen steht er schon sportlich am Rednerpult und bekommt jetzt auch das Wort erteilt. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Herbst! Wir haben seit der letzten Landtagsitzung - das finde ich gut -, wenn Sie den Antrag unter dem heute noch zu behandelnden Tagesordnungspunkt 7 hinzurechnen, dreimal die Gelegenheit, vertieft über dieses Thema zu sprechen.

Neulich hatte ich die Gelegenheit, dieses Thema vertieft zu besprechen. Bei dieser Veranstaltung waren auch Kolleginnen und Kollegen aus diesem Hohen Haus vertreten. Darüber hinaus war auch Frau Möbbeck aus dem Ministerium für Arbeit und Soziales dabei.

Die Große Anfrage von Ihnen hat verschiedene Fassetten aufgezeigt und deutlich gemacht, wo es zumindest eine Schnittmenge gibt, bei der ich mit Ihnen darin übereinstimme, dass wir manches nicht zulassen können. Wir können nicht akzeptieren - Sie haben die Zahl genannt -, dass Menschen zehn Jahre lang in einer solchen Unterkunft leben.

Wir können auch nicht akzeptieren - das habe ich neulich schon an dieser Stelle gesagt und ich werde es zu Tagesordnungspunkt 7 noch einmal sagen -, dass wir Menschen dezentral am Rande einer Stadt unterbringen. Denn die Grundvoraussetzung für eine vernünftige Integration ist es eben, dass diejenigen, die bei uns integriert werden sollen und die hoffentlich integriert werden wollen, auch räumlich gesehen in der Mitte der Gesellschaft leben. Darin stimmen wir völlig überein.

Ich stimme auch mit Ihnen überein, wenn Sie sagen, Familien und Alleinerziehende mit jeweils mindestens einem minderjährigen Kind sollten nach der Beendigung der Wohnverpflichtung so früh wie möglich dezentral oder, wenn wir es höflicher formulieren, in Wohnungen untergebracht werden.

Ich bin auch der Auffassung, dass Ausländerinnen und Ausländer in Gemeinschaftsunterkünften nach vier Jahren - es gibt noch Diskussionen darüber, ob es vier oder drei oder zwei Jahre sein sollten - auch in Wohnungen untergebracht werden sollen und müssen.

Ich teile nicht Ihre Auffassung, dass jeder von Anfang an dezentral unterzubringen ist. Auch das habe ich damals erläutert. Ich kenne Ihre Gegenargumente. Wir brauchen am Anfang eine Möglichkeit der zentralen Unterbringung derjenigen, die bei uns Asyl haben wollen, um in einer Organisationsform mit den Menschen vor Ort über das kommunizieren können, was sie für eine Zukunft in Deutschland brauchen. Es ist am Anfang besser, wenn das für eine Organisation gebündelt geschieht.

Ich kenne Ihre Gegenargumentation. Ich habe gelesen - ich weiß nicht, ob es von Ihnen stammt -, dass gesagt worden sei, man könne auch jeden einzeln in der Wohnung besuchen und Sozialarbeiter dafür einstellen. Nun muss man fairerweise auch einmal etwas zu den Kosten sagen. Sie gehen so darüber hinweg und sagen, Geld dürfe keine Rolle spielen.

(Herr Herbst, GRÜNE: Ich habe gesagt, es ist günstiger in Wohnungen!)

- Vielleicht habe ich Sie dann auch überhöht verstanden. - Ich möchte nur auf Folgendes hinweisen: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz ist für die Landkreise mit Mehrkosten in Höhe von 3,4 Millionen € verbunden, die im Übrigen nicht über das FAG abgedeckt sind. Das muss ich als der für die Kommunen zuständige Minister auch einmal sagen.

Die Landkreise müssen diese 3,4 Millionen € im Augenblick selber stemmen, ohne dass sie dafür Zuweisungen erhalten. Wenn wir dann noch zusätzlich Wohnungen fordern, kostet das auch Geld. Nun gibt es den alten Grundsatz im BGB: Geld hat man zu haben. Das klingt immer gut. Aber wir müssen in diesem Zusammenhang auch über das Geld reden.

