Henriette Quade
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Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Es ist Tatsache, dass es ein Berichterstattungsverlangen gibt, und die bisherigen Redebeiträge machen deutlich, dass wir ein Problem haben.
Wieder hatten Oppositionsfraktionen skandalöserweise einen Antrag gestellt, wieder ist das skandalöserweise nicht im Sinne der Koalitionsfraktionen. Es ist absurd, dass es im politischen Betrieb vorkommen soll, dass politische Auseinandersetzungen erfolgen sollen.
Nun haben Sie - wie immer - den Antrag in die Ausschüsse überwiesen, möglichst viele, weil ja der Beratungsbedarf so unglaublich groß ist und weil die Auseinandersetzung damit so intensiv passieren soll.
Kein Mensch hat etwas gegen eine intensive Beratung. Kein Mensch hat etwas gegen eine intensive Auseinandersetzung mit den Anträgen. Wie gesagt, kein Mensch, kein Kollege der Oppositionsfraktion ist ernsthaft überrascht, dass Sie andere Auffassungen zu den Themen und unseren Anträgen haben, zumal das den Bereich der Zuwanderungspolitik betrifft. Das ist doch gar nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass Sie sich der Auseinandersetzung verweigern.
Das haben Sie auch mit diesem Antrag getan. Das macht der Umgang mit diesem Antrag deutlich.
Die Ausschüsse wären der Ort, an dem die Dinge von unterschiedlichen Seiten beleuchtet und Argumente gegenübergestellt werden sollen und an dem am Ende eine Beschlussempfehlung erarbeitet werden soll.
Um noch einmal klar zu sagen, worum es in dem Antrag geht: Herr Herbst sagte, es ist eine der drängendsten Fragen der Zeit, und es kann nicht sein, dass deswegen eine Beschlussfassung nicht stattfindet. Ja, aber dennoch muss man sagen: Für einen Antrag hier im Landtag ist das ein relativ übersichtlicher Antrag. Dabei ging es zum einen darum, eine Haltung zum Ausdruck zu bringen, und zum anderen darum, eine Bundesratsinitiative, die zugegebenermaßen komplex ist, zu unterstützen oder nicht. Dazu muss man sich irgendwie verhalten.
Nun muss man sagen: Es gab im Ausschuss für Arbeit und Soziales eine intensive Befassung. Es gab das Fachgespräch im Zusammenhang mit mehreren anderen Anträgen zur Zuwanderung.
Das ist auch gut so. Es gab hochinteressante Stellungnahmen und Einlassungen. Auch ich als Nichtmitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales habe mir selbstverständlich von meinen Kolleginnen und Kollegen erzählen lassen, was dort passiert ist, und mir die Protokolle angeschaut.
Allerdings fehlt sowohl im Sozialausschuss als auch im Innenausschuss eine Einlassung der Koalitionsfraktionen dazu, warum Sie diesen Antrag offenbar nicht beschließen wollen.
Das ist eine Verweigerungshaltung gegenüber einer ernsthaften parlamentarischen Befassung. Das ist eben nicht die politische Auseinandersetzung, die eine parlamentarische Demokratie erfordert. Das ist kein Einzelfall. Das ist eine Verfahrensweise, die durchweg gängig ist. Sie scheint Ihnen ein besonders beliebtes, weil politische Festlegungen ersparendes Verfahren.
Ich kann durchaus verstehen, dass man das als eine Koalition manchmal machen muss, weil es nicht einfach ist, weil man nicht einig wird, weil beiden Fraktionen Gesichtsverlust droht.
Aber die Häufigkeit, in der Sie sich genau dieses Hebels bedienen, Anträge zu überweisen, weil Sie angeblichen immensen Beratungsbedarf sehen, und dann sämtliche Behandlungen darin bestehen zu lassen, dass der Punkt zwar aufgerufen wird, die Koalitionsfraktionen jedoch vorbringen, dass sie keine Beschlussempfehlung vorlegen wollen, und auch nicht sagen können, wann das der Fall sein wird, und inhaltlich schlichtweg nichts sagen, ist nicht hinnehmbar.
Sie nehmen uns nicht ernst. Damit muss man als Oppositionsfraktion wahrscheinlich ein Stück weit leben. Sie nehmen aber auch sich selbst nicht ernst. Das ist ein ernsteres Problem für die Demokratie.
Denn auch das ist eine Form von Politikferne. Schon deshalb wünsche ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, dass Sie in der nächsten Legislaturperiode einmal die Rolle der Opposition innehaben werden.
Herr Kollege Erben, wenn es darum geht, die Prognosen und die Konzepte der Landesregierung zu hinterfragen, haben Sie mich immer an Ihrer Seite, insbesondere im Bereich der Flüchtlingspolitik.
Mich wundert es allerdings, dass Sie so entschieden sagen, dass die Plätze künftig nicht mehr erforderlich seien. In den letzten Wochen sind die Prognosen ins Unermessliche hochgeschrieben worden. Jede Woche ist der Eindruck vermittelt worden, dass nichts mehr geht - dieser Eindruck sollte vermittelt werden; das ist zumindest meine These. Nun sind Sie sich sicher, dass die Plätze nicht mehr erforderlich sind.
Im Oktober bzw. im November 2015 hat der Innenminister angekündigt, dass entsprechend der geltenden Asylgesetzgebung des Bundes diejenigen aus sicheren Herkunftsstaaten, die bereits im Land und auf die Landkreise verteilt sind, künftig, sobald Platz ist, in die Erstaufnahmeeinrichtungen zurücküberstellt werden sollen, um von dort aus abgeschoben zu werden. Inwiefern haben Sie das denn bei Ihrer Rechnung berücksichtigt?
Außerdem finde ich es bemerkenswert, dass ein Mitglied einer regierungstragenden Fraktion feststellt, dass die Zahl der Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten für die Gesamtzahl der Asylsuchenden im Land irrelevant sei. Das erzählen wir Ihnen seit Monaten. Ihr Innenminister wird nicht müde zu betonen, dass die Zahl der Abschiebungen verdoppelt oder gar verdreifacht werden soll, um insbesondere die Kommunen zu entlasten. Ich finde, das steht in einem erheblichen Widerspruch zueinander.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir uns die Ausgangslage anschauen, dann müssen wir in der Tat festhalten, dass bei der Nominierung und Entsendung von Vertreterinnen und Vertretern des Landes für Gremien der Anstalten des öffentlichen und des privaten Rechts, Gremien wirtschaftlicher Unternehmen und sonstiger juristischer Personen oder eben sonstiger Einrichtungen, auf deren Gremienbesetzung das Land Einfluss hat, sogar relativ viele verschiedene Beschlüsse gelten. Natürlich gilt das Frauenfördergesetz. Es sind festgeschriebene Verfahrensweisen vorgesehen. Nicht zuletzt macht der Koalitionsvertrag eine ziemlich klare Aussage dazu.
Die Einbeziehung der Gleichstellungsbeauftragten in die Vorschlagsentwicklung, die Rücksprache mit dem für die Frauenförderung zuständigen Ministerium, also mit Ihnen, Frau Ministerin, und der Auftrag an die Ministerien, die Frauenanteile zu erhöhen - das alles ist vorgesehen worden. Das alles ist, wenn man sich die politische Verfasstheit anschaut, sogar relativ progressiv formuliert worden. Aber das alles ändert nichts daran, dass die Beschlusslage und die Wirklichkeit meilenweit auseinanderklaffen.
Die wiederholten politischen Absichtsbekundungen ändern daran im Übrigen genauso wenig. Der Anteil von Frauen an dem vom Land SachsenAnhalt zu besetzenden Aufsichtsgremien beträgt nur knapp 20 %. Er ist damit im Vergleich zu vergangenen Jahren sogar noch leicht rückläufig.
Bei mehr als drei Viertel der Unternehmen mit Landesbeteiligung ist das Land wirklich noch weit davon entfernt, die Posten hälftig mit Frauen zu besetzen.
Es ist gesellschaftspolitisch schlichtweg nicht zu erklären, dass Frauen, die mehr als 50 % der Bevölkerung ausmachen, nach einer guten bzw. sehr guten abgeschlossenen Ausbildung nur zu einem sehr geringen Anteil in Spitzenpositionen der Wirtschaft, in Aufsichtsgremien von Unternehmen mit Landesbeteiligung und eben auch der Landesverwaltung vertreten sind. Dazu zähle ich im Übrigen auch die Riege der Staatssekretäre, Frau Ministerin. Ein Anteil von 20 % lässt eben nicht auf gleichberechtigte Teilhabe schließen. Das ist schlichtweg nicht akzeptabel.
Meine Damen und Herren! Die Differenz zwischen den Beschlüssen, der Verkündung und der gleichstellungspolitischen Realität zeigt eben - Frau Lüddemann sagte es -, dass Papier geduldig ist. Die Gleichstellung lässt sich nicht mit Beschlüssen für die Galerie herstellen. Gleichstellung muss aktiv betrieben werden. Es ist in den Augen meiner Fraktion erwiesen, dass das nur mit einer konsequent umgesetzten Quote geht.
Wir brauchen eine Frauenquote von 50 %, und zwar im öffentlichen Dienst, in der Wirtschaft, in allen Führungsebenen und eben auch in Aufsichtsräten. Die Frauenquote wird mittelfristig den Anteil von Frauen in Führungspositionen signifikant verbessern und letztlich zu Geschlechterparität führen. Sie muss verbindlich festgeschrieben werden. Sie muss im Frauenfördergesetz gesetzlich verankert werden.
Für uns als LINKE ist es ebenso klar, dass die Quote nur ein Teil, nur ein Mosaikstein und ein Vehikel auf dem Weg zu Geschlechtergerechtigkeit sein kann. Denn Gleichstellung braucht mehr als eine Quote.
Es muss darum gehen, die systematische Benachteiligung der Frauen in allen Bereichen des Lebens, in der Arbeitswelt, in der Repräsentanz und in der gesamten Gesellschaft abzubauen.
Dass der politische Wille allein nicht ausreichend ist, zeigen die aktuellen Befunde. Dass er augenscheinlich nicht stark genug ist, ist ein Armutszeugnis für die Politik im 21. Jahrhundert.
Meine Damen und Herren! Wir werden den Antrag der GRÜNEN selbstverständlich unterstützen. Das entspricht vollständig auch unserer Position.
Ich komme zum Alternativantrag. Sie haben jetzt fünf Jahre Zeit gehabt, um genau das zu tun, was sie mit dem Alternativantrag noch einmal irgendwie festschreiben wollen.
Und nein, meine Fraktion hat in der Tat nicht das Vertrauen, dass eine Bitte des Landtages, die eigenen Beschlüsse einzuhalten, irgendetwas daran ändern wird und irgendwelche Ergebnisse zeigen wird.
Zum Berichtswesen und zur Beteiligung des Parlamentes ist zu sagen, ich finde es schon spannend. Wir haben einen öffentlichkeitswirksam gegründeten Beirat, einen Gleichstellungsbeirat beim Ministerpräsidenten. - Er ist nicht da; das trifft es.
Es wäre spannend gewesen zu erfahren, was der eigentlich macht, was da zur Umsetzung der Maßnahmen, die Sie in Ihrem Alternativantrag einfordern, eigentlich besprochen worden ist. Das wäre tatsächlich spannend gewesen. Der Alternativantrag ist in dem Fall das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt worden ist. - Herzlichen Dank.
Herr Kollege Kurze, Sie sind jetzt gar nicht so sehr auf den positiven Publicity-Gehalt von Fördermittelübergaben für die betroffenen Träger, Unternehmen oder was auch immer eingegangen. Ihre Vorredner haben das sehr intensiv getan.
Sie sagten allerdings, die Landesregierung sei für fünf Jahre gewählt und so lange solle sie auch arbeiten. Ich würde zum Ersten sagen: Das Parlament ist für fünf Jahre gewählt. Zum zweiten: Ja, ich teile Ihre Einschätzung. Eine Landesregierung soll durchaus die gesamten fünf Jahre arbeiten.
Teilen Sie meine Einschätzung, dass es für die betroffenen Unternehmen, Träger, Sozialverbände, Einrichtungen und Beratungsstellen - einmal von der Frage der Publicity völlig abgesehen - ein erhebliches Problem ist, wenn sie bis zum Ende einer Legislaturperiode oder bis zu Neuwahlen warten müssen, um einen Fördermittelbescheid zu bekommen, und nicht wissen, ob sie ihn bekommen, ob sie ihre Arbeit weiterhin leisten können? Ich glaube, das ist etwas, was von einem PublicityEffekt, der durch eine Scheckübergabe, die in Zeitungen usw. widergespiegelt wird, nicht wettzumachen ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat so: Meine Fraktion nahm den 70. Jahrestag der Befreiung zum Anlass, einen neuen Feiertag, und zwar den 8. Mai, den Tag der Befreiung vom Faschismus, vorzuschlagen. Man kann unterschiedlicher Meinung dazu sein, ob es um einen Gedenktag oder um einen Feiertag gehen sollte. Man kann über die Begrifflichkeiten streiten, ob es um die Befreiung vom Faschismus oder um die Befreiung vom Nationalsozialismus gehen sollte. Man kann auch darüber streiten, inwiefern staatliche Feiertage geeignet sein können, gesellschaftliche Haltungen und Stimmungen zu beeinflussen.
All das hätten wir sehr gern getan; wir fanden aber lediglich die Fraktion der GRÜNEN bereit, diese Debatte mit uns zu führen. Das bedauere ich sehr.
- Herr Borgwardt, die Debatte zu führen, sah so aus: Es besteht keine Notwendigkeit; wir fragen mal in den anderen Bundesländern nach; machen wir nicht. - Das war Ihre Debatte. Schönen Dank!
Vor 30 Jahren war es Richard von Weizsäcker, der als erster Repräsentant der BRD den Charakter des 8. Mai als Tag der Befreiung beschrieb. Wir wissen, dass diese Sichtweise keineswegs politischer Konsens ist. Damit kann man durchaus umgehen, damit kann auch meine Fraktion umgehen. Was mich aber wirklich ärgert, ist, wenn gegen das Bestreben, den 8. Mai als Feiertag zu etablieren
und damit ein staatliches Signal zu setzen, ernsthaft und nahezu ausschließlich mit dem Verweis
auf eine mögliche Schwächung der Wirtschaftskraft durch einen zusätzlichen Feiertag argumentiert wird;
noch dazu in einer wirklich lächerlichen Broschüre der CDU unter dem Motto: Das droht euch mit den LINKEN! Ich bitte Sie ernsthaft - -
- Herr Schröder, jetzt ist es doch gut. Sie können mich doch fragen. Meine Güte!
Das ist eine Debatte, die weder der Bedeutung des historischen Datums noch dem Bemühen um eine staatliche Würdigung dieses Ereignisses und um damit verbundene gesellschaftspolitische Signale angemessen ist.
Um auch das zu sagen: Das Signal der Anerkennung von historischer Schuld, ein Signal der unzweideutigen staatlichen Haltung, das mit dem 8. Mai als Tag der Befreiung, also als Feiertag, verbunden wäre, wäre ebenso wie viele andere Maßnahmen im Kampf gegen aktuell erstarkende Neonazis und Rechtspopulisten dringend notwendig gewesen.
Wieder brennen in Deutschland Unterkünfte von Asylsuchenden, immer noch glauben Menschen, auch in Sachsen-Anhalt, dass „die Juden“ zu viel Macht hätten und dass der Holocaust nur aufgebauscht sei, wieder ziehen Demonstrationen durchs Land, die neben „Lügenpresse“ auch „Judenpresse“ skandieren.
Deutschlandweit marschieren unter dem Nimbus der besorgten Bürger Menschen der sogenannten Mitte, die sich gegen Zuwanderung, gegen Religionsfreiheit und gegen eine offene Gesellschaft positionieren, Seite an Seite mit Neonazis, die diese Stimmungslage gezielt schüren und nutzen.
Der Staat kann und soll dem keineswegs allein begegnen; das kann er auch mit einem Feiertag nicht tun. Darum geht es nicht. Ich bin froh, dass es immer wieder viele engagierte Menschen gibt, die weder den alten noch den neuen Nazis den öffentlichen Raum überlassen. Ihnen gilt unser Dank und ihnen gilt unsere Verpflichtung, sie zu stärken.
Aber Staat und Land sollen Haltung zeigen.
Meine Damen und Herren! Ich hatte die Gelegenheit, am 8. Mai 2015 in Halle die Gedenkrede zu halten. Ich sah dort die seit vielen Jahren immer älter werdende Gruppe von Menschen, die den Tag der Befreiung als Tag des Gedenkens und als Tag der Würdigung der Befreier, der Widerstandskämpfer und aller Opfer begehen. Der 70. Jahrestag wird wohl der letzte große und runde Jahrestag gewesen sein, den wir zusammen mit Überlebenden begehen konnten.
Es stünde dieser Republik und angesichts des Föderalismus - auch das eine historische Lehre - auch dem Land Sachsen-Anhalt angesichts des wiedererstarkenden Neonazismus und der antidemokratischen Positionierungen aus der Mitte der Gesellschaft gut zu Gesicht, an der Botschaft aller Demokraten festzuhalten: Der 8. Mai ist Mahnung; er lässt uns Fragen nach Schuld und Verantwortung historisch und im Hier und Jetzt stellen. Er ist Grund zum Gedenken, zu Demut und zu Dankbarkeit, und er ist auch ein Grund zum Feiern; denn der 8. Mai ist der Tag der Befreiung.
Es ist wenig überraschend, dass meine Fraktion die Beschlussempfehlung ablehnt. - Herzlichen Dank.
Herr Kollege Kolze, Sie sprachen zweimal von Ost- und Mitteldeutschland. Was definieren Sie in diesem Zusammenhang als Ostdeutschland und was als Mitteldeutschland?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Verantwortung gerecht werden, darum geht es. Wir debattieren zu dem von uns vorgelegten Antrag in einer Zeit, in der die Entwicklungen des Zuzugs, der Unterbringung, der politischen Entscheidungen einer großen Dynamik unterliegen, in einer Zeit, in der der Satz von Angela Merkel „Wir schaffen das“ jeden Tag aufs Neue und zuallererst von ihrer eigenen Partei infrage gestellt wird und ihm eben auch das „Wir schaffen das nicht“ entgegengehalten wird.
Ich sage, es geht in dieser Debatte weniger um die tatsächlich dringend notwendige Klärung der Vor
aussetzungen für eine gute Aufnahme von Geflüchteten als vielmehr um die Infragestellung einer ganz grundlegenden Haltung.
Man hat tatsächlich den Eindruck, um diese Auseinandersetzung um die Haltung der Bundesrepublik zu gewinnen - damit hat Sigmar Gabriel ausnahmsweise doch einmal Recht -, wird jeden Tag einen neue Sau durchs Dorf getrieben. Einmal nehmen angeblich die Flüchtlinge, die gar keine richtigen Flüchtlinge seien, weil sie ja nur vor Armut fliehen, den richtigen Flüchtlingen die Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen weg. Ein anderes Mal wird pauschal die Zielstellung ausgegeben, die Zahl der Abschiebungen solle verdoppelt werden.
Dass auch nach Einschätzung der Integrationsbeauftragten des Landes und gemäß den Zahlen Ihres Hauses, Herr Minister, 90 % der Menschen, die in den letzten Wochen und Monaten angekommen sind, eine gute bis sichere Bleibeperspektive haben, erwähnen Sie logischerweise nicht. Denn das macht deutlich - unabhängig davon, wie ich das Prinzip der sicheren Drittstaaten, der sicheren Herkunftsstaaten bewerte oder wie ich die Zielstellung der höheren Abschiebequoten per se beurteile -: Die schnellere Abschiebung von angeblich nicht Schutzberechtigten ändert nichts an der Situation der Erstaufnahme im Land. Diese wurde schlichtweg unzureichend, zu spät und nicht bedarfsgerecht geplant.
Nun hören wir ganz aktuell, dass es Gegenden in Syrien gebe, aus denen man gar nicht fliehen müsse. Herr Minister - ich habe es schon einmal zu Ihnen gesagt -, zeigen Sie mir bitte diese Gegenden in Syrien, in denen Sie sich momentan gern aufhalten würden, zeigen Sie mir die Gegenden in Syrien, in denen Sie Ihre Familie leben lassen würden.
Apropos Familie. Es gibt schon die nächste Forderung. Jetzt lässt der Bundesinnenminister den Koalitionspartner per Pressestatement wissen, dass auch der Familiennachzug für Geflüchtete aus Syrien eingeschränkt werden soll. Das wird dann zurückgenommen, von den CDU-Landesministern, auch dem hiesigen, aber es wird sekundiert und ist nun offenkundig offiziell das Ziel der CDU, ungeachtet dessen, dass damit Frauen und Kinder dem Tod überlassen werden, ungeachtet dessen, dass bereits erhebliche Hürden für Familiennachzug bestehen, ungeachtet dessen, dass Familiennachzug für Flüchtlinge gemäß Genfer Flüchtlingskonvention möglich sein muss. Das Gleiche gilt im Übrigen für subsidiär Schutzberechtigte.
Schließlich kam das Revival der Obergrenzen für die Flüchtlingsaufnahme, die nun auch vom Innenminister gefordert wird, ohne dass er sagt, wie diese Obergrenze durchgesetzt werden soll, ohne dass er sagt, was mit den Menschen, die übrig bleiben, passieren soll - ganz abgesehen davon, dass es auch überaus spannend wäre zu erfahren, wie Sie gedenken, das innerhalb der Bundesrepublik für das Land Sachsen-Anhalt durchsetzen.
Ich will ganz deutlich sagen: Die einzige realistische Antwort auf die Frage, wovon sich Menschen aufhalten lassen sollten, die dem Tod entfliehen konnten, die Krieg erlebt haben, die ihre Familien verloren haben, die verzweifelt sind und die sich auf eine gefährliche, strapaziöse und langwierige Flucht begeben haben, lautet: mit massiver staatlicher Gewalt zur Sicherung der Grenzen. Angela Merkel weiß das und auch Sie wissen das. Wenn Sie das wollen, dann sagen Sie es gefälligst auch.
Der Streit um Haltung, um eine grundsätzliche Haltung, ist das Wesen von Politik. Und ja, der intensive Streit um Haltung, den wir gegenwärtig erleben, entspricht eben auch Konfliktlinien, die in der Gesellschaft deutlich kontroverser, deutlich zugespitzter und deutlich unversöhnlicher geführt werden, als wir es hier tun. Etwas, das ich im Kontext der Flüchtlingsaufnahme wirklich problematisch finde, ist, dass, um die Hoheit im Streit über die Haltung zu gewinnen, die Realitäten, die man beeinflussen kann, so angepasst werden, dass sie die Haltung bestätigen.
Meine Fraktion ist in der Frage der Haltung klar entschieden. Aber Aufgabe von Politik ist es auch, die gerade konkret anstehenden Aufgaben zu erfüllen bzw. die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Mit unserem Antrag konzentrieren wir uns auf die Situation im Land, auf das, was landespolitisch möglich und aus unserer Sicht dringend nötig ist.
Am drängendsten für uns ist die Situation der Zeltunterbringung. Dass Menschen immer noch in Zelten leben müssen, ist schlichtweg nicht hinnehmbar. Wann diese Situation überwunden sein wird, weiß scheinbar niemand. Im Sommer hieß es, zu Beginn der kalten Jahreszeit würden die Zelte unnötig. Dann war von Mitte, später von Ende Oktober die Rede. Dann hieß es: Anfang November. Und schließlich: vielleicht Ende November.
Das Gleiche gilt für alle Baumaßnahmen. Dass meine Fraktion bereits vor zwei Jahren über die Ausbaumaßnahmen in der ZASt gesprochen hat, dass wir bereits vor geraumer Zeit die Errichtung einer weiteren ZASt beantragt haben - geschenkt. Gleichzeitig hören wir vom Finanzministerium und
dem BLSA, dass es durchaus Kapazitäten gäbe, die aber vom Innenministerium abgelehnt worden seien.
Wir sehen, dass es eine Liste mit zur Verfügung stehenden Kapazitäten gibt - es gibt keine aktuellere -, die sich zum Teil nicht in den Belegungsinformationen wiederfinden. Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass auch und gerade im Bereich der Erschließung von Kapazitäten vieles in Bewegung ist; keine Frage. Aber es scheint diese Bewegung nur in eine Richtung zu geben, nämlich dahin, dass die an der einen Stelle stolz verkündeten erschlossenen Kapazitäten irgendwann plötzlich einfach nicht mehr vorkommen.
Nicht minder drängend sind die Fragen der Kommunikation und der Logistik. Dass sich eine geplante Verteilung in die Kreise verschieben kann, ist klar. Dass man nicht immer genau sagen kann, wie viele Familien und wie viele Alleinreisende kommen, welche Sprachbedarfe es geben wird, wie viele Schulplätze gebraucht werden, welche besonderen Schutzbedürfnisse im Einzelnen vorhanden sind, ist auch nachvollziehbar.
Nicht nachvollziehbar ist allerdings, dass es nach übereinstimmender Darstellung der Kreise die Regel ist, dass nicht klar ist, wann wie viele Menschen kommen und welche Spezifika es gibt. Somit ist es kaum möglich, dass sich die Kreise gut auf ihre Aufgabe der kommunalen Flüchtlingsaufnahme vorbereiten können.
Noch weniger nachvollziehbar ist, dass die Ankunft der Asylsuchenden in den Kreisen nicht selten in den Nachtstunden liegt. Das ist eine Härte für die Asylsuchenden. Das ist eine Zumutung für die Kreise und ihre Mitarbeiterinnen. Das ist in Zukunft unbedingt zu vermeiden.
Der Eindruck, der uns aus den Kreisen gespiegelt wird, ist, dass in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes, insbesondere in Halberstadt, ein unglaubliches Chaos herrscht, dass es dem Stab und dem Ministerium relativ egal ist, was in den Kreisen los ist und dass es einzig darum geht, die Verantwortung auf die Kreise abzuwälzen. Das trifft nicht weniger die beteiligten Hilfsorganisationen, diejenigen, die sich um gute Aufnahmebedingungen bemühen, und die vielen Ehrenamtlichen. Das ist ein nicht akzeptabler Zustand.
Vor dem Hintergrund dessen, was ich eingangs zur Frage der Haltung und der Tendenz zur Anpassung der Realitäten an die Haltung sagte, frage ich mich schon, ob es nur am Unvermögen liegt oder ob es eben nicht doch darum geht, die Überlastungsanzeigen aus den Kommunen regelrecht zu provozieren.
Und ja, die Möglichkeiten der Unterbringung in den Kreisen sind unterschiedlich. Es gibt Kreise, die Zeit zur Herrichtung von Unterkünften brauchen. Es gibt Kreise, die kommen innerhalb ihrer kommunalen Gliederungen nicht weiter mit der Unterbringung. Die Landräte haben den Auftrag zur Unterbringung, aber keinen Zugriff auf die kommunalen Wohnungsbauunternehmen.
Aus den Kommunen wird ihnen zuweilen mitgeteilt: Wir haben keine Wohnungen. Das kann weder mit Blick auf die Abwanderungsbewegungen noch mit Blick auf den Leerstand wirklich sein. Mir scheint es notwendig zu sein, zwischen verfügbarem, nicht verfügbarem und eben auch politisch nicht verfügbarem Wohnraum zu unterscheiden.
Wenn die Analyse nun ergibt, dass die Wohnraumsituation in den Landkreisen und kreisfreien Städten unterschiedlich ist, dann ist es angesichts der massiv fehlenden Erstaufnahmeplätze in Landesverantwortung der richtige Weg, von der starren Verteilquote auf die Kreise zumindest vorübergehend abzuweichen.
Wenn es so ist, dass Leerstand, der ausgewiesen ist, real nicht verfügbar ist, weil Gebäude zum Beispiel bereits komplett entkernt worden sind oder nicht beziehbar sind, wenn es so ist, dass teilweise nur Zeit notwendig ist, an anderer Stelle aber politisch gemauert wird, dann ist es richtig, eine Fachgruppe mit Vertreterinnen des Finanzministeriums, des Landesverwaltungsamtes, des Ministeriums für Inneres und Sport sowie mit der Integrationsbeauftragten damit zu beauftragen, eine realistische und aktuelle Einschätzung zu den tatsächlich verfügbaren Unterbringungsmöglichkeiten in den Kreisen zu treffen. Darauf könnte in enger Abstimmung mit den Kreisen eine vernünftige Verteilung aufbauen, das würde auch helfen, Überforderungssituationen zu vermeiden und abzubauen.
Im letzten Punkt unseres Antrages schließlich fordern wir die Einsetzung eines zeitweiligen Ausschusses zur Aufnahme und Unterbringung Asylsuchender und Geflüchteter. Wir haben den Arbeitsauftrag relativ klar beschrieben und begründet. Deshalb will ich an dieser Stelle nur eines sagen, weil ich schon höre, dass Sie sagen: Wer wird denn jetzt so kurz vor der Wahl noch einen Ausschuss einrichten und was soll denn das?
Dass wir die Einsetzung einen solchen Ausschusses vorschlagen, verstehen wir als Zeichen, dass wir das Parlament ernst nehmen und auch Vertrauen haben, dass die Kolleginnen und Kollegen in allen anderen Fraktionen das auch tun.
Aus diesem Ernstnehmen ergibt sich für uns die Schlussfolgerung, dass sich die Arbeitsweise des Parlaments seinen Aufgaben anpassen muss.
Wir sagen ausdrücklich, dass es sich nicht um einen beschließenden und dauerhaften Ausschuss handeln soll. Uns geht es um eine stärkere Anbindung des Parlaments, um einen besseren Informationsfluss und um den notwendigen Raum dafür, der - davon sind wir überzeugt - frei von den Zwängen der bereits befassten Ausschüsse, frei vom Druck der Listen der nicht bearbeiteten Beratungsgegenstände und der aktuellen Tagesordnungen nach unserer Überzeugung weitaus besser zu schaffen wäre.
Uns geht es hierbei ausdrücklich nicht um das Signal, was wir mit einem solchen Ausschuss eventuell könnten verbinden wollen. Nein, uns geht es hierbei ausschließlich um die Anpassung der Arbeitsweise des Parlaments an die Dynamik der Entwicklung.
Meine Damen und Herren! Die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen beziehen sich aufeinander und greifen ineinander. Für uns stehen sie in einem unmittelbaren Zusammenhang. Da wir aber mit unserem Antrag ausdrücklich auf die konkreten Handlungsmöglichkeiten im Land abzielen und ich mir vorstellen kann, dass es in den Fraktionen unterschiedliche Auffassungen zu den einzelnen Punkten gibt - Zustimmung zu einigen Punkten, Ablehnung zu anderen Punkten vielleicht -, beantragen wir an dieser Stelle vorsorglich die Einzelabstimmung der von uns beantragten Punkte.
Meine Damen und Herren! Ich bin auf die Debatte gespannt. Ich bin auch froh, dass wir sie heute Abend noch führen können und sie nicht erst morgen nach der Fragestunde führen müssen. Ich werde sehr gespannt sein, wie Sie sich zu den einzelnen Punkten unseres Antrages positionieren. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wusste, es lohnt, die Erwiderung wahrzunehmen. Zunächst zu den Zelten: Ja, es stimmt. Natürlich sind Zelte für die Abfederung noch spitze - für den Katastrophenfall, für eine Flüchtlingsaufnahme in großen Aufnahmelagern unmittelbar vor Ort in Krisensituationen -, etwas, das nicht vermeidbar und insoweit auch akzeptabel ist. Aber ich sage trotzdem: In einem Land wie Sachsen-Anhalt, in einem Land wie Deutschland ist es nicht akzeptabel, wenn Menschen über Wochen und Monate in Zelten leben müssen.
Zur Kleinteiligkeit, Herr Herbst. Ich habe den Vorwurf jetzt schon öfter von Ihnen gehört, dass alle unsere Anträge zu kleinteilig seien. Frau Schindler hat mich da schon richtig verstanden. Natürlich ist es mein Anspruch, eine Haltung zu kritisieren bzw. meine Haltung respektive die meiner Fraktion zum Ausdruck zu bringen. Aber es ist völlig richtig, wie es Frau Schindler dargestellt hat: Ja, es geht auch darum, konkrete Wege aufzuzeigen - was immer man von den einzelnen Möglichkeiten halten will.
Herr Herbst, ich sage Ihnen ganz deutlich: Prosa allein reicht mir dafür nicht.
Zur Schutzquote. Herr Minister, wie viele der in den letzten Monaten angekommenen Menschen haben denn bereits einen Asylantrag gestellt? - Keiner. Die Schutzquote sagt überhaupt nichts über die Menschen, die in den letzten Monaten zu uns gekommen sind, aus, weder über ihre Zahl noch über die Schutzquote. Diejenigen, die jetzt
kommen, stellen vermutlich im April ihren Asylantrag und finden sich dann irgendwann einmal, wenn darüber entschieden worden ist, in der Quote. Also bitte, so ehrlich wollen wir doch bleiben!
Wir können uns gern über die Maßnahmen streiten, die wir vorschlagen. In der Tat: Es sind bewegte Zeiten, und in der Tat gibt es Für und Wider. Man kann Sinn infrage stellen, Effekte bezweifeln; aber ich habe eine sehr herzliche Bitte an Sie: Erkennen Sie die konkreten Handlungsmöglichkeiten an, die es im Land abseits der Forderungen gibt, die man - auch berechtigt - an den Bund, an Europa, an die Welt stellen kann. Tun Sie nicht so, als gäbe es hier nichts zu tun, als wäre nichts zu machen, als wären uns die Hände gebunden. Das ist nicht so.
Es ist nämlich erstens kreuzgefährlich, so zu tun - mit Blick auf eine Entwicklung gesellschaftlicher Stimmungen, die wir alle nicht wollen können und von denen ich auch nicht glaube, dass jemand hier im Haus sie will. Zweitens ist vielleicht der Bürgermeister von Rottenburg am Neckar, Stephan Neher, CDU, eine wirklich gute Orientierung, der im jüngsten „Spiegel“ sagt - ich zitiere -:
„Von Zahlenspielen und solchen Prognosen halte ich nichts, weil sich Parameter ständig ändern. Wir müssen mit der aktuellen Situation umgehen. Wenn Deutschland das nicht schafft, wer dann? Alle Politiker, die seit Langem sagen, wir könnten die Flüchtlingskrise nicht bewältigen, sind jetzt schon widerlegt worden.“
Herzlichen Dank.
Herr Schröder, Sie haben gerade gesagt, der Ehrenmord gehört nicht zur deutschen Hausordnung. Welcher Mord gehört denn Ihrer Meinung nach zur deutschen Hausordnung?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat sich dafür ausgesprochen, die Institution Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen. Es sind weitere Beispiele genannt worden. In den USA ist die gleichgeschlechtliche Ehe bereits im Gesetz festgeschrieben, ebenso in Kanada, Neuseeland und Südafrika und auch in einigen europäischen Staaten. Im Mai 2015 hat es Irland mit einem entsprechenden Referendum vorgemacht.
Jetzt soll und muss Deutschland mit Blick auf das Votum des Bundesrats nachziehen; denn die Mehrheit der Länder hat einen Gesetzentwurf für die Gleichstellung der Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern abgesegnet.
Auf dem Standesamt soll es künftig egal sein, wer Ja zueinander sagt, ob Mann und Frau oder schwule bzw. lesbische Paare. Es geht um die vollständige Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe mit dem traditionellen heterosexuellen Ehebund. So zumindest fordert es der Bundesrat vom Bundestag. Der Entwurf wurde in der Länderkammer mit den Stimmen rot-grüner, rot-rot-grüner und rot-roter Regierungen verabschiedet. Der Bundestag hat damit nun eine wirkliche Chance, eine grundlegende rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierung zu beseitigen.
In diesem Zusammenhang ist mir insbesondere ein Satz von dem kürzlich durchgeführten Landesparteitag der SPD Sachsen-Anhalts in Erinnerung geblieben. Die Landesvorsitzende der SPD Katrin Budde sagte sinngemäß, sie werde im nächsten Jahr keine Koalitionsvereinbarung unterzeichnen, die nicht für die Öffnung der Ehe und für ein Adoptionsrecht für homosexuelle Partner und Partnerinnen stimmt. Das ist gut so, liebe Genossinnen und Genossen der SPD. Das ist eine klare Aussage, die ich ausdrücklich begrüße.
Denn es geht eben nicht darum, eine kleine Gruppe mit einem Sonderrecht auszustatten, sondern es geht darum, einem Grundsatz, der in der Verfassung festgeschrieben ist, nämlich dem der Gleichstellung, endlich zu seiner Umsetzung zu verhelfen.
Aber - das hat Katrin Budde ebenfalls sehr zutreffend in der ersten Beratung zu diesem Antrag ge
sagt - die SPD hat mit ihrem Abstimmungsverhalten in diesem Hohen Haus einer Minderheitsmeinung im Hohen Haus zu einer Mehrheit verholfen. Damit hat die SPD einmal mehr gezeigt, dass sich aus dem Zwang dieser Koalition heraus eben nicht progressiv handeln lässt.
Nun gab es im Bundesrat dann doch eine Mehrheit für diesen Gesetzentwurf; das ist gut so. Es bleibt abzuwarten, wie der Bundestag damit verfahren wird. Auch hierbei wird es auf die SPD ankommen; denn eine denklogische, rein rechnerische Mehrheit existiert dafür auch im Bundestag.
Ich möchte daran erinnern, dass eine Zustimmung laut repräsentativen Umfragen in Deutschland eben nicht nur eine Mehrheit in der Parteienlandschaft widerspiegelt, sondern dem Mehrheitswillen der Bevölkerung entspräche. Sie brauchen also nicht einmal das jeweilige Bauchgefühl zu bemühen.
Alles in allem bleibt festzustellen, dass dieser Antrag und vor allem der Umgang damit weder eine Sternstunde des Parlaments war noch ein Beleg dafür, dass diese Koalition aus CDU und SPD funktioniert.
Da die entscheidende Abstimmung im Bundesrat inzwischen stattgefunden hat - die Koalition, insbesondere die CDU, hatte wieder einmal mit Blick auf die beantragte Sofortabstimmung, die auch angezeigt gewesen wäre, auf Zeit gespielt, den Gesetzentwurf in den Ausschuss überwiesen und ihn dort liegen lassen -, ist der Antrag selbstverständlich formal erledigt. Der Sache nach ist er natürlich nicht erledigt. Meine Fraktion hat deswegen gezwungenermaßen diesen Umstand anerkannt und der Erledigung des Antrages aus formalen Gründen zugestimmt. Sachlich ändert sich jedoch nichts.
Meine Damen und Herren! Der von uns hier im Hohen Haus beschlossene Aktionsplan für LSBTI ist gut und wichtig. Aber er macht eben nur tatsächlich Sinn und ist in seinem Ansinnen auch glaubhaft, wenn wir uns als Landtag dazu bekennen, dass die für heterosexuelle Paare ganz selbstverständlich geltenden Rechte auch für homosexuelle Paare gelten sollen.
Deswegen hätte es unserem Land tatsächlich gut zu Gesicht gestanden, endlich die rückständige Position zur Heteroexklusivität der Institution Ehe zu überwinden. Das wäre tatsächlich eine Politik der Zukunft gewesen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Auch ich werde mich in meinem Redebeitrag jetzt nicht durch die Zahlen der Großen Anfrage hangeln. Wir alle wissen, dass sie überholt sind. Ich will vielmehr über die aktuelle Situation in Sachsen-Anhalt sprechen und über aus meiner Sicht und aus der Sicht aus meiner Fraktion dringende Baustellen.
Erlauben Sie mir eine Anmerkung zum bisherigen Debattenverlauf. Sie kennen mich, Sie wissen, dass ich wirklich gern Grundsatzdebatten, erst recht in Fragen der Flüchtlingspolitik führe. Aber ich glaube, eine Konzentration auf den Entschließungsantrag, auf die konkret zur Debatte und Abstimmung stehenden Punkte hätte uns gutgetan; denn wir haben hier mehr als genug Baustellen. Ich zumindest habe mir meine europapolitischen Aussagen, die ich beabsichtige zu treffen, für die europapolitische Debatte aufgehoben, die wir im übernächsten Tagesordnungspunkt noch vor uns haben.
Eines will ich mit Blick auf den Befund, den die Große Anfrage uns treffen und erheben lässt, deutlich festhalten. Auch das hat einen aktuellen Bezug zu den Ereignissen dieser Woche: Die Leitlinien für die Unterbringung Asylsuchender auszusetzen, ist das falsche Signal.
Zwar ändert es, entgegen der Behauptung, an der Sachlage im Land kaum etwas. Wir haben uns hier oft genug darüber gestritten, dass die Wirksamkeit der Leitlinien schlichtweg nicht gegeben ist, weil sie einen empfehlenden Charakter haben. Aber Sie setzen das politische Signal, dass es nicht mehr auf Qualität ankomme. Das stimmt auch angesichts gestiegener Zahlen von Asylbewerbern nicht. Das ist das falsche politische Signal. Das ist das Signal: zurück in die 90er-Jahre.
Die Leitlinien halten keinen einzigen Landkreis davon ab, Menschen unterzubringen. Sie halten nicht davon ab abzuweichen. Sie sind nicht verbindlich.
Das Gegenteil wäre notwendig. Statt die Qualitätsstandards und die Diskussionen darum in den Hintergrund zu drängen, wäre das Gegenteil notwendig, um auch und gerade angesichts gestiegener Zahlen von Schutzsuchenden die Voraussetzungen für gute Unterbringung, qualifizierte Betreuung und vor allem gelingende Integration zu schaffen.
Verbindliche Standards, die Abkehr von der Regelunterbringung Gemeinschaftsunterkunft, die Begrenzung der Dauer des Aufenthaltes in Gemeinschaftsunterkünften und die Übernahme der tatsächlich anfallenden Kosten, auch für Investitionen und Integrationsarbeit, wären die notwendigen
Schritte, um zu einer bedarfsgerechten und modernen Asylkonzeption für das Land Sachsen-Anhalt zu kommen.
Das hat die Leitlinie nicht getan. Dass sie jetzt auch noch zurückgenommen wird, zeigt, dass von dieser Landesregierung eine solche moderne Asylkonzeption eben nicht zu erwarten ist.
Der Entschließungsantrag der Kollegen von den GRÜNEN verweist auf zentrale aktuelle Problemlagen im Land. Eine besonders dringende - darin dürften wir uns einig sein - ist die Situation der Erstaufnahme.
Ja, wir befinden uns in einer zugespitzten Situation. Und nein, keineswegs ist es so, dass alle aktuellen Entwicklungen konkret vorhersehbar waren.
Die Meldungen aus allen anderen Bundesländern zeigen uns auch: Natürlich gibt es überall akuten und kurzfristigen Handlungsbedarf, der von den ursprünglich vorhandenen Strukturen nicht einfach nebenher zu bewältigen ist.
Aber dass die Zahl der Flüchtlinge weltweit steigt, dass mehr Menschen gerade aus Syrien sich gezwungen sehen, ihr Land zu verlassen, dass die Prognosen des BAMF in der Regel eben nicht zutreffend sind - all das ist nun wahrlich keine Überraschung. All das hätte umfassender Eingang in die Planungen der Landesregierung finden müssen.
Dass die Landesregierung erst jetzt Ausweichquartiere sucht, Außenstellen für die ZASt sucht, landeseigene Liegenschaften prüft und das Problem angeht - das ist tatsächlich ohne Alternative, keine Frage -, ist angesichts der Konsequenzen für die davon betroffenen Menschen nicht nur zu spät, sondern wird auch der Verantwortung, die eine Landesregierung hat, nicht gerecht.
Es ist nicht hinnehmbar, dass Menschen in Zelten leben müssen, die sonst nur im Katastrophenfall zum Einsatz kommen.
So sehr ich die mangelnden Vorkehrungen und Vorausplanungen kritisiere, so froh bin ich natürlich, dass sich zeitnahe Lösungen abzeichnen oder zumindest abzuzeichnen scheinen.
Ich bin froh darüber, dass sich zum Beispiel in Halle, aber auch in vielen anderen Orten schnell nicht nur Kommunalpolitik, sondern auch und in beeindruckendem Maße Zivilgesellschaft offensiv bereit und offenen Herzen zeigten, Erstaufnahmestandorte zu werden und Flüchtlinge willkommen zu heißen.
Die Integrations- und Unterstützungsarbeit im Land - auch das zeigt die Beantwortung der Großen Anfrage - lebt vom Ehrenamt und vom freiwilligen Engagement vieler. Ihnen gilt unser ausdrücklicher Dank.
Gleichwohl müssen wir ebenso deutlich festhalten: Wichtige und dringend notwendige Aufgaben, wie Deutschunterricht, Kinderbetreuung oder Sozialarbeit im tatsächlich weitesten Sinne gerade in der Erstaufnahme, werden entweder vom Ehrenamt und von Hilfsorganisationen erfüllt oder eben nicht, obwohl es sich um staatliche Aufgaben handelt. Das ist, von akuten Notsituationen abgesehen, nicht hinnehmbar.
Umso notwendiger wäre es, staatliche und ehrenamtlichen Strukturen und Arbeit besser miteinander zu verzahnen, gerade in Halberstadt besser zu koordinieren.
Um ein Beispiel zu nennen: Es gibt in der ZASt in Halberstadt eine Kleiderkammer, um die Ankommenden mit Sachen zu versorgen, was auch oftmals bitter notwendig ist. Die Kleiderkammer ist aber täglich nur drei Stunden geöffnet. Wer danach oder davor ankommt, hat Pech.
Für diesen Umstand mag es vielfältige Ursachen geben. Die Frage, die mich jedoch umtreibt, ist: Warum gelingt es dem eingesetzten Staat nicht, hier für eine andere Lösung zu sorgen, obwohl es an Freiwilligen eben nicht mangelt? Warum werden qualifizierte Freiwillige, die in der so notwendigen medizinischen Versorgung ehrenamtlich und ohne Geld arbeiten wollten, mit Verweis auf nicht geklärte Versicherungsfragen weggeschickt? Warum gelingt es nicht, hier eine Lösung zu finden? Warum scheint - das ist mein Eindruck - der Staat für die täglichen Belange der Helfenden nicht erreichbar?
Wir brauchen endlich eine andere Kommunikationskultur aus den Ministerien heraus. Wir brauchen eine offene Kommunikationskultur. Staatliche und gesellschaftliche Aufgaben können nicht in militärähnlicher Stabsmanier erfüllt werden. Es bedarf einer ehrlichen und transparenten Anzeige von akuten Defiziten, sei es beim Personal, sei es bei der Betreuung und Versorgung, sei es bei der Versorgung mit Kleidern und Verbrauchsgütern.
Die Hilfsbereitschaft in Sachsen-Anhalt ist enorm. Sie darf nicht am Dienst nach Vorschrift scheitern.
Mit unserem Änderungsantrag zum Entschließungsantrag verfolgen wir das Ziel, die Menschen möglichst schnell aus den Zelten herauszuholen und regulär unterzubringen. Ich glaube, auch in
dieser Zielstellung sind sich alle Fraktionen im Hause einig.
Den Harzkreis in die Aufnahme von Flüchtlingen analog zu den anderen Kreisen und Städten einzubeziehen, wäre ein Beitrag dazu. Diesen Schritt so schnell wie möglich zu gehen, zumal die Offenheit dafür ausdrücklich vorhanden ist, wäre notwendig.
Erst in der letzten Woche hat sich der Kreistag des Harzes in einer Erklärung positioniert, in der die ausdrückliche Bereitschaft, Menschen aufzunehmen und dezentral unterzubringen, erklärt wird. Das gilt es zu begrüßen.
Ich will die Gelegenheit auch nutzen, den Erklärenden ausdrücklich für ihre klaren und deutlichen Worte in Bezug auf die auch in unserem Land virulenten rassistischen Mobilisierungen, Hetzkampagnen und Rechtenpositionierungen zu danken.
Genau dieser Einigkeit der Demokratinnen und Demokraten braucht es dringender denn je.
Vielen Dank. - Eine weitere Notwendigkeit ergibt sich - auch das ist keineswegs neu - aus der geänderten Verfahrensweise in Bezug auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Die Mitarbeiter der ZASt berichten von einem gestiegenen Anteil an UMF. Und laut Angaben des Sozialministeriums ist in den kommenden Monaten mit bis zu 600 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen für Sachsen-Anhalt zu rechnen.
Auch wenn die vorhandene Clearingstelle auf 16 Plätze aufgestockt wurde, reicht das keineswegs aus, um diesen besonders schutzbedürftigen Kindern und Jugendlichen die Betreuung und Beratung zu geben, die sie brauchen.
Deshalb beantragen wir hier erneut und dringend, die Voraussetzungen für mindestens eine weitere Clearingstelle im Land zu schaffen, und das so schnell wie möglich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meiner Fraktion ist gerade angesichts der Fülle von Aufgaben und der Größe der Herausforderungen, vor denen unser Land steht ist, wichtig festzuhalten: Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, haben Katastrophen erlebt. Die Aufgabe der Flüchtlingsunterbringung aber ist keine Katastrophe, wenn man keine daraus macht.
Auch die mit den gestiegenen Flüchtlingszahlen verbundenen Aufgaben, Herausforderungen und die ganz konkreten Probleme sind lösbar, wenn wir die Voraussetzungen dafür schaffen.
Der Entschließungsantrag schlägt dafür wichtige, notwendige und zum Teil auch überfällige Schritte vor. Lassen Sie uns diese Schritte gemeinsam gehen. - Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beschlussempfehlung stellt zwar einerseits fest - in der Tat ist das für diese Koalition revolutionär -, dass die Dublin-Verordnung überprüft werden muss,
- danke, Harry - aber gleichzeitig wird in der Beschlussempfehlung auch festgestellt, dass die Eurodac-Verordnung für das Funktionieren des gemeinsamen europäischen Asylsystems grundlegend sei und deshalb konsequent angewendet werden müsse.
Unterm Strich heißt das: Wir wissen zwar, dass „Dublin“ nicht funktioniert, es soll aber konsequent angewendet werden. Das ist dann das europäische Asylsystem. - Ich bitte Sie! Welches europäische Asylsystem denn?
Das, was wir gerade in Ungarn sehen? Das, bei dem wir sehen, was passiert, wenn sich die Menschen, die in Europa zweifellos schutzberechtigt sind, zu Fuß auf eine Reise begeben müssen, die kreuzgefährlich ist, die sie auszehrt, die sie noch ärmer macht? Das europäische Asylsystem, bei dem wir sehen, was die Menschen erwartet, die mit Tränengas, Wasserwerfern und Schüssen von den europäischen Grenzen ferngehalten werden, die angeblich auch nicht geschlossen sind? Ist es das, was die Menschen, die in Italien oder Griechenland sind, erleben, die keine Unterkunft, keine Verpflegung, keine Versorgung, keine Chance auf ein faires rechtstaatliches Asylverfahren haben? Das soll das europäische Asylsystem sein, dessen Grundlagen nicht angerührt werden dürfen? - Nein. Ich sage Ihnen, das ist es nicht!
Das ist das europäische System der Abschottung. Das ist das System, das Menschen in die Arme von Schleusern treibt.
Die Überwindung von „Dublin“, die verbindliche Verständigung auf ein System der Verantwortungsteilung in Europa, die Schaffung legaler und sicherer Einreisewege, die europaweite Sicherstellung menschenwürdiger Unterbringung und Versorgung wären die Voraussetzungen für ein europäisches Asylsystem, was wir in der Tat nicht im Landtag von Sachsen-Anhalt zu entscheiden haben - Gott sei Dank nicht. Aber es brauchte eben eine Positionierung auch aus den Ländern.
Genau das tut die vorliegende Beschlussempfehlung nicht wirklich. Sie will - im Gegenteil - auch noch die Maßnahmen der europäischen Migrationsagenda begrüßen.
Nun bin ich wahrlich keine Anhängerin des Systems der Verteilung nach entsprechend festgelegten Quoten. Aber nicht einmal dafür sind die Regelungen der europäischen Migrationsagenda verbindlich vorgesehen.
Statt ein umfassendes Programm zur Seenotrettung zu schaffen, sollen die Boote von sogenannten Schleppern zerstört werden, um Menschen in Zusammenarbeit mit denselben Regimen, die diese Menschen überhaupt erst zur Flucht zwingen, mittels sogenannter Auffangzentren vom Übertritt europäischer Grenzen abzuhalten. - Das ist die europäische Migrationsagenda. Die europäische Migrationsagenda ist die Fortsetzung des Scheiterns mit denselben erwiesenermaßen untauglichen Mitteln.
Meine Damen und Herren! Ich möchte auf eine Bemerkung des Innenministers eingehen, die er bei der Kabinettspressekonferenz in dieser Woche machte und auch vorhin bei der - man kann es so nennen - Generaldebatte zur Großen Anfrage im Zusammenhang mit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen; denn diese Bemerkung hat mich, ehrlich gesagt, erschüttert, und zwar völlig fernab der Tatsache, dass wir naturgemäß und üblicherweise nicht denselben Standpunkt einnehmen, Herr Minister.
Sie sagten, ein Ergebnis der Grenzkontrollen sei, dass wir nun wüssten, dass von den 7 000 Menschen, die in den ersten Stunden an der deutschösterreichischen Grenze angekommen sind, etwa die Hälfte keine Ausweispapiere dabei habe und damit nach nationalem Recht abgewiesen werden müssten, nach EU-Richtlinien aber nicht, und dass man dann - auch das sagten Sie bei der Pressekonferenz - auch irgendwann überlegen müsse, ob man nicht die EU-Regeln, die das verhindern oder erschweren, aussetzen müsse.
Mich erschüttert das; denn das heißt nichts anderes, als die Menschen zurück ins Elend in Ungarn zu schicken, zurück auf den landminenverseuchten Weg durch Serbien und Kroatien, zurück in absolute Unsicherheit zu weisen. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
Ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, dass die Hälfte keinen Pass dabei gehabt haben mag. Nein, natürlich nicht. Diese Menschen haben ganz andere Sachen nicht dabei, zum Beispiel warme Kleidung, Medikamente. Sie haben über lange Zeit kein Essen und kein Trinken, keine lebenswichtige Versorgung. Ich wäre froh, das triebe den Innen
minister dieses Landes um und er würde diese Sorge öffentlich artikulieren.
Dass Menschen, die zu einem großen Teil aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak fliehen mussten, keine Ausweispapiere dabeihaben könnten, kann doch niemanden ernsthaft überraschen. Es kann doch erst recht nicht dazu führen, dass ihnen die Schutzbedürftigkeit abgesprochen wird. Das ist eine Position, die in keiner Weise etwas daran ändern würde, dass verzweifelte Menschen versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Das ist eine Position, die die Gefährdung von Menschenleben in Kauf nimmt. Das darf nicht die Position Sachsen-Anhalts sein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der neuerlichen Aufregung um die Enttarnung des V-Manns „Corelli“ und die Detailfragen, wer wann was gesagt hat, wer wann was gewusst hat, droht mitunter, dass der Blick auf den eigentlichen Skandal verstellt wird. Ich möchte deshalb zunächst beleuchten, worüber wir reden, wenn wir über den V-Mann „Corelli“ reden. Um es deutlich zu sagen: Ich beziehe mich ausschließlich auf öffentlich zugängliche Quellen.
Weil es dazu noch immer unglaubliche Vorstellungen und unwahre Behauptungen gibt, scheint es mir notwendig, als Erstes klarzustellen: Wenn wir über „Corelli“ reden, reden wir nicht über einen Staatsdiener, der für die Beobachtung der NaziSzene abgestellt war und dort eingeschleust wurde. Wir reden über einen überzeugten Nazi, der sich selbst Anfang der 90er-Jahre dem Verfassungsschutz anbot und der über einen Zeitraum von 18 Jahren mit dem und für den Verfassungsschutz arbeitete und als Quelle „Corelli“ geführt wurde.
Wir reden von einem Nazi, der seine Sozialisation und Politisierung in der neofaschistisch-revisionistischen NSDAP/AO erfuhr und dort Führungsaufgaben wahrnahm. Wir reden über einen Nazi, der innerhalb der militanten und gewaltbereiten Szene unterwegs war, der um die Jahrtausendwende zu den wichtigsten Persönlichkeiten der Nazi-Szene in Sachsen-Anhalt gehörte, der bestens vernetzt und aktiv war, der aktives Mitglied des NeonaziNetzwerkes „Blood & Honour“ war, nach dessen Verbot übrigens der „Hammerskins“. Er war Namensgeber und Initiator des Nationalen Widerstandes Halle, Herausgeber dessen Zeitung „Nationaler Beobachter“.
Thomas Richter war eines von rund 20 Mitgliedern des deutschen Ku-Klux-Klan-Ablegers. Er war bekannt für klassische Anti-Antifa-Aktivitäten wie das systematische Abfotografieren politischer Gegner.
Auf einer seiner der rechten Szene zur Verfügung gestellten Websites hatte das Nazi-Magazin „Der Weiße Wolf“ seine Internetpräsenz. „Der Weiße
Wolf“ druckte bereits im Jahr 2002 den Satz „Vielen Dank an den NSU“ ab.
Ich finde es wichtig, sich das noch einmal vor Augen zu halten; denn es ist und bleibt einfach unfassbar, was ein V-Mann, was ein Nazi hier über 18 Jahre lang im Auftrag und im Auge der Behörden treiben konnte.
Die Fassungslosigkeit wird noch größer, wenn man die Summen betrachtet, die Richter während dieser Zeit erhalten hat, rund 300 000 €, die zu einem erheblichen Teil unmittelbar in den Struktur- und Szeneaufbau der gewaltbereiten NeonaziSzene Sachsen-Anhalts geflossen sein dürften.
Nun würde man, wenn man die Berichte über die Aufarbeitung aus den NSU-Untersuchungsausschüssen nicht kennt, sondern politische, moralische, logische Maßstäbe anlegt, meinen, dass ein V-Mann, der derart viel Geld bekommen hat und der derart in die militante Nazi-Szene eingebunden ist, über einen so langen Zeitraum Informationen liefern würde, die helfen, Straftaten zu verhindern, die helfen, Menschenleben zu schützen, die die helfen, Täter zu überführen.
Nun kann ich nicht sagen, welche Informationen „Corelli“ geliefert hat. Wir können auch nicht sagen, welche Informationen andere V-Männer geliefert haben oder auch nicht. Festzustellen bleibt aber - es ist eine Schande, dies tun zu müssen -: Keine deutsche Sicherheitsbehörde, am allerwenigstens der Verfassungsschutz, hat die Erkenntnisse, die zahlreiche V-Männer im Umfeld des NSU lieferten, dazu genutzt, auch nur ein einziges Verbrechen, einen einzigen Mord, eine einzige Hinrichtung zu verhindern.
Das ist und bleibt der eigentliche Skandal. Das macht mich, so oft ich es gehört, gelesen und auch selbst formuliert habe, immer wieder fassungslos und wütend.
Wenn wir uns noch einmal in die Situation im September 2012 hineinversetzen: Jeden Tag kam im Grunde genommen ein neues Detail dieser unglaublichen und unfassbaren Details über das Versagen der Sicherheitsbehörden und die Involvierung des Verfassungsschutzes in das Umfeld des NSU zum Vorschein.
Die Institution Verfassungsschutz war in der tiefgreifendsten Legitimationskrise, die man sich nur vorstellen konnte. Ein Verfassungsschutzchef nach dem anderen wurde ausgetauscht. Der Ruf nach Aufklärung über den NSU hinaus, Aufklärung über die Praktiken des Verfassungsschutzes wurde weit über die Riege der üblichen Verdächtigen laut und
lauter bis dahin, dass die Existenzberechtigung der Behörde Verfassungsschutz offensiv in Zweifel gezogen wurde und wird.
Die Behörde selbst versuchte alles, um zu vertuschen. Sie versuchte alles, um zu verschleiern. Sie schredderte Akten. Sie wirkte nicht aktiv an Aufklärung mit.
Politisch wurde das Verlangen nach Aufklärung und nach Beendigung des weder Demokratie noch Menschenleben schützenden V-Mann-Unwesens von den Protagonisten konservativer Sicherheitspolitik als gefährlich, als staatsgefährdend und als akute Bedrohung der Sicherheitslage verbrämt.
So wie der Verfassungsschutz mit der Vernichtung der Akten gegen die Aufklärung ankämpfte, versuchten die politisch Verantwortlichen, die Aufklärung zu diskreditieren. - Das war die Situation im Dezember 2012, um die es geht, wenn wir die Umstände der Enttarnung „Corellis“ besprechen.
Zumindest ein Detail will ich aufrufen: Im Artikel der „MZ“ vom 22. Juni ist zu lesen, dass Thomas Richter angesichts einer im Zuge der Arbeit der Untersuchungsausschüsse wahrscheinlichen Enttarnung ab dem 3. September 2012 mit einer neuen Identität ausgestattet wurde.
Der Pressemitteilung des Ministers vom 30. Juni entnehme ich, dass am 14. September 2012 eine Anfrage des MDR im Innenministerium vorlag mit der Frage, ob „Corelli“ und Thomas Richter identisch seien.
Just an diesem 17. September - das entnehme ich der Mitteilung des Ministers weiter -, an dem Richter laut „MZ“ mit einer neuen Identität versorgt und bereits im Ausland war, spricht Minister Stahlknecht mit dem Bundesinnenminister und dem Chef des Verfassungsschutzes, um beide über genau diese bevorstehende Enttarnung und die daraus abgeleitete befürchtete Gefährdungslage für Leib und Leben zu informieren und ein Hintergrundgespräch mit Journalisten stattfinden zu lassen.
Tags darauf berichtet die „Volksstimme“: V-Mann fliegt nach Indiskretion der LINKEN auf. Sie wusste von blankem Entsetzen und heftigem Zorn im Geheimdienst und in Regierungskreisen über die Indiskretion von Petra Pau zu berichten, die - genau wie die Mitglieder meiner Fraktion - im Übrigen im Gegensatz zur „Volksstimme“ keine Namen genannt hat.
Herr Minister, es stellen sich mir nun zwei Fragen. Es stellen sich mir eigentlich mehr Fragen, die werden wir aber hier nicht klären können. Zwei Fragen will ich hier stellen:
Erstens. Wenn Ihr Antrieb die Annahme war, dass es eine akute Gefährdung von Leib und Leben
Thomas Richters gibt, warum liegt dann die Presseanfrage vom 14. September, die Sie zu dieser Auffassung bringt, übers Wochenende unbearbeitet in Ihrem Ministerium und Sie setzen sich erst am 17. September 2015 mit dem Bundesminister in Verbindung? Spiegelt das eine akute Gefährdung für Leib und Leben wider? - Wohl kaum.
Zweitens. Wenn Sie dann am 17. September 2015 beide Verantwortungsträger informiert haben und ihnen Ihre Befürchtungen mitgeteilt haben, dann sollen die beiden Ihnen nicht gesagt, dass Thomas Richter bereits seit zwei Wochen in Sicherheit ist und entsprechende Maßnahmen getroffen worden sind, dass es keine akute Gefahr für Leib und Leben mehr gibt? Denn nur wenn das so gewesen wäre, ergäbe Ihr darauf folgendes Handeln ja Sinn. Warum sollten Sie sonst ein streng vertrauliches Hintergrundgespräch mit Pressevertretern führen? Welchen Grund hätten denn bitte Herr Friedrich und Herr Maaßen gehabt, Ihnen nicht zumindest das Signal der Entwarnung zu geben? Sie dürfen Sie ja wohl kaum für ein Sicherheitsrisiko gehalten haben.
Herr Innenminister, das ergibt schlichtweg keinen Sinn. Ich habe nicht nur Fragen, sondern auch eine These. Deshalb bin ich noch einmal umfassender auf die Situation im Jahr 2012 eingegangen.
Ich glaube, es ging Ihnen nie, auch damals im September 2012 nicht, wirklich um „Corelli“. Ich glaube, Sie haben sich in einen politischen Abwehrkampf gegen die Infragestellung des Verfassungsschutzes und des V-Mann-Wesens begeben; denn genau das war die politische Debatte damals. Es ging um Aufklärung und um Konsequenzen aus den Erkenntnissen der Untersuchungsausschüsse versus Vertuschung und Festhalten am V-Mann-Unwesen und an dem Verfassungsschutz.
In diesem Kontext ergibt es eben schon einen Sinn, einmal vorzuführen, dass umfassende Aufklärung mit Enttarnung einhergehen kann und ein Sicherheitsrisiko bedeuten könnte.
Wenn dann die „Volksstimme“ auch noch zu berichten weiß, dass Petra Pau eine Indiskretion begangen habe, und darüber versucht, die linke Vizepräsidentin des Bundestages als Sicherheitsrisiko darzustellen, passt eben auch das in das Bild der damaligen politischen Debattenlage.
Es passt auch in die derzeitige Debatte um den gesetzlichen Rahmen für die Geheimdienste auf Bundesebene. Statt endlich dieses Konstrukt des Verfassungsschutzes zu überwinden, sollen seine
Rechte noch gestärkt, seine Kompetenzen erweitert und auch das für Demokratie und Gesellschaft nutzlose einerseits und andererseits gefährliche VMann-Wesen gestärkt werden und letztlich nur noch Mord als Tabu und für V-Männer als verboten gelten.
Das, meine Damen und Herren, ist zynisch, gerade angesichts der Verbrechen des NSU. Es ist ein Bärendienst für die Demokratie. So wie Sie, Herr Minister, sich mit Ihrem Agieren im September 2012 wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenso einen Bärendienst erwiesen haben. - Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik war schon mehrfach Thema in diesem Hohen Hause. Die Fraktionen haben dazu, wie es ihre Aufgabe ist, sehr unterschiedliche Auffassungen und zum Teil gegensätzliche Konzepte. Das bleibt ihnen unbenommen. Diesbezüglich streiten wir uns weiter. Daran wollen wir mit dem vorliegenden Antrag nichts ändern.
- Stimmt: Streiten ist Geschäft. - Was wir aber tun wollen, ist, auf eine neue Regierung, nein, ich meine, auf eine neue Entwicklung zu reagieren.
- Das kommt nächstes Jahr, Herr Borgwardt, keine Sorge.
Im Juni dieses Jahres begaben sich Mitglieder des Ausschusses für Inneres und Sport auf eine Delegationsreise, um sich mit der Situation von Flüchtlingen in Italien zu befassen. Auch wenn der Bund der Steuerzahler es anders gesehen hat und auch noch anders sehen mag: Diese Reise war in der Tat sehr sinnvoll. Sie war aufschlussreich.
- Das ist eine Einigkeit, an die ich mit dem Antrag anknüpfen will. Mal schauen, ob es klappt.
In der Tat ist meine Hoffnung, dass sie tatsächlich einen neuen Handlungsansatz für uns hier als Parlament gibt, nämlich die Dinge, die in Sachsen-Anhalt auf der Tagesordnung stehen, mit denen wir zu kämpfen haben, die Herausforderungen, die in den Kommunen stehen - so heftig wir uns darum streiten mögen, so berechtigt wir uns darüber streiten, was der richtige Weg ist -, doch noch einmal in einen gesamteuropäischen Kontext zu setzen. So viele Baustellen es gibt: Die Probleme relativieren sich, wenn wir uns die Situation in Italien anschauen und wenn man die Eindrücke im Kopf hat.
In Italien kamen im Jahr 2014 170 000 Flüchtlinge per Boot an. Allein in den drei Tagen, bevor wir nach Palermo reisten, kamen mehr als 5 000 Menschen an. Padre Natoli, einer unserer Gesprächspartner in Palermo, ging besonders auf die Frage der Fluchtgründe und die Frage, woher die Flüchtlinge eigentlich kommen, ein. Er berichtete von einem enorm steigenden Anteil geflüchteter Kinder. 5 000 neu Ankommende - in Beamtendeutsch: unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge - waren es im letzten Jahr allein auf Sizilien.