In vielen Fällen, in denen diese Menschen hier länger leben, liegt es an der Tatsache, dass wir es uns im Rechtsstaat - vielleicht auch Gott sei Dank - gegenseitig erlauben, dass diese Menschen bei uns geduldet werden, obwohl der vom Grundgesetz vorgesehene Asylgrund nicht vorliegt. Auch das gehört gelegentlich zur Wahrheit. Bitte werfen Sie mir das nicht als Diskriminierung vor.
Meine Damen und Herren! Ich denke, wir haben die Große Anfrage beantwortet. Wir haben gesagt, was gut ist; wir haben den Blick auch auf Bereiche gerichtet, wo es nicht so gut gelaufen ist. Auch das braucht man im Leben, damit man besser werden kann. - Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Menschen flüchten aus den unterschiedlichsten Gründen aus ihren Heimatländern. Diejenigen, die nach Deutschland flüchten, um hier einen Asylantrag zu stellen, werden, wie wir wissen, auf die Bundesländer verteilt.
In Sachsen-Anhalt kommen sie zunächst nach Halberstadt in die zentrale Erstaufnahmestelle unseres Landes. Dort wird in der Regionalstelle des BAMF ihr Asylantrag bearbeitet. Nach ca. sechs bis acht Wochen endet die Erstaufnahme.
Familien werden dann auf die Landkreise bzw. auf die kreisfreien Städte verteilt. Das Land empfiehlt, wie Herr Herbst schon festgestellt hat, seit Längerem, sie gleich dezentral in Wohnungen unterzubringen. Die Alleinreisenden bleiben bis zum Abschluss des Asylverfahrens, jedoch maximal ein Jahr, in der ZASt, wenn sie nicht in ihre Heimatländer zurückgehen.
Dann kommen sie in die Kommunen. Dort, so wissen wir, ist die Unterbringungssituation sehr unterschiedlich. Auch die Antwort auf die Große Anfrage macht dies deutlich.
Während die Stadt Dessau, wie schon erwähnt, seit dem Jahr 2005 Familien und seit dem Jahr 2010 generell alle Flüchtlinge und Migranten dezentral in Wohnungen unterbringt und damit nicht nur landesweit, sondern auch bundesweit eine Vorreiterrolle einnimmt, werden in allen anderen kreisfreien Städten und Landkreisen Flüchtlinge und Migranten auch noch in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht.
Die Anteile derer, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, und derer, die in Wohnungen untergebracht sind, sind im Land sehr unterschiedlich. Man könnte zwar optimistisch gestimmt sein, wenn man sich die Gesamtzahlen von 2006 bis 2011 anschaut. Im Jahr 2011 waren insgesamt 50,8 % der aufenthaltsberechtigten Ausländer in Wohnungen untergebracht und 49,2 % in Gemeinschaftsunterkünften.
Doch schaut man sich die Zahlen genauer an, wird deutlich, dass sich die positive Bilanz daraus ergibt, dass wir im Land vier große Leuchttürme haben, nämlich Dessau mit einer Wohnungsunterbringung von 100 %, den Landkreis Mansfeld-Südharz und die Stadt Halle mit weit mehr als 80 % und den Altmarkkreis mit mehr als 50 %. Schlusslicht - das muss auch erwähnt werden - ist der Landkreis Jerichower Land mit 6,5 %.
In großen Teilen dieses Landes sind noch immer zu viele Menschen in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Lassen Sie mich speziell auf die Familien eingehen, die wir im Land haben.
Auch wenn man feststellen kann, dass im Verlauf der letzten fünf Jahre immer mehr Familien in Wohnungen untergebracht wurden, zeigt uns die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage, dass im Jahr 2011 noch 161 Familien - das betrifft 326 Kinder - in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht gewesen sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind 161 Familien zu viel.
Noch unerträglicher ist es zu wissen, dass 26 Familien schon seit mehr als fünf Jahren in Gemeinschaftsunterkünften wohnen. Hierbei muss man auch auf die Bereiche Wittenberg und Stendal, in denen allein 15 dieser 26 Familien leben, zeigen und den Leuten in diesen Landkreisen sagen: So geht es nicht, hier muss unbedingt etwas getan werden!
Es ist für uns in der SPD-Fraktion nicht verantwortbar, dass Familien nach den psychischen und physischen Belastungen einer Flucht für längere Zeit in einem Umfeld untergebracht werden, welches zusätzlich - das ist auch bekannt - zu psychosomatischen Belastungen führen kann.
Außerdem kenne ich persönlich keine Gemeinschaftsunterkunft, die man als kinderfreundlich bezeichnen kann; Herr Herbst hat dies schon festgestellt. Für Kinder ist dies kein geeigneter Ort zum Aufwachsen. Kinder brauchen Platz, um sich entfalten zu können; den bieten Gemeinschaftsunterkünfte nicht.
Dort haben sie oft nicht einmal ein Spielzimmer oder ein Zimmer, in dem sie ihre Hausaufgaben machen können.
Vor diesem Hintergrund ist das Innenministerium in Bezug auf seinen Entwurf für die Leitlinien der Unterbringung von Asylbewerbern zu unterstützen, der eine Unterbringung von Familien oder Alleinerziehenden mit Kindern in Wohnungen empfiehlt, wobei auch für uns als SPD-Fraktion - der Minister ist gerade nicht anwesend, schade - eine stärkere Verbindlichkeit wünschenswert wäre. Wie Herr Herbst festgestellt hat, müssten Anreize geschaffen werden, damit die Kommunen diesen Weg auch gehen.
Aber: Es liegt auch an uns Abgeordneten, in den Landkreisen, aus denen wir kommen, sowohl bei den Verwaltungen als auch in den Kreistagsfraktionen dafür zu werben, dass diese Leitlinien umgesetzt werden. Es ist dabei auch gut zu wissen, dass sich die Liga der Freien Wohlfahrtspflege selbst für die dezentrale Wohnungsunterbringung ausspricht und einsetzen will. Man kann nur hoffe, dass sie dies auch umsetzt und von den Kreisen auch entsprechende Aufträge erhält.
Zur Qualität der Gemeinschaftsunterkünfte. Wenn sich die Landesregierung auf verfassungsrechtliche Grundsätze wie die menschenwürdige Unterbringung und die Verhinderung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen als Qualitätsmerkmal für Gemeinschaftsunterkünfte zurückzieht, gleichzeitig jedoch als Einschränkung sagt, die Kommunen hätten einen Spielraum, dann ist zu hinterfragen: Wie sieht es denn in den Gemeinschaftsunterkünften tatsächlich aus?
Man hat Anspruch auf 6 m² Wohnfläche, wohnt mit Menschen zusammen, die man eigentlich nicht kennt. Man hat keine Privatsphäre. Oft ist der Raum, in dem man wohnt, nicht einmal abschließbar. Wo bleiben hierbei die Verfassungsgrundsätze wie der von der Gleichheit der Menschen?
Schauen wir einmal in die Heimmindestbauverordnung: Dort sind 12 m² Wohnfläche pro Person festgeschrieben. Nach dem SGB II stehen einer Person 10 bzw. 15 m² zu. Warum setzen wir hierfür andere Maßstäbe an?
In den meisten Einrichtungen sind, wie schon erwähnt, mehr als 100 Personen untergebracht. Das ist viel zu viel. Einrichtungen mit maximal 50 Personen sähe ich als hinnehmbar an.
Es gibt Gemeinschaftsunterkünfte in Kreisstädten, aber auch solche in isolierter Lage, im Wald. Es gibt frisch renovierte, aber auch marode Wohngebäude sowie abrissreife Kasernen. Es gibt Kommunen, in denen eine langjährige Unterbringung in Heimen vermieden wird. Es gibt aber auch Einzelfälle, in denen, wie schon erwähnt, Menschen mehr als zehn oder fünfzehn Jahre in Gemeinschaftsunterkünften verbringen mussten.
Wenn man also Einrichtungen weit ab vom Schuss anlegt, wo nicht einmal die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gesichert ist, begeht man einen
integrationspolitischen Kardinalfehler; denn der Abbau von Ängsten und Vorurteilen - damit greife ich der morgendliche Debatte vor - sowie der Kontakt und die Teilhabe sind für die Integration wichtig.
Wenn wir wirklich eine Integration der Asylbewerber anstreben, dann müssen wir es ihnen ermöglichen, innerhalb von Wohngebieten zu leben und am gesellschaftlichen und sozialen Leben teilzuhaben. Wir müssen ihnen Bildungsangebote offerieren, vor allem aber auch Sprachangebote; denn die Sprache ist ein Schlüssel zur Integration. Nur so haben sie später Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt.
Des Weiteren brauchen wir, wenn es weiterhin Gemeinschaftsunterkünfte geben soll, unbedingt Mitwirkungsmöglichkeiten. Ich finde es sehr löblich, dass die Landesbeauftragte für Integration - und bedanke mich dafür bei ihr - gestern in Bernburg zusammen mit dem Landesnetzwerk und der Freiwilligenagentur ein Pilotprojekt in der GU Bernburg zur Stärkung der Partizipation und des Engagements der Flüchtlinge gestartet hat. 14 Bewohner wirken dort im Heimbeirat mit.
Der Fokus liegt darauf, dass die Flüchtlinge angehört werden und mitentscheiden können, wie lange zum Beispiel die Küche genutzt werden darf, wo der Schlüssel für den Klubraum aufbewahrt wird. Das sind zwar kleinere Dinge des alltäglichen Lebens, aber die Flüchtlinge haben damit endlich ein Mitspracherecht.
Da meine Redezeit dem Ende zu geht, werde ich noch kurz etwas zum Personal sagen und dann das Fazit ziehen.
Zum Personal. Wie Kollege Herbst schon ausgeführt hat, hat jeder Betreiber auf dem Papier im Durchschnitt 2,5 Sozialarbeiter; die betreffenden Personen verfügen aber häufig gar nicht über eine entsprechende Ausbildung. Es ist sträflich, dass es hierfür keine einheitlichen Standards gibt.
In Mecklenburg-Vorpommern gibt es eine verbindliche Richtlinie, die vorschreibt, dass das Personal bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss. Es muss etwa über Fremdsprachenkenntnisse, über Kenntnisse und praktische Erfahrungen im Ausländer-, Asylbewerber-, Leistungs-, Sozialhilfe- und Verwaltungsrecht, über fundierte pädagogische und psychologische Kenntnisse verfügen und sich außerdem in Flüchtlingsfragen auskennen. Das Personal muss Wissen haben bezüglich der Herkunftsländer, der Religionen, der gesellschaftlichen Gegebenheiten, aus denen die Flüchtlinge kommen.
Aber auch berufliche Qualifikationen sind dort vorgeschrieben. Es müssen Sozialarbeiter und Sozialpädagogen oder Personen mit einem vergleichbaren Abschluss sein. Sie müssen Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit mitbringen. Auf jeden Fall
müssen sie, wenn sie solche nicht haben, langjährig in dem Bereich gearbeitet und Teilqualifikationen in Psychologie, Pädagogik und rechtlichen Bereichen haben.
Das Fazit unserer Fraktion ist: Familien und Alleinerziehende müssen dezentral, in Wohnungen untergebracht werden. Sie dürfen nicht mehr in Gemeinschaftsunterkünften bleiben. Gemeinschaftsunterkünfte eignen sich nicht für einen längeren Aufenthalt. Der in den Leitlinien vorgesehene Zeitraum von vier Jahren ist viel zu lang.
Wir brauchen einheitliche Standards, um eine Vergleichbarkeit zu erhalten. Diesbezüglich empfehlen auch wir den Heim-TÜV, wie es ihn in Sachsen gibt. Dieser enthält zehn Punkte, die abgearbeitet werden und miteinander vergleichbar sind. Der Vergleich wird veröffentlicht - und kein Landkreis möchte Schlusslicht sein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Möbbeck! Die Unterbringungssituation von Flüchtlingen und Asylsuchenden hat - so zumindest mein Eindruck; das, was Herr Herbst einführte, bestätigt das - außer den Betroffenen selbst lange Zeit in der Tat nur wenige Menschen interessiert.
Außerhalb der sogenannten Fachöffentlichkeit von Flüchtlingsräten, engagierten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der psychosozialen und psychologischen Beratungsprojekte, Traumazentren etc., Flüchtlings- und Migrantenorganisationen waren die konkreten Lebensbedingungen von Menschen, die in der Bundesrepublik Asyl und Zuflucht suchen, kaum präsent, obwohl diese Fachöffentlichkeit - ich bleibe einmal bei diesem Begriff - sehr intensiv auf existierende und entstehende Probleme aufmerksam zu machen versuchte.
Mit Blick auf uns Politikerinnen und Politiker sage ich auch: Man findet in allen Parlamenten, von den Kommunen über die Landtage bis hin zum Bundestag, und über alle Parteigrenzen hinweg Politikerinnen und Politiker, die nicht wissen, wie und wo Asylsuchende in ihrem Ort, in ihrer Stadt oder in ihrem Wahlkreis leben.
Ein Stück weit hat sich die Lage in der letzten Zeit allerdings geändert. Das Bundesverfassungsgericht hat das geltende Asylbewerberleistungsgesetz als verfassungswidrig eingeschätzt und unmissverständlich festgestellt, dass es nicht zwei unterschiedliche Existenzminima für deutsche Staatsbürger und für Asylsuchende geben kann.
Es gibt Initiativen der Bundesländer im Bundesrat, beispielsweise zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Im September 2012 startete ein Protestmarsch von Flüchtlingen aus Würzburg durch das gesamte Bundesgebiet nach Berlin, um auf die Situation von Flüchtlingen und Asylsuchenden aufmerksam zu machen und ihre Rechte einzufordern. Das Innenministerium unseres Landes plant die Definition von Mindeststandards für die Unterbringung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern per Erlass.
Kurz: Die Lebensbedingungen und gerade auch die Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland sind mit ganz unterschiedlichen Zugängen ein Thema in der gesellschaftlichen Debatte geworden, und es ist geboten, sich auch in SachsenAnhalt mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Ich bin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deswegen außerordentlich dankbar für die heute zur Debatte stehende Große Anfrage zur Unterbringung.
Wenn wir uns die Antworten anschauen - es ist schon einiges zu den Details gesagt worden -, dann lässt sich im Wesentlichen zusammenfassen, dass in den Augen der Landesregierung allein die Landkreise und kreisfreien Städte für die Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen verantwortlich sind; diese haben einen gewissen Ermessensspielraum, dessen Nutzung oder Nichtnutzung allein in ihrer Verantwortung liegt. Ansonsten ist das ausschließlich durch die Bundesgesetzgebung bestimmt.