Ich sage nicht, dass unsere Auffassungen dazu auseinander gehen. Ich hebe nur den Finger, weil ich auch die Interessen unserer Kommunen, für die ich Verantwortung trage, an dieser Stelle mit ins Feld führen muss.

Wir haben jedenfalls - das haben Sie angesprochen - neue Leitlinien erarbeitet bzw. wir sind dabei, diese auf den Weg zu bringen. Sie befinden sich im Anhörungsverfahren. Ich werde selbstverständlich - das kommt nachher bei dem Änderungsantrag noch zur Sprache - den Innenausschuss davon in Kenntnis setzen, was wir in der Abstimmung mit den anderen Häusern, beispiels

weise mit dem Ministerium für Arbeit und Soziales, am Ende vorsehen.

Wir werden auch dafür Sorge tragen, dass das, was wir in den Leitlinien wollen, am Ende umgesetzt wird. Ich schaffe nicht gemeinsam mit anderen Ressorts Leitlinien für die Galerie. Das gibt es mit mir als Minister nicht.

Wir reden über die Dinge, suchen nach den besten Lösungen und irgendwann machen wir den Sack zu und dann wird exekutiert. Sonst brauche ich kein Haus zu führen. Sie brauchen auch keine Ratschläge zu geben und keine gut gemeinten Vorschläge zu unterbreiten, wenn diese am Ende nur für die Galerie sind. Wir werden das gemeinsam umsetzen.

(Zustimmung bei der CDU)

Das ist für mich das alles Entscheidende. Ich appelliere auch an die Vernunft der Landkreise, die es durchaus gibt.

Es geht auch nicht, dass in Unterkünften hygienische Umstände herrschen, die in der Tat menschenunwürdig sind. Das geht nicht und das darf es zukünftig nicht geben. Das sind wir unserem eigenen Selbstverständnis von Menschlichkeit schuldig. Deshalb führen wir regelmäßige Kontrollen und gelegentlich auch anlassbezogene Kontrollen durch.

Ich weiß um Schwachstellen, die es in den Jahren vorher bei der Unterbringung in Heimen gegeben hat. Das darf aber nicht der Maßstab sein, sondern das muss sich ändern. Insofern haben wir Schnittmengen bei der uns tragenden Säule der Humanität und der humanitären Auffassung. Wir sind diesbezüglich sehr nahe beieinander. Aber in der Größenordnung, wie Sie es sich wünschen, alle von Anfang an dezentral unterzubringen, wird es nicht gehen.

Gestatten Sie mir, ein wenig Essig in den Wein zu kippen. Viele von denen, die über Jahre bei uns in Deutschland leben, leben hier, obwohl festgestellt wurde, dass kein Asylgrund vorlag. Diese Menschen haben gerichtlich ein Duldungsverfahren erzwungen und werden über Jahre hinweg in Deutschland geduldet, obwohl eigentlich der vom Grundgesetz vorgesehene Asylgrund für Deutschland nicht vorliegt.

Das ist eine rechtsstaatliche Ausformung; aber es sind Menschen, die in einem Rechtsstaat ihr Bleiberecht, die Duldung mithilfe von Rechtsmitteln erzwungen haben. Wir kommen nach sieben oder acht Jahren - das ist eine weitergehende Sache - in die Situation, dass diese Ausländer, bei denen damals kein Asylgrund vorlag, inzwischen sehr gut integriert sind, perfekt Deutsch sprechen und möglicherweise sogar einen Berufsabschluss haben oder eine Lehre begonnen haben, aber nicht ein

gebürgert werden können, weil wir Stichtagsregelungen haben.

In vielen Fällen, in denen diese Menschen hier länger leben, liegt es an der Tatsache, dass wir es uns im Rechtsstaat - vielleicht auch Gott sei Dank - gegenseitig erlauben, dass diese Menschen bei uns geduldet werden, obwohl der vom Grundgesetz vorgesehene Asylgrund nicht vorliegt. Auch das gehört gelegentlich zur Wahrheit. Bitte werfen Sie mir das nicht als Diskriminierung vor